man in gray sweatshirt sitting on chair in front of iMac
Foto von Studio Republic

Wer trägt die Verantwortung für die Gesundheit der Mitarbeiter?

Wir stehen an einem Punkt, an dem in puncto Gesundheit heftig um Verantwortung und Zuständigkeit gestritten wird. Einerseits schreiben wir in unserer westlichen Welt die Eigenverantwortung groß. Andererseits sehen viele auch die Unternehmen in der Pflicht, für eine gesundheitsfördernde Atmosphäre zu sorgen und das Individuum vor Selbsterschöpfung und Selbstausbeutung zu schützen. Während sich die einen allein gelassen fühlen, wollen sich die anderen nicht durch ein Gesundheitsdiktum bevormunden lassen.

Wer trägt also die Verantwortung für die Gesundheit der Mitarbeiter? Zum einen sind die Führungskräfte in der Verantwortung: Fragt man HR-Experten und Entscheider, so sind 76 Prozent der befragten Führungskräfte in Österreich überzeugt, dass sie gesundheitsbewusstes Verhalten vorleben können. Wenn es aber um die Umsetzung dieser Erkenntnis in die Praxis geht, fallen die Zahlen sichtbar niedriger aus: 66 Prozent leben gesundheitsbewusstes Verhalten schon vor oder versuchen es zumindest (Hernstein 2014). 

Zum anderen sind die Mitarbeiter selbst verantwortlich für ihre Gesundheit. Doch deren Wahlmöglichkeit und individuelle Handlungsspielräume sind oftmals begrenzt und lassen die geforderte Selbstfürsorge gar nicht erst zu: Sie haben beispielsweise wenig Einfluss auf die Möglichkeit und Akzeptanz von Sport in der Mittagspause, auf die Flexibilität der Arbeitszeitmodelle, auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie auf alltägliche Stressfaktoren wie Termindruck, Überstunden und schlechtes Arbeitsklima. Dass körperliche und geistige Gesundheit eben nicht einzig vom Willen und Durchhaltevermögen des Individuums abhängen und dieses oft gegen ungünstige Rahmenbedingungen ankämpfen muss, setzt sich als Common Sense erst langsam durch.

Führungskräfte sind Orientierungspunkte

Das Wichtigste: Ohne Führungskräfte, die gesundheitsbewusstes Verhalten ermöglichen und vorleben, ist betriebliche Gesundheitsvorsorge nicht möglich – darin sind sich auch fast alle (94 Prozent) Entscheider und HR-Experten einig: Die Unterstützung durch die Führungsebene halten sie für erfolgsentscheidend (Personalwirtschaft 2015). Denn das Verhalten von Vorgesetzten etabliert sich in Unternehmen stets als unausgesprochener Maßstab, an dem gemessen wird: Taucht die Chefin angeschlagen im Büro auf, entsteht ein sozialer Druck, sich das Gleiche abzuverlangen. Vorgesetzte sollten also stets Vorbild sein für das, was sie von ihren Mitarbeitern erwarten.

Summary

Im Gesundheitszeitalter wird es für Unternehmen in Zukunft darum gehen, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die einerseits die Gesundzufriedenheit und andererseits gesundes Verhalten befördern. Eine gesundheitsfreundliche Arbeitskultur wird aber auch zur individuellen Führungsaufgabe gehören im Kampf um begehrte Fachkräfte und junge Talente und künftig auch selbstverständlich auf die Agenda von HR gehören.

Literaturtipps

Chevalier, Anja/Kaluza, Gert: Psychosozialer Stress am Arbeitsplatz: Indirekte Unternehmenssteuerung, selbstgefährdendes Verhalten und die Folgen für die Gesundheit. In: Böcken, Jan; Braun, Bernard; Meierjürgen, Rüdiger (Hrsg.): Gesundheitsmonitor 2015. Bürgerorientierung im Gesundheitswesen. Kooperationsprojekt der Bertelsmann Stiftung und der Barmer GEK. 2015.

DAK-Gesundheit: Psychoreport 2015.

Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Statistik Austria: Statistik der Krankenstandsfälle auf 1.000 Erwerbstätige nach Krankheitsgruppen seit 2000 2017.

Hernstein: Management Report Gesunde Führung 2014.

Personalwirtschaft: BGM im Mittelstand 2015. Ziele, Instrumente und Erfolgsfaktoren für das Betriebliche Gesundheitsmanagement.

Provona BKK: Betriebliches Gesundheitsmanagement 2016.

Techniker Krankenkasse: Beweg dich, Deutschland! TK-Bewegungsstudie 2016.

Techniker Krankenkasse: Entspann dich, Deutschland. TK-Stressstudie 2013.

Handlungsspielräume stehen an erster Stelle

Die Arbeitskultur hat einen entscheidenden Einfluss darauf, ob sich Mitarbeiter gesund fühlen und verhalten (können) oder nicht. Im Gesundheitszeitalter wird es für Unternehmen daher in Zukunft darum gehen, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die einerseits die Zufriedenheit und andererseits die Möglichkeit zu gesundem Verhalten befördern. Eine gesundheitsfreundliche Arbeitskultur wird so zur Führungsaufgabe und im Kampf um begehrte Fachkräfte und junge Talente künftig auch selbstverständlich auf die Agenda von HR gehören.

