Herr Sammer, warum ist Talentmanagement für die ANDRITZ-Gruppe wichtig?

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Foto von Adrien Olichon

Die Intention unseres globalen Talentmanagements ist es, gut qualifizierte und gut vorbereitete Führungskräfte für Top-Positionen zu entwickeln.

Talente sind für ANDRITZ also vor allem Führungstalente?

Nicht nur. Es gibt verschiedene Talent- und Förderinitiativen auf lokaler Ebene, die sich auch an Fachkräfte richten, beispielsweise an Ingenieure. Unser globales Talentmanagement, das ich leite, richtet sich jedoch tatsächlich an die Führungsebene des Unternehmens und verfolgt das Ziel, entsprechende Talente im Unternehmen zu identifizieren, zu entwickeln und zu halten.

Warum ist es so schwierig, gute Führungskräfte zu finden?

ANDRITZ ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen – einerseits organisch und andererseits durch Firmenakquisitionen. Aufgrund dieses Wachstums haben wir einen hohen Bedarf an Führungskräften. Diesen Bedarf wollen wir vorwiegend mit internen Talenten besetzen, die unser Unternehmen kennen und in der Lage sind, internationale Aufgaben zu übernehmen. Die Ausrichtung unseres Talentmanagements ist es somit, eine Talent-Pipeline für globale Schlüsselpositionen wie zum Beispiel für Geschäftsführer von Tochtergesellschaften aufzubauen.

Wie identifizieren Sie diese Talente?

Recht einfach: Bei uns nominieren die Geschäftsführer und Divisionsleiter der gesamten Gruppe einmal im Jahr Talente. Im zweiten Schritt schauen sich das Top-Management und das globale HR-Management diese Nominierungen an und wählen Kandidaten aus. Anschließend laden wir die Kandidaten ein, sich für das globale Talentprogramm zu bewerben.

Was muss in die Bewerbungsunterlagen?

Die Bewerber müssen erklären, warum sie an dem Programm teilnehmen möchten und wie es um ihre Mobilität bestellt ist. Dieser Punkt ist uns sehr wichtig, denn die Kandidaten sollten ja in der Lage sein, international Schlüsselpositionen zu übernehmen. Hinzu kommt eine standardisierte Performance-Evaluierung inklusive Potenzialanalyse-Einschätzung, die auf einem strukturierten Interview basiert.

Wie fördern Sie Ihre Talente?

Zurzeit nehmen weltweit etwa 200 Talente an einem dreijährigen Talentprogramm teil. Zu Beginn durchlaufen sie das Modul „Leadership Development 1“, das eine Reihe von Seminaren und eine Projektarbeit umfasst. Die Seminare, die rund zehn Tage in Anspruch nehmen, finden zentral an einem Ort für jeweils 20 bis 25 Talente statt. Im Rahmen dieser Seminare erstellen die Teilnehmer Projektarbeiten in globalen Teams. Sie entwickeln beispielsweise neue Produktideen oder planen Markteintritte für bestehende Produktgruppen. Wichtig ist uns, dass es sich um reale Aufgabenstellungen handelt. Die Ergebnisse dieser Projektarbeiten präsentieren die Kandidaten vor dem Top-Management, was ihre Sichtbarkeit im Unternehmen deutlich erhöht.

Welche weiteren Elemente beinhaltet das Talentprogramm?

Ein weiteres Element ist eine Projektarbeit mit erfahrenen Managern, die wir als „Succession Candidates“ bezeichnen. Dabei handelt es sich um „fortgeschrittene Talente“, die vor der Übernahme einer globalen Schlüsselposition stehen. Für sie haben wir das globale Programm „Leadership Development 2“ entwickelt, in dem sich die Teilnehmer vor allem mit Fragen der Persönlichkeitsentwicklung beschäftigen und praktische Themen bearbeiten, die direkt vom Vorstand kommen. In diese Projektarbeiten binden sie die Teilnehmer des Moduls „Leadership Development 1“ ein. Damit führen wir Talente auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen zusammen.

Welchen Benefit birgt dieser „Talentemix“ – abgesehen von hoffentlich guten Projektarbeiten?

Indem wir Führungskräfte aus der ganzen Welt zusammenbringen, die sich auf unterschiedlichen Stufen der Karriereleiter befin den, unterstützen wir die globale Teamarbeit sowie den Aufbau von Netzwerken. Außerdem entwickeln wir eine gemeinsame Sicht der Führungskultur im Unternehmen. Natürlich gibt es interkulturelle Unterschiede zwischen den Führungsstilen in Europa, Asien oder Amerika. Aber es gibt eben auch Beson derheiten der ANDRITZ-Führungskultur.

Wie würden Sie die Führungskultur von ANDRITZ beschreiben?

Unsere Führungskultur ist sehr ergebnisorientiert geprägt und unsere Führungskräfte sind sehr „hands-on“. Sie unterstützen ihre Mitarbeiter, Entwicklungsmöglichkeiten zu erkennen, Entscheidungen zu treffen und Handlungen zu setzen. Darüber hinaus legen sie großen Wert auf Teamarbeit und Kundenorientierung.

Zurück zum Programm: Was folgt auf die Projektarbeit mit erfahrenen Managern?

Nach der Projektarbeit endet das Programm mit einem 360-Grad-Feedback, das den Kandidaten die Möglichkeit gibt, mehr über sich zu erfahren und zu erkennen, was sie in Zukunft besser machen können.

Wie läuft das 360-Grad-Feedback ab?

Die Teilnehmer suchen sich ihre Feedbackgeber weitgehend selbst aus. Darunter sind der Vorgesetzte, Mitarbeiter, Peers und gegebenenfalls Externe. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir das 360-Grad-Feedback nur als Lerninstrument und nicht als Bewertungsinstrument nutzen. Das heißt: Nur die Mitarbeiter selbst erhalten ihr Feedback und entscheiden selbst, wem sie die Ergebnisse mitteilen. Natürlich regen wir an, die Ergebnisse in Teilen mit dem Vorgesetzten zu besprechen. Aber wir sind der Überzeugung, dass 360-Grad-Feedback nur funktioniert, wenn klar ist, dass die Ergebnisse nicht zu einer Leistungsbeurteilung führen.

Wie geht es nach dem Programm weiter?

Das 360-Grad-Feedback soll zu einer Reflexion anregen, die in Einzel- und Gruppencoachings durch Externe weitergeführt wird. Es geht darum, auszuloten, worauf sich der Kandidat in den kommenden Jahren konzentrieren soll.

Welchen Nutzen hat das Talentprogramm für das Unternehmen?

Wir haben das Programm erstmals 2011 evaluiert. Dabei haben wir neben der Zufriedenheit auch die Auswirkungen abgefragt, also untersucht, was das Programm den Teilnehmern wirklich gebracht hat. Ergebnis: Die Programme tragen eindeutig zu einem besseren Verständnis ihrer Rolle als Führungskraft bei und helfen dabei, die täglichen Aufgaben besser zu managen. Vor allem sehen die Teilnehmer eine deutliche Verbesserung in den Kompetenzen „Managing a Business“ und „Managing People“. Auch die Mobilität der Teilnehmer – die für eine globale Karriere wesentlich ist – ist erfreulich hoch. Unabhängig von der aktuellen Evaluierung lernen wir über das Programm laufend Neues. So werden über die Projektarbeiten immer wieder Ideen in das Unternehmen getragen, von denen wir profitieren.

Interview: Bettina Geuenich

Quelle: personalmanager 03/12