Haben Sie die Gewissheit, dass in Ihrem Unternehmen die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz sitzt? Wenn Sie mit einem klaren Ja antworten können, dann ist Talent Management in Ihrem Unternehmen bereits Realität. Wenn Sie diese Frage für sich nicht überzeugend bejahen können, ist das eine gute Gelegenheit, den ersten Schritt zu tun: Verschaffen Sie sich einen Überblick, welche Aktivitäten Sie bereits jetzt rund um Ihre Talente setzen. In den meisten Unternehmen führt das zu einem „Aha-Erlebnis“, da oft schon viel mehr an Talent Management umgesetzt wird, als dies bekannt oder bewusst ist.

people gathering inside the building
Foto von Evangeline Shaw

Häufig zeigt diese erste Analyse jedoch, dass die einzelnen Aktivitäten und Maßnahmen nicht sinnvoll abgestimmt sind und damit keine gezielte Kraft entwickeln können. Ein zweiter wesentlicher Punkt ist, dass die Maßnahmen oft „nur“ als HR-Instrumente isoliert sind und nicht an der Unternehmensstrategie ausgerichtet werden. Damit werden sie von den Führungskräften als wenig unterstützend wahrgenommen.

Vorausschauende Aktivitäten

Talent Management kennt nicht die eine richtige Methode, die in allen Unternehmen gleich wirksam ist. In erster Linie geht es um das gelungene Management, wenn Angebot und Bedarf an Ressourcen, Kompetenzen und Qualifikationen voneinander abweichen. Die Lösung ist oft ein Planungsprozess, um vorausschauend Aktivitäten auf den Bedarf ausrichten zu können. Wesentlich ist dabei vor allem der Blick auf den strategischen Bedarf, um viele HR-Maßnahmen langfristig auszurichten und wirksam zu gestalten.

Die Identifikation von Talenten beispielsweise muss als längerfristige Aktivität angelegt werden, da Talente Zeit und Raum für ihre Entwicklung brauchen. Die Konzentration auf wenige strategisch besonders wichtige Zielgruppen im Sinne von Berufsbildern oder Funktionen ermöglicht es, Investitionen und Ressourcen richtig zu bündeln und zu priorisieren. Human Resources kann dabei helfen, Berufsbilder und Funktionen zu clustern und wichtige Kennzahlen wie zum Beispiel Fluktuation, Beförderungen und interne Wechsel als Basis für eine Einschätzung aufzubereiten. Zusätzlich ist es aber notwendig, dass die Führungskräfte auf Grundlage dieser Informationen eine Einschätzung des zukünftigen strategischen Bedarfs für ihren Bereich vornehmen. Auf diesem Weg lassen sich Auf- und Abbaubereiche unternehmensweit identifizieren, die durch Talent Management Maßnahmen gut unterstützt werden können. Daraus abgeleitete Aktivitäten können Recruiting-Pläne oder Personalmarketing-Maßnahmen sein, um am externen Arbeitsmarkt zu reüssieren. Aktivitäten, die den internen Talente-Markt beleben, reichen von Karrieremodellen, Entwicklungsangeboten, Anreizsystemen und Mitarbeiterbindungsprogrammen bis hin zur Arbeitsplatzgestaltung.

Permanente Risikoeinschätzungen

Um dem Bedarf an Talenten auf längere Sicht begegnen zu können, sind sowohl kurzfristig abrufbare Nachbesetzungen im Sinne eines Risikomanagements als auch der langfristig orientierte Nachwuchsaufbau wichtig. Nachfolgeplanung und HR-Risikomanagement erfordern heute eine andere Form der Steuerung, da sich Unternehmen schnell an Veränderungen anpassen müssen und es kaum mehr üblich ist, Mitarbeiter jahrelang zum Beispiel im Rahmen einer Stellvertretung für die Übernahme einer Führungs- oder Expertenfunktion vorzubereiten. Für Schlüsselfunktionen mit einem hohen Ausfallsrisiko müssen laufend Risikoeinschätzungen vorgenommen und interne Nachfolgepläne erstellt werden. Da Karrieren horizontal und vertikal dynamischer verlaufen, ist es wichtig, diese Pläne regelmäßig zu adaptieren und die Entwicklung der Personen zu begleiten.

