Das Personalmarketing ist im Umbruch. Die Zeichen stehen auf Automatisierung und Algorithmen. Für datengetriebenes Recruiting sind beispielsweise Businessnetzwerke eine wahre Goldgrube für Talentjäger, liefern sie doch Informationen zu potenziellen Kandidaten frei Haus. Welche Daten können Arbeitgeber für ein erfolgreiches Personalmarketing nutzen? Woher kommen diese? Wie können sie aus verschiedenen Quellen zusammengeführt werden? Und: Wieviel Maschine wollen wir im „People Business“ zulassen?

Jäger und Sammler: Recruiter zwischen Marketing und Mathematik
Jäger und Sammler: Recruiter zwischen Marketing und Mathematik

Sie wurden kürzlich von einem interessanten Unternehmen kontaktiert. Man hat eine Stelle für Sie, die optimal zu Ihrem Profil passt. Zwischen Kontaktaufnahme, Online-Assessment und Gesprächen vergehen nur wenige Tage. Man führt mit Ihnen strukturierte, sachliche Interviews ohne fiese Fangfragen. Am Ende eines zügigen und transparenten Ablaufs erhalten Sie ein unwiderstehliches Angebot. Zu schön, um wahr zu sein? Nein, vermutlich war hier mehr künstliche als natürliche Intelligenz im Spiel.

Datenjagd in Digitalien

In Zusammenarbeit mit dem Center of Human Resources Information Systems (CHRIS) der Universität Bamberg ermittelt Monster Deutschland regelmäßig die aktuellen Recruiting Trends. Demnach nimmt im Zuge eines 2016 festgestellten Techniksprungs die automatisierte Bewerberauswahl zu. Die erhofften und erwarteten Effekte: schnellere, effizientere, einfachere und diskriminierungsfreie Prozesse, die zu passgenaueren Ergebnissen führen. Matching-Algorithmen bringen Kandidaten und Vakanzen zusammen; neue Kommunikationswege entstehen. Zwei Jahre später ist die digitale Transformation in der Personalgewinnung schon weiter. Dazu gehört laut Studie der Einsatz von Stellenempfehlungssystemen und digitalen Karriereberatern auf der einen, Talentempfehlungssystemen und digitalen Vorauswahlprozessen auf der anderen Seite.

In ihrem Buch „Digital HR“ stellen Wolfgang Jäger und Thorsten Petry von der Hochschule RheinMain fest: „Der Kernprozess der Personalbeschaffung wird in den kommenden Jahren vermutlich mehr und mehr von KI, Algorithmen und Softwareprogrammen übernommen.“ Sie nennen beispielsweise die folgenden automatisierten Prozesse:

  • Suche nach und Identifikation von geeigneten Kandidaten
  • Abgleich von Anforderungs- und Kompetenzprofilen
  • Überführung der Profildaten von Bewerbern in eine Datenbank durch CV-Parsing
  • Durchführung von Assessments, Persönlichkeitsanalysen und Pre-Screening-Interviews
  • Beantwortung von Bewerberfragen
  • Übernahme aller administrativen Vorgänge (z. B. Einladung zu Bewerbungsgesprächen, Erstellung von Zu- bzw. Absagen sowie von Arbeitsverträgen)

„Für den Recruiter bleibt im Extremfall letztlich ‚nur‘ noch die Endauswahl des am besten geeigneten Kandidaten auf Basis automatisiert erstellter Bewerberrankings und Auswahlvorschläge.“ Sind wir schon so weit?

Möglichkeit und Wirklichkeit

Die Zeitschrift „Personalwirtschaft“ nahm 2018 in Zusammenarbeit mit Talentry, Textkernel und StepStone die Recruiting-Strategien von Unternehmen unter die Lupe. So sind Recruiting-Kanäle zwar nach Unternehmensart und -größe sowie nach Zielgruppen zu differenzieren, jedoch ergab sich im Allgemeinen ein eher traditionelles Bild. „Über alle Kandidatengruppen hinweg nennen die Studienteilnehmer die Online-Stellenbörsen eindeutig am häufigsten als denjenigen Recruiting-Kanal, über den sie die meisten Bewerbungen generieren. […] Andere Recruiting-Kanäle wie CV-Datenbanken, Social Media oder Rekrutierungsveranstaltungen erhalten im Hinblick auf die Konvertierung in Bewerber kaum relevante Nennungen“, heißt es dort. Dennoch setzen sich die Unternehmen mit neuen Recruiting-Methoden auseinander: „Den Ergebnissen zufolge geben 84 Prozent der Studienteilnehmer an, zukünftig sowohl die eigene Karriere-Website als auch das Active Sourcing im Sinne der aktiven, unternehmensseitigen Suche potenzieller Kandidaten über Online-Businessnetzwerke […] verstärkt zur Ansprache ihrer Ziel-/Kandidatengruppen nutzen zu wollen.“

