Ortswechsel und Loslassen
Als erste Übung nach einer kurzen organisatorischen Einführung sind alle eingeladen, ihren „inneren Rucksack“ zu leeren. Bevor es richtig losgeht, stellen sich daher alle noch einmal die Frage: „Was will ich nicht mit in diesen Tag nehmen, sondern bewusst los lassen?“ Für diese Themen sucht sich jedes Teammitglied ein Symbol aus und legt es bewusst an einer Stelle in der Natur ab. Am Ende des Workshops wird die Gruppe wieder an diesen Ort zurückkehren – und jeder hat dann die Möglichkeit, das Symbol/Thema wieder aufzunehmen oder ganz loszulassen.
Führungskräfte können ihre Teams ermutigen, diese kleine Übung in den Arbeitsalltag zu integrieren: Wie wäre es, wenn Sie jeden Morgen genau überlegen, was Sie heute lieber nicht mit in die Arbeit nehmen möchten, um gut in den Tag zu starten?
Doch zurück zu unserer Gruppe. Sie steigt nun in den eigentlichen Workshop ein und betritt den Wald. Der Trainer fordert sie auf, die Veränderung, die mit dem Betreten des Waldes einhergeht, mit allen Sinnen zu erfassen: „Was siehst du, was spürst du, was hörst du, was riechst du?“ Meist dauert es eine Zeit, bis Menschen vom Denken ins intensive Wahrnehmen ihrer Sinneseindrücke kommen. So auch diesmal. Manche wissen nicht genau, was sie jetzt tun sollen, werden unruhig, weil sie fürchten, sie machen es nicht richtig oder nicht schnell genug. Nach einiger Zeit sind auch die letzten “gelandet“ und gehen entspannt und offen durch den Wald oder suchen sich ein Plätzchen, wo sie intensiv wahrnehmen, was sie umgibt.
Positive Effekte der Naturwahrnehmung
Welche positiven Effekte stellen sich ein, wenn wir versuchen, mit allen Sinnen die Natur zu erfassen?
- Die Konzentration auf unsere Sinne ermöglicht es uns, aus dem Denken auszusteigen und uns zu entspannen.
- Ein Fokussieren auf die Sinneseindrücke bringt uns ins Jetzt. Sinnliche Wahrnehmung findet immer in der Gegenwart statt, ich kann mich zwar an Eindrücke erinnern, aber viel intensiver nehme ich war, was meine Sinne aktuell aufnehmen.
- Jeder Sinneseindruck basiert auf dem Kontakt äußerer Reize mit dem Sinnesorgan. Dieser Kontakt macht mir die Verbindung zwischen mir und der Natur deutlich.
Der berühmte Psychiater Viktor Frankl meinte sogar, dass wir Sinn über unsere Sinne erfahren. Was wir gerne sehen, hören, spüren, riechen und schmecken, erfüllt uns auch mit Sinn.
Was ist der Benefit für ein Team, wenn sie sich gemeinsam in der Natur auf ihre Sinne konzentrieren? Zum einen entspannen sich die Menschen und ihr Stresspegel sinkt. Zum anderen zeigt die Erfahrung, dass auch Spannungen zwischen den Teammitgliedern schon nach kurzer Zeit abnehmen. Der Einstieg über die Sinne stellt gewissermaßen das „Aufwärmen“ für einen Tag in der Natur dar, schon mit ersten positiven Effekten.
Selbstempathie und Grenzenmanagement
Dieser Einstieg mit der Betonung auf Sinneswahrnehmung knüpft an den ersten Impuls an, den eigenen Rucksack zu leeren. Auch hier geht es darum, sich den Abschluss einer Sache und den Beginn einer anderen bewusst zu machen. Deshalb macht es Sinn, den klaren Übergang von Wiese zu Wald aufmerksam wahrzunehmen und zu erspüren, was sich dadurch verändert. Das ist sehr bedeutsam, denn die Entwicklung guter Resilienz und Burnoutvorbeugung basiert auch auf Selbstempathie und Grenzenmanagement. Mit mir selbst in gutem Kontakt zu sein, gut zu spüren, was sich um mich herum verändert und mich gegebenenfalls gut abgrenzen zu können, ist heute eine Grundvoraussetzung, um langfristig leistungsfähig zu bleiben.
