Ein gutes Recruitinggespräch entsteht durch eine gute Gesprächsführung. Im Idealfall entwickelt sich ein aufmerksamer Dialog, der für Recruiter und Bewerber am Ende des etwa einstündigen Beisammenseins eine fundierte Entscheidung ermöglicht. Hierfür gibt es einige einfache, aber grundlegende Regeln:
- Nehmen Sie sich Zeit für das Gespräch.
- Bereiten Sie sich fundiert vor.
- Konzentrieren Sie sich auf den Bewerber.
- Gehen Sie auf Fragen und Antworten des Bewerbers gezielt ein.
- Stellen Sie keine Suggestivfragen.
- Fragen Sie nach, wenn etwas unklar ist.
- Setzen Sie das Gespräch immer dort fort, wo der Gesprächspartner endet.
Oft suchen Recruiter nach psychologischen Fangfragen, mit denen sie Blender entlarven wollen. Doch es gibt sie nicht. Mit zunehmender Erfahrung können Recruiter jedoch unscharfe Stellen im Gesagten ausmachen und konkret hinterfragen. Ein typisches Beispiel: Wenn ein Bewerber über seinen aktuellen Arbeitgeber in der Vergangenheitsform spricht, ist das fast immer ein Zeichen dafür, dass das Dienstverhältnis bereits aufgelöst wurde – auch wenn der Lebenslauf etwas anderes angibt.
Es gibt fünf Themenbereiche, die Bewerbungsgespräche abdecken sollten. Deren Abfolge kann variieren, doch es sollte eine Gesprächsstruktur erkennbar sein, die den Gesprächsführern und den Bewerbern Orientierung gibt.
1. Der Lebenslauf
Erfahrungen und Kenntnisse lassen sich sehr gut anhand des Lebenslaufes besprechen. Auch Verhaltensmuster wie das Jobhopping können Recruiter aus einem Lebenslauf herauslesen. Die gesellschaftliche Einstellung zum Jobwechsel hat sich allerdings in den vergangenen Jahrzehnten deutlich geändert. Nur noch wenige Mitarbeiter arbeiten ihr ganzes Leben für ein Unternehmen. Zudem gibt es branchenabhängige Unterschiede.
Mitarbeiter aus dem Gastgewerbe wechseln häufiger den Job als Angestellte der Bankenbranche. Generell gilt: Je länger die Ausbildung ist, desto länger sollte nach den ersten Einstiegsjahren die Betriebszugehörigkeit sein. Gerade am Beginn des Berufslebens akzeptieren Personalisten Unternehmenswechsel. Danach sollte die Dauer der Arbeitsverhältnisse steigen. Wenn sich im Lebenslauf viele sehr kurze Dienstverhältnisse – von wenigen Monaten bis zu eineinhalb Jahren Länge – aneinanderreihen, ist aus Sicht der meisten HR-Verantwortlichen Vorsicht angeraten.
2. Die aktuelle Tätigkeit
Die Aufgaben der letzten Monate und Jahre liefern wertvolle Informationen zur fachlichen Ausrichtung und zu den Karriereplänen eines Bewerbers:
- Über welche und wie viel Erfahrung, Wissen und Kenntnisse verfügt der Bewerber?
- Welche Aufgaben und Tätigkeiten passen optimal zu dieser Persönlichkeit?
- Welchen Arbeitstyp verkörpert der Kandidat und wie sollte für ihn die Arbeit optimal strukturiert sein?
- Welche Erwartungen hat er an die neue Position und welche Karrierepläne?
Ausgeprägtes Fachwissen zeigt ein Bewerber zum Beispiel, wenn er zukünftige Entwicklungen in einem bestimmten Aufgabenbereich einschätzen kann und Branchenwissen besitzt, etwa Kenntnisse über Mitbewerber. Hier offenbart sich, ob der Kandidat auch über die eigene Aufgabe hinaus Interesse und Engagement mitbringt.
Das Engagement eines Mitarbeiters in der zukünftigen Position hängt aber auch davon ab, ob er Bedingungen vorfindet, in denen er sich gut entfalten kann. Welche Rahmenbedingungen benötigt ein Bewerber, um optimale Ergebnisse zu liefern? Braucht er Freiraum oder klare Strukturen, Abwechslung und Herausforderung oder konstante Arbeitsabläufe? Je nach Arbeitstyp ist eine andere Umgebung gefragt. Denn Menschen, die Abwechslung benötigen, sind in sehr geregelten und konstanten Arbeitsbedingungen nicht erfolgreich, und wer ein konstantes Umfeld benötigt, verzweifelt in flexiblen Projektorganisationen.
3. Arbeitssituationen
Arbeitssituationen zeigen die Arbeitsweise und die Sozialkompetenzen des Bewerbers.
- Wie ist der Bewerber in schwierigen oder erfolgreichen Arbeitssituationen vorgegangen?
- Was hat den Erfolg ausgemacht oder was hat er aus dem Misserfolg gelernt?
