Kontakte zu pflegen war nie so wertvoll wie heute. Ohne Networking läuft nichts. Längst knüpfen nicht nur „Old Boys“ an ihren Netzen, auch junge Entrepreneure können ihre Ideen ohne weit gefächerte Geschäftskontakte kaum vermarkten. Und auch Stellenbewerber brauchen ein gutes Kontaktnetz. Inzwischen gebe „Vitamin B“ bei der Hälfte aller zu besetzenden Positionen den Ausschlag, so behaupten Insider.

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Foto von Product School

Im Berufsalltag erfolgreich zu sein, hängt also zunehmend davon ab, wie geschickt man eigene Kontakte ins Spiel bringt und neue Kontakte knüpft. „Intelligentes Beziehungsmanagement“, schreibt Christine Öttl in ihrem Buch „Networking“, „ist längst nichts Verwerfliches mehr.“

Anders formuliert: „Netzwerken“ ist eine wichtige Schlüsselkompetenz im betrieblichen Kontext – und gehört deshalb auf die Agenda der Personalentwicklung. „Wir achten immer mehr darauf“, bestätigt Michael Louis, bei der Mindjet International GmbH in Alzenau für Personalmanagement zuständig, „wie sehr sich Bewerber in Netzwerken engagieren.“

Doch Öttls Diagnose wird im Alltag widerlegt, und Michael Louis steht mit seinem Einstellungskriterium eher allein auf weiter Flur. „In Deutschland“, beobachtet Miriam Keul, die sich als „Network-Angel“ verdingt, „scheuen Menschen davor zurück, auf andere zuzugehen.“ Das gilt auch für die Arbeitswelt. Wie es ihr scheint, sind Unternehmen weit davon entfernt, ihre Mitarbeiter – zumindest in dieser Hinsicht – gezielt zu fördern.

Aufeinander zugehen – Fehlanzeige

 

Dieses psychologisch interessante, aber betriebswirtschaftlich unentschuldbare Phänomen führt Keul auf zwei Ursachen zurück. Zum einen werde ein direktes, ungezwungenes Auftreten im betrieblichen Alltag mit dem „sich Anbiedern“ eines Staubsaugervertreters identifiziert. Zum anderen möchte man nicht als Bittsteller erscheinen und womöglich etwas preisgeben.

„In deutschen Firmen möchte jeder derjenige sein, der angesprochen wird. Das hat schon fast Audienzcharakter.“ Ungezwungenes Aufeinander-Zugehen: Fehlanzeige. Die Flut von Ratgebern à la „Benimm im Business“, „Small Talk“ oder „Keine Angst vor dem Erröten“ hat hier wohl ihre Wirkung völlig verfehlt.

Dieses Verhalten ist in tief gestaffelten Hierarchien „systemimmanent“. Es sollte von einer Personalentwicklung, die Partizipation auf ihre Fahnen schreibt und Mitarbeitern konkrete Chancen eröffnen will, eigentlich vehement attackiert werden. Doch die Strukturen machen selbst Veränderungswilligen das Leben schwer. Wo kreative, kommunikative „Network Champions“ sitzen, fällt ihr Talent Keul zufolge aber „den Stellungskriegen der Abteilungen“ zum Opfer. Eingeschüchterte Mitarbeiter interessieren sich nicht mehr dafür, wer aus einer anderen Abteilung wichtig sein könnte für die Erledigung einer Aufgabe. Keul: „Wer sich zu weit nach vorn wagt, wird zurückgepfiffen.“

Auftrieb könnte dem Thema hingegen der Trend zur Matrixorganisation geben. In ihr, so weiß Juliane Barth, Vorstand der ICAS AG in Kiel, müsse viel mehr auf die Fähigkeit zu vernetztem Denken, partnerschaftlichem Verhalten und zur Kooperation geachtet werden. „Für die Zukunft ist Networking als Thema der Personalentwicklung deshalb unverzichtbar.“ Solche Forderungen stoßen allerdings auf massive Vorbehalte in der Wirtschaft, wie Stefan Grabmeier beobachtet. Grabmeier war beim Online-Broker Consors für den Aufbau von Netzwerkstrukturen verantwortlich und moderiert heute HR-Foren auf der Internetplattform Open BC.

Die Angst vor Kontrollverlust

 

