Nicolay Andersen, Partner bei Deloitte; leitet die Deloitte Garage, in der neue Geschäftsmodelle designt, entwickelt und inkubiert werden.

Nicolay Andersen, Learning Innovation: 10 % Kreativität, dafür aber 90 % Disziplin!
Nicolay Andersen

Zudem koordiniert und initiiert er als Chief Innovation Officer und Mitglied der Global Innovation Executive fachübergreifend die Entwicklung neuer Dienstleistungen und Produkte für Deloitte. Er ist seit 1999 in der Beratung tätig und anerkannter Experte für die Auswirkungen technologischer, ökonomischer und soziologischer Trends auf Geschäftsmodelle, Dienstleistungen und Produkte und das Erzeugen aller notwendigen Voraussetzungen für erfolgreiche Innovationen in etablierten Unternehmen.

Nicolai stellte zur Swiss E-Learning Conference (SeLC) 2015 die Generation Y Studie Datenland Deutschland – Die Generationenlücke vor.

Was ist für Dich «Learning Innovation»?

Landläufig verbindet man mit dem Thema Innovation immer die Entwicklung neuer Ideen verbunden mit viel Kreativität, sowohl bei denen, die das Thema verantworten als auch bei denen, die die Innovation umsetzen sollen: «Intrapreneure» im Unternehmen, also die Arbeiter an der Maschine, die Meister vor Ort. Ich behaupte, Kreativität ist dabei aber gar nicht so wichtig. Etwas plakativ gesagt gehören zur Innovation nur 10 %Kreativität, dafür aber 90 % Disziplin!

Eine Idee zu erzeugen ist gar nicht so schwer. Aber von der Idee her etwas zu machen, was ich nachher in den Markt bringen kann, dazu brauche ich wahnsinnig viel Disziplin. Zur Disziplin gehört u.a. auch Kommunikationsfähigkeit zu allen Beteiligten, die einem helfen die neue Idee erfolgreich zu machen. Ein zentraler Beteiligter ist hierbei der CFO. Das Geld für Innovationen kommt in den meisten Unternehmen aus dem Finanzbereich. Eine Sprache zu finden zwischen dem Innovationsteam und dem Finanzbereich ist daher essentiell. Es gilt Fragen zu beantworten: Was passiert mit dem Geld? Ist es sinnvoll investiert?

Und hier kommt Learning ins Spiel. Weniger mit dem Fokus auf Kreativitätstechniken, die natürlich wichtig sind, aber im Innovationsumfeld auch bei Learning gut etabliert sind. Wesentlicher und komplexer ist die Aufklärung der Business Funktionen. Wofür machen wir das eigentlich? Was tut mein Kerngeschäft, das wir innovieren wollen? Wo fehlt meinem Kerngeschäft Erfolg? Wie vermittele ich den Erfolg meiner neuen Idee? Will sagen die Innovationsträger erfüllen Brückenfunktionen und sind Sprachvermittler zum Business und anderen Funktionen wie bspw. dem oben erwähnten Finanzbereich.

«Learning Innovation» und «Innovation in Learning» gehen Hand in Hand. Um eine Lerninnovation zu etablieren, muss ich erst einmal verstehen, was ich überhaupt erreichen will. Die neue Idee ist nicht der Selbstzweck. Alles zu innovieren ist vielleicht gar nicht der beste Weg, sondern eher zu schauen, welche Lernmethode für die konkrete Problemlösung die beste Wahl ist. Wir sehen hierbei den Trend, dass Lernen immer mehr in den Arbeitskontext selbst diffundiert.

Ein Beispiel: Im deutschen Mittelstand haben wir sehr viel Expertise bei den Mitarbeitern und Meistern in der Altersgruppe 50+. Wie bekomme ich diese Expertise an Jüngere übertragen? Ich habe also ein Problem, unter Zeitdruck diesen Wissenstransfer zu bewerkstelligen. Ausgehend von diesem Problem könnte ich mir innovative Konzepte überlegen, wie z. B. Technologie hier helfen könnte. Bspw. könnte der Meister «Google Glasses» tragen im Arbeitskontext, so dass ein Live Job Shadowing möglich wäre mit gleichzeitiger Aufzeichnung als Video Knowledge Repository. So komme ich z. B. zu einer Lerninnovation. Will sagen, ich habe ein Problem und schaue auf Trends, die möglicherweise helfen könnten dieses Problem zu lösen. In diesem Fall wäre das der Technologietrend «Wearables». Am Ende versuche ich daraus eine Kombination zu finden, die Wert erzeugend ist. Also das Thema Lernen komplett im Arbeitskontext zu verorten und aus diesem Kontext mittels Technologie als Enabler einen neuen Wissenstransfer zu bauen.

Was sind für Dich Herausforderungen und Strategien die Themen Lernen, Technologie und Innovation in den Organisationen umzusetzen?

Ich sehe hier drei wesentliche Herausforderungen:

Erstens – Geld. Man hat sich gewöhnt an die jährlichen Trainingsbudgets. Diese haben sich eingeschwungen. Wenn ich jetzt einen radikalen Schwenk mache und massiv Technologie integriere, kostet das natürlich erst einmal richtig Geld. Nicht nur bei der Einführung von neuer Lerntechnologie, sondern auch beim späteren Betrieb. Die neuen Lernelemente kosten zunächst viel mehr Geld als die Alten. Diese Diskussion mit dem Business zu führen ist eine der grossen Herausforderungen von Innovationsträgern.

Zweitens – Adaption. Bezogen auf das Eingangsbeispiel – Ich muss natürlich dafür sorgen, dass der 50+ Meister bereit ist, die Google Glass zu tragen, ihm das «Warum» nahebringen. Und dem jungen Kollegen klarzumachen, dass Learning by Doing zwar gut ist aber ein intensives Zusammenarbeiten mit dem älteren Kollegen einen grossen Mehrwert bedeutet und später problemverhindernd wirkt.

Drittens – Menschliche Interaktion. Das ist die grösste Herausforderung. Wir sind derzeit bei der Konzeption von vielen Themen und Projekten zu sehr technologiebegeistert. Das gilt nicht nur für den Lernbereich. AI, Voice Interaktion, Augmented Reality sind überall in den Schlagzeilen. Es kommt aber darauf an die Lösungen vom Mensch, dessen Nutzungsbedürfnissen und Interaktionen her zu denken.

Gibt es ein Beispiel, wo Deloitte diese integrierte Lerninnovation von Technologie, User-Interaktion und der Business Relevanz umgesetzt hat?

Als eines der prominenten Beispiele hierfür ist die Digital Fluency Academy zu nennen. Die Firma stellt sich strategisch für die nächsten fünf Jahre neu auf. Eine Überlegung hierbei ist, dass wir 100 % unserer Mitarbeiter, wie wir es genannt haben, «digital fluent» zu bekommen. Jeder Mitarbeiter, egal wo er arbeitet, egal was er tut, muss verstehen was die Digitalisierung mit uns macht. Nicht nur auf Buzzword-Ebene, sondern auch richtig auf Detailebene. Die klassische Option wäre gewesen 2000 Mitarbeiter vier Wochen lang durch ein Klassenraumtraining zu schicken. Das ist natürlich überhaupt nicht machbar und bezogen auf die digitalen Inhalte auch kontraproduktiv, da diese sich ja ständig verändern. Also folgt der innovative Ansatz hierbei der Idee, das ganze Thema als «Digitale Akademie» umzusetzen, digital sowohl von den Inhalten her als auch vom Aufbau. Experten, die in der Firma sind, tragen ihre Inhalte selber zusammen. So sind 40 «digitale» Themen zusammengekommen, von Blockchain zu AI, von Digitalen Businessmodellen bis hin zu Analytics. Für jedes dieser Themen gibt es Experten und jeder dieser Experten kuriert Content. Videos, Whitepaper, Case-Studies, viele weitere Micro-Contents und Learning Nuggets. So ist eine komplett digitale, mobile Learning Solution entstanden, die alle Kollegen zeit-, orts- und deviceunabhängig auf Laptops, Tablets, Smartphones nutzen können. Man hat also direkt am Point of Need, im Arbeitskontext oder beim Kunden Zugriff auf die digitalen Nuggets, die ich in meinem derzeitigen Umfeld gerade brauche. Ein wichtiger Punkt hierbei: Lerntechnologie und Inhalte müssen zwar schön und ansprechend gemacht sein. Die Technologie dahinter ist aber immer nur der Enabler, niemals der Selbstzweck.

Was müssen Betriebe, Organisationen, Institutionen tun, um Innovationen in Lernen umzusetzen?

Meines Erachtens kommt hier das eingangs erwähnte Thema Kreativität ins Tragen, was ich mit 10 % neben der Disziplin verortet habe und sehe hier vier Punkte:

Ich muss Kreativität in meiner Organisation zulassen. Sowohl durch Ermuntern als auch Befähigen im Sinne von Ermöglichen von (geistigen und physischen) Freiräumen zulassen, dass Ideen rund um Lernen entstehen.

Ich muss den Blick ausserhalb meines Unternehmens und Tellerrandes fördern. Ich muss mich vernetzten und von anderen lernen. Beobachten Sie bspw. was derzeit in der Start-up Szene läuft. Was entwickelt sich da an neuen Ansätzen, Ideen, Produkten. Daraus lässt sich ableiten was im eigenen Kontext gut andockbar und kombinierbar wäre.

Die eigene Hausaufgabe ist dann sich hinzusetzen und ein eigenes Konzept zu bauen, und zwar unter Einbindung aller relevanten Unternehmensbereiche. Auf keinen Fall sollte man dies allein dem HR Bereich überlassen. Alle Fachbereiche müssen mit am Tisch sitzen und gemeinsam entscheiden, was eigentlich erreicht werden soll. Learning ist wesentlicher Strategie- und Erfolgsfaktor für jedes Unternehmen. Ich kenne kein Unternehmen, wo die Qualifikation der Talente nicht unter den Top Prioritäten steht. Learning Innovation gehört also in die Unternehmensstrategie eingebunden.

