In Anbetracht des Umbruchs in der Arbeitswelt zeichnen sich neue Arbeitsmodelle ab. Sie beinhalten grenzenloses, flexibles, mobiles und virtuelles Arbeiten. Am treffendsten wird dies mit dem englischen Begriff „Nomadic Work“ bezeichnet. Nomad Worker sind Arbeitnehmer, die in Bezug auf Arbeitszeit, Arbeitsort sowie Art der Aufgaben und Aufgabenerfüllung hochgradig flexibel sind. Sie sind in der Lage ihre Arbeit und ihre Weiterentwicklung selbstständig zu organisieren und sind auch mit den neuesten Technologien vertraut.

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175 Studenten deutscher Hochschulen, 145 Manager mittelständischer Unternehmen und 171 Mitarbeiter aus produzierenden Unternehmen sowie Serviceunternehmen in den Ländern Deutschland, Niederlande, Großbritannien, Israel und Uganda wurden vom Februar bis Juni 2009 durch Studenten der International Business School, Groningen, dazu befragt, wie sie diese modernen Anforderungen einschätzen. Zur Datenerhebung wurden Fragebögen eingesetzt und halbstrukturierte Interviews durchgeführt.

Entsprechend den Veränderungen in der Arbeitswelt haben sich auch die Anforderungen der Unternehmen an ihre Bewerber verändert. Um dem hohen Anspruch der Märkte nach Flexibilität gerecht werden zu können, müssen auch Mitarbeiter in der Lage und vor allem willens sein, sich auf flexible Strukturen einzulassen. Sie müssen zudem fähig sein, in unterschiedlichen Projekten und Teams auf nationaler und auf internationaler Ebene zu arbeiten.

Die Zusammenarbeit von Teams mit Teammitgliedern unterschiedlicher Kulturen, verschiedenster Bildungshintergründe sowie Menschen mit anderen Sprachen, Verhaltensweisen, Einstellungen und Werten soll selbstverständlich sein. Ein internationales und interdisziplinäres Denken ist demnach obligatorisch. Die zunehmenden virtuellen Strukturen machen die Fähigkeit zur virtuellen Zusammenarbeit, insbesondere eine hohe Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, erforderlich.

Es werden darüber hinaus nur noch die Bewerber eine Chance haben, die eigenverantwortlich arbeiten können und dies auch wollen. Dies ermöglicht eine selbstständige Arbeitsgestaltung und eine selbstständige Organisation der eigenen Weiterentwicklung. So werden die Unternehmen zukünftig verstärkt Lernplattformen zur Verfügung stellen, die von den Mitarbeitern genutzt werden sollen, um die eigenen Qualifikationen zu erweitern. Neben den Soft-Skills erwarten die Arbeitgeber Kenntnisse im Bereich des Projektmanagements sowie den Umgang mit technischem Equipment.

Die Studie hat gezeigt, dass die Veränderungen der traditionellen Arbeitsformen nicht allein in Deutschland stattfinden. In den Niederlanden und in Großbritannien ergab sich von Seiten der Unternehmen eine ähnlich starke Nachfrage nach Nomad Workern. Arbeitsformen wie Tele- oder Zeitarbeit, sowie die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten, haben sich hier bereits etabliert.

Anders ist es in nichteuropäischen Ländern, zum Beispiel Israel und Uganda. Hier sind die Entwicklungen zum Teil noch nicht so weit fortgeschritten. In Israel könnte man davon ausgehen, dass Nomadic Work bereits fest in die Wirtschaft integriert ist. So überqueren palästinensische Arbeiter täglich die Grenzen, um in Israel zu arbeiten (Portugali, 1989). Da aber die aktuellen Entwicklungen im Gazastreifen einen erheblichen Einfluss auf die Möglichkeiten der Mobilität von Arbeitnehmern haben, ist deren Beweglichkeit stark eingegrenzt.

In Uganda beeinflusst insbesondere der schwierige Zugang zu Satelliten und Internet die Kommunikation. Das technische Equipment ist sehr teuer und die finanziellen und technischen Ressourcen sind gering, so dass Nomad Worker in Uganda große Schwierigkeiten haben via Laptop übers Internet oder Telefon zu kommunizieren.

Gestiegene Erwartung

Es sind allerdings auch die Erwartungen der Arbeitnehmer an die Arbeit und den Arbeitgeber gestiegen. Gefragt sind herausfordernde Aufgaben mit eigenem Gestaltungsspielraum. Wichtig sind dabei auch die Anerkennung und Wertschätzung durch die Arbeitgeber und eine kontrollierbare Work-Life-Balance. Weniger von Belang sind hingegen Team- und Projektarbeit.

Die Bereitschaft zur Flexibilität und Mobilität ist generell hoch. Für mehr als die Hälfte der befragten Studenten erhöht eine internationale Reisetätigkeit sogar den Reiz eines Arbeitsplatzes. Jedoch ergab die Befragung, dass die wenigsten Teilnehmer zu täglichen Geschäftsreisen bereit wären. Die meisten würden Geschäftsreisen in einem monatlichen Rhythmus bevorzugen.

Karriereperspektiven geben

Die Attraktivität einer Stelle beziehungsweise die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber hängt für diese neue Generation stark von dem Angebot an Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, sowie den Karriereperspektiven ab. Arbeitgeber, die diesen Anforderungen nicht nachkommen, haben schlechte Chancen im „War for Talents“.

