Über drei Viertel der Beschäftigten in Deutschland gehören zum sogenannten Blue-Collar-Segment, dem nichtakademischen Arbeitsmarkt. Hier ist der Fachkräftemangel besonders schmerzhaft spürbar. Dennoch kümmern sich viele Unternehmen entweder gar nicht um ihre Arbeitgebermarke oder richten sie nur auf Kandidaten mit Studium aus. Ein Fehler. Denn nichtakademische Fachkräfte wollen anders umworben werden.

Wie man nichtakademische Fachkräfte überzeugt und gewinnt
Nie mehr im Trüben fischen: Wie man nichtakademische Fachkräfte überzeugt und gewinnt

Schreinermeister Hartmut Peters* sitzt bei seiner Handwerkskammer und schimpft. Seit Monaten sucht er zwei Gesellen, hat viel Geld in Annoncen gesteckt und den einzigen Bewerber an die Industrie verloren. „Die zahlen einfach mehr. Und ich muss Aufträge ablehnen. Wenn das so weitergeht, kann ich den Laden dichtmachen!“ Als die Betriebsberaterin wissen will, was Peters denn sonst noch alles unternommen hat, um neue Leute zu gewinnen, wird der polternde Meister kleinlaut und muss erkennen: Der Dreizeiler im lokalen Anzeigenblättchen reicht für eine erfolgreiche Personalsuche nicht mehr aus.

Vielfältige Talente im Visier

So wie Hartmut Peters geht es vielen Inhabern und Leitern kleiner und mittelständischer Betriebe: Sie trifft der Mangel an nichtakademischen bzw. gewerblichen Fachkräften mit Berufsausbildung besonders hart. Vielerorts führen Engpässe bereits zu späteren, schlechteren oder teureren Leistungen, was auch die Kunden zu spüren bekommen. Und so verwundert es nicht, dass das Wollen, Wirken und Wünschen dieser umworbenen Zielgruppen zunehmend unter die Lupe genommen wird.

Jedes Quartal befragt mobileJob mehr als 1.000 Nichtakademiker zu ihrer Sicht auf das Arbeitsleben und erstellt daraus den Blue Collar Kompass mit verschiedenen Themenschwerpunkten. „Das ist die einzige regelmäßige Zielgruppen-Analyse im nichtakademischen Kandidatenmarkt“, sagt Geschäftsführer Steffen Manes und unterstreicht deren Bedeutung: „Nichtakademiker machen gut 80 % des Kandidatenmarktes in Deutschland aus.“

Die Zielgruppe ist äußerst heterogen. Zu ihr gehören Fachkräfte im Gesundheitswesen (z. B. Kranken- und Altenpfleger), in der Logistik (z.B. LKW-Fahrer, Lokführer, Lagerarbeiter), in Call-Centern, in Gastronomie und Hotellerie sowie im Handwerk. Deren Bedürfnisse lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Befragungen und Analysen liefern somit keine absolute Wahrheit, aber immerhin eine Orientierung, die Arbeitgeber nutzen können und sollten.

Verkehrte Welt: Bewerben beim Bewerber

Denn der Fachkräftemangel hat den Bewerbungsprozess auf den Kopf gestellt: Heute müssen sich die Betriebe bei den Kandidaten bewerben – nicht mehr umgekehrt. Diese Tatsache ist bei vielen Arbeitgebern immer noch nicht angekommen. Und so wird weiterhin mit herkömmlichen Mitteln versucht, die heißbegehrten Talente zu gewinnen. Das ist, als hielte man eine Angel in einen fast leergefischten Teich. Abwarten und hoffen, dass einer anbeißt, bringt jedoch nichts.

Hinzu kommt, dass nicht jeder Wechselwillige auch aktiv einen neuen Job sucht. Alarmierende Zahlen finden sich dazu im Trend Report „Das fordern Fachkräfte“ des Trendence Instituts: Die Jobzufriedenheit liegt in den o.g. Zielgruppen deutschlandweit und ohne Berücksichtigung regionaler Unterschiede bei rund 32 %. Und: 45 % der befragten Fachkräfte sind offen für einen neuen Job. „Nichtakademiker sind passive Jobsucher. Sie möchten angesprochen werden“, stellt auch Steffen Manes von mobileJob fest. Das bedeutet nicht, dass Unternehmen Fachkräfte gezielt abwerben sollten, was moralisch fragwürdig und rechtlich anfechtbar ist. Vielmehr gilt es zu überlegen, was diese brauchen und was man ihnen als Arbeitgeber bieten kann.

Ja, ich will: Geld, Gewissheit, Gruppengeist

Laut einer Referenz-Studie, die von mobileJob und dem Trendence Institut durchgeführt wurde, steht für 82 % der Befragten eine angemessene, pünktliche Bezahlung ganz oben auf dem Wunschzettel. Dazu gehören alle im Geldbeutel sicht- und spürbaren monetären Anreize. Jobsicherheit (z. B. durch unbefristete Arbeitsverträge) ist für 72 % ebenfalls wichtig, und 69 % motiviert die Arbeit in einem kollegialen Team. Wenig überraschend: „Nichtakademiker üben oft körperlich anspruchsvolle Tätigkeiten aus“, sagt Steffen Manes von mobileJob. Somit zählen und ziehen Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge. „Für 58,8 % der Nichtakademiker sind Angebote in diesem Kontext ein echter Bewerbungsgrund.“

Dazu passen die Ergebnisse der Employer Branding Studie von meinestadt.de. Auch hier ergibt sich ein klares Bild, worauf es Fachkräften mit Berufsausbildung bei zukünftigen Arbeitgebern ankommt (siehe Infokasten). Viele Aspekte, die eher von Akademikern nachgefragt und gerne reflexartig in Ausschreibungen betont werden, sind nichtakademischen Fachkräften weniger wichtig wie z. B. spannende Arbeitsinhalte und Aufstiegschancen. Der Schwerpunkt verschiebt sich also von den Inhalten hin zum Umfeld. Das ist wenig verwunderlich bei vielfach klar umrissenen Berufsfeldern. Hier gewinnt an Bedeutung, wo, wie und mit wem man arbeitet.

Employer Branding für Fachkräfte mit Berufsausbildung folgt somit eigenen Regeln: „Grundsätzlich gilt, sich von den üblichen Personalmarketing-Rezepten für Akademiker zu lösen, wenn Nichtakademiker überzeugt werden sollen. Die Zielgruppe tickt einfach anders“, betont Steffen Manes.

Klartext statt Karriere

Die für die Zielgruppen so wichtigen Aspekte sollten auch in der Personalkommunikation und in Stellenanzeigen auftauchen. Nichtakademische Fachkräfte erwarten laut mobileJob eher sachlich-nüchterne Informationen zu Vertrag, Vergütung und Arbeitsbedingungen als irrelevante Floskeln und inhaltsleere Versprechungen. Mit Begriffen wie „Traumjob“ und „Karriere“ können viele nichts anfangen. „Für die Mehrheit zählt vor allen Dingen, dass sie sich und ihre Fähigkeiten einbringen können: sowohl fachlich als auch persönlich“, heißt es in der Studie von meinestadt.de. Was im Produktmarketing selbstverständlich ist, gilt ebenso für das Personalmarketing: „Nur wer seine Zielgruppe kennt, kann sie auch erfolgreich ansprechen“, resümiert Steffen Manes. „Nichtakademiker interessieren sich für das Wesentliche.“

Das bedeutet für das Arbeitgebermarketing, auf die Zielgruppe einzugehen, sie zu fragen und ihr zuzuhören, um dann die relevanten Inhalte und zündenden Aspekte in der Kommunikation hervorheben zu können. Auch wenn es abgedroschen klingen mag: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

Was in der Theorie einleuchtet, passiert in der Praxis immer noch zu selten. Werden außerdem die falschen Kanäle bedient, bleibt das Postfach für Bewerbungen leer. Während Printanzeigen überall auf dem Rückzug sind, gewinnen auch unter nichtakademischen Fachkräften Online-Medien wie Jobbörsen, Businessplattformen und soziale Netzwerke an Bedeutung. Dazu gehört auch die Möglichkeit der mobilen Bewerbung via Smartphone. Diese wird auf dem gewerblichen Arbeitsmarkt bereits als etabliert angesehen, wie mobileJob feststellt.