Eine besondere Bedeutung kommt digitalen, datenbasierten Instrumenten vor allem bei der Suche und Identifikation von Talenten zu. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) sieht zudem in der „evidenzbasierten Entscheidungsfindung“ eine Chance, die Personalarbeit zu professionalisieren. Ein Vorteil liegt auf der Hand: Fehlentscheidungen aufgrund menschlichen Irrens werden reduziert. „Datenbasierte Entscheidungshilfen in der Personalauswahl werden häufig mit dem Ziel angewendet, mögliche subjektive Verzerrungen zu reduzieren.“ Dazu gehören unbewusste Wirkmechanismen wie z. B. Vorurteile, selektive Wahrnehmung und Überbewertung von Ähnlichkeiten zwischen Kandidaten und Recruitern. Das IW gibt jedoch auch zu bedenken: „Eine Delegation der Verantwortung an Maschinen ist unzulässig. Das sieht auch der Gesetzgeber so, der automatisierte Entscheidungen, die für andere eine Rechtsfolge entwickeln, verbietet.“ Der zunehmenden Verfügbarkeit und Verarbeitung großer Datenmengen (Big Data und Data Mining) steht zudem eine wachsende Sensibilisierung und Sensibilität bezüglich der Nutzung personenbezogener Daten gegenüber. Wenn Daten das „neue Öl“ sind, dann ist bei der Förderung Professionalität und (menschliches) Feingefühl angesagt.

Mit Methode zum Matching

„Die Mischung macht’s“, folgert Winfried Gertz im Recruiting Guide 2020 der Zeitschrift „Personalwirtschaft“. Technische Lösungen könnten die persönliche Interaktion nicht ersetzen, sondern allenfalls ergänzen. Der Recruiting-Prozess sollte im Kern ein Miteinander von Menschen bleiben, und die „Candidate Journey“ von Beginn an zu positiven Erfahrungen entlang der Kontaktpunkte mit dem Unternehmen führen. Dazu gehöre ein authentischer, unverwechselbarer Auftritt mit einem ausgewogenen Mix aus Arbeitgeberangebot und Anforderungen sowie die Nennung von Ansprechpartnern.

Thomas Faust, Senior Manager Human Capital bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte, sieht eine Tendenz zum Aufbau eines Candidate/Employee Relationship Managements analog zum Customer Relationship Management (CRM). Das Personalmarketing folgt somit dem Produktmarketing.

Zu den Herausforderungen gehört, dass Matching-Instrumente präzise Angaben brauchen, um Angebot und Nachfrage zusammenbringen zu können. Eine Hürde steckt in den Anforderungsprofilen, wie Faust feststellt: „Stellenausschreibungen deutscher Unternehmen sind erschreckend unspezifisch. Je genauer das Profil, desto erfolgreicher die Suche.“ Dem steht die zunehmende Individualisierung von Berufs- und Bildungswegen gegenüber. Wer einen Lebenslauf, der partout nicht der „Norm“ entspricht, durch ein CV-Parsing laufen lässt, erntet bestenfalls Kraut und Rüben. Hier könnte die künstliche Intelligenz ruhig noch ein bisschen intelligenter werden.