- Wer war für den Erfolg oder Misserfolg verantwortlich?
- Was ist „Erfolg“ aus Sicht des Bewerbers?
Menschen definieren „Erfolg“ sehr unterschiedlich – und vielen fällt es schwer, berufliche Erfolge aufzuzählen. In diesen Fällen bietet es sich an, die Kandidaten zu fragen, worauf sie in ihrem Leben wirklich stolz sind, was sie erreicht haben oder erreichen möchten. Antworten auf diese Fragen zeigen zum Beispiel, welche Ziele ein Bewerber verfolgt und welchen Stellenwert Work-Life-Balance für ihn hat.
4. Die Erwartungen des Bewerbers
Die Bewerber müssen in Vorstellungsgesprächen erklären können, warum die ausgeschriebene Position für sie attraktiv ist. Führungskräfte sind darüber hinaus gefragt, darzustellen, was sie in der Position gestalten und umsetzen wollen. Der Recruiter wiederum will herausfinden, was der Bewerber wirklich will und ob seine Erwartungen zur ausgeschriebenen Stelle passen. Wenn eine Stelle keine Auslandsaufenthalte vorsieht, kommt sie für Bewerber, die gerne im Ausland arbeiten, nicht in Frage – auch wenn die Anforderungsprofile grundsätzlich zum Job passen. Diese Erwartungshaltungen gilt es abzuwägen.
5. Der Wechselwunsch
Die Erwartungen an eine neue Stelle sind meist groß – alles das, was der aktuelle Job nicht erfüllt, erhoffen sich Bewerber vom neuen. Die Frage nach dem Wechselwunsch ist jedoch eine der heikelsten im Gespräch. Die Kandidaten müssen begründen, warum sie ihren aktuellen Arbeitgeber verlassen wollen, dürfen aber gleichzeitig keine negativen Aussagen über die derzeitige Firma machen oder gar vertrauliche Informationen weitergegeben. Recruiter sind hier besonders gefordert, herauszufinden, warum ein Bewerber den Neuanfang wagt: Wenn sich eine Führungskraft beispielsweise als sehr umsetzungsstark präsentiert, stellt sich die Frage, warum es ihr in der aktuellen Firma nicht ausreichend gelungen ist, ihre Vorstellungen durchzusetzen.
Fast alle Unternehmen setzen Recruitinggespräche in der Personalauswahl ein, oft kombiniert mit Testverfahren. Arbeitgeber verlassen sich beim Recruiting somit vor allem auf eines: die persönliche Erfahrung und Einschätzung der Vorgesetzten und/oder Personalisten. Ein großer Vertrauensvorschuss für die Rekrutierenden und ein hohes Risiko für die Unternehmen. Bei falschen Entscheidungen haben sie in etwa ein Jahresgehalt fehlinvestiert und das sind meist mindestens 40.000 bis 50.000 Euro – nach oben hin offen.
Wie können Recruiter also das Bewerbungsgespräch gestalten, um eine optimale Auswahl zu garantieren?
Gute Bewerbungsgespräche beginnen mit der Vorbereitung: Termingestaltung, Raumreservierung, Wartezonen, in denen sich die ankommenden und verabschiedenden Bewerber nicht begegnen, und ein Getränkeservice gehören genauso dazu wie das Vermeiden von langen Wartezeiten.
Teil des professionellen Recruitings ist darüber hinaus eine gute fachlich-inhaltliche Vorbereitung auf das Gespräch: Das Recruitingteam, das häufig aus der Führungskraft und dem Recruiter besteht, setzt das Anforderungsprofil und die Bewerbungsunterlagen zueinander in Bezug, vermerkt alle Besonderheiten und notiert relevante Fragen. Neben Fachfragen erarbeiten erfahrene Recruiter auch Fragen zu erfolgskritischen Sozialkompetenzen wie zum Beispiel der Teamfähigkeit, also der Fähigkeit, mit anderen gemeinsam konstruktiv an Zielen oder Lösungen zu arbeiten. Der erfahrene Recruiter wird den Bewerber nach realen Situationen fragen, in denen er diese Teamfähigkeit bereits gezeigt hat.
Situationen, in denen es zum Beispiel schwierig war, im Team zusammenzuarbeiten oder in denen andere Teammitglieder nicht kooperierten. Er wird fragen, ob und wie sich die Situationen gelöst haben und welchen Beitrag der Bewerber dazu leistete. Schließlich bedarf es einer Abstimmung innerhalb des Recruitingteams: Wer übernimmt welchen Teil im Gespräch und welche Themen und Fragestellungen sollten auf jeden Fall darin vorkommen?
