Was kann HR konkret zur Innovations­kraft von Unternehmen beitragen?

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Foto von Samantha Gades

Beispiel Anreize: Mitarbeiter bringen ihre Ideen eher ein, wenn sich das für sie lohnt. Dieser Lohn kann zum Beispiel in Karrieremöglichkeiten oder in Anerkennung bestehen. Wenn der Mitarbeiter aber eine Innovation voranbringen will und dabei nur behindert oder gemaßregelt wird, passt er sein Verhalten sehr schnell an, weil er denkt: „Ich halte mich mit Vorschlägen zurück. Denn wenn es klappt, dankt es mir keiner. Wenn es nicht klappt, bekomme ich Probleme.“ Und das spricht sich schnell rum und verfestigt sich in der Unternehmenskultur. HR kann dazu beitragen, Anreizsysteme zu gestalten und Mitarbeiter zu ermutigen, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen.

Was kann die Personalabteilung neben der Gestaltung der Anreizsysteme noch tun, um Innovationen zu fördern?

Sie kann darauf hinwirken, dass Projekte funktional gut durchmischt sind, sodass beispielsweise in einem Innovationsprojekt sowohl Forschung und Entwicklung als auch Produktion und Marketing vertreten sind. Zwischen diesen Abteilungen gibt es häufig Friktionen, weil ihre Ziele und Weltsichten unterschiedlich sind. Wenn Unternehmen diese Abteilungen separieren, fangen sie relativ schnell an, sich zu misstrauen und Fehler aufeinander abzuwälzen. Wer sie vernetzt und Anreizsysteme schafft, die gemeinsame Aktivitäten lohnenswerter machen, erzielt bessere Ergebnisse.

Sie haben eben das Klima als wichtigen Faktor für Innovationen genannt. Wie können Arbeitgeber ein innovationsför­derndes Klima schaffen?

Die Unternehmensleitung sollte klar kommunizieren, dass ihr das Thema Innovation wichtig ist. Dieses Interesse muss sie dann aber auch leben. Ich kenne zum Beispiel ein Unternehmen, in dem jeder Mitarbeiter im Durchschnitt 30 Verbesserungsvorschläge pro Jahr einbringt, von denen die Hälfte konkret umgesetzt werden kann. Das ist sensationell hoch. Der Industrieschnitt liegt ungefähr bei einem halben Vorschlag pro Mitarbeiter. Wie machen die das? Der Geschäftsführer hat mir erklärt, dass seine Linienuntergebenen ihm jedes Jahr drei Fehler präsentieren müssen, also Entscheidungen, die sich als falsch herausgestellt haben. Diese Fehler spricht er mit ihnen durch. Natürlich will er intelligente Fehler haben, keine dummen. Wenn ein Mitarbeiter sagt, „Wir haben versucht, ein neues Kundensegment zu erschließen. Wir haben im Vorfeld alle Analysen gemacht, aber es hat nicht funktioniert, weil ein Wettbewerber schneller war“, kann das ein intelligenter Fehler sein, ein Fehler, bei dem dem Risiko eine noch größere Chance gegenüberstand. Und wenn die Leute wissen: Fehler sind einkalkuliert, dann trauen sie sich mehr. Aber diese Einstellung zu Fehlern müssen Unternehmen dann auch tatsächlich mit Leben füllen. Außerdem können sie das Entstehen von Innovationen mit einer Reihe von Initiativen, Methoden und Instrumenten fördern, zum Beispiel mit internen Wettbewerben oder gezielten Gesprächsrunden quer durch die Abteilungen. Sie können eine Ideenplattform im Intranet einrichten, auf der Mitarbeiter Ideen einspeisen können – und über die sie schnell Feedback zu ihren Vorschlägen erhalten.

Welche Rolle spielt das Top-Management in diesem Prozess?

Das Top-Management muss Innovationen wollen und fördern. Wie vorhin angedeutet: Der stärkste Widerstand gegen Innovationen kommt zunächst aus der Organisation selbst. Denn Innovation bedeutet Veränderung. Wenn das Top-Management nicht deutlich macht, dass es diese Veränderungen will, wird es sie nicht geben. Die Unternehmensleitung muss sich als Promoter von Innovationen betrachten und diese im Zweifel auch durchsetzen. Sie muss die Strukturen bereitstellen, die Anreize setzen und die Kultur prägen sowie vorleben: Habe ich eine offene Tür oder habe ich keine? Lasse ich mich auf Diskussionen ein? Zählen hier Sachargumente oder werden Diskussionen mit dem Hierarchieargument beendet? Das lebt man vor und das prägt eine Kultur. Wobei deutlich sein muss: Das Top-Management alleine kann es nicht richten.

Welche Faktoren bremsen besonders häufig Innovationen?

Hier sind wieder die genannten vier Faktoren entscheidend. Ein Top-Management, das dem Thema Innovationen keine Ressourcen widmet und durch sein Verhalten deutlich macht, dass es sich nicht lohnt, neue Ideen einzubringen, wird in den seltensten Fällen ein innovatives Unternehmen schaffen. Wenn die Prozesse der Organisation nicht darauf ausgerichtet sind, neue Produkte zu erfinden und neue Märkte zu entwickeln, weil sie viel zu langsam sind, dann wird die gesamte Unternehmensadministration sehr bewahrend sein. Kleinere Unternehmen haben oft den Vorteil, dass sie schneller reagieren können, als Großkonzerne. Aber diese Karte müssen sie auch spielen.

