Das Modell TopSharing: Gemeinsam an der Spitze.
Von Julia K. Kuark.
JKK Consulting 2003.
 
Teilzeit. Eine Studie zu betrieblichen Effekten von Teilzeitbeschäftigung.
Österreichisches Institut für Familienforschung.
April 2011.

man wearing white and black plaid button-up sports shirt pointing the silver MacBook
Foto von NeONBRAND

 

Quelle: personalmanager 05/12

Andrea Strohmayer hatte vor ihrer Karenz eine Führungsfunktion bei der UniCredit Bank Austria inne. Eine Full-Time-Führungsfunktion mit zwei kleinen Kindern wäre zum Zeitpunkt ihres Wiedereinstiegs für sie unmöglich gewesen. Mit dem Einsatz in einer geringer qualifizierten Funktion hätte das Bankhaus jedoch viel Know-how brach liegen lassen, das über Jahre gewachsen ist. Eine glückliche Fügung war es daher, dass zeitgleich Fred Luks – Führungskraft beim selben Arbeitgeber – seine Arbeitszeiten reduzieren wollte. Gemeinsam machte die Bank aus der Not eine Tugend: Andrea Strohmayer und Fred Luks praktizieren heute Jobsharing auf der Führungskräfteebene im Unternehmensbereich Corporate Sustainability.
 
Julia K. Kuark beschreibt in ihrem Buch „Das Modell TopSharing“, auf welche Vorurteile Teilzeit-Führungskräfte noch heute in der Unternehmenspraxis stoßen: „Wer nicht voll arbeitet, setzt sich auch nicht voll ein“. De facto belegen empirische Studien, dass Teilzeitbeschäftigte anteilsmäßig sogar produktiver sind als Vollzeitbeschäftigte. So zum Beispiel die Erhebung „Teilzeit. Eine Studie zu betrieblichen Effekten von Teilzeitbeschäftigung“ des Österreichischen Instituts für Familienforschung vom April 2011. Bei genaueremHinsehen sei Teilzeitarbeit in den Führungsetagen ohnehin bereits weit verbreitet, wie Julia K. Kuark sagt. Demnach haben viele TopManager neben ihrer Managementfunktion eine oder mehrere Aufsichtsratsfunktionen oder andere politische Ämter. Teilzeitarbeit in Führungsetagen ist demzufolge bereits Realität. Neu dagegen sind die Umstände, die heute zum Wunsch nach Teilzeitarbeit führen: lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung und Work-Life Balance – auch in den Führungsetagen. 

Der demografische Wandel und die zunehmende Anhebung des Pensionsantrittsalters stellt Human Resources vor neue Herausforderungen. Wie können Unternehmen Mitarbeiter und Führungskräfte möglichst lange im Arbeitsprozess halten? Wie können sie sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter bis zum letzten Arbeitstag motiviert sind und im Sinn der Employability einsatzbereit bleiben?

Die Einführung einer geteilten Führungsfunktion in der UniCredit Bank Austria hatte die notwendige Unterstützung. „Unser Vorgesetzter hat sich eindeutig commitet und begründet, warum die Entscheidung auf dieses Führungs-Tandem gefallen ist. Diese Rückendeckung war ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Akzeptanz des TopSharing-Modells im Team“, so Andrea Strohmayer und Fred Luks von der UniCredit Bank Austria.
 
Manuela Vollmann und Daniela Schallert sind überzeugt, dass TopSharing-Modelle nur dann funktionieren, wenn die beteiligten Führungskräfte entscheidungsfähig sind. „Das Treffen von raschen Entscheidungen, unabhängig von der Partnerin, ist ein Knackpunkt für die Akzeptanz des TopSharingModells bei den Mitarbeitern“, so bringen es die Geschäftsführerinnen des abz*austria auf den Punkt.
 
Das Teilen einer Führungsfunktion setzt weiters voraus, dass die Beteiligten Macht teilen können. „Es ist etwas Bedrohliches, kein eigenes Büro und/oder keine eigenen Mitarbeiter mehr zu haben. Das ist nicht trivial“, meint Fred Luks. „Beim Praktizieren eines TopSharing-Modells müssen die Sach- und Qualitätsorientierung im Vordergrund stehen, weniger die Machtorientierung“, sind auch Manuela Vollmann und Daniela Schallert überzeugt.

