Veranstaltungstipp![]() Vortrag von Prof. Dr. Swetlana Franken: „Intelligenz der Vielfalt: Potenziale von Frauen und Migranten in Unternehmen nutzen“ Messe Zukunft Personal, Koelnmesse Donnerstag, 22. September 2011, 14.30 – 15.15 Uhr, Forum 6, Halle 2.1 Weitere Informationen: |
Frau Prof. Franken, bisher besetzen in Deutschland noch relativ wenige Menschen mit Migrationshintergrund Führungs- oder Fachkräftepositionen. Lässt sich quantifizieren, wie groß diese „Reserve“ an qualifiziertem Personal ist?
Wir haben in Deutschland 15,6 Millionen Migranten, das sind fast 19 Prozent der Bevölkerung. 6,6 Millionen davon verfügen über berufliche Abschlüsse, das heißt, das sind diejenigen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Als exportorientierte Wissensgesellschaft brauchen wir Innovationen und Know-how, so dass insbesondere Hochqualifizierte für Unternehmen interessant sind – und das sind 1,6 Millionen Akademiker mit Migrationshintergrund.
Dieses Potenzial nutzen deutsche Betriebe nur unzureichend. 10 Prozent der qualifizierten Akademiker mit Migrationshintergrund sind arbeitslos. Noch mehr werden in Teilzeitjobs oder unter ihrer Qualifikation eingesetzt. Wenn man bedenkt, dass allein in MINT-Berufen aktuell 170.000 Arbeitsplätze nicht besetzt sind, erkennt man, wie enorm die Möglichkeiten durch den Einsatz von Migranten wären. Diese verfügen gerade über entsprechend gesuchte Abschlüsse als Ingenieure, IT-Spezialisten oder Maschinenbauer. Dennoch arbeiten sie häufig als Taxifahrer oder Verkäufer. Gegebenenfalls müssen wir diesen Menschen sogar Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld bezahlen.
In dem BMBF-Projekt „Migrantinnen in Führungspositionen“ beschäftigen Sie sich vor allem mit Frauen, die einen Migrationshintergrund haben. Inwiefern ist die Situation von deutschen Frauen in Bezug auf die Berufschancen mit denen von Migrantinnen vergleichbar?
Die Situation ist zwar vergleichbar, aber bei Migranten ist sie noch akuter. Frauen mit Migrationshintergrund sind doppelt diskriminiert – als Frau und als Migrantin. Deswegen sind Migrantinnen besonders von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung unter den Qualifikationsmöglichkeiten betroffen, noch mehr als Männer. Andererseits besitzen diese Frauen auch einige Kompetenzen, die es ihnen ermöglichen, trotzdem eher auf dem Arbeitsmarkt ihre Nischen zu finden.
Sehr viele Frauen mit Migrationshintergrund machen sich selbständig. Die Dynamik der Selbständigkeit ist unter Migrantinnen viel höher als unter den deutschen Frauen oder Migranten männlichen Geschlechts. Während der Wirtschaftskrise waren eher Männer von Arbeitslosigkeit betroffen als Frauen. Und genauso sah das Bild bei Migranten aus: Es sind eher Migranten arbeitslos geworden als Migrantinnen.
Welche Kompetenzen bringen Migrantinnen vor allem mit?
Ich habe dazu 2006 eine Studie mit der Fragestellung gemacht, was Migranten besser können als deutsche Akademiker. Dafür wurden mehr als 600 Akademiker mit Migrationshintergrund nach ihren Schwierigkeiten bei der Jobsuche, aber auch nach ihren Kompetenzen gefragt. Auffällig sind natürlich die Sprachkompetenzen – insbesondere in Sprachen, die in Deutschland gar nicht gelehrt werden und deswegen in Verhandlungen und internationalen Aktivitäten in Großunternehmen sehr gefragt sind wie Arabisch, Russisch, osteuropäische Sprachen oder Chinesisch.
Darüber hinaus sind Migranten im Allgemeinen auch offener und sensibler und können sich nicht nur in ihrer Mutterkultur besser zurechtfinden Sie sind besser für internationale Einsätze geeignet und leben sich schneller ein, weil sie schon erfahren haben, wie es ist, zwischen Kulturen zu agieren. Außerdem sind sie sehr pflichtbewusst, leistungsorientiert, motiviert, ehrgeizig, zielstrebig und fleißig – nach dem Motto, „Wir müssen doppelt so gut sein wie Deutsche, um voranzukommen“. All dies trifft im Geschlechtervergleich vor allem auf die Frauen mit Migrationshintergrund zu.
Erwarten karriereorientierte Akademikerinnen mit Migrationshintergrund etwas anderes von ihrer Karriere als deutsche hochqualifizierte Frauen?
Dazu haben wir Studenten und Studentinnen mit und ohne Migrationshintergrund befragt. Demnach sind die Vorstellungen sehr ähnlich. Jedenfalls sind sich Studentinnen mit und ohne Migrationshintergrund ähnlicher in Bezug auf Verhaltensweisen, Erwartungen und Karriereschwierigkeiten als Männer und Frauen mit Migrationshintergrund. Doch wenn man Studentinnen mit und ohne Migrationshintergrund vergleicht, fällt auf, dass Migrantinnen seltener auf Familie und Kinder verzichten wollen. Für sie ist der Wert Familie noch viel wichtiger als für die deutschen Frauen. Darüber hinaus haben für sie Fleiß, Zielstrebigkeit und Disziplin eine große Bedeutung. Sie sind bereit, mehr zu schuften, um in ihrer Karriere voranzukommen.
