Melanie Kovacs gründete 2016 die Master21 Academy, die IT-fremden Menschen die Sprache der Digitalisierung – das Coding – näherbringen soll.
Melanie Kovacs ist Gründerin und Geschäftsführerin von Master21, dem ersten Anbieter von Coding Bootcamps und Code Weeks in der Schweiz. Master21’s Mission ist es «Joyful learning» zu verbreiten und somit Menschen zu befähigen «Tech» zu sprechen und die (digitale) Welt aktiv mitzugestalten. Bis dato haben über 450 Personen ihre Kurse besucht.
Die Wirtschaftsabsolventin mit Weiterbildung in Requirements Engineering setzt sich für Frauen ein und hat deshalb We Shape Tech Basel gegründet und zuvor Aspire. Im 2018 wurde sie von Forbes DACH auf die 30 under 30 Liste gesetzt und hat den Recognition Award beim Female Innovation Forum gewonnen. Melanie ist Vorstandsmitglied vom Impact Hub Zürich Verein.
Was ist für Dich «Learning Innovation»? (= innovative Lernansätze, Innovation im Lernbereich…)
Learning Innovation bedeutet für mich ganzheitlich neu zu denken, was, wie und wieso wir lernen. Ein Online-Programm per se ist nicht innovativ. Innovativ ist sich zu fragen: Wieso lernen wir? Nur um das Überleben der Firma oder die eigene Arbeitsmarktfähigkeit zu sichern, oder weil Lernen notwendig ist, um ein erfülltes Leben zu führen? Die Antwort auf die Frage des Wieso’s beeinflusst was und wie wir lernen. In unserer sich konstant ändernden Welt entscheidet die Fähigkeit zu lernen darüber, wie selbstbestimmt, erfüllt und erfolgreich jemand sein wird.
Niemand kann voraussagen welche Themen in Zukunft relevant sind. Deshalb ist es schwierig vorauszusagen was jemand lernen soll.
Genau deshalb ist es umso wichtiger zu lernen wie man lernt, verlernt und umlernt. Dies hat bereits der Futurist und Philosoph Alvin Toffler in 1070 geschrieben: «The illiterate of the 21st century will not be those who cannot read and write, but those who cannot learn, unlearn and relearn.»
Wenn man weiss wie man lernt, kann man sich immer wieder neu (er)-finden.
Wenn ich weiss, ich lerne ein Leben lang, lerne ich am liebsten Themen, die mich interessieren und Freude bereiten. Das muss nicht unbedingt «the next big thing sein.»
Der Autor Yuval Noah Harrari rät sich auf persönliche Resilienz und emotionale Intelligenz zu fokussieren.
Der Ansatz des «Experiential Learning» basierend auf Kolb ist für uns innovativ, da er Lernende aus der Komfortzone holt und somit einen Mindset Shift bewirkt.
Beispiele von teilweise nicht akkreditierten innovativen Weiterbildungsprogrammen für Erwachsene sind für mich Hyper Island aus Schweden, Stride in Zürich, Shift School in Nürnberg, THNK in Amsterdam und die Kaospiloten aus Dänkemark.
Ha, die Kaospiloten – die gibt es noch? Hast Du in deiner Master 21st Academy Ansätze der Kaospiloten übernommen? Und wie genau holt Ihr mit Experiential Learning die Lernenden aus der Komfortzone?
Ja die Kaospiloten gibt es noch. Ich durfte eine meiner Arbeiten während meiner Weiterbildung in Requirements Engineering über die Kaospiloten schreiben. Wir holen die Lernenden mit Experiential Learning aus der Komfortzone, indem wir sie hands-on an einem Projekt arbeiten lassen. In den Coding Kursen schreiben zum Beispiel alle Teilnehmer Code. Am Anfang fühlen sich viele unwohl, da der Code kryptisch aussieht und sie nicht alles verstehen. In unserer Umgebung mit geduldigen und hilfreichen Coaches trauen sich die Teilnehmer zu fragen und auszuprobieren.
Was sind für Dich Herausforderungen und Ziele – Strategien / Projekte und Programme im Bereich Lernen und Arbeiten?
Die Herausforderungen sind dem Lernen einen wichtigen Stellenwert zu geben und dementsprechend Zeit einzuräumen. Lernen hat noch zu wenig Priorität.
Die Personen, die heute in der Chefetage sitzen, sind gross geworden in einer Zeit, als es gereicht hat ein Studium zu absolvieren. In unserer sich ständig verändernden Welt reicht dies heutzutage nicht mehr. Dieses Umdenken braucht Zeit.
Man will immer noch Leute, die einen vertikalen oder horizontalen Karriereweg aufweisen und offiziell akkreditierte Zertifikate mitbringen. Quereinsteiger, die sich neu erfinden und somit die Fähigkeit mitbringen zu lernen sind zu wenig gefragt. Arbeitgeber werten universitäre Abschlüsse immer noch höher als praxisrelevante Erfahrungen.
Weiterbildung ist immer noch ein Thema mit dem sich vorwiegend die HR-Abteilung befasst. Wenige Firmen haben eine ganzheitliche Weiterbildungsstrategie.
Ziel für Betriebe und Organisationen sollte klar sein sich als lernende Organisation zu sehen. Wenn Lernen als Grundwert verankert ist, kann sich eine Organisation transformieren und immer wieder neu erfinden.
