Herr Wilbers, woran scheitern E-Learning-Projekte in Unternehmen besonders häufig?

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Foto von Glenn Carstens-Peters

Besonders häufig versäumen es die Initianten von E-Learnig in den Unternehmen, die so genannten Stakeholder mit einzubeziehen. Das läuft zu häufig so: Eine relativ kleine Gruppe von Verantwortlichen aus der Fach- oder Personalabteilung initiiert das Projekt, kapselt sich darin ein, wurstelt so vor sich hin und wundert sich später, dass niemand das fertige Produkt verwenden will. Damit das nicht geschieht, muss man die Stakeholder frühzeitig einbinden.

Wer zählt zu den Stakeholdern?

Der Begriff „stake“ lässt sich ja mit „Spieleinsatz“ übersetzen. Wenn man E-Learning- Projekte implementiert, kann man das mit einem Spiel vergleichen: Es gibt Betroffene, die gewinnen, aber unter Umständen auch einige, die verlieren. Grundsätzlich müssen alle Menschen, die etwas zu gewinnen oder verlieren haben, in das Projekt integriert werden. Dazu gehören die späteren Nutzer, deren Kollegen und Chefs, die Unternehmensleitung, die Führungskräfte in verschiedenen Abteilungen sowie der Betriebsrat. Hinzu kommen IT-Abteilung, Personalabteilung, Marketing und Vertrieb. Unter Umständen können Kunden integriert werden oder externe Berater beziehungsweise IT-Dienstleister.

Welche Probleme können bei der Integration der Stakeholder auftauchen?

Die Herausforderung ist, alle Beteiligten einzubinden, ohne dass die vielen Köche den Brei verderben. Es hilft also nicht, alle an einen runden Tisch zu setzen. Stattdessen sollte man vorab analysieren und festlegen, wann man welche Stakeholder wie beteiligt. Das kann von der einfachen Information bis hin zur Einbindung in eine Projektsteuergruppe reichen. So werden die Projektverantwortlichen noch in der Konzeptionsphase einen ersten Kontakt zur IT-Abteilung aufnehmen, um über das geplante ELearning- Projekt zu sprechen. Konkrete Absprachen können dann zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

Wie können die Projektverantwortlichen Kritiker überzeugen?

Verhinderer können auf allen Ebenen des Unternehmens auftauchen. Manchmal ist die ganze Unternehmenskultur gegen das Projekt – zum Beispiel dann, wenn Lernen während der Arbeitszeit nicht akzeptiert wird. In diesem Fall müssen die Projektverantwortlichen parallel die Kultur der Organisation ändern und einen Change-Prozess anstoßen. Oft sind einzelne Stakeholder gegen das Projekt. Einzelne Trainer in den Personalabteilungen haben möglicherweise Angst, dass E-Learning ihre Arbeitsplätze gefährden könnte, weil Präsenztrainings wegfallen. Entscheidend ist nun, wie die Geschäftsleitung das Projekt kommuniziert. Sie sollte von Anfang an klarstellen, dass die Trainer beim E-Learning zwar eine andere Rolle einnehmen als im Präsenztraining, dass sie aber dennoch dringend benötigt werden, um die Mitarbeiter im Umgang mit den neuen Medien zu schulen und sie im Lernprozess zu begleiten.

Einige E-Learning-Projekte scheitern auch an den falschen Erwartungen der Initiatoren. In welchen Bereichen lässt sich E-Learning sinnvoll einsetzen?

Die traditionelle Antwort lautet: E-Learning lässt sich für die Vermittlung von Fachwissen einsetzen. Doch es gibt gute Anhaltspunkte dafür, dass die Einsatzmöglichkeiten darüber hinausgehen und man auch überfachliche Kompetenzen, wie zum Beispiel Sozialkompetenz oder interkulturelle Kompetenzen, mit E-Learning ausbilden kann. Diese Soft Skills werden im Arbeitsleben immer wichtiger und der Bedarf, sie zu schulen, steigt entsprechend. Natürlich wird die Vermittlung von Faktenwissen via E-Learning weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Aber auch darüber hinausgehende Konzepte sind möglich.

Wie könnten denn E-Trainings aussehen, die interkulturelle Kompetenz schulen?

Über E-Learning können Trainer den Lernenden nicht nur das interkulturelle Fachwissen vermitteln, sondern sie auch für bestimmte Situationen sensibilisieren. Nehmen wir ein Beispiel aus der Ausbildung von Lehrern. Der Dozent kann den Studenten einen Vortrag über multikulturelle Erziehung halten. Alternativ dazu kann er ihnen auch eine kurze Videosequenz vorspielen, die zeigt, wie ein türkischer Junge eine deutsche Lehrerin auf Türkisch anschreit. Anschließend folgen Refl exionshilfen in Form von Fragen oder Aufträgen. Die Studenten müssen beispielsweise beschreiben, wie sie die Situation einschätzen, wie sie den Schüler wahrnehmen und wie sie sich an Stelle der Lehrerin verhalten hätten. So werden sie angeregt, die Situation im Kopf durchzuspielen. Über Chats und Foren könnten sie sich untereinander austauschen. Solche Lösungen lassen sich in interkulturellen Trainings ebenso realisieren wie in der Lehrerausbildung.

Wie sieht die Zukunft des Corporate E-Learnings aus Ihrer Sicht aus?

Schwer zu sagen. Insgesamt geht der Trend schon seit Jahren hin zu einem Mix aus Lernformen – also Blended Learning. Neue Konzepte wie Rapid E-Learning werden voraussichtlich auch in Zukunft genutzt werden, um Faktenwissen und Experten-Know-how rasch zugänglich zu machen. Entscheidend wird sein, wie wir die unterschiedlichen Möglichkeiten des ELearnings sinnvoll nutzen. Ich wünsche mir, dass E-Learning viel weniger spektakulär auftritt, sondern eben zum ganz normalen Werkzeugkasten der Personal- und Unternehmensentwicklung gehört.

Interview: Bettina Geuenich

Literaturtipp

Stolpersteine beim Corporate E-Learning.

Stakeholdermanagement, Management von E-Learning-Wissen, Evaluation.

Hrsg. von Karl Wilbers. Oldenbourg 2005.

Quelle: personal manager 5/2005