Last but not least: Habe ich mir Ziele und einen Rahmen gesetzt, muss ich ein richtiges Projekt aufzusetzen, entsprechend finanziell und mit Ressourcen ausgestattet. Bezogen auf das Thema Innovation in Learning sollte man dieses Projekt dann auch mit innovativen Methoden umsetzen. Man kann also mit Design Thinking starten, sich in Persona reinzudenken, ein agiles Vorgehen wählen, indem immer wieder Dinge verprobt werden können, ein Minimal Viable Product (MVP) entwickeln usw.

Was fordert dich aktuell heraus? Womit wirst du dich in den nächsten Jahren beschäftigen?

Was bei mir derzeit auf dem Schreibtisch ist, und was ich auch bei vielen Kunden sehe, ist das Thema «Innovation als Droge». Es kommen viele neue Dinge auf den Markt, am Anfang ist man total begeistert, aber irgendwann gewöhnt sich die Organisation daran und braucht immer mehr davon. Ich sehe hier einen Entwicklungstrend – die Gewöhnung an Innovation. Die Gefahr hierbei ist eine gewisse Abstumpfung. Eine weitere Herausforderung ist, wie ich weiterhin sichergestellt kriege, dass wir auch zukünftig innovativ sind ohne dass dabei herauskommt weiter exponentiell zu wachsen, was per se unmöglich ist.

Ein weiteres Thema, was bei mir derzeit auf dem Schreibtisch liegt ist ein wenig Opfer des eigenen Erfolges zu sein. In den Innovationsteams – ich denke hier z. B. an die klassischen Berliner Hubs, die ja dafür da sind, Freiräume zu schaffen und damit die Organisation voran zu schieben – hat man eine tolle Arbeit geleistet. Irgendwann fängt die umgebende Organisation dann selber an zu innovieren und es entsteht immer mehr Innovationskultur. Eine Folge ist, dass auch in den «klassischen» Abteilungen über Innovation nachgedacht wird. Nun ist es erst einmal grundsätzlich toll, wenn sich die Kultur verändert hat, aber damit stellt sich die Frage nach der Berechtigung des ursprünglichen Innovationsteams.

Eine Frage die mich derzeit umtreibt ist folgende: Wie koordiniere ich jetzt diese ganzen tollen neuen Innovationen? Wer übernimmt sie im Regelbetrieb und als Target Operating Model? Damit sind wir beim Thema Learning Innovation. Wie bekomme ich es in der Organisation hin, die Kollegen, die Experten beim Thema Customer Experience sind in Kollaboration mit den Learning Professional Kollegen zu vernetzen um gemeinsam auch über ein Innovationsprojekt hinaus nachhaltig die Learning Solution voran zu bringen.

Was ist dein derzeitiges Highlight im Bereich Innovation?

Was mich persönlich begeistert ist eine Entwicklung, die nicht älter als 12 Monate ist. Vor kurzem hatten wir noch die Silicon Valley Denke, dass alles nach vorne geht, die Technologie exponentiell wächst und alle Probleme lösen kann. Hier gab es eine grosse Begeisterung. Speziell in Europa, aber auch in den USA sehe ich nun seit ca 12 Monaten eine zunehmende Sensibilität hinsichtlich des Menschen. Ist das eigentlich so gut was da alles passiert durch die Technologiegläubigkeit? Wo bleibt hier der Mensch? Das ist etwas, was ich persönlich am spannendsten finde, dass sich die Entwicklung dreht von der Technologiedominierung hin zu Überlegungen was hierbei mit dem Menschen passiert. Die Innovationen, die im technischen Bereich und dessen Fortschritt ursprünglich begann ist nicht mehr Selbstzweck, sondern bekommt einen dienenden Charakter. Es darf nicht mehr alles dem technischen Fortschritt geopfert werden. Ein simples Beispiel hierfür ist die Diskussion rund um die genmanipulierten CRISPR Babies in China. Hier sehen wir, dass wir langsam Stoppschilder aufstellen müssen. Nicht alles was Customer Experience ist, ist für den Kunden am Ende eine tolle Erfahrung, wenn hier Missbrauch geschieht. Ich möchte hierbei nicht überregulierend argumentieren oder Data Privacy philosophisch sein, aber diese grundsätzliche Sensibilität, was passiert da eigentlich mit dem Menschen, die finde ich schon gut.

Lieber Nicolai, vielen Dank für deine spannenden Insights. Wir wünschen dir noch eine super innovative und lernreiche Zeit! dir ganz herzlich für den spannenden Austausch.

Nicolay Andersen, Keynote Swiss eLearning Conference 2015

Interview: Karl Knispel

Quelle:
Dieses Interview erschien zuerst in dem Sammelband “10 Jahre Learning Innovation Conference – 22 Interviews”. Hrsg. von Alexander Petsch und Dr. Daniel Stoller Schai, HRM Research Institute 2019.

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