Haben Sie schon einmal eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt? Oder durften Sie an einer solchen teilnehmen? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, denn Mitarbeiterbefragungen sind zu einem Massenphänomen geworden. „Die MAB kommt in die Jahre – da kann man schon mal eine Zwischenbilanz ziehen“, befand Prof. Dr. Walter Bungard vom Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität Mannheim, der jetzt zur 14. Fachtagung des WO-Institutes ins Mannheimer Schloss geladen hatte. Die vorläufige Bilanz, die der Gastgeber in seiner Einführung in die Thematik vornahm, gibt allerdings zu denken. Denn oft halten Mitarbeiterbefragungen nicht, was sie versprechen – mit fatalen Folgen. Der Professor jedenfalls sieht die große Gefahr, dass der verbreitete „MAB-Missbrauch“ einen generalisierenden Zynismus gegenüber Organisationen und Unternehmen nach sich zieht.

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Foto von William Iven

Eine Mitarbeiterbefragung dient dazu, ein realistisches Bild von den Arbeitsbedingungen im Unternehmen zu gewinnen. Mitarbeiter sind Experten für ihre Arbeitssituation, ihre Meinung ist gefragt. Doch ist sie das wirklich? „Die MAB ist ein Entwicklungsinstrument. Wir finden sie aber immer häufiger als reines Kennzahleninstrument“, erklärte Prof. Bungard. Mitarbeiterbefragungen würden dabei auf die Erhebung kostengünstiger Kennzahlen reduziert. „Führungskräfte sind durch die Bank zahlenorientiert und ungeduldig. Die Super-Sanierer sind wieder auf dem Vormarsch.“

Weitere Ursache für Fehlentwicklungen sei die Einführung von Mitarbeiterbefragungen ohne ausreichendes Know-how. „Das ist wie bei der Kindererziehung – da mischen auch viele mit, die keine Ahnung davon haben“, frotzelte Bungard. Der Professor riet in diesem Zusammenhang davon ab, eine Art Stangenprodukt vom Markt zu erwerben. Nicht im Sinne des Erfinders ist schließlich, wenn Mitarbeiter das Instrument als zusätzliches, belastendes Extra-Projekt wahrnehmen.

Generell wisse man relativ wenig über die Bewertung von MAB aus Sicht der Mitarbeiter – auch Personaler ließen wenig Interesse an einer derartigen Evaluation erkennen. „Tolle Idee – aber nicht in diesem Jahr!“ Diese Antwort sei typisch für entsprechende Anfragen von WO-Studenten. Der Standpunkt des Instituts hingegen ist eindeutig. „MAB sind primär für Mitarbeiter! So lange es Hierarchien gibt, müssen wir solche Instrumente nutzen, damit sich Mitarbeiter angstfrei äußern können.“

Die hierarchische Strukturen überwinden und zu einem offenen und ehrlichen Feedback von unten nach oben führen MAB aber nur, wenn sie auf drei Grundregeln basieren: Das erste Prinzip lautet hundertprozentige Anonymitätssicherung. Sehr viele Fragebögen erheben Angaben zur Person im Anhang, erklärte Bungard. „Wer die Ängste von Mitarbeitern kennt, weiß, was er ihnen damit antut.“ Zweite Voraussetzung sei die Freiwilligkeit der Teilnahme und drittens die Einhaltung des psychologischen Vertrages: Die Befragungsergebnisse müssen sorgfältig ausgewertet werden und Resultate zeitigen.

Viel Mühe mit diesen Grundsätzen gab sich offenbar der Handelkonzern Lidl, der 2008 eine deutschlandweite Mitarbeiterbefragung mit Unterstützung des WO-Instituts durchführte. „Das ging völlig gegen die Gewohnheit. Lidl ist eigentlich kennzahlenorientiert“, unterstrich Bungard die große Herausforderung für das Unternehmen, das durch Mitarbeiterbespitzelungen in Verruf geraten war. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund war das Praxisbeispiel von Jürgen Kisseberth von der Lidl Stiftung & Co.KG ein spannender Beitrag zur Tagung.

„Lasst hundert Blumen blühen …“ Mit dieser Kampagne ermunterte Mao Zedong einst seine Landsleute zu kritischen Meinungsäußerungen. Das Resultat ist Geschichte: Wer dem Aufruf folgte, musste wenig später für seine Offenheit büßen. Viele Mitarbeiter befürchten oder erleben gar Vergleichbares und geben deshalb allenfalls taktierende Antworten. Doch mit „Pseudo-Partizipations-Instrumenten“ oder schlecht getarnten „Stoffsammlungen für den Rausschmiss“ können Unternehmen letztlich keinen Blumentopf gewinnen. Schließlich bildet eine offene Kommunikationskultur „ein nicht ganz uninteressantes Element für die Attraktivität eines Arbeitgebers“, weiß nicht nur Professor Bungard.