Die ganze Gruppe ist nun „aufgetaut“, wirkt fast heiter und wir wechseln den Platz, um die nächste Übung anzuleiten. Das durchgängige Prinzip „Neuer Ort, neuer Input“ schafft Klarheit für alle Teilnehmenden, und sie können in ihrer Erinnerung die Übungen leichter auseinanderhalten, sie damit auch besser verarbeiten und mehr Gewinn daraus ziehen.
Nun geht es darum, über prägende, positive Erfahrungen mit der Natur zu berichten und diese mit den anderen zu teilen. Sofort nach dem Vorstellen der Übung beginnen die ersten Gesichter zu leuchten. Manche gehen für diese Erfahrungen bis in ihre Kindheits- oder Jugendtage zurück, anderen erinnern sich an aktuellere Erfahrungen. Die Teilnehmer machen sich in Zweier- oder Dreiergruppen auf den Weg, um einander diese Erfahrungen mitzuteilen, jede in der Tiefe, die für ihn passt. Danach werden die Erfahrungen kurz in der Großgruppe geteilt – mit einem speziellen Blick auf Parallelen in den Erfahrungen. Das ist in den meisten Fällen sehr verbindend für Teams, weil
- Jeder von etwas Positivem berichten kann.
- Sich immer wieder überraschende Parallelen zeigen, die das Zusammengehörigkeitsgefühl der Teammitglieder stärken.
Diese Übung liefert Führungskräften interessante Aufschlüsse über das Team, unter anderem darüber, was einzelnen wichtig ist und was sie stärkt – das gilt natürlich auch für das Team in Bezug auf die Führungskraft.
Der berufliche Fluss
Nach dem Mittagessen geht die Gruppe ein Stück zu einem kleinen Bach. Mit Blick auf diesen kleinen Bach sind alle eingeladen, über ihren eigenen „beruflichen Fluss“ nachzudenken: „Wie schnell fließt er? Empfinde ich ihn als reißend, eine Stromschnelle nach der anderen, oder hat er ein Tempo bei dem ich gut mitkann?“ Die Übung soll ihnen dabei helfen, Klarheit in wichtigen Fragen ihres beruflichen Alltags zu gewinnen. Sie kann wichtige Aufschlüsse liefern, wie sehr sie die Arbeit als fordernd empfinden, um rechtzeitig gegensteuern zu können.
Anfangs wirken manche ein bisschen betreten, fragen nach, was sie nun genau machen müssen. Dann suchen sich die ersten einen Platz am Bach für ihre Selbstreflexion. Einige Zeit später kommt die Gruppe wieder zusammen. Wer möchte, kann Bilder und Erkenntnisse mit den anderen teilen.
Einige sprechen von Phasen, in denen sie das Gefühl haben, sich in Stromschnellen zu befinden. Zu anderen Zeiten fahren sie durch ruhigeres Fahrwasser – und sie atmen durch, bis erneut Stromschnellen kommen. Andere beschreiben einen Fluss, der ihnen breit und reißend vorkommt, dem sie sich ausgesetzt fühlen mit nur sehr wenig Steuermöglichkeit und keinen Pausen zum Verschnaufen. Wieder andere berichten nur, dass sie am Bach sitzend ganz tief zur Ruhe gekommen sind, und ihnen das gut getan hat. Einige nehmen das Angebot wahr, gar nichts sagen zu müssen.
Interessant ist, dass die Menschen an einem solchen Ort in der Natur sehr leicht tiefen Kontakt zu sich finden, so dass eine große Klarheit entstehen kann. Führungskräfte, die im Reflexionsteil aufmerksam sind, bekommen einen guten Überblick darüber, wie das Team die Arbeit erlebt, ob versteckte Überforderung ein Thema ist und wen sie stärker unterstützen müssen.