Einer unserer Kunden, Deloitte, hat ein innovatives Lernprogramm entwickelt, weil sie gemerkt haben sie brauchen Frauen mit technischem Verständnis. Da dies jedoch leider noch eine Rarität ist, haben wir gemeinsam das Women Tech Bootcamp entwickelt um das technische Verständnis und die Freude am Digitalen zu fördern.
Dabei haben sie u. a. sichergestellt, dass sie Frauen anziehen, die lernen wollen.
Was müssen Betriebe, Organisationen, Bildungsinstitutionen tun, um Lerninnovationen umzusetzen?
Zuerst braucht das Thema Lernen den richtigen Mindset und Stellenwert. Lifelong Learning sollte eine Priorität des CEO’s sein, und zwar vor der Digitalisierung. Es muss ein Growth resp. Learner’s MIndset her um die Herausforderungen unserer sich stetig verändernden Welt zu meistern. Da sollten sich Manager ein Beispiel nehmen an Software Entwicklern. Entwickler sind sich gewohnt, nie alles zu wissen. Technologien, ihre Arbeitstools und -sprachen ändern sich ständig. Sie sind sich gewohnt ständig zu lernen, zu (hinter-)fragen und neu zu denken.
Organisationen sollten Lernen zur Gewohnheit machen, die täglich geschieht und nicht nur in dedizierten Schulungen. Dafür ist in vielen Organisationen ein Kulturwandel notwendig.
Wir sehen den Lernprozess als «try, fail and learn». Leute sollen ausprobieren, Fehler machen dürfen, daraus lernen und dementsprechend Anpassungen vornehmen. Dieser Prozess soll auch bei neuen Lernformaten-, -methoden und -inhalten angewendet werden.
Wir holen beispielsweise nach jedem Kurs ausführlich und anonym Feedback ein, organisieren eine Review und passen dementsprechend unsere Kurse an.
Wir sind dafür, dass Betriebe allen Mitarbeitenden ein bedingungsloses Weiterbildungsbudget geben. Klar dieses Investment in Mitarbeiter ist riskant. Was wenn wir die Weiterbildung bezahlen und die Person geht? Die Alternative ist jedoch riskanter: was wenn sie sich nicht weiterbildet und bleibt?
Was fordert Dich aktuell heraus? Mit was willst Du Dich in den nächsten Jahren beschäftigen?
Wir sind auf einer Mission «joyful learning» zu verbreiten. In der Schule wird darauf geachtet, wie man Kindern am besten etwas beibringt. In der Erwachsenenbildung geht dies oft vergessen und man fokussiert vor allem darauf was man vermitteln möchte. Dies habe ich in meiner Weiterbildung als demotivierend erlebt. Bei Master21 erhalten immer wieder das Feedback von unseren Teilnehmern, dass sie unsere Lernatmosphäre besonders schätzen und es ihnen Freude macht mit uns zu lernen. Deshalb stellen wir uns die Frage: Was macht eine «learning experience joyful»? Und wie können wir diese replizieren? Es wäre doch toll, wenn wir ein Rezept hätten und dies mit Firmen, Schulen und Organisationen teilen könnten. Wenn wir eine Learning Experience gestalten achten wir bewusst auf vier Komponenten: Inhalt, Methode, Personen (Lehrer und Coaches) und Ort. Momentan betreiben wir Research um noch besser zu verstehen, wie diese vier Komponenten zusammenspielen.
Joyful learning? Das tönt sympathisch. Auf welchen (theoretischen, pädagogischen) Ansätzen könnt Ihr Euch da abstützen? (z. B. Joyful Learning: Active and Collaborative Strategies for Inclusive Classrooms von Alice Udvari-Solner und Paula M. Kluth)?
Die Neurologen Thanos et al. haben bereits 1999 anhand von Botenstoff-Messungen im Gehirn herausgefunden, dass je komfortabler sich Studenten fühlen, desto besser können sie Wissen verknüpfen und speichern. Wenn wir uns wohl fühlen und motiviert sind können Informationen frei fliessen, wir sind auf einem höheren kognitiven Level und haben eher Aha-Momente. Laut Neurologin Judy Willis entsteht diese Erfahrung nicht in einem ruhigen Klassenzimmer, sondern in einer Atmosphäre von «exuberant discovery», wo wir mit dem Enthusiasmus von Kindergärtnern lernen.
Inspiriert sind wir von Formaten wie Startup Weekend, wo man in 54 Stunden ganz nach dem Motto «no talk, all action» in Gruppen an einer Geschäftsidee und -modell arbeitet, einen Prototypen erstellt und Feedback einholt.
Intern beschäftigen wir uns also mit dem Thema «joyful learning» und folgedessen damit, was wir wem anbieten möchten. Extern sind wir auf der Suche nach Partnern und Teammitgliedern, die unsere Werte und Vision teilen und «joyful learning experiences» mit uns erleben und co-kreieren möchten.
Liebe Melanie, ich danke Dir für die spannenden Ausführungen und wünsche viel Erfolg mit Euren pädagogisch-technischen Ansätzen.
Herzlichen Dank!
Melanie Kovacs, Keynote LEARNING INNOVATION Conference 2019
Interview: Daniel Stoller-Schai
Quelle:
Dieses Interview erschien zuerst in dem Sammelband “10 Jahre Learning Innovation Conference – 22 Interviews”. Hrsg. von Alexander Petsch und Dr. Daniel Stoller Schai, HRM Research Institute 2019.
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Die Verantwortung für das eigene Lernen muss bei jeder Person selber liegen