Neben der Einzelbetrachtung von Schlüsselfunktionen und Personen ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass Mitarbeiterpotenziale früh erkannt und im Unternehmen entwickelt werden. Dies kann sowohl durch spezifische Programme für bestimmte Zielgruppen, wie zum Beispiel Experten oder Mitarbeiter im Verkauf, als auch durch ein umfassendes Performance-Management erreicht werden. Welcher Weg in der Potenzialentwicklung eingeschlagen wird, hängt sehr stark von der Lern- und Führungskultur des Unternehmens ab. Ein Beispiel dazu finden Sie in der anschließenden Projektdarstellung.

Talente identifizieren

Die seit mittlerweile einigen Jahren andauernde Diskussion um das Thema Talent Management hat in jedem Fall bewirkt, dass sich in vielen Unternehmen HR-Mitarbeiter und Führungskräfte mit zwei zentralen Fragen auseinandersetzen: Was ist ein Talent? Und: Woran erkenne ich ein Talent?

Der kleinste gemeinsame Nenner in der Vielzahl an Zugängen ist, dass Talente an ihren bestehenden Kompetenzen (Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen), ihren persönlichen Voraussetzungen (Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, Intelligenz, Leistungsbereitschaft) und ihrem Potenzial (Offenheit für Neues, Ambition, Erweiterungs- und Gestaltungswille) festgemacht werden. Die Identifikation dieser Talente kann durch verschiedene Instrumente der Diagnostik (Leistung und Persönlichkeit) und der Potenzial- und Kompetenzanalyse mit hoher Qualität erfolgen. Das Wissen über die vergangene Leistung und Entwicklung eines Mitarbeiters ermöglicht es im Zusammenspiel mit der Einschätzung bisher nicht notwendiger Kompetenzen und der Auslotung möglicher neuer Interessens- und Entwicklungsräume, ein sehr gutes Gesamtbild der Person zu entwickeln. Auf Grundlage dieser von Führungskräften und (HR-)Assessment-Spezialisten erarbeiteten Einschätzung können gemeinsam mit dem Talent weitere Entwicklungsschritte geplant werden.

Ein wichtiger erster Schritt in diesem Prozess ist, ein gemeinsames Bild im Unternehmen zu entwickeln, was ein Talent ist und anhand welcher Kriterien es erkannt wird. Der Bedarf – im Sinne von Entwicklungsmöglichkeiten – und die Unternehmensstrategie müssen sich dabei in den Kompetenzen widerspiegeln, die zur Einschätzung der Talente herangezogen werden. Das Resultat dieser Übersetzungsleistung ist ein Kompetenzmodell – ein zentrales Element im Talent Management, das sich in der Folge in verschiedenen Instrumenten wie zum Beispiel im Recruiting, der Diagnostik, in Entwicklungsprogrammen und im Performance-Management wiederfindet. Wie Talent Management erfolgreich als nachhaltiger Prozess in einem Unternehmen implementiert wurde und welche unterschiedlichen Entwicklungsphasen ein solches Projekt durchlaufen kann, soll die folgende Darstellung am Beispiel der Hypo Tirol Bank AG zeigen.

Das Unternehmen und die Ausgangssituation: Die Hypo Tirol Bank AG ist als starke regionale Universalbank sowohl in ihrem Kernmarkt Tirol als auch in den angrenzenden Wirtschaftsräumen tätig. Der Hypo Konzern umfasst 20 Geschäftsstellen in Tirol, drei Geschäftsstellen sowie zwei Beratungszentren in Südtirol/Trentino sowie im Veneto und jeweils eine Geschäftsstelle in Wien und München. Insgesamt beschäftigt die Hypo Tirol Bank AG 800 Mitarbeiter.

Im Jahr 2007 identifizierte das Personalmanagement der Hypo Tirol Bank in einer umfassenden Ist-Analyse ein integriertes Talent Management als wichtiges Thema. Vor allem der Bedarf einer langfristigen Personalbedarfsplanung, der unternehmensweiten Nachfolgeplanung sowie eines Systems, Potenziale unternehmensintern zu erheben, standen im Fokus.

Die Projektziele: Ein Projektziel war es, die Grundlagen für ein Risikomanagement der Human Resources auf Basis der quantitativen und qualitativen Planung zu schaffen. Darüber hinaus sollten erfolgskritische Berufsbilder und Schlüsselfunktionen als Grundlage für Personalbedarfs- und Nachfolgeplanung definiert werden. Ein weiteres und sehr umfassendes Projektziel war es, namentlich Talente zu identifizieren, die zukünftig erfolgskritische Funktionen einnehmen können und gezielt von der Personalentwicklung betreut werden.

