Gesundheitsförderung in Unternehmen beschränkt sich meist auf Aspekte wie Bewegung, Ergonomie und Ernährung. Werden Projekte nach den Qualitätsstandards der betrieblichen Gesundheitsförderung konzipiert, organisieren die Arbeitgeber Befragungen, um die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu messen, sowie Gesundheitszirkel, die Verbesserungsvorschläge für Arbeitsprozesse, Kommunikation und Führungsverhalten erarbeiten. In der Praxis unterstützt dann das Management zwar meist Angebote der Gesundheitsprävention wie Yogakurse oder Ernährungsberatungen. Dem ganzheitlichen Ansatz, der Gesundheit mit Organisationskultur und Führungsverhalten verbindet, stehen Unternehmenslenker jedoch oft skeptisch bis ablehnend gegenüber. Dabei haben gerade Führungskräfte als Repräsentanten der Organisation einen großen Einfluss auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter.

pink dining table with four chairs inside room
Foto von Nastuh Abootalebi

Ein zentrales Führungsinstrument, das Vorgesetzte im Sinne der Gesundheitsförderung nutzen können, ist das Gespräch.

Die von uns entwickelten „gesunden Gespräche“ gehen von folgenden Voraussetzungen aus:

Es ist gesund, Menschen auch beruflich herauszufordern.

Mangelnde Leistungserbringung wirkt sich negativ auf Arbeitszufriedenheit, Wohlbefinden und Gesundheit aus.

Länger dauernde Formen der Über- oder Unterforderung sind ungesund.

Es ist nicht gesund, wenn Arbeitsaufgaben von weniger leistungsbereiten oder leis-tungsfähigen Mitarbeitern hin zu den Leistungsträgern wandern.

Leistungsprobleme lassen sich am leichtesten angehen, wenn Führungskräfte sie früh thematisieren. Vorgesetzte sollten auch dann über sinkende Leistungen sprechen, wenn diese noch nicht unterdurchschnittlich sind.

Mitarbeitergespräche sind vor allem dann produktiv, wenn die Führungskräfte ein klares Bild von Leistungsvermögen und -bereitschaft des Mitarbeiters haben sowie das Gespräch entsprechend anlegen.

Bevor sie in die gezielte Kommunikation mit einem Mitarbeiter einsteigen, sollten Führungskräfte ihre Erwartungen an die jeweilige Stelle klar definieren. Dazu gehört, die für die Stelle erforderlichen Kompetenzen zu beschreiben.

Eine Schwierigkeit besteht darin, dass oft „verdeckte“ Erwartungen bestehen, die Führungskräfte und Mitarbeiter nicht offen kommunizieren. Der „Psychologische Vertrag“ beschreibt Ansprüche von Mitarbeiter und Führungskraft, die über formale und vertraglich fixierte Verpflichtungen hinausgehen. Welche (unausgesprochenen) Erwartungen hegen die Gesprächspartner an ihr jeweiliges Gegenüber? Haben sie den Eindruck, dass Geben und Nehmen in Balance stehen, oder gibt es ein Ungleichgewicht?

Ein offen und positiv formulierter Psychologischer Arbeitsvertrag ist ein wichtiger Treiber für Engagement und Arbeitszufriedenheit. Subjektiv erlebte Störungen des Psychologischen Vertrags, wie etwa nicht eingehaltene Zusagen oder Veränderungen durch Reorganisationen, haben negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit oder auf das Betriebsklima. Diese erzeugen allzu leicht eine Abwärtsspirale aus Leistungsmängeln, negativen Reaktionen darauf und einem sich unverstanden fühlenden Mitarbeiter.

Als Vorbereitung auf ein Mitarbeitergespräch können Führungskräfte die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft ihrer Beschäftigten in verschiedenen Arbeitsbereichen auf einer Skala zwischen 1 und 10 bewerten. So ergibt sich ein differenziertes, wenn auch subjektives, Bild des Mitarbeiters. Wichtig ist, dass die Vorgesetzten ihre Einschätzungen an bestimmten Beobachtungen festmachen. Ihnen sollte außerdem bewusst sein, dass es sich bei den Einschätzungen um Hypothesen handelt, die dazu dienen, eine passende Gesprächsform auszuwählen (Abbildung 1).