Sehr oft werden die durch die überschneidenden Arbeitszeiten der TopSharing-Partner entstehenden höheren Kosten als Argument gegen Job- oder TopSharing-Modelle angeführt. Dies lässt sich beim näheren Hinsehen schnell entkräften: Nach Julia K. Kuark ist der Verlust für das Unternehmen wesentlich größer, wenn hoch qualifizierte Mitarbeiter die Firma verlassen, weil Unternehmen keine flexiblen Arbeitszeitlösungen anbieten. Flexible Arbeitsbedingungen wirken sich positiv auf die Motivation und die Identifikation des Mitarbeiters mit dem Unternehmen aus, was letztlich ein Sinken der Fehlzeiten und der Fluktuation bewirkt. Sollte einer der TopSharing-Partner das Unternehmen doch verlassen, so bleibt betriebliches Know-how dennoch erhalten. Auf diese Wiese vermieden Unternehmen aufwendige Einarbeitungszeiten, die hohe zusätzliche Kosten verursachen. Darüber hinaus können sie kurzfristige Spitzenbelastungen und Vertretungen intern abdecken, da eine Doppelspitze zusätzliches Reservepotenzial mit sich bringt. All das bedeutet letztlich eine Reduktion der Kosten.

Eine mögliche Antwort auf diese Fragen ist das Modell TopSharing. Nach Julia K. Kuark basiert es auf den drei Grundprinzipien Arbeitsinhalt, Arbeitsorganisation und gemeinsame Verantwortung (Abbildung 1). Zwei Voraussetzungen sind für eine erfolgreiche Einführung von TopSharing jedoch unabdingbar: Zum einen müssen Unternehmen dafür Sorge tragen, dass die Kommunikation zwischen den Führungskräften funktioniert. Dialogische Kommunikation, der Austausch zwischen gleichwertigen Partnern, erweitert das Blickfeld der beteiligten Personen, sodass sie neue Ressourcen erkennen und erschließen können. Zum anderen sollten Arbeitgeber die Einführung von TopSharing als Projekt definieren und mit einer Projektorganisation voranbringen. Eine Projektorganisation sichert nach Julia K. Kuark den Einbezug der beteiligten Personen und des Arbeitsumfeldes. Darüber hinaus trägt sie auch nach der Einführungsphase dem weiteren Entwicklungsprozess Rechnung.

Manuela Vollmann und Daniela Schallert teilen sich die Geschäftsführung des abz*austria – mit rund 80 Mitarbeitern und 30 selbstständigen Beratern und Trainern Österreichs größte Non-Profit-Frauenorganisation. Sie beschreiben die Vorteile von TopSharing wie folgt: „Zwei Köpfe, vier Augen und vier Ohren denken, sehen und hören mehr als zwei. Mehr an Wissen, Erfahrungen, Know-how und Zugängen kann eine Person gar nicht haben“, so Manuela Vollmann und Daniela Schallert, und weiter: „In Bezug auf unsere Projekte müssen wir sehr komplexe Entscheidungen treffen. Diese stehen auf vier Beinen sicher besser als auf zwei.“ Die Abstimmung untereinander findet flexibel statt, größtenteils via E-Mail und Telefon. Ganz ohne überschneidende Zeitfenster geht es allerdings nicht: Jeden Montagmorgen findet ein Jour fixe mit dem Managementteam statt, an dem beide Geschäftsführerinnen teilnehmen. Darüber hinaus setzen die Geschäftsführerinnen fallweise gemeinsame Meetings zu Spezialthemen an.
 
Vieles spricht für das Führungsmodell: „WorkLife-Balance, Mitarbeitermotivation, Innovation, Nachhaltigkeit und die Möglichkeit, brach liegendes Potenzial nutzbar zu machen“, so bringt Fred Luks von der UniCredit Bank Austria die Vorteile auf den Punkt. Er hatte bereits sehr klare Vorstellungen über seine berufliche Zukunft, als er mit seiner Führungskraft über das Modell sprach. „Mein Vorgesetzter hat erkannt, dass TopSharing ein Innovationsthema ist und eine Vorreiterfunktion innerhalb des gesamten Unternehmens einnimmt“, so Luks.
 