Die Projektarchitektur: Es wurde eine Projektgruppe installiert, deren Aufgabe es war, eine erste Ist-Analyse durchzuführen, die Prozesse und Inhalte zu erarbeiten und die inhaltliche Konzeption zu gestalten. Die Gruppe setzte sich aus sechs Führungskräften bzw. Mitarbeitern aus den unterschiedlichen Bereichen der Organisation und einem Vertreter des Betriebsrates zusammen. Das Projektteam wurde von zwei Beraterinnen von Deloitte unterstützt. Die Steuergruppe, bestehend aus dem Vorstands- und Führungsteam, war Auftraggeber, fungierte als Abstimmungsgremium und stand als Interviewpartner zur Verfügung.

Die Projektmeilensteine: Zwischen November 2007 und Juni 2008 wurden nach einer intensiven Ist-Analyse (Interviews, Auswertungen interner Daten) die Grundlagen für das Talent Management-Konzept erarbeitet. Ein wesentlicher Aspekt dieser Konzeptentwicklung war die Klärung des strategischen Personalbedarfs: Welche Zielgruppen sind betroffen? Welche Qualifikationen und Kompetenzen werden in Zukunft notwendig sein? Wie wird der quantitative Bedarf festgelegt?

Ein weiterer wichtiger Meilenstein war die Auseinandersetzung mit dem Thema der Talente-Kriterien und der Entwicklungszielrichtungen. Die Kriterien umfassten einige Formalanforderungen, Beschreibungen zu Leistung und Eigenmotivation der Personen, Mobilitätsanforderungen sowie eine Potenzialeinschätzung entlang von formulierten
Talente-Kompetenzen.

Das zugrunde gelegte Kompetenzmodell war in weiterer Folge Basis für Potenzialeinschätzung und Selbstreflexion der Talente sowie für die Lernzielformulierung als Grundlage für die weitere Entwicklung der Talente (individuelle Entwicklung beziehungsweise Lernprogramme für einzelne Zielgruppen). Die Konzeption umfasste auch die Entwicklung eines Prozesses für die interne Talente-Identifikation mit unterschiedlichen, aufeinander abgestimmten Instrumenten. Wichtig war es dabei, die bestehenden Instrumente und Methoden der Hypo Tirol Bank gut in diesen neuen Prozess zu integrieren. Dazu gehörten vor allem der bestehende Planungsprozess, das Performance-Management-System und die zahlreichen Entwicklungsangebote. Im Prozess der Talente-Identifikation sollten die Führungskräfte die zentralen Aufgaben der Nominierung und Auswahl übernehmen. Die Vorbereitung auf diese neue Rolle hatte im Projekt einen hohen Stellenwert. Es wurden zusätzlich Potenzialanalyse-Instrumente genutzt sowie interne Abstimmungsschleifen eingeführt, um die Führungskräfte in ihren Entscheidungen abzusichern.

Im Oktober 2008 wurde der Prozess implementiert. Ein wesentlicher Aspekt der Einführungsphase war die Formulierung einer klaren Informations- und Kommunikationspolitik. Die Mitarbeiter wurden durch die Unternehmenszeitung und im Rahmen von Veranstaltungen informiert; die Vorbereitung der Führungskräfte auf ihre neuen Aufgaben und die Handhabung der Talent-Management-Instrumente erfolgte durch eintägige Workshops. Diese wurden auch dafür genutzt, in Diskussionsrunden mit dem Vorstand mögliche Unvereinbarkeiten oder befürchtete Konsequenzen zu besprechen. Dies stellte sich in der Folge als wichtiges Element für die erfolgreiche Einführung des Talent-Management-Prozesses heraus.

Die Personalentwicklungskonferenzen waren der zweite wichtige Baustein, in deren Rahmen die von den Führungskräften nominierten Mitarbeiter präsentiert und diskutiert wurden und die die Qualität im Nominierungsprozess sicherstellten. Die Konferenzen wurden von der Leiterin der Personalentwicklung moderiert und dokumentiert.