 

Praxisbeispiel Arbeitsvermittlung,
2.000 Mitarbeiter

Ein betriebliches Gesundheitsprojekt bei einem öffentlichen Arbeitsvermittler kam zu dem Ergebnis, dass es notwendig war, das Mitarbeitergespräch um den Aspekt Gesundheit zu erweitern. Schon in der ersten Unterredung mit der Projektleiterin wurde klar, dass es nicht darum gehen konnte, einige gesundheitsrelevante Fragen in ein bestehendes Gesprächsformular einzubauen. Denn in kürzester Zeit kamen Fragen der Unternehmens- und vor allem der Führungskultur auf. Aus dem vermeintlichen Gesundheitsprojekt wurde ein Projekt zur Führungs- und Organisationsentwicklung.

Nach einigen Planungsgesprächen mit der Personalleitung, der Personalentwicklerin und der Gesundheitsbeauftragten begaben wir uns gemeinsam mit den Führungskräften auf die Reise. Uns war wichtig, Führungskräfte aller Hierarchieebenen und Organisationseinheiten aufeinandertreffen zu lassen. Denn davon versprachen wir uns eine lebendige Auseinandersetzung über die Führungskultur, die Grundlagen einer gesunden Organisation und die Bedürfnisse der unterschiedlichen Unternehmensbereiche.

Über einen Zeitraum von drei Jahren begleiteten wir 120 Führungskräfte inklusive der Geschäftsführer in Gruppen von 16 bis 20 Teilnehmern an jeweils zweimal zwei Tagen. In dieser Zeit gewannen die Teilnehmer eine immer deutlichere Vorstellung davon, wie Materialien, Leitfäden und Formulare aussehen müssen, damit sie unterstützend wirken können. Die Personalentwicklerin holte sich diese Anregungen ab, bereitete mit einem Redaktionsteam aus besonders interessierten Führungskräften die Ideen auf, stellte beim nächsten Mal die Ergebnisse vor, ließ diese im Seminar ausprobieren und arbeitete die Änderungsvorschläge ein.

So entstanden „bottom up“ neue Unterlagen für das Mitarbeitergespräch nach dem Muster der gesunden Gespräche. Jetzt, zwei Jahre nach der Einführung, bemerken wir, dass die Führungskräfte sich verstärkt mit dem Anliegen an uns wenden, die Teams in Fragen einer fairen Arbeitsverteilung und guten Zusammenarbeit in Klausuren zu begleiten. Einige Standorte starteten Prozesse, um ihre Organisationseinheiten unter Einbeziehung aller Mitarbeiterebenen gemeinsam neu zu gestalten. Das nährt unsere Hypothese, dass die vielen Beiträge aus den anerkennenden Gesprächen die Identifikation und die Entwicklungsfreude in der Organisation insgesamt vervielfacht haben.

Praxisbeispiel Landesverwaltung,
1.200 Mitarbeiter

In diesem Fall wandten sich die Personalentwicklerin und die Leiterin des Teams für Betriebliches Gesundheitswesen gemeinsam an uns, um über eine neue Form des Mitarbeitergesprächs Mitarbeitergesprächs den Kontakt zu den Führungskräften zu intensivieren. Die Organisation hatte gerade eine tiefgreifende Reform mit allen Auswirkungen hinter sich. Mitarbeiterbefragungen kamen zu dem Ergebnis, dass die Stimmung in der Belegschaft eher kritisch ist. Die Führungskräfte waren gefordert, die Mitarbeiter im Boot zu halten beziehungsweise zurückzugewinnen. Fast alle Organisationseinheiten hatten Fusionsprozesse hinter sich, oft aus mehreren Einheiten, die Hierarchie war flacher geworden, die Teams waren größer als zuvor.

