Es war Redaktionsalltag: Das Telefon schrillte an die 20 Mal – und hier spreche ich von ruhigen Tagen. Immer wieder waren Unternehmenssprecher und PR-Agenturen an der Strippe, die „etwas platzieren“ wollten. Eine Bank, ein Autohaus, ein Kommunikationsunternehmen. Als Journalist fühlt man sich da ganz schön genervt. Ich habe doch gar nichts davon, ein „Unternehmen einfach zu platzieren“. Doch es gab da auch die anderen. Solche, die etwas zu erzählen hatten. Sie erzählt von Chefs, dieeinfach alles hinschmeißen, eine Weltreise machen und als neue Menschen zurückkommen oder von Kaffee aus Österreich, den es sogar in Dubai zu erstehen gibt. Sie erzählten von Euphorie, steinigen Wegen, Unterstützern und Blockaden. Von Sehnsüchten, Ängsten, Hindernissen und Entscheidungen. Es waren die Geschichten, die mich ansteckten.

man and woman laughing while sitting in front of laptops
Foto von You X Ventures

1. Das Gehirn ist auf
Geschichten programmiert

Ob Journalist, Chef, Mitarbeiter, Assistentin, Kunde, Konsument, Ehemann, Ehefrau oder Kinder: Wenn wir etwas tun, wollen wir eines: Überzeugt davon sein. Geschichten machen komplexe Themen verständlich. Was wir erst einmal verstehen, das können wir einordnen. Und was wir einordnen können, dem können wir vertrauen. Und wenn wir vertrauen können, können wir überzeugt sein. Und dann tun wir es:

Es ist erwiesen: Informationen, die in Geschichten eingebunden sind, kann das Gehirn viel besser verarbeiten als eine Fakten-Sammlung. Geschichten ermöglichen es, Information mit dem Transportmittel der Emotion zu überbringen. Das Duett „Gefühl und Verstand“ ist nachweislich die beste Methode,um eine Botschaft dauerhaft zu verankern. Der Hippocampus dient als Kurzzeitspeicher von Einzelheiten, er ist das „Downloadmodul“ von neuen Lerninhalten, die im Langzeitspeicher der Großhirnrinde abgelegt werden. Wichtig ist, dass nicht Einzelheiten abgespeichert werden, sondern allgemeine Regeln und Zusammenhänge, die aus diesen unzähligen Einzelheiten abgeleitet werden. Lernen geschieht primär über das episodisch-kontextuelle Gedächtnis, und zwar am besten über Inhalte, die mit uns und unserer Umgebung zu tun haben, oder in denen wir uns irgendwie wiederfinden. Abstraktes Wissen ist kontextlos. Deshalb ist es schwer direkt zu vermitteln. Am meisten bringt es, Inhalte „lebensnah“ und kontextreich zu erzählen.

2. Warum wir das Sandkasten-
Drama noch heute spielen

Auf Geschichten sind wir schon von Kindesbeinen an trainiert. Erinnern Sie sich an den Sandkasten: Als Hansi Kathi an den Haaren zog, die dann Tommi rempelte und Hugo stieß, brach das Drama auf dem Spielplatz los. Was sagen wir den Eltern jetzt? Wer war’s denn nun? Wer hat angefangen? Wie waren die Rollen verteilt? Wer war der Held, wer der Arme, wer der Böse? Es fing damals an, als wir uns unseren Platz in unserem sozialen Umfeld erkämpfen mussten. Die überzeugendste Story hat immer noch gewonnen. Und das Beste: Daran hat sich bis heute nichts geändert!

Jedoch möchte ich vorweg einen Irrglauben aus dem Weg räumen: Wir müssen keine Geschichten „erfinden“. Geschichten wirken nur, wenn sie authentisch, wahrheitsgemäß und glaubhaft vermittelt werden. Doch das Wichtigste ist: Wir müssen sie erzählen! Was wir benennen, das existiert. Jedenfalls in den Köpfen – und im besten Fall auch in den Herzