Die Studie des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) und der prospect Unternehmensberatung zur Evaluierung sozialer Unternehmen, die arbeitsuchende Menschen in sozialversicherungspflichtige Jobs bringen sollen, erschien im November 2014; und damit zu einer Zeit, in der sich der österreichische Arbeitsmarkt stark wandelt. 

Krank im Urlaub
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Historische Umwälzungen am Arbeitsmarkt

Seit letztem Winter steigen die Arbeitslosenzahlen im Vergleich zu den Vorjahren auf Rekordniveau. Das liegt nicht nur daran, dass Statistik Austria ihre Methode zur Hochrechnung der Arbeitslosenquote geändert hat und damit nun etwas höhere Raten vorliegen als bislang publiziert. Mit Ende März hatten 428.519 Menschen keinen Job. Das sind 6,5 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Diese Entwicklung ist laut Bundesarbeitsministerium vor allem der Jobsituation in der Leiharbeit (minus 16,4 Prozent) und am Bau (minus 14,3 Prozent) zuzuschreiben. Auch die ebenso konjunkturabhängige Branche der Warenproduktion meldet rückläufige Beschäftigungszahlen. Arbeitsminister Rudolf Hundstorfer zufolge bieten lediglich der Tourismus, das Gesundheitswesen, das Transportwesen sowie der Kommunikations- und Informationsbereich in steigendem Maße Jobs an. Dennoch verbuchte Österreich im vierten Quartal 2014 bei der Zahl der offenen Stellen das zweitschlechteste Ergebnis im Vergleich der 28 EU-Staaten.

Der heimische Arbeitsmarkt gerät zusätzlich durch eine Agenda unter Druck, mit der die Europäische Kommission seit Mai 2010 zumindest 21 Mitgliedsstaaten – darunter auch Österreich – 100 Maßnahmen vorschreibt, um ihre Gesellschaften aus der Industrieära ins Informationszeitalter zu führen. Durch die „Digitale Agenda für Europa“ werden in der Praxis aktuell Tausende Jobs durch Automation wegrationalisiert, neue Geschäftsideen müssen gefunden werden. Im Zuge dessen nehmen flexible Beschäftigungsformen wie zum Beispiel Werkverträge zu. Die Digitalisierung befördert zudem neue Unternehmenskulturen, die von Mitarbeitern andere soziale und fachliche Kompetenzen erfordern als von ihnen bisher in vielen traditionellen Berufen verlangt. Diese Entwicklung bedeutet für die aktuell 3.398 Millionen unselbstständig Beschäftigten und alle Arbeitslosen jede Menge Wandel; für dessen Bewältigung guter Rat teuer und bisweilen rar ist, weil die Zukunft allzu ungewiss ist.

Dieser Trend zur Verknappung relativ sicherer, unbefristeter Festanstellungsverhältnisse kollidiert mit dem demografischen Wandel in Österreich. Die Tageszeitung „Kurier“ berichtete im Februar 2015 unter Berufung auf die Altersstatistik der Republik, dass in diesem Jahr über eine Million Menschen in Österreich arbeiten, welche 50 Jahre oder älter sind. Nach Meinung der WIFO- und prospect-Autoren wird diese Gruppe künftig weiter wachsen; zumal ihnen der Staat den Zugang zur Frührente erschwert. Immer mehr ältere Menschen würden daher auf Jobsuche sein; wodurch sich auch viele Personen mit gesundheitlichem Handicap bewerben.

Das AMS krempelt sein Fördersystem um

In dieser Zeit des Wandels reformiert das AMS nun seit Sommer letzten Jahres einige seiner Fördermaßnahmen. Konkret wurde das auf Wien konzentrierte Kurssystem kulturell gewandelt: Statt auf Zuweisung und Order setzt man in der Wiener Zentrale nun mehr auf Mitbestimmung. Dazu strich das AMS die meisten seiner Aktivierungskurse und ersetzte sie durch sogenannte „AMS-Jobwerkstätten“. In diesen wählen Arbeitsuchende freiwillig zwischen Modulen, wie zum Beispiel Schreibwerkstätten, Übungsassessments für Aufnahmeverfahren oder Kurse zum Umgang mit Stress und Konflikten. Persönliche Begleiter beraten und betreuen die Kandidaten. Nun sitzt kein Personalchef mehr in Bewerbungskursen.