Im Erstgespräch geht es darum, sich gegenseitig kennenzulernen. Hat der Bewerber die richtigen Voraussetzungen und passt er in das Unternehmen und das Team? Die wesentlichen Themenbereiche sind:
- Fachkenntnisse
- Führungserfahrung
- Sozialkompetenz
- Gründe für den Wunsch zu wechseln
Im Zweitgespräch sprechen die Recruiter alle Fragestellungen an, die im ersten Termin offen geblieben sind. Hinzu kommen vertiefende Fragen zu Facherfahrung und Sozialkompetenz. Ein Zweitgespräch lohnt sich auch deshalb, weil viele Bewerber darin anders auftreten als beim Ersttermin. Während sie das erste Gespräch meist als Chance empfinden und entsprechend positiv gestimmt sind, haben sie beim zweiten nur noch ein bis drei Konkurrenten. Die Chancen sind noch höher, doch damit steigt auch die Nervosität. Dieser Stress verstärkt auch persönliche Eigenschaften wie Dominanz oder Unsicherheit. Das heißt, die Bewerber sind weniger gut in der Lage, sich zu verstellen.
In vielen Unternehmen gibt es auch heute noch keine professionelle Personalauswahl. „Wir probieren die Zusammenarbeit einmal aus und schauen, ob’s klappt“, lautet oft die Devise. Doch auf dem immer enger werdenden Arbeitskräftemarkt werden langfristig jene Unternehmen die Nase vorn haben, die sich personell rechtzeitig und richtig positioniert haben – mit einer konsequenten Recruitingstrategie und deren wichtigstem Instrument: einem professionell geführten Recruitinggespräch.
Jede erfolgreiche Recruitingstrategie beginnt mit einer Reihe von Fragen:
- Welche Aufgaben erfüllen unsere Mitarbeiter zurzeit?
- Welche Kompetenzen haben wir und welche benötigen wir in der Zukunft?
- Wie werden sich Markt und Geschäft entwickeln?
- Wie sind wir am Arbeitgebermarkt derzeit positioniert?
- Wen möchten wir bei der Personalsuche ansprechen?
- Wo finden wir diese Personen?
- Wie wird sich unser relevanter Personalmarkt verändern?
- Wie wollen wir in Zukunft am Arbeitsmarkt wahrgenommen werden und welche Maßnahmen sind dafür notwendig?
Die Diskussion über diese Themen – im engsten Führungskreis eines Unternehmens – ist die Voraussetzung für ein erfolgreiches Recruiting in der Zukunft. Denn die Antworten zeigen, welche Kompetenzen für das Unternehmen künftig erfolgsrelevant sind. Auf ihrer Grundlage erstellen Recruiter Anforderungsprofile, die festlegen,
- welche Verantwortlichkeiten eine Position inne hat,
- welche Kompetenzen der Bewerber mitbringen sollte, um in dieser Position erfolgreich zu sein (fachliche Kompetenz und/oder Lernwilligkeit und -fähigkeit, Sozialkompetenzen),
- wo/wie er diese Kompetenzen erworben haben muss (Ausbildung/Erfahrung),
- wie die zukünftige Entwicklungen der Position aussehen soll und
- wie hoch die vorgesehene Dotierung ist.
All diese Informationen erhält der Recruiter von Vorgesetzten, Kollegen oder Vorgängern aus den jeweiligen Positionen. Sie bilden die Grundlage für die Auswahl derjenigen Bewerber, die das Unternehmen zu einem Recruitinggespräch einlädt.
Unternehmen verwenden viel Zeit und Geld darauf, die Besten zu finden. Den Erfolg sichern sie aber erst, wenn sie auch den Einstieg des neuen Mitarbeiters im Unternehmen optimal gestalten. Denn auch erfahrene Kräfte benötigen beim Einstieg ins neue Unternehmen umfassende Informationen über Computersysteme, Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten.
Im Idealfall naht der erste Arbeitstag und alles ist vorbereitet:
- Der neue Mitarbeiter hat die wesentlichen Informationen erhalten.
- Die Kollegen sind informiert.
- Der Arbeitsplatz ist vorbereitet.
- Ein Mitarbeiter begleitet die Einschulung.
Doch in den wenigsten Unternehmen gibt es gerade im Angestelltenbereich individuell erarbeitete Einschulungspläne und Verantwortlichkeiten. Die Unternehmen investieren sehr viel Geld in ihre Auswahlverfahren. Wenn es aber an der Einführung hapert, brauchen die neuen Mitarbeiter sehr lange, um die optimale Arbeitsleistung zu erbringen. Im schlechtesten Fall verlassen sie aus Enttäuschung nach kurzer Zeit wieder das Unternehmen.
Nicht zuletzt sollten Arbeitgeber die Probezeit und Befristung nutzen, um herauszufinden, ob der neue Mitarbeiter tatsächlich in das Unternehmen passt. Wie sehr entspricht er den Anforderungen? Wie zufrieden ist er mit dem Aufgabenbereich und der Arbeitsumgebung? Sind die ersten Monate zur Zufriedenheit beider Seiten verlaufen, endet der Recruitingprozess mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich mit dem Übergang ins unbefristete Dienstverhältnis.
Quelle: personal manager 4/2012