Teamarbeit: Scheitern und Erfolg
Nach einer kurzen Pause und dem obligaten Ortswechsel befindet sich die Gruppe an einem lichten Buchenwald. Es steht die abschließende Übung an, die als gesamtes Team zu bewältigen ist. Die Aufgabe lautet: „Bauen Sie eine möglichst lange Kugelbahn, die ein mitgebrachter Ball bis zum Ende durchlaufen kann, ohne die Bahn zu verlassen. Sie haben nur einen Versuch, ist der Ball dabei am Startpunkt oben losgelassen, dürfen Sie nicht mehr eingreifen.“
Gelächter, Staunen, Zweifel folgen. Die einen wollen sofort losstarten, andere erst überlegen und einen Plan entwickeln, manche stehen abseits und sind unschlüssig, wie sie sich verhalten sollen. Diese klassische Teambuilding-Übung gibt interessante Einblicke in das Ressourcenmanagement einzelner und die gesamte Teamdynamik:
- Wer ergreift die Initiative, wer überlegt zuerst?
- Wie wird argumentiert, um andere zu überzeugen?
- Wie gehen einzelne mit ihren Ressourcen in der Aufgabe um?
- Wie kommuniziert das Team?
- Wer sorgt sich darum, dass es anderen gut geht?
Das Team dieses Nachmittags wirkt recht eingespielt, es gibt keine langen Grundsatzdiskussionen, sondern gut koordinierte Betriebsamkeit. Alle haben die mitgebrachten Arbeitshandschuhe angezogen und die wenigen bereitgestellten Arbeitsgeräte, eine kleine Gartenschaufel, eine Harke und ein Rechen wechseln immer wieder ruhig ihre Besitzer. Schon bald wird allen klar, dass das Graben in der Erde, das Herbeitragen von Ästen als Leitplanken für die Bahn und das wiederholte Abschreiten der langen Kugelbahn am Hang durchaus die eigene Fitness fordert.
Nach Ablauf des Zeitlimits kommt der große Moment: „Ball rollt!“ Alle schauen wie gebannt auf den rollenden Ball! Und – wie in den meisten Fällen – fliegt dieser noch weit vor dem Ziel aus der Bahn. Enttäuschung! Humorvolle, aber doch vorgebrachte Schuldzuschreibung an „die anderen“ für das Nichterreichen des Ziels.
Der Trainer und die Führungskräfte als Beobachter bemerken deutlich, wie sehr sich das Team gewünschte hätte, es auf Anhieb zu schaffen (manchen Teams gelingt das auch). Heute für dieses Team ergibt sich daraus eine willkommene Gelegenheit, neben dem gesunden Umgang mit den eigenen Kräften über den Umgang mit Misserfolgen im Team zu sprechen. Und es entsteht ein intensiver, offener Austausch, auf den sich viele im abschließenden Feedback positiv beziehen werden. Am Schluss der Diskussion einigt sich das Team auf noch zwei weitere Versuche. Und tatsächlich im dritten Versuch gelingt die Übung und die Freude ist wirklich groß!
Die abschließende Reflexionsrunde dauert fast zu lange, so intensiv ist die Diskussion. Auf dem Weg zurück zum Ausgangspunkt sind die Teilnehmer eingeladen, noch ein Symbol zu finden, das dafür steht, was sie aus dem Tag mitnehmen. Diese Symbole legen sie dann in einen aus Blättern und Blüten geformten Rahmen auf den Boden und stellen sie kurz vor. Jede einzelne Stimme nochmal zu hören und gemeinsam bewusst anzuschauen, was dieser Tag an Erfahrungen, Eindrücken und Erkenntnissen gebracht hat, ist immer ein sehr schöner Abschluss. Der Teamleiter fotografiert das Bild dieser Gruppe, er will es in die Teeküche hängen.
Nach einem Abstecher zu dem Platz, an dem die Teilnehmer ihre „inneren Rucksäcke“ geleert haben, kommt die Gruppe zum Ausgangspunkt zurück. In der abschließenden Feedbackrunde kommt viel Gehaltvolles. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Kombination von umgebender Natur mit den Impulsen der einzelnen Übungen viele im Team sehr bereichert hat.
Und als mich der Teamleiter beiseite nimmt und mir mit einem Augenzwinkern sagt: „Sie sehen alle irgendwie verändert aus, im Gegensatz zu heut in der Früh“, werte ich das als guten Schlusssatz eines gelungenen Tages.