Nicht nur das Kursmodell wurde umgestellt. Seit Juni 2014 bietet das AMS zum Beispiel bundesweit eine adaptierte Kombilohnbeihilfe an; und zwar unter anderem für vollversicherungspflichtig Beschäftigte (mindestens 30 Wochenstunden), die länger als 182 Tage arbeitslos gemeldet waren und über 45 Jahre alt sind, wiedereingestiegen oder gesundheitlich eingeschränkt sind.

Noch eine Baustelle:
Gemeinnützige Arbeitskräfteüberlasser

Die Adaption der Kombilohnbeihilfe entspricht einer Reform, welche die Studienautoren von WIFO und prospect im Zuge ihrer Bewertung gemeinnütziger Arbeitskräfteüberlasser (GAÜ) vorgeschlagen hatten. Sie hatten nämlich festgestellt, dass viele entleihende Arbeitgeber sich lediglich die angebotene finanzielle Förderung abholen und die Überlassenen nicht wie vom AMS beabsichtigt langfristig beschäftigen. Das ist für den Staat insofern ärgerlich, weil das AMS in 2009 im Zuge der Wirtschaftskrise und der damit verbundenen Zeitarbeitskrise die GAÜ unter erheblichen Kostenaufwendungen stark ausgeweitet hatte. Im Zuge dessen seien auch die Mitnahmeeffekte stark gestiegen, so WIFO und prospect. Die Autoren schätzen den Anteil der Mitnahmen auf 50 Prozent der Förderfälle.

Obwohl Firmen offenbar erheblich von der GAÜ profitieren, sind es doch verhältnismäßig wenige, die das Angebot überhaupt in Anspruch nehmen. Kritisch sehen die Studienautoren nämlich die vorliegenden Leasingquoten: Bundesweit seien zwischen 2005 und 2012 nur ein Viertel aller zu verleasenden Personen überlassen worden, in Wien war es sogar nur jede fünfte Arbeitskraft. Dabei haben die GAÜs im genannten Zeitraum in 48.370 Fällen Arbeitssuchende bei der Jobsuche unterstützt. Dazu hatten sie diese in ihren Projekten angestellt, betreut und teilweise qualifiziert, um sie Arbeitgebern zu überlassen.

Die Zurückhaltung der Firmen könnte damit zusammenhängen, dass die Zielgruppe der GAÜ in der Privatwirtschaft allgemein nicht einfach zu vermitteln ist: Es handelt sich meist um Personen, die wenig qualifiziert sind (54,9 Prozent haben lediglich einen Pflichtschulabschluss, 28,3 Prozent verfügen über einen Lehrabschluss), Notstandshilfe beziehen, ein niedriges letztes Erwerbseinkommen hatten und lange Phasen der Beschäftigungslosigkeit erlebten. Zudem waren 39,3 Prozent der Geförderten zwischen 45 und 64 Jahre alt.

Die Zielvorgaben des AMS dürften den GAÜs zusätzlich ihren Job erschweren. So müssen diese zum Beispiel die durchschnittlichen Stehzeiten unter ihren Transitarbeitskräften bei unter 30 Prozent halten. Die Studienautoren schließen außerdem aus ihren Beobachtungen, dass GAÜs gefordert sind, kurzfristig zu vermitteln. Für 50 Prozent der Teilnehmer endet die Maßnahme nämlich schon nach spätestens einem Monat. Nach drei Monaten verblieben lediglich rund 20 Prozent der ursprünglichen Teilnehmer im Projekt, in Wien seien es sogar noch weniger. Offenbar suchen die GAÜs Menschen mit relativ wenig Vermittlungshemmnissen aus.