Auch gegenseitige Vertretungen funktionieren, wenn beide Parteien sie gut organisieren. „Vier Wochen Urlaub am Stück sind kein Thema“, erzählen Manuela Vollmann und Daniela Schallert. Grundvoraussetzung dafür ist, dass die Führungskraft gegenüber ihrem Vorgesetzten stets auskunftsfähig und gegenüber dem Team entscheidungsfähig ist. Die Partner müssen sich aufeinander verlassen können. „TopSharing muss auf absolutem Vertrauen basieren. Man muss sicher sein können, dass – wenn man vier Wochen nicht da ist – der andere die Dinge nicht in eine Richtung lenkt, die man selber nicht unterstützt hätte“, sagen Daniela Schallert und Manuela Vollmann.
 
Manuela Vollmann hat ein achtjähriges Kind. Sie nahm anlässlich der Geburt den Mutterschutz, nicht aber eine Karenz in Anspruch. „Meine damalige TopSharing-Partnerin hat die 16 Wochen Mutterschutz aufgefangen, danach habe ich schrittweise aufgestockt, bis ich das gewünschte Stundenausmaß erreicht hatte“, schildert Vollmann.
 
Julia K. Kuark hat in ihren Beratungen zahlreiche weitere Vorteile des Modells identifiziert, die für Unternehmen und Teammitglieder gelten. Demnach profitieren Arbeitgeber von TopSharing, weil die Qualität und Akzeptanz von Führungsentscheidungen steigt – ebenso wie die Produktivität. Für die TopSharing-Partner eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten der Kombination von Erwerbs- und Familienleben beziehungsweise außerberuflicher Tätigkeiten, was in einer höheren Leistungsfähigkeit, mehr Freude und mehr Eigeninitiative münden kann.

TopSharing kommt dem wachsenden Bedürfnis nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie entgegen, indem es den Wiedereinstieg in Führungspositionen nach familiären Auszeiten erleichtert. Der demografische Wandel und das sich immer weiter in die Zukunft verschiebende Pensionsantrittsalter verlangen nach Wegen, im Alter immer länger leistungsfähig zu bleiben. Das Teilen von Verantwortung bietet älteren Führungskräften die Möglichkeit, ohne Imageverlust in ihrer Funktion zu verbleiben und schrittweise Aufgaben abzugeben.
 
Julia K. Kuark betrachtet das Modell auch als Instrument der Persönlichkeitsentwicklung: „TopSharing bietet Leitplanken für ein alternatives Arbeitsmodell, das den individuellen Bedürfnissen der Beteiligten entspricht und ihre Fähigkeiten voll zur Geltung bringt“, so die Autorin. Es erweitere den Spielraum für die persönliche Weiterentwicklung und stärke die soziale Kompetenz.
 
„Langfristig gesehen wird sich sehr viel ändern, auch in Richtung Telearbeit, Desk-Sharing und anderen Themen der Flexibilisierung unserer Arbeitswelt. Das ist die Zukunft. Bleibt die Frage, ob Unternehmen schneller sein können als die Gesellschaft. Unternehmen, ob sie wollen oder nicht, werden es sich langfristig nicht leisten können, aufgrund mangelnder Flexibilität auf gute Führungskräfte zu verzichten“, sind Andrea Strohmayer und Fred Luks überzeugt.
 
Um TopSharing erfolgreich einführen zu können, müssen Führungskräfte jedoch in der Lage sein, Arbeitsstrukturen zu verändern und das eigene Führungsverständnis zu reflektieren. Sie müssen die Bereitschaft mitbringen, ihre Macht zu teilen. Dies basiert letztlich auf Vertrauen und der Fähigkeit, Verantwortung teilweise aus der Hand zu geben. Die Rückendeckung des Managements ist ein weiterer wesentlicher Erfolgsfaktor für das Funktionieren von TopSharing. Bleibt die Hoffnung, dass Unternehmen die Vorteile innovativer Arbeitszeitmodelle auch für Führungskräfte erkennen. Denn die flexible Gestaltung der Arbeitswelt entscheidet letztlich über die Zukunftsfähigkeit einer Organisation.