Die Studie zeichnet ein problematisches Bild: Viele Mitarbeiter und Führungskräfte empfinden interne Regelungen als Bürde und nutzen sie nicht produktiv. Häufig können sie sich nicht vorstellen, dass Regelungen ihnen wirklich helfen könnten. Arbeitgeber sollten den Fokus bei diesem Thema daher nicht auf „Vorgabe“ und „Kontrolle“, sondern viel stärker auf die Faktoren „Relevanz“ und „Verständnis“ legen. Den Mehrwert durch vermiedene Schäden und höhere Harmonisierung sowie Standardisierung sehen die Studienteilnehmer nicht.

person using laptop computer beside aloe vera
Foto von Corinne Kutz

Wie so oft geht es auch hier um die Balance: Ohne Regelungen geht es nicht, aber zu viele oder zu detaillierte (als sinnlos empfundene) Regelungen führen zu geringerer Produktivität oder werden schnell sogar komplett ignoriert.

Einer der kritischsten Punkte sind die Ergebnisse zur Rolle des (Top-)Managements. Die Hälfte aller Führungskräfte hat keinen Überblick darüber, welche und wie viele Regelungen in ihrem Unternehmen gelten. 44 Prozent sind sich sogar ihrer persönlichen Haftung nicht bewusst, die der Gesetzgeber über Vorgaben für die Handhabung und Bereitstellung von Regelungen und Vorgaben (Stichwort „Interne Kontrollsysteme“) festgelegt hat.

Hierbei spielt der rechtliche Kontext eine besondere Rolle. Um die persönliche Haftung von Vorständen und Geschäftsführern zu begrenzen, ist es notwendig, dass Regelungen aktuell und allen Mitarbeitern zugänglich sind. Außerdem sollten Arbeitgeber – insbesondere bei wichtigen Regelungen – eine nachweisbare Verständniskontrolle sicherstellen.

In der Studie haben wir darum auch die Frage gestellt, wie Unternehmen Regelungen vermitteln. Der Aussage „Das Top-Management informiert regelmäßig, wie und warum Regelungen zu beachten sind“ widersprechen 60 Prozent der Befragten. Weniger als ein Drittel erhielt bereits einmal eine Schulung zu einer Regelung. Knapp 47 Prozent werden vom Vorgesetzten und zwei Drittel nur über Intranet und E-Mails informiert (Mehrfachantworten möglich).

Auch die Zugänglichkeit interner Regelungen spielt eine zentrale Rolle für deren Wirksamkeit. 73 Prozent der Befragten geben an, dass es einen zentralen Punkt gibt, zum Beispiel eine IT-Plattform, an dem alle Regelungen auffindbar sind. Aber nur 22 Prozent können diesen Punkt benennen. Bei unseren unternehmensinternen Befragungen wurde dies ähnlich beantwortet: Die Mitarbeiter gaben großteils an, dass es einen zentralen Punkt gibt – unsere Ansprechpartner benannten aber mehrere Ablagepunkte für interne Regelungen. Dies bestätigt die bereits getroffene Schlussfolgerung, dass Mitarbeiter lediglich die internen Regelungen wahrnehmen, die ihnen am nächsten sind, und in Folge möglicherweise relevante, aber an anderen Orten hinterlegte Vorgaben nicht berücksichtigen.

Beim Thema „Verständnis und Relevanz“ interner Regelungen ergibt sich ebenfalls ein bedenkliches Bild: Mehr als ein Drittel der Mitarbeiter und 25 Prozent der Führungskräfte wissen nicht, welche Vorgaben für ihre tägliche Arbeit relevant sind. Vertiefend beklagen 63 Prozent aller Mitarbeiter und mehr als 56 Prozent aller Befragten, dass die Regelungsinhalte schlecht strukturiert sind. Diese Antworten zeigen deutlich, dass die wenigsten Unternehmen ihre Regelungen als produktiven Faktor nutzen.

Die vorliegende Studie hat in der Zeit von März bis Mai 2016 per Onlinebefragung untersucht, welchen Stellenwert Regelungen in Unternehmen im deutschsprachigen Raum haben und wie diese intern gelebt werden. 336 Personen nahmen daran teil. Parallel zur offenen Befragung führten wir zu Vergleichszwecken für einzelne Unternehmen intern Befragungen in der Gesamtbelegschaft durch. Die Teilnehmer der offenen Studie kommen zu fast 83 Prozent aus Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Das verwundert nicht. Da Organisationen ab dieser Unternehmensgröße deutlich komplexer werden, steigt ab diesem Schwellenwert üblicherweise auch die Zahl der internen Regelungen signifikant.

Mehr als die Hälfte (57,1 %) der Teilnehmer sind Führungskräfte mit Budget- und Mitarbeiterverantwortung (inklusive Vorständen und Geschäftsführern). 35,7 Prozent sind Mitarbeiter (inklusive Fachexperten), 7,2 Prozent Führungskräfte ohne Mitarbeiterverantwortung. Bezeichnenderweise kommen die mit Abstand meisten Antworten (16,7 %) aus dem Bereich „Bank, Finanzen, Versicherungen“ – der Branche, die seit Jahren wie keine andere mit einer Flut an neuen Regelungen konfrontiert ist. Die nächststärksten Branchen sind „Dienstleistung & Beratung“ mit 11,6 Prozent und die regelungsintensiven, technisch geprägten Branchen „Hightech, Elektro & IT“ mit elf Prozent sowie „Energie, Öl, Versorgung“ mit 8,5 Prozent.

Ein Drittel der Befragten nutzt interne Regelungen wöchentlich (29,9 %), mehr als 67 Prozent sogar täglich. Doch nur die wenigsten Unternehmen erschließen für sich den Mehrwert produktiver Regelungen. Meist fehlt das Bewusstsein dafür, wie sehr sich dieses vermeintlich langweilige Thema auf den Unternehmenserfolg auswirkt.

Obwohl die meisten Organiastionen ohne interne Regelungen nicht funktionieren würden, empfinden mehr als 50 Prozent aller Befragten und fast 60 Prozent der Führungskräfte diese als Belastung und nicht als Hilfe. Relativ einig (mit circa 90 Prozent) sind sich die Befragten auch, dass die Anzahl der Regelungen in den vergangenen fünf Jahren gestiegen ist und weiter steigen wird (85 Prozent der Antworten).

Interessanterweise schätzen dennoch über 50 Prozent die Zahl der internen Regelungen in ihrem Unternehmen auf weniger als 500, 30 Prozent gehen sogar von weniger als 100 Regelungen aus. Wir wissen aber aus unserer praktischen Arbeit, dass die Zahl der Regelungen ab 500 Mitarbeitern schnell vierstellig wird – getrieben durch die organisatorische Komplexität (jede regionale Einheit benötigt aus rechtlichen Gründen sowie durch Zertifizierungsanforderungen ihr eigenes Set an internen Regelungen).

Vor diesem Hintergrund lässt das Befragungsergebnis den Rückschluss zu, dass viele Mitarbeiter nur jene Regelungen wahrnehmen, die ihnen am nächsten sind. Zudem dürfte es in vielen Unternehmen an der notwendigen Transparenz und Übersicht und damit am Bewusstsein für den vorhandenen Regelbestand mangeln.

Ein zentraler Faktor für die Produktivität von internen Regelungen ist die Schnittstelle zwischen „Oben“ und „Unten“, das heißt zwischen Konzernfunktionen und lokalen Einheiten. Die Frage, ob die Konzernzentrale auf lokale Gegebenheiten eingeht, wird von den Befragten unterschiedlich gesehen. Mitarbeiter aus zentralen Einheiten sind zu immerhin 52 Prozent und Führungskräfte aus der Zentrale zu 64 Prozent der Meinung, dass sie alles Notwendige getan haben, damit interne Regelungen für lokale Einheiten anwendbar sind. Im Gegensatz dazu fühlen sich nur 14 Prozent der Mitarbeiter vor Ort abgeholt. Lokale Führungskräfte sind immerhin zu 42 Prozent zufrieden – klar schlechter als die Befragten in der Konzernzentrale, aber weit zufriedener als die lokalen Mitarbeiter.

Diese Zahlen zeigen, dass Konzernregelungen zwar häufig bis zum lokalen Management durchdringen, dann aber die Lebenswirklichkeit der Mitarbeiter vor Ort nicht mehr erreichen. Ein großes Problem, da die Regelungen ja meist erst bei ausführenden Einheiten an der Basis (also den Mitarbeitern) ihre Wirkung entfalten.

Interne Regelungen gibt es in den verschiedensten Formen, zum Beispiel als Direktiven, Richtlinien, Standards, Prozessbeschreibungen, Verfahrensanweisungen und Vorlagen. Laut ISO 9001 gehören zu den internen Regelungen alle Dokumente, die für ein Unternehmen allgemein verbindlich beschreiben, wie etwas gemacht werden soll. Sie bilden damit nicht nur das Fundament für Compliance, das heißt das Einhalten von Gesetzen und Vorschriften, sondern sind auch Grundlage für Harmonisierung, Standardisierung und Produktivität.

Viele dieser Regelungen fallen in den Zuständigkeitsbereich der Personalarbeit, darunter Einstufungs- und Kompensationsstandards, Dienstwagenrichtlinien oder Betriebsvereinbarungen. Wenn sie unklar, unlogisch oder nicht aktuell sind, kann dies schnell den Erfolg der Perso- nalarbeit untergraben. 

Am besten zeigt sich der Wert interner Regelungen, wenn Unternehmen diese nicht priorisieren. Im besten Fall führt dies nur zu Ineffizienzen, weil Mitarbeiter desorientiert sind (Wer macht was bis wann und warum?). Im schlimmeren Fall führen mangelhafte oder vor allem nicht verstandene und angewendete Regelungen zu Irregularitäten oder sogar zu Gesetzesverstößen und Unfällen. An Beispielen wie Deepwater Horizon, VW oder anderen Skandalen, an denen nichtbeachtete Regelungen einen großen Anteil hatten, lässt sich erkennen, dass Schäden in die Millionen Euro gehen können.