Derartige kurzfristige Vermittlungen mehrheitlich Niedrigqualifizierter sind offenbar gut in Betrieben möglich, die zum Beispiel im Lebensmittelhandel, in der Großbäckerei, im Filialgeschäft, in der Reinigung und Parkraumbewirtschaftung tätig sind. Das zeigt zumindest ein Blick in die Referenzlisten von Wiener GAÜs. In vergleichsweise weniger Fällen konnten Hochqualifizierte wie Ärzte oder Programmierer vermittelt werden.

Reformoptionen:
Arbeitsmarktexperten sprechen

Um Reformoptionen zu entwickeln, interviewten die Studienautoren zwischen November 2013 und Jänner 2014 elf AMS-Experten, darunter Führungskräfte der AMS Landesgeschäftsstellen Wien, Nieder- und Oberösterreich sowie Steiermark, der AMS Bundesgeschäftsstelle, Vertreter des Bundessozialamtes, von Trägerorganisationen, aus der AK Wien und der Industriellenvereinigung.

Die Experten bezweifeln, dass die im AMS-Kontext übliche, eher kurzfristige und auf Arbeitsmarktintegration abzielende Bewertung für diesen Fördertyp adäquat ist. Einig sind sich die Befragten allerdings darin, dass der Bedarf an geförderter Beschäftigung steigen wird. Zu überlegen sei daher, wie soziale Unternehmen und damit auch GAÜs erfolgreicher gemacht werden könnten. Die Experten empfehlen keine Ausweitung, stattdessen aber eine qualitative Optimierung. Diese Reformen schlugen sie vor:

Ausdifferenzierung geförderter Beschäftigung durch eine andere inhaltliche Gestaltung und Transitdauer. Bei Menschen mit psychischen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen reiche die aktuelle Maximaldauer nicht aus.

Ansiedelung von Beschäftigungsprojekten direkt in der Privatwirtschaft.

Koppelung der Eingliederungshilfe an die Bereitschaft von Betrieben, aus- und weiterzubilden.

Mehr spezifische Kombilohnmodelle.

Aus- und Aufbau von Kombinationen von Jobcoaching und Eingliederungsbeihilfe, um jenen AMS-Kunden den Zwischen-schritt über eine Transitmitarbeit in einer GAÜ zu ersparen, die gute Reintegrationschancen am ersten Arbeitsmarkt haben.

Aus- und Aufbau von inhaltlich und zeitlich flexiblen Maßnahmen, um auch Arbeitgeber abzuholen, die ihren Personaleinsatz sehr flexibel planen.

Aufbau eines Monitorings zur begleitenden Beobachtung qualitativer Lern- und Entwicklungsfortschritte unter Einbeziehung relevanter Begleitumstände und Ausgangssituationen der Teilnehmer.

Die Zeit für Rezepte ist vorbei

Ob das AMS einige dieser Empfehlungen berücksichtigt, wird die laufende Budgetdebatte in der Landeshauptstadt zeigen. Sicher ist aber jetzt schon, dass angesichts der Wirtschaftsumwälzungen Firmen künftig noch weniger Kapazitäten haben, um Menschen mitzunehmen, die nicht mit der richtigen Kompetenz eigenverantwortlich an der richtigen Stelle im Unternehmen stehen. Die Systemkrise kann nicht zu geförderten Konditionen auf die Privatwirtschaft abgewälzt werden. Die Leute, die Firmen nicht mitnehmen, um selbst zu überleben, holen sie auch nicht für billiges Geld. Denn die Arbeitswelt veräußert in großem Stil Berufe. Es gilt, ein Pferd in vollem Galopp umzusatteln. Und dafür gibt es kein Rezept, sondern es zählen Erfahrung, Fingerspitzengefühl, Beobachtungsgabe und Mut zum Handeln.

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Quelle: personal manager -  Zeitschrift für Human Resources | Ausgabe 3 Mai / Juni 2015

Fotocredit: Beate Klinger | www.pixelio.de