Was heißt das für Unternehmen, die mehr Frauen in Führung bringen möchten: Sollten sie Instrumente für Frauen egal welcher Herkunft entwickeln oder besser spezifische Maßnahmen zur Förderung von Migrantinnen?
Heute werfen viele Betriebe, vor allem Großunternehmen, unter dem Dach von Diversity verschiedene Themen wie Frauen-, Gender- und Migrationsproblematik in einen Topf. Die Programme überscheiden sich. Inzwischen interessieren sich viele für Frauen mit Migrationshintergrund als neue Zielgruppe, doch spezielle Instrumente haben sie noch nicht dafür entwickelt.
Aber allein Ihre Frage, ob es sich lohnt, Frauen als extra Gruppe zu behandeln – beispielweise indem Unternehmen Prospekte in alle Sprachen übersetzen und Mentoren mit Migrationshintergrund einsetzen, ist nicht so einfach zu beantworten. Die Meinungen sind sowohl in der Forschung als auch in der Praxis geteilt. Sogar Migrantinnen selbst möchten nicht unbedingt mit diesen Vorurteilen und Stereotypen konfrontiert werden. Deshalb: Wenn spezielle Programme, dann mit Fingerspitzengefühl. Es ist möglicherweise besser insgesamt Fördermaßnahmen für Frauen zu entwickeln. Aber in Teams, in denen Berater und Mentoren sitzen, sollten Unternehmen auch welche mit Migrationshintergrund einsetzen. Die Programme sollten auf keinen Fall ausgrenzen.
Das ist also ein heikles Thema, bei dem Unternehmen viel falsch machen können. Was sind neben der Ausgrenzung weitere Kardinalfehler?
Da ich Russin bin, habe ich persönlich beispielsweise im Laufe meiner Karriere an deutschen Hochschulen immer wieder das Angebot bekommen, etwas über interkulturelle und internationale Aktivitäten zu erzählen. Irgendwann war das für mich einengend und diskriminierend. Ich wollte eine Professorin sein wie alle anderen auch, wollte auf gleichem Niveau konkurrieren und genauso wie deutsche Professoren Fächer wie Personalmanagement und Unternehmensführung anbieten. Heute habe ich mich durchgesetzt, aber dabei erfahren, dass Organisationen mit der Ansicht, dass Migranten nur für bestimmte Einsatzfelder geeignet sind, sehr vorsichtig umgehen sollten.
Welche Handlungsempfehlungen können Sie Unternehmen für ihr Diversity-Management geben?
Erstens muss ein Bekenntnis des Top-Managements da sein. Zweitens ist es wichtig, dass man die Führungskräfte sensibilisiert. Sie sollten wertschätzende Unterschiedlichkeit vorleben, denn nur so bleiben Diversity-Instrumente keine Einzelmaßnahmen, sondern werden zu einer Unternehmenskultur. Drittens sollten Betriebe ihre Instrumente wirklich gut durchdenken und in allen Teamaufgaben praktizieren. Dann lohnt es sich, Frauen und Migranten gezielt einzusetzen, weil dadurch wirtschaftliche Vorteile entstehen.
Was haben Unternehmen konkret davon, wenn sie Migrantinnen in ihre Belegschaften oder Teams integrieren?
Verschiedene Untersuchungen belegen, dass die intelligenten Einsatzfelder für Migranten in Unternehmen vielfältig sind. Die Vorteile für die Exportorientierung und die Erschließung internationaler Märkte liegen auf der Hand. Sie können besser die Kultur verstehen, was vor allem für das Marketing in Bezug auf Werbebotschaften entscheidend ist. Aber auch hierzulande müssen die Betriebe immer mehr verschiedene, kulturelle Gruppen bedienen. Außerdem steigern heterogene Teams die Innovation und Kreativität. Das ist sicherlich nicht für alle Berufsgruppen und Tätigkeiten wichtig, doch je mehr Anspruch an Qualifikation, Spezialisierung und Kreativität bei der Lösungsfindung in einem Unternehmen oder Segment besteht, desto wichtiger ist es, dass wir verschiedene Perspektiven mit ins Spiel bringen. Da sind nicht nur Migranten, sondern auch Frauen, also heterogene Geschlechter, und altersheterogene Belegschaften gefragt.
Gerade Top-Manager stecken das Thema Vielfalt gern in die die Schublade „Gutmenschentum“. Da würden Sie also widersprechen?
Ich halte es zumindest für falsch, die Gutmenschenthematik zu unterschätzen. Denn wenn Unternehmen die Mitarbeiter als Individuen wertschätzen, stärkt das die Motivation der Belegschaft. Und das wirkt sich positiv auf die Arbeitsleistung, Identifikation und Loyalität dem Unternehmen gegenüber aus. Auch das Image nach außen profitiert. Wer die besten Fachkräfte finden und binden will, ist damit klar im Vorteil – und zwar auch finanziell. Denn das spart Ausgaben für teure Kampagnen, die Top-Talente ansprechen sollen.
Interview: Stefanie Hornung