„Meine Damen und Herren, ich trete heute vor Sie, um Sie über eine einschneidende Maßnahme in Kenntnis zu setzen“, beginnt Hannes zu tippen. „Vor Sie treten“ – das hört sich doch sehr dramatisch an. Also direkter: „Meine Damen und Herren“ – dies ist wohl etwas förmlich, ja fast schon distanziert, schießt es Hannes durch den Kopf. „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Genau, das drückt Wertschätzung aus, das steht so im Leitbild. Also: „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ich informiere Sie heute über eine einschneidende …“ – Nein, das gefällt Hannes nicht. „Einschneidende Maßnahme“ klingt, als ob wir den Betrieb schließen müssten. Dabei verlagern wir nur dahin, wo die Märkte sind. Im Grunde gehen wir näher zum Kunden. Genau, „Kundennähe“ möchten wir. Das hört sich nicht nach Abbau, sondern nach Aufbau neuer Distributionskanäle an. Hannes gerät in Fahrt.

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Foto von Austin Distel

„Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich freue mich, Sie über unsere neue Strategie für mehr Kundennähe zu informieren. Annäherung der Distributionskanäle ist ein Rezept, das allerdings auch Opfer fordert“. Nein, „Opfer“ geht gar nicht. Change-Projekte sind „Chancen“. „Wir haben die einmalige Chance, uns mit der Neuausrichtung im Markt besser zu positionieren“. Ja, das passt. Es soll positiv klingen. Nichts soll an „gesund-schrumpfen“ erinnern, denn Gesundschrumpfen würde bedeuten, dass wir vorher „krank-gewachsen“ sind.

„Fokussierung auf die zentralen Kerngeschäfte“ – ja, das muss rein. „Die Gründe für diese Neuausrichtungen sind vor allem Markteinflüsse aus Billiglohnländern“. „Markteinflüsse“ – Hannes streicht das Wort, es erweckt den Eindruck von Fremdbestimmung. „Wir passen uns dem technologisch-demografischen Wandel an und sind in der Globalisierung ein aktiver Player“. Das ist gut. Hannes spürt, dass es richtig ist, solche frohe Botschaften persönlich zu kommunizieren.

  • Führung muss gerade in der Rhetorik glaubwürdig sein.
  • „Klar kommunizieren“ heißt, nicht um den heißen Brei reden, aber konstruktive Worte benutzen.
  • „Gut verkaufen“ heißt nicht, schönfärberisch zu reden, sondern die Emotionen der Zuhörenden ansprechen.
  • Eine persönliche Bitte oder ein Wunsch ist 10-mal mehr wert als ein Querverweis auf einen geschliffenen Leitbildsatz.
  • Rhetorik in der Führung bedeutet auch: Sich selbst hinzustellen, auch wenn es unangenehm ist oder man vielleicht nicht der „gewiefteste“ Redner ist.

Auf dem Bildschirm steht nun: „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ich freue mich, Sie über unsere neue nachhaltige Strategie für mehr ergebnisorientierte Kundennähe zu informieren. Wir haben die einmalige Chance, uns mit einer stufengerechten Neuausrichtung im schlanken und optimierten Markt zu positionieren. Wir passen uns dem technologisch-demografischen Wandel an und sind in der Globalisierung ein aktiver Player. Dabei fokussieren wir vermehrt auf unsere Stärken und die zentralen Kerngeschäfte und schaffen mit dieser State-of-die Art eine Win-Win-Streitkultur, die uns eine Kultur der permanenten Denkanstöße ermöglicht. Deshalb freut es mich, Sie getreu unserem neuen Motto „Fi-Fo-Fu“ (Fit-for-Future) zu Fisch-, Fohlen- und Fuchs-Spießen einzuladen“.

Hannes schaut auf die Uhr – die Orientierung geht bald los und er muss noch den Fisch bestellen. Hoffentlich bekommt der auch allen.
Damit sie das kann, ist es matchentscheidend, die Dinge beim Namen zu nennen, gleichzeitig aber auch das Gefühl zu geben, dass Emotionen ernst genommen werden. Grundsätzlich ist es richtig, eine positive Wortwahl zu verwenden. Aber wenn es regnet, soll „Regen“ auch beim Namen genannt und nicht beschönigend mit „erlösendes Nass zur Rettung der Natur“ umschrieben werden. Da sind Mitarbeitende heute nicht nur kritischer, sondern auch zu schlau, um darauf hereinzufallen. Der Gedanke „ich muss eine Reorganisation nur gut verkaufen, dann findet man das gut“ funktioniert nicht (mehr). „Gut verkaufen“ heißt nicht mehr, tolle Worte und Bilder zu nutzen, sondern den Sinn zu erklären und auch die Emotionen der Mitarbeitenden zuzulassen. Gepaart mit einer persönlichen Botschaft, einer Bitte und/oder einem Wunsch des CEOs ist der Mix zusammen, der eine gute Rede gerade über Reorganisationen auszeichnet.
Die Rede soll noch angereichert werden mit ein paar wohlklingenden Adjektiven wie ‚nachhaltig‘, ‚ergebnisorientiert‘, ‚stufengerecht‘, ‚win-win‘, ‚optimiert‘, ‚schlank‘ und unverzichtbaren Substantiven wie ‚State-of-the-Art‘, ‚Streitkultur‘, ‚Denkanstoß‘.

Wenn wir noch ein adäquates Rahmenmotto setzen, denkt sich Hannes, wird die Stimmung heute Nachmittag diejenige des Jubiläumsevents toppen. Hannes denkt nach. “Fit-for-Future“, das klingt gut. Abgekürzt mit ‚fi-fo-fu‘ wirkt es weltoffen mit passendem Asia-Touch. Als Häppchen schweben Hannes ‚fi-fo-fu‘-Spieße vor, die den Zusammenhalt der Mitarbeiter nicht nur fördern, sondern auch symbolisieren. Wir kämpfen alle am gleichen Spieß, denkt er, stolz darauf, eine Redewendung gefunden zu haben. Mit diesen steht er nämlich normalerweise auf Kriegsfuß. Wir schlagen punktgenau zu, dass es den anderen schmerzt und die fettesten Stücke hängen bleiben. Hannes ist überzeugt, dass er einen rhetorischen Joke landet. Mit Fisch für ‚fi‘, Fohlen für ‚fo‘ und Fuchs für ‚fu‘ findet er nicht nur die passenden Fleisch-Ingredienzen zu dieser kulinarisch-psychologischen Metapher, sondern auch den Symbolgehalt für die Neuausrichtung: Fisch für Anpassung, Fohlen für dynamisch, energievoll und schnell, Fuchs für schlau. Hannes ist mit sich zufrieden.
Mehr Geschichten von und mit Hannes gibt es im Buch „Best Practice Leadershit. Absurde Wahrheiten aus den Chefetagen“ (ISBN: 978-3-86980-454-5) von Stefan Häseli.

Stefan Häseli
Best Practice Leadershit
Absurde Wahrheiten aus den Chefetagen
184 Seiten, 19,95 Euro
ISBN: 978-3-86980-454-5
Verlag BusinessVillage