Die Talente-Entwicklung bildete den dritten Baustein des Talent-Management-Prozesses. Im Rahmen von Potenzialanalysegesprächen, gemeinsam von der Leiterin der Personalentwicklung und einer externen Beraterin durchgeführt, wurde ein Stärken- und Entwicklungsprofil für jede Person erstellt. Auf Grundlage dieser Ergebnisse, die mit den Talenten individuell diskutiert und reflektiert wurden, konnten in Abstimmung mit den Vorgesetzten Entwicklungspläne vereinbart werden.

Die Tatsache, dass die Leiterin der Personalentwicklung in all diese Vereinbarungsgespräche involviert war, war einer der Erfolgsfaktoren für die Verbindlichkeit bei der Umsetzung der individuellen Entwicklungspläne vor allem in Bezug auf On-the-Job-Aktivitäten. Hier kam der Personalentwicklung auch stark die Rolle zu, Führungskräfte und Talente in Bezug auf integriertes Lernen am Arbeitsplatz zu unterstützen. Für Nachwuchskräfte wurde ein eigenes Entwicklungsprogramm gestartet, begleitet von einem externen Trainer.

Evaluierung und Festlegung der weiteren Talent-Management-Strategie: Bei der ersten Evaluierung nach der Durchführung des Regelprozesses 2009 wurde der Fokus für die Folgejahre festgelegt. Als Ergebnis wurden die Zielgruppen und deren Bedarf neu bestimmt und einzelne Instrumente angepasst, um im Prozess bereits in einer
früheren Phase Informationen bezüglich der Talente zu erhalten.

Lessons learned: Es war wichtig, den Gesamtvorstand als Auftraggeber zu etablieren und in der Projektarchitektur in das Steuerungsgremium mit einzubeziehen. Ein weiterer Erfolgsfaktor war, dass der Vorstand bei den Qualifizierungsworkshops mit den Führungskräften präsent war. Talent Management wurde als Teil der Human-Resource-Strategie positioniert und trug damit zur Umsetzung der Gesamtstrategie bei. Für die Nachhaltigkeit des Talent Management-Prozesses war es wesentlich, dass die Rolle der Talente-Managerin – durch die Leiterin Personalentwicklung besetzt – von Beginn an etabliert wurde. Die Rolle ist ressourcenaufwendig, es braucht Expertise
und vor allem ein gutes internes Standing gegenüber den Führungskräften.

Die Führungskräfte, die verantwortlich für die Nominierung, Auswahl und Entwicklung der Talente waren, haben eine Stärkung ihrer Rolle als Personalverantwortliche erfahren. Für die Talente war es wesentlich, dass diese rasch eine Veränderung – im Sinne einer gestalteten Entwicklung – erleben konnten. Eine jährliche Anpassung der Talent-Management- Schwerpunkte ist notwendig, um genau dies zu ermöglichen.

Rahmenbedingungen und
Nutzen von Talent Management

Unterstützende Prozesse, die im Rahmen des
Talent Managements integriert werden:

►strategische Personalbedarfsplanung
►Performance Management
►Talente-Identifikation
►Talente-Entwicklung
►Nachfolgeplanung
►Karrieremanagement

Auslöser für Talent Management:
► Bedarf kann nicht mehr gedeckt werden,
es fehlen Spezialisten, Führungskräfte und mehr
► demografische Verschiebungen, Pensionierungswellen
► Mitarbeiter werden den an sie gestellten
Anforderungen nicht gerecht oder neue
Qualifikationen und Kompetenzen sind notwendig
► Mitarbeiter haben Erwartungen und Forderungen an Karriere beziehungsweise
Entwicklung, die durch bestehende Angebote nicht zufriedengestellt werden können
► Generationenthematik

Nutzen des Talent Managements:
► HR-Risikomanagement
► Schlüsselpositionen werden gemanagt
► interne Verfügbarkeit von Talenten
► Attraktivität für vorhandene und neue
Mitarbeiter durch Entwicklungsmöglichkeiten
► sinnvoller Einsatz von Ressourcen, strategieunterstützend und im Sinne eines
Return-on-Investment

Literaturtipps:
The Corporate Lattice. Von Cathleen Benko und Molly Anderson. Harvard Business Review Press 2010.

Talent Management. Von Katja Teuchmann. In: Gerhard Niedermair (Hrsg.): Qualitätsentwicklung in der beruflichen Bildung – Ansprüche und Realitäten. Trauner Verlag 2010


Quelle: Dieser Fachartikel wurde zuerst in der Fachzeitschrift personal manager 1/2011 veröffentlicht.