Wenn hingegen ein Klima der Angst vorherrscht und niemand wagt, einen Fehler zuzugeben, werden die Leute risikoarm sein und sich für Innovationen nicht zuständig fühlen. Wenn wir keine Strukturen haben, die Menschen zusammenbringen, werden viele gute Ideen gar nicht erst entstehen. Auch wenn Organisationen nicht wissen, welche Projekte gerade auf dem Weg sind, und niemand kontrolliert, ob diese noch Sinn machen, kann das gefährlich sein. Denn ungefähr die Hälfte der Innovationsprojekte scheitert. Je früher Unternehmen erkennen, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben, desto besser.

Ein weiterer Punkt ist die Außenorientierung: Unternehmen, die jede Schraube selber machen, werden weniger erfolgreich sein als jene, die gezielt Kooperationen eingehen. Die Ressourcen eines Mittelständlers sind naturgemäß begrenzt. Wer diese intelligent ergänzen kann, fährt besser.

Das Interview führte Bettina Geuenich

Quelle: personal manager Zeitschrift für Human Resources Ausgabe 2 März / April 2013

„Wenn Unternehmen stehen bleiben,
sind sie weg vom Markt“

Professor Franke, wie wichtig ist es für Unternehmen heute, innovativ zu sein?

Innovation ist eine der wichtigsten Wettbewerbsvariablen. Wenn Unternehmen stehen bleiben, sind sie in fast allen Branchen in wenigen Jahren weg vom Markt. Denn Märkte, Technologien, Kundenbedürfnisse und Qualitätsanforderungen ändern sich. Wer sich nicht laufend selbst neu erfindet, ist schnell weg.

Aber gibt es nicht auch Unternehmen, die mit guten Imitaten erfolgreich sind?

Das stimmt. Aber wenn man genau hinschaut, dann sind das normalerweise sehr schnelle Imitatoren, die sogenannten „Fast Follower“. Auch sie sind flexibel und besitzen die Fähigkeit, proaktiv mit neuen Konstellationen, neuen Produkten und neuen Märkten umzugehen. Und auch der Imitator muss Dinge anders und besser machen als der Pionier, wenn er erfolgreich sein will. Das können neue, verbesserte Features im Produkt sein, bessere Services oder aber auch Prozessinnovationen, die einen besseren Preis ermöglichen. „Me-too“ dagegen, also ein fantasieloses Abkupfern oder ein langes Zögern, ist sehr selten erfolgreich.

Was machen innovative Unternehmen anders als Mitbewerber?

Es gibt vier Faktoren, die dazu führen, dass Unternehmen innovativ sind und damit Erfolg haben. Dazu gehört erstens das Top-Management: Wie fördert die Unternehmensleitung das Thema Innovation? Ist Innovation Teil der Strategie? Widmet das Unternehmen diesem Thema Ressourcen? Zweitens ist das Klima entscheidend: Gibt es einen „Nährboden“ für Innovation? Haben die Mitarbeiter Freiräume zu experimentieren – und dürfen sie das? Fühlen sich die Mitarbeiter selbst für Innovationen verantwortlich – oder schieben sie die Zuständigkeit auf die Abteilung für Forschung und Entwicklung? Der dritte Bereich betrifft die Prozesse: Gibt es Prozesse und Organisationsstrukturen, die Innovationen fördern? Oder hindern die Strukturen das Entstehen von Innovationen eher? Der vierte Bereich ist die Außenorientierung. Geht das Unternehmen zum Beispiel gezielt Kooperationen ein, um Ideen zu entwickeln, voranzubringen und zu vermarkten? Ist es in allen Phasen des Innovationsprozesses marktorientiert? In unseren Top-100-Analysen stellen wir immer wieder teilweise drastische Unterschiede zwischen innovativen und normalen Unternehmen in diesen vier Bereichen fest. Ein paar Beispiele: 79 Prozent der Top 100 kooperieren mit Unis und Forschungseinrichtungen, unter den durchschnittlichen Unternehmen tun das gerade mal elf Prozent. 54 Prozent stellen internes „Venture Capital” für ungeplante und risikoreiche Ideen bereit, aber nur zwei Prozent der normalen Unternehmen gehen so vor. Bei der Zusammenarbeit mit besonders fortschrittlichen Kunden, also Lead-Usern, ist die Relation 75 Prozent zu sieben Prozent. Und das führt dann eben dazu, dass ihr Umsatzanteil mit Innovationen viermal so hoch ist und sie viermal so stark wachsen.

Auf die genannten Faktoren – Top-Ma­nagement, Klima, Prozesse und Außenori­entierung – kann HR direkt oder indirekt Einfluss nehmen. Glauben Sie, dass ist den Verantwortlichen in den Unterneh­men bewusst?

Dass Innovationen von Menschen getragen wird, ist den wirklich innovativen Unternehmen aus meiner Sicht schon bewusst. Hier unterscheiden sich Innovationen von anderen Unternehmensprozessen, die sich gewissermaßen „programmieren“ lassen. Denn Innovation ist ein Abweichen von der Norm und vom Bestehenden. Es gibt immer einen Menschen, der Innovationsprozesse initiiert und Widerstände überwindet. Denn jede Innovation trifft auf Widerstände – typischerweise zunächst auf interne. Ausschlaggebend ist der Human Factor – und der betrifft HR: Insofern sprechen wir von einem Thema, das klare Berührungspunkte mit dem Human Resource Management hat.