Das Arbeitsmodell Nomadic Work ist für Unternehmen und für Arbeitnehmer in vielerlei Hinsicht attraktiv. Durch die flexible Arbeitsgestaltung werden Fehlzeiten reduziert, da die Mitarbeiter zum Beispiel bei Erkrankung der Kinder problemlos von zu Hause aus arbeiten können.

Dagegen müssten die traditionellen Arbeitnehmer, die ihren festen Arbeitszeiten im Büro nachgehen, sich den Tag frei nehmen. Folglich bedeutet das flexible Arbeitsmodell mehr Produktivität für ein Unternehmen. Insbesondere für bestimmte Personengruppen wie Eltern, behinderte Menschen oder Menschen, die in Randbereichen wohnen, bedeuten flexible Arbeitsbedingungen eine Erleichterung.

Mitarbeiter, denen eine solche Flexibilität ermöglicht wird, sind ihren Arbeitgebern gegenüber nachweislich loyaler als traditionelle Arbeitnehmer. Dieses verringert die Fluktuation, was für das Unternehmen wiederum eine Kosteneinsparung bedeutet.

Des Weiteren entfällt für viele Arbeitnehmer die Fahrtzeit ins Büro. Die dadurch eingesparte Zeit kann somit für produktives Arbeiten genutzt werden. Nicht zuletzt können Unternehmen teure Mieten für Büroräume und weitere Nebenkosten sparen.

Natürlich bietet das neue Arbeitsmodell nicht nur Vorteile für Unternehmen und deren Mitarbeiter, sondern schafft für alle auch neue Herausforderungen. So muss beispielsweise gewährleistet sein, dass dem Nomad Worker ein Remotezugriff auf alle Netzwerke, Daten und Anwendungen zur Verfügung steht. Dadurch besteht ein großes Risiko des Datenverlustes. Für einige Menschen könnte der mobile Arbeitsplatz mehr Stress bedeuten. Außerhalb der Firma, beispielsweise im Home Office, sind sie stärker Ablenkungen ausgesetzt. Dies erfordert ein hohes Maß an Disziplin.

Nomadic Worker können zudem mit dem Gefühl einer sozialen Isolation konfrontiert werden, weil der direkte Kontakt zu den Kollegen nicht mehr gegeben ist und soziale Bindungen schwerer aufgebaut werden können. Darüber hinaus ist eine Ausgeglichenheit zwischen Arbeit und Privatleben nur schwer realisierbar, weil die Grenzen durch die Heimarbeit beziehungsweise die ständige Erreichbarkeit verschwimmen.

Die Untersuchungen ergaben, dass dies von Managern und Nomad Workern in allen betrachteten Ländern als große Herausforderung angesehen wird. Dazu kommt die Frage, wie diese modernen Mitarbeiter in die Unternehmenskultur und Unternehmenswerte einbezogen werden können. Durch die Dezentralisierung der Organisation werden sich die Mitarbeiter stärker bestimmten Projekten zugehörig fühlen als dem Gesamtunternehmen.

Anreize schaffen

In Anbetracht des gegenwärtigen gesellschaftlichen Wandels und den sich daraus ergebenden veränderten Anforderungen und Bedürfnissen von Seiten der Arbeitgeber und der potenziellen Bewerber müssen Unternehmen ihre Rekrutierungspolitik prüfen und gegebenenfalls anpassen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es unerlässlich, über die Wünsche und Bedürfnisse der Bewerberzielgruppen informiert zu sein.

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass Nomadic Work von potenziellen Bewerbern durchaus als attraktiv angesehen werden kann. Es bietet dem Arbeitnehmer die gewünschte Vielfalt, Herausforderungen sowie die Möglichkeit autonomen Arbeitens. Allerdings ergab die Umfrage, dass insbesondere die Studenten lieber eigenständig arbeiten anstatt in Teams und Projekten.

Auch eine hohe Reisetätigkeit stellt für die meisten Befragten kein Problem dar. Eine weitere wichtige Erkenntnis der Untersuchung ist, dass Vergütung und finanzielle Zusatzleistungen nicht ausschlaggebend für die Attraktivität einer Stelle beziehungsweise eines Arbeitgebers sind. Viel größer ist der Wunsch nach einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben.

Da dies im Rahmen des Nomadic Work nur schwer zu erreichen ist, müssen die Arbeitgeber andere Anreize schaffen. Das sind beispielsweise vielfältige und individuelle Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten sowie transparente Karrierechancen. Das Personalmarketing sollte aber unbedingt vermeiden, falsche Erwartungen bei den potenziellen Bewerbern zu wecken.

Die Vor- und Nachteile des Arbeitsmodells müssen offen kommuniziert werden. Der potenzielle Mitarbeiter sollte sich früh genug, am besten noch vor seiner Bewerbung, darüber im Klaren sein, ob dieses Arbeitsmodell für ihn das richtige ist. Ansonsten kann es später im Job zu einer hohen Unzufriedenheit führen, was nicht nur für den Mitarbeiter, sondern auch für das Unternehmen schädlich ist. Veränderungen ergeben sich auch nach der Einstellung eines neuen Mitarbeiters. Dieser sollte speziell gefördert und für seine neue Tätigkeit weiterentwickelt werden. Gegebenenfalls sind Trainings in Teamarbeit, Netzwerkbildung, Kommunikationsfähigkeiten, interkulturelles Verständnis und weitere soziale Fähigkeiten notwendig. Darüber hinaus ist die Entwicklung und Umsetzung von Work-Life-Balance Programmen erforderlich, damit Nomad Worker die Möglichkeit bekommen, einen Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben zu schaffen.

Quelle: PERSONAL – Heft 12/2009