Netzwerken braucht Rückhalt in den Chefetagen, doch dort interessiert das niemanden. „Die Wertschätzung von sozialen Kompetenzen fällt unter Entscheidungsträgern noch immer viel zu niedrig aus“, kritisiert auch Andreas Blank, Senior HR-Manager von Microsoft. Warum Top-Manager keine unmittelbare Notwendigkeit sehen, ins Networking zu investieren, hat demnach mehrere Ursachen. Weil es laut Grabmeier überwiegend als „Kaffeekränzchen“ diskreditiert werde, müssten Personalentwickler einen unmittelbaren Nutzen finden, von dessen Nachweis jegliche Budgetentscheidung abhängig sei. Deutlicher wird Blank. Für den Microsoft-Personaler sind die Vorbehalte der Manager „nicht selten“ in ihrer Angst begründet: „Sie befürchten, dass in informellen Kreisen Ideen entstehen könnten, über die sie die Kontrolle verlieren.“ Die Sicherung von Macht und Status läuft dem Konzept des „Gebens und Nehmens“ diametral entgegen. Nicht nur in Konzernen blockiert dieses Denken fortschrittliche Networkingkonzepte, auch in kleinen und mittleren Unternehmen ist laut Netzwerkexpertin Keul das „Beharrungsvermögen größer als die Bereitschaft zur Veränderung.“ Damit decken sich Studien, die Dietmar Treichel als Hochschullehrer und Chef der Tomcom GmbH in Lindau angefertigt hat. „Mittelständler lehnen es ab, ihren Mitarbeitern mehr Gelegenheit zum Networking und Lernen zu eröffnen. Sie befürchten, dass sie wegen des Kompetenzzuwachses abgeworben werden.“

Lernen vom legendären Nixdorf-Auftakt-Programm

 

Mancher wird sich verwundert die Augen reiben angesichts solcher Ignoranz. Man erinnere sich beispielsweise an Nixdorf und das legendäre „Nixdorf-Auftakt-Programm“ (NAP), als neue Mitarbeiter vom ersten Tag an mit der Firma und ihren Führungskräften auf Tuchfühlung gehen konnten. Innerhalb kürzester Zeit knüpften die neuen Mitarbeiter wichtige Kontakte in allen Unternehmensbereichen, berichtet Christine Dietrich, inzwischen bei Siemens Business Services auf höherer Managementebene für Change Management verantwortlich. „Noch heute profitiere ich von dem Netzwerk, das mir im NAP eröffnet wurde.“

Ebenso hochgeschätzt wird Networking bei Microsoft. Dort treffen Mitarbeiter quer über alle Bereichsgrenzen in „Learning Networks“ zusammen, bauen Hemmnisse ab und stiften sich untereinander zu neuen Höchstleistungen an. Damit werde die Kommunikation zwischen Organisationsbereichen gefördert und die Transparenz über die Qualifikationen in eigenen Reihen erhöht, erläutert HR-Manager Blank. „Uns ist wichtig, dass Mitarbeiter stärker voneinander lernen und ihre Kompetenz zum Networking weiterentwickeln.“

Dies sei eine betriebswirtschaftlich höchst wünschenswerte Entwicklung, findet auch Ex- Manager Bernhard Schmid. „Wenn alle das Gleiche denken“, sagt der erfahrene Firmenlenker süffisant, „wird bald nicht mehr gedacht.“

Network-Champions im ganzen Unternehmen aufspüren

 

Schmid, nach 15 Jahren Erfahrung in den Top-Etagen deutscher Unternehmen derzeit Beirat in zahlreichen Firmen und deshalb mit der Weltsicht vieler Entscheidungsträger vertraut, fordert HR deshalb auf, sich in den Chefetagen stärker als bisher fürs Networking einzusetzen. Mit dem etwas angestaubten Konzept der „Kamingespräche“ hat das freilich wenig gemein.

Schmids „Fahrplan“: Zunächst müsse die in Führungszirkeln weit verbreitete Angst abgebaut werden, dass über Netzwerke die eigene Machtbasis ausgehebelt werde. Im zweiten Schritt müsse die Personalentwicklung ihre oberste Managementebene dazu ermuntern, „Network- Champions“ im Unternehmen aufzuspüren, die über hohe kommunikative Fähigkeiten, persönliche Integrität und breite fachliche Erfahrungen verfügen. Drittens müssten diese „Network-Champions“ dann als „Impulsgeber“ insbesondere das informelle Networking fördern, wozu ihnen ein Mentor und Coach zur Seite stehen sollte.

Ein solches Engagement von Personalentwicklern ist längst überfällig. Denn immer mehr Fach- und Führungskräfte tummeln sich ohne Wissen des Brötchengebers in Internetnetzwerken wie LinkedIn oder Open BC (siehe Auswahl auf der folgenden Seite). Doch von der Kontaktarbeit dort profitiert das Unternehmen allenfalls mittelbar. Wahrscheinlicher ist, dass die Kontaktarbeit sich dort anderen Zielen zuwendet als von Unternehmen gewünscht.

Noch scheitert eine stärkere Hinwendung zum Netzwerken also in erster Linie an überkommenen Führungsphilosophien, die Mitarbeiter in ihrem natürlichen Entwicklungsimpuls stark einschränken und die Durchsetzung des Prinzips „Geben und Nehmen“ torpedieren. Als Vorbilder gesucht sind laut Microsoft-Manager Blank deshalb Führungskräfte, die „anders als autokratisch definierte Manager“ sich durch Natürlichkeit und Offenheit auszeichnen. „Denen es Spaß macht, nicht nur auf gleicher Ebene zu kommunizieren.

Quelle: personal-expo