Fragt man die Beschäftigten, wie Arbeitgeber Zufriedenheit und Gesundheit am besten fördern, so zeigen sich dabei einige Überraschungen: Flexible Arbeitszeiten etwa führen keineswegs – wie häufig vermutet – zu einer besseren Work-Life-Balance. Im Gegenteil: Sie wirken sich sogar negativ auf die Balance von Privat- und Arbeitsleben aus. Im Kontext der heutigen Arbeitskultur schützt ein fester Arbeitszeitrahmen also noch eher vor Überarbeitung, als flexible Modelle Freiräume schaffen. Auch das Bezahlen der Überstunden, eine leistungsabhängige Bezahlungen oder mehr Selbstbestimmung zahlen nicht auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeiter ein (Bertelsmann Stiftung und Barmer GEK 2015).

Was sich dagegen positiv auswirkt, ist das Schaffen von Handlungsspielräumen. Sie ermöglichen und unterstützen, aber erzwingen nicht eigenverantwortliche Entscheidungen. Damit schützen sie vor selbstgefährdendem Verhalten bis hin zu psychischer Erschöpfung, zu dem die heutige Arbeitskultur offenbar verleitet. Entsprechend ergeben sich zwei Aufgaben für eine „Healthy Leadership“: zum einen, diese Handlungsfreiräume zur Verfügung zu stellen, zum anderen aber, langfristig an einer Arbeitskultur zu arbeiten, in der flexible Arbeitszeiten und Selbstbestimmung nicht zu Überlastung und einer ungesunden Haltung der Selbstausbeutung, sondern zu einem neuen, gesundheitsförderlichen Freiraum für Mitarbeiter werden.

Infrastrukturen schaffen Rahmenbedingungen

Einen Großteil ihrer Zeit halten sich die Menschen an ihren Arbeitsplätzen auf. Entsprechend fordern Erwerbstätige im Gesundheitszeitalter zunehmend ein, dass die Arbeitsbedingungen keinen schädlichen Einfluss auf ihre Gesundheit haben oder – besser noch – ihre Gesundheit fördern.

Die größte Gesundheitsgefahr ist in den meisten Betrieben mittlerweile das lange Sitzen. Jeder Zweite der fast nur im Sitzen Arbeitenden würde sich gerne mehr bewegen, so eine Erhebung der deutschen Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2016. In Sachen gesundheitsfreundliche Büro-Architektur ist bereits einiges passiert: Jeder vierte Beschäftigte findet einen ergonomischen Arbeitsplatz – zum Beispiel mit Stehtisch – vor. Knapp jeder Fünfte (19 Prozent) kann sein Mittagessen an Stehtischen in der Cafeteria einnehmen. 

Doch eine entsprechende Infrastruktur allein reicht aus Sicht vieler Beschäftigter nicht aus. 24 Prozent der von der Techniker Krankenkasse Befragten würden gerne (mehr) Sport mit Arbeitskollegen treiben. 16 Prozent wünschen sich, dass Vorgesetzte sportliche Aktivitäten akzeptieren und aktiv unterstützen. Für sie sind Unternehmen attraktiv, die nicht nur eine gesundheitsförderliche Infrastruktur bieten, sondern auch Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Besprechungen im Stehen oder sportliche Aktivitäten während der Mittagspause möglich sind.

Lebensqualität am Arbeitsplatz zählt

„Arbeitszeit ist Lebenszeit“: Diese Aussage mag banal klingen. Doch die gedankliche Verbindung von Arbeit und Privatleben hat handfeste Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Menschen zu ihrer Arbeit stehen. Es ist nicht die Arbeit, die in das Privatleben hineindiffundiert, sondern auch das Privatleben, das in die Arbeitszeit hineinreicht. Damit soll die auf der Arbeit verbrachte genauso zur Lebensqualität beitragen wie die freie Zeit.

Dies ist jedoch nicht immer der Fall. So haben die Krankenstandsfälle wegen psychischer Beschwerden mit knapp 30 auf 1.000 Versicherte in Österreich ein neues Rekordniveau erreicht (Hauptverband der österreichischen Versicherungsträger 2017). Zahlen aus Deutschland zeigen, dass sie im Altersvergleich am häufigsten bei Menschen in der Rush Hour des Lebens zwischen 35 und 44 Jahren auftreten. Der ursächliche Stress geht dabei nicht von der Familie oder anderen privaten Angelegenheiten aus, sondern primär vom Beruf (TK 2013). Arbeitsbedingte psychische Belastung entsteht im Arbeitsalltag vor allem durch ständigen Termindruck (bei 38 Prozent der Arbeitnehmer der Fall), schlechtes Arbeitsklima (37 Prozent), emotionalen Stress (36 Prozent) und Überstunden (34 Prozent) (Provona BKK 2016). Stresserlebnisse gehören also bei vielen Arbeitnehmern zum Berufsalltag und widersprechen ihrem Wunsch nach einer gesundheitsorientierten Gestaltung der Arbeitszeit.

Gesundheitsbewusste Arbeitnehmer akzeptieren dies immer weniger. Sie sind nicht mehr bereit, einem Job nachzugehen, der sie krank macht, oder sich in eine Arbeitskultur zu begeben, die Drucksituationen fördert. Für Arbeitgeber heißt das, Stressfaktoren innerhalb des eigenen Unternehmens aufzuspüren und künftig ernst zu nehmen.