Plattformen und Programme für die Talentsuche

Das ist umso wichtiger, als der verdeckte Kandidatenmarkt vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels eine zunehmende Aufmerksamkeit erfährt. So stellt David Schahinian im Recruiting Guide 2020 fest: „Die Direktansprache ist zwar alles andere als eine Innovation. Die technischen Möglichkeiten haben ihr jedoch zu frischem Schwung verholfen.“ Auf Businessnetzwerken tummeln sich zahlreiche Talente, die neuen Herausforderungen gegenüber aufgeschlossen sind, jedoch nicht aktiv suchen. Schahinian nennt neben den Platzhirschen XING und LinkedIn auch spezialisierte Netzwerke wie Experteer, Squeaker und E-fellows. Sie ermöglichen die gezielte Identifikation und Ansprache potenzieller Kandidaten (Profile Mining). Nachwuchs-, Fach- und Führungskräfte stellen dafür umfassendes Datenmaterial zur Verfügung wie Position und Arbeitgeber, Werdegang und Berufserfahrung, Bildung und Kompetenzen, Motivation und Wechselwilligkeit, Empfehlungen und Gehaltsvorstellungen. Bei Businessnetzwerken gehören Direktansprache und Vernetzung zum Geschäftsmodell, so dass das Einverständnis der Mitglieder vorausgesetzt werden kann. Private Netzwerke wie Facebook hingegen können zwar dazu dienen, sich als Unternehmen und potenzieller Arbeitgeber ins rechte Licht zu rücken. Hier ist jedoch ratsam, sich darauf zu beschränken, ob des prägnanten Auftritts und der spannenden Inhalte von Interessenten gefunden zu werden.

Udo Völke, Vorstand von Raven51, sieht noch einen anderen Weg: „Arbeitgeber haben auch die Möglichkeit, auf ihrer eigenen Karriere-Website wertvolle Daten zu erheben, indem sie nicht nur Klicks generieren, sondern auch Leads sammeln. Im Nachgang können interessierte Kandidaten dann immer wieder mit individuell passenden Botschaften kontaktiert werden. Das ist wichtig, weil die Candidate Journey heutzutage oft nicht linear verläuft und Kandidaten erst nach mehrmaligem Kontakt mit einem Unternehmen bereit sind, sich tatsächlich zu bewerben.“

Alexandra Gastpar vom Schweizer Beratungsunternehmen HR Campus nennt darüber hinaus Online-Foren und Fachgruppen, Mitarbeiterempfehlungsprogramme wie Firstbird sowie Talentry und Talentwunder, die das Sourcing Management und den Zugang zu Talentpools und -profilen erleichtern.

Eine Herausforderung stellt das Zusammenführen und Pflegen von Quellen und Daten dar. Michael Witt, Berater für Recruiting und Personalmarketing, hat einen Tipp: „Man braucht eine sogenannte Middleware. Also eine Software-Lösung, die sich quasi als Verbindung quer über die einzelnen Daten-Silos legt und diese dann einsammelt und zugänglich macht.“ Recruiting-Programme und Talent-Management-Software (z. B. von Haufe-Umantis und SAP SuccessFactors) helfen beim Bewerber- und Datenmanagement, so Alexandra Gastpar. Auch XING und LinkedIn stellen entsprechende Instrumente bereit. Je automatisierter die Prozesse laufen, umso einfacher und effizienter.

Und es menschelt doch!

Udo Völke von Raven51 ist überzeugt, dass Recruiting digitaler und persönlicher zugleich werden muss. „Das verlangt von Recruitern eine höhere Digital-Kompetenz und die Bereitschaft, sich kontinuierlich fortzubilden und weiterzuentwickeln.“ Obendrein sei es ihre Aufgabe als Unternehmensbotschafter, Vertrauen zu gewinnen und Begeisterung zu entfachen. Der Schlüssel sei authentisches und kongruentes Handeln, ergänzt Alexandra Gastpar von HR Campus. „Nicht nur der Mitarbeitende, sondern bereits der Kandidat sollte in den Mittelpunkt gerückt werden.“

Unternehmen, die den Königsweg zwischen analog und digital gehen, werden die Nase vorn haben. Zum Nutzen aller Beteiligten: Entlastet von administrativen und analytischen Aufgaben, können sich Recruiter besser und intensiver vielversprechenden Talenten widmen. Diese wiederum kommen in den Genuss schneller, professioneller und fairer Abläufe.

Noch ist es also nicht so weit, dass humanoide Roboter auf Talentjagd gehen und die Personalgewinnung eigenständig durchführen. Mit dem Ergebnis, dass man erst bei Arbeitsantritt auf Menschen mit Makeln und Macken trifft. Lebenserfahrung, Empathie und Wertschätzung lassen sich – zum Glück – nicht an Kollege Roboter delegieren.

Autorin: Kerstin Wadehn