Unschlagbar: Persönliche Eindrücke und Kontakte

Jenseits der virtuellen Welt zählt bei nichtakademischen Fachkräften der persönliche Eindruck, um einen guten Arbeitgeber erkennen zu können. Dazu gehört laut der Studie von meinestadt.de die Erfahrung im Vorstellungsgespräch (68,8 %) ebenso wie die Reputation des Arbeitgebers im Familien- und Freundeskreis (58,4 %). Weniger wichtig sind hingegen anonyme Beurteilungen auf Arbeitgeber-Bewertungsplattformen (29,1 %), die Darstellung in der Presse (23,3 %) und die Jobseiten des Arbeitgebers im Internet (15,6 %). Dennoch: Informationen zu Arbeit und Umfeld auf der Unternehmens-Website sind ein Muss. Geschickt gemacht und wohldosiert, ergänzen sie persönliche Eindrücke und tragen dazu bei, die richtigen Mitarbeiter anzuziehen.

Zugegeben: Zum Erfolg von Personalmarketing auf der einen und Stellensuche auf der anderen Seite gehört auch immer eine Portion Glück. Dem lässt sich jedoch auf die Sprünge helfen. Kaum einer hat dies so treffend auf den Punkt gebracht wie Handwerksmeister Udo Herrmann mit dem Titel seines Buches „Von nichts kommt niemand“. Angesichts der Situation am Arbeitsmarkt der nichtakademischen Fachkräfte sollte jeder Arbeitgeber verstanden haben, dass er die Ärmel hochkrempeln muss, wenn er gute Leute finden und binden will.

Für Schreinermeister Peters kommen all diese Einsichten und Erkenntnisse zu spät. Der 68-Jährige hat seinen Betrieb mangels Nachfolger aufgelöst. Dass seine Mitarbeiter schon vor der Schließung neue Jobs hatten, versteht sich von selbst.

*) Name von der Redaktion geändert

Tipps und Tricks

Was für ein erfolgreiches Arbeitgebermarketing wichtig ist:

  1. Fragen Sie! Statt sich mit Annahmen zufrieden zu geben, erforschen Sie die Erwartungen und Wünsche Ihrer Zielgruppe. Ihre Mitarbeiter wissen am besten, was die Arbeit bei Ihnen besonders macht und warum sie bleiben. Wenn Sie zudem in Vorstellungsgesprächen den Kandidaten aufmerksam zuhören, bekommen Sie schnell einen guten Einblick in die Erwartungshaltung.
  2. Sprechen Sie Klartext! Liefern Sie ehrliche und relevante Inhalte in der Sprache Ihrer Zielgruppe. Stellen Sie Ihre Qualitäten als Arbeitgeber heraus und betonen Sie, was Sie bieten. So heben Sie sich von Wettbewerbern ab, die nur Anforderungen stellen.
  3. Bleiben Sie authentisch! Überzeugen Sie Interessenten nur mit Worten und Taten, die zu Ihnen und Ihrem Betrieb passen. Lassen Sie sich von Mitbewerbern allenfalls inspirieren, aber kopieren Sie diese nicht. Spätestens im Arbeitsalltag fällt der Vorhang, und Sie laufen Gefahr, Ihre so mühsam gewonnenen Talente wieder zu verlieren.
  4. Seien Sie nahbar! Bauen Sie keine unnötigen Hürden auf. Chiffre-Anzeigen, Annoncen ohne Ansprechpartner und Bewerbungsformulare führen unter Umständen dazu, dass so manch einer sich gar nicht erst meldet. Wer hingegen freundlich aufgefordert wird, noch heute persönlich, telefonisch oder schriftlich Kontakt aufzunehmen, fühlt sich wertgeschätzt und willkommen.
  5. Überraschen Sie! Scheuen Sie sich nicht, ungewöhnliche Wege statt ausgetretener Pfade im Personalmarketing zu gehen. Überraschende Aktionen erzeugen Aufmerksamkeit und Neugier. So erreichen Sie auch Kandidaten, die bislang noch gar nicht wussten, was Sie als guter Arbeitgeber alles zu bieten haben.

Autorin: Kerstin Wadehn