Ohne technische Kenntnisse konnten Nutzer des Internets früher nicht selbst aktiv Inhalte im WWW veröffentlichen. Mit dem Web 2.0 – Blogs, Wikis, Social Netzworking & Co – hat sich das geändert: Jeder Internetnutzer ist in der Lage seine Meinung im Netz kundzutun. Im Firmenkontext kann das Web 2.0 deshalb eine neue Art der Kommunikation schaffen. Alle Mitarbeiter sind über Hierarchiegrenzen hinweg miteinander vernetzt. Soweit die Theorie, doch wie ist das in der Praxis? Mit der Verbreitung des Web 2.0 werden natürlich auch vermehrt Bedenken laut, so zum Beispiel kürzliche auf einer Podiumsdiskussion der APA-E-Business-Community in Wien.

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Foto von Georgie Cobbs

Die wichtigsten „Problemfelder“:

Unternehmenskultur
Das Web 2.0 lasse sich nicht einfach in jedem Unternehmen einführen, denn es geht nicht um Technologien, sondern um eine Verhaltensänderung beziehungsweise die Änderung der Unternehmensphilosophie. Charakteristisch dafür seien flache Hierarchien, stärkere Selbstorganisation, dezentrale Planung und das Ersetzen der Kontrolle durch Führung. Das Unternehmen 2.0 konzentriere sich auf die Talente der Menschen und unterstütze deren Vernetzung und Organisationsfähigkeit. Die Manager sind dabei Vorbilder und Impulsgeber, Vertrauen und Loyalität werden zu Pfeilern des Unternehmens. Im Grunde genommen ist das also keine Kritik am Web 2.0, sondern an den Unternehmen. Betriebe, die sich tatsächlich in Richtung Web 2.0 ändern wollen, es aber nicht schaffen, sollten “ihr Management austauschen”, ist Oliver Krizek, Chef der Navax Consulting AG, überzeugt.

Net Generation – nur ein Mythos?
Der Hype um die so genannte „Net Generation“ sei übertrieben. “Wer jünger als Jahrgang 1981 ist, hat die neuen Technologien in den Genen, alle anderen müssen noch Bedienungsanleitungen lesen” – das sei, so Josef Herget, Leiter des Zentrums für Wissens- und Informationsmanagement an der Donau-Universität Krems, eine weit verbreitete Fehleinschätzung. Dass diese Einschätzung weit verbreitet ist, stimmt tatsächlich. In zahlreichen Blogs ist immer wieder davon zu lesen. Prof. Herget führt hier leider keine Erhebung an, die das Gegenteil beweisen würde.

Verkümmerte Kommunikation
“Die Gefahr ist extrem groß, dass man sich nur mehr mit sich selbst beschäftigt, anstatt die Zeit zum Vorteil der Kunden zu nutzen”, sagte Krizek auf der Podiumsdiskussion. Führungskräfte würden beispielsweise mit einem Weblog den einfachsten Weg gehen, anstatt sich wirklich in den Kommunikationsprozess einzubringen. Er plädiert deshalb für mehr persönliche Kommunikation. Dabei übersieht er jedoch, dass gerade im Web 2.0 der Austausch im Vordergrund steht – beispielsweise über Kommentare. In Social Networks bewegen sich viele Nutzer mit dem Ziel ständig erreichbar und ansprechbar zu sein. Diese neue Form der Kommunikation ersetzt meiner Meinung nach persönliche Gespräche nicht, aber sie erreicht eine neue, eine andere Dimension, die nicht zwangsläufig unpersönlich ist.

Größere Informationsflut
Außerdem vermehrt das Web 2.0 angeblich die Informationsflut im Netz. “Es entsteht massiver Schaden, weil wir nicht gelernt haben, damit umzugehen”, ist Prof. Herget sogar überzeugt. Mitarbeiter würden sich laut Studien im Durchschnitt alle elf Minuten von ihren eigentlichen Aufgaben – etwa durch eingehende E-Mails – ablenken lassen. Einer anderen Erhebung zufolge werden nur 25 Prozent der Arbeitszeit produktiv genutzt, 28 Prozent entfallen auf Unterbrechungen durch nicht dringende oder unwichtige Ereignisse. Für Besprechungen werden 20 Prozent der Zeit aufgewendet, denken und reflektieren macht hingegen nur 12 Prozent aus. Rund 15 Prozent entfallen auf die Informationssuche.

Dass das Web 2.0 diese Schwierigkeiten mit der Informationsverarbeitung noch verstärkt, wage ich zu bezweifeln. Zum einen wird schon an dieser Diskussion deutlich, dass Beobachter oft Äpfel mit Birnen vergleichen. Wer kennt das nicht, dass die tägliche Flut an E-Mails ein Ausmaß annehmen kann, das Produktivität verhindert. Aber was hat das mit Web 2.0 zu tun? Vielleicht ist es gerade das Mitmachweb, das einen Ausweg aus dem täglichen E-Mail-Terror liefert. Ein schönes Beispiel ist da Luis Suarez von IBM. Er hat vor neun Monaten ein Experiment gestartet, das viel Aufmerksamkeit erregt hat (beispielsweise in der New York Times): Er hat aufgehört, E-Mails zu schreiben, dafür kommuniziert er nur noch über Social Networks. Und das, obwohl er auf den Kanarischen Inseln lebt und mit Teams und Kollegen in den Staaten und in den Niederlanden arbeitet. Ein eigenes Bild davon und vielleicht auch einige Anregungen zum Web 2.0 liefert das Interview mit Ulrike Reinhard, Björn Bauer und Dominic Wind. Leider 40 Minuten lang und nicht allzu gute Tonqualität, aber trotzdem sehr aufschlussreich.