Wir entschieden uns dazu, den Abteilungen und Organisationseinheiten der Bezirksverwaltung die Möglichkeit zu geben, sich freiwillig zu zweitägigen Fortbildungen für die gesunden Gespräche anzumelden. Unsere Hoffnung war, dass dadurch in den Führungsteams der Organisationseinheiten, in denen erst kurz davor mehrere Kulturen zusammengewürfelt worden waren, eine konstruktive Auseinandersetzung mit Führungs- und Steuerungsthemen, kulturellen Fragen und Gestaltungsideen beginnen würde. Gleichzeitig wollten wir in den Seminaren neue EDV-gestützte Formulare für das Mitarbeitergespräch zur Verfügung stellen.

Wenn sich die Führungskräfte der Abteilung nach dem Seminar entschieden, mit den gesunden Gesprächen zu starten, öffneten wir ihnen den Zugang dazu im Intranet. Zudem boten die Personalentwicklerin und die betriebliche Gesundheitsförderin an, in der Abteilung bei einer Mitarbeiterversammlung die neue Methode vorzustellen und so im Vorfeld Ängste und Unsicherheiten auszuräumen.

Das Resümee nach zweieinhalb Jahren: Etwa zwei Drittel aller Organisationseinheiten haben das Angebot angenommen, einige waren bereits ein zweites Mal als Führungsteam in Klausur, um die Erfahrungen auszutauschen und tiefer in die Führungsthemen einzutauchen. Einige wenige haben begonnen, gezielt die Abteilung mit allen Teams zu entwickeln, alle Mitarbeiter einzubeziehen. Einige haben sich zum ersten Mal mit Führung auseinandergesetzt und waren vorsichtig zurückhaltend. Da bleibt es abzuwarten – und um den Effekt nicht verpuffen zu lassen, braucht es bald einen weiteren Impuls aus der Personalentwicklung.

Spannend ist für uns als Berater zu beobachten, wie unterschiedlich sich die Prozesse gestalten, je nachdem, ob sich Führungskräfte freiwillig in eine Auseinandersetzung mit dem Thema gesund Führen begeben (zweites Beispiel), oder ob die Organisation die Führungskräfte dazu verpflichtet (erstes Beispiel).

Bei einer Verpflichtung stellt die Organisation sicher, dass in einem planbaren Zeitraum alle Führungskräfte an gleichen Themen arbeiten. Das ist eine mächtige, kulturelle Intervention. Im Fall unseres Beispiels war das noch dazu ein Kulturbruch, denn bis dato waren Führungsseminare freiwillig. Das führte dazu, dass einige Führungskräfte sich nach längerer Zeit erstmals wieder mit Führungskollegen austauschten und staunend zur Kenntnis nahmen, wie bereichernd so ein Zusammentragen der Erfahrungen sein kann.

Das zweite Beispiel steht für einen Ansatz, der eher die Entwicklung der Bereiche im Fokus hat und die gesamte Entwicklung einer Organisationskultur einer längeren Dauer und einem allmählichen Zusammenwachsen überlässt. Durchaus nachvollziehbar nach so tiefen Veränderungen. Da macht es Sinn, die einzelnen Organisationseinheiten und die Personen zu stärken. Allerdings braucht es eine Frist für die „Entwicklungsunwilligen“, also einen Zeitraum, ab dem die Freiwilligkeit vorüber ist und die Verpflichtung beginnt. Sonst sehen wir die Gefahr, dass eine allmählich zusammenwachsende neue Kultur wenig Chancen hat.

Fazit

Aus diesen beiden Beispielen und noch einigen weiteren Erfahrungen wissen wir, dass Mitarbeiter zufriedener sind und sich wertgeschätzt fühlen, wenn Unternehmen die Kommunikation über Organisation, Arbeitsgestaltung und individuelle Bedürfnisse verstärken sowie brauchbare Settings für diese Auseinandersetzung liefern. Über diese Themen ins Gespräch zu kommen, ist wichtig, um Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zu erhalten.


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Quelle: personal manager – Zeitschrift für Human Resources | Ausgabe 5  September/ Oktober 2016.

 

Ziele der Gespräche

Jede Gesprächsform hat eine eigene Zielsetzung, die davon abhängt, wie der Vorgesetzte den Mitarbeiter einschätzt:

1. „Kann gut! Will gerne!“: In diesem Anerkennungsgespräch bekommt der Mitarbeiter ein detailliertes, wertschätzendes Feedback. Da Mitarbeiter, die leistungsbereit und -fähig sind, meist Schwierigkeiten erkennen und in der Lage sind, Lösungen zu entwickeln, können sie im Gespräch Hinweise auf Verbesserungspotenziale in der Organisation, auch im Hinblick auf die Gesundheit der Organisation, geben.

2. „Kann gut! Will gerne!“ Tendenz der Leistungsbereitschaft sinkend: Zusätzliches Ziel des Anerkennungsgesprächs ist es in diesem Fall, die Motivation zu steigern bzw. zumindest zu stabilisieren und die Arbeitsfähigkeit durch individuelle Lösungen zu erhalten. Führungskräfte versuchen in diesem Gespräch einerseits Wertschätzung für die erbrachte Leistung auf der Basis detaillierter Beobachtungen zu vermitteln sowie andererseits Sorge über die sinkende Leistungsbereitschaft auszudrücken. 3. „Kann gut! Will zu viel!“: Ziel dieses Regulierungsgesprächs ist es, die Verausgabungsbereitschaft zielgerichtet auf ein gesundes Maß zu bringen und eine Steigerung der Fairness durch gleichmäßigere Arbeitsaufteilung zu erreichen. Mitarbeiter dieses Typs gleichen sehr oft die fehlende Arbeitsleistung des Typs „Kann nicht! Will nicht!“ aus. Dieses Verhaltensmuster ist jedoch auf längere Sicht kraftraubend und ungesund (Burnout-Gefährdung).

4. „Kann gut! Will (derzeit) nicht!“: Ziel dieses Stabilisierungsgesprächs ist es, die Motivation zu steigern und die Arbeitsfähigkeit durch individuelle Lösungen zu erhalten, eventuell Konflikte zu klären oder einen aufrechten Psychologischen Arbeitsvertrag herzustellen. Möglicherweise hat die Führungskraft eine Entwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht wahrgenommen. Angesagt sind öffnende Fragen, einfühlsames Zuhören, Information über Beweggründe, gefolgt von der Suche nach passenden Lösungen, um das Gleichgewicht von Geben und Nehmen wieder herzustellen.

5. „Kann noch nicht! Will gerne!“: Dieses Fördergespräch führen Vorgesetzte typischerweise mit neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ziel ist es, den Entwicklungsbedarf zu klären und Unterstützungsmöglichkeiten zu eruieren.

6. „Kann nicht mehr! Will gerne!“: Ein Arbeitsbewältigungsgespräch führen Vorgesetzte zum Beispiel nach längeren Abwesenheiten der Mitarbeiter durch Karenzen oder Krankheiten beziehungsweise dann, wenn die Leistungsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen stark sinkt. Hier geht es darum, individuelle Lösungen zu finden, zum Beispiel Arbeitsanforderungen und -zeiten zu ändern oder gegebenenfalls Ausstiegsszenarien zu entwickeln. Entscheidend für die Lösungssuche ist die Frage, ob der beeinträchtigte Zustand als dauerhaft oder als vorübergehend einzustufen ist.

7. „Kann nicht! Will nicht!“: In einem Korrekturgespräch definieren Führungskraft und Mitarbeiter Leistungsziele und Unterstützungsangebote sowie realisierbare Sanktionen für den Fall weiterer Leistungsprobleme. Am besten ist hier ein mit allen Beteiligten (insbesondere Personalabteilung und Betriebsrat) abgeklärter Stufenplan.lesitungsprobleme

Wie Unternehmen mit dieser neuen Form der Mitarbeitergespräche umgehen, sollen zwei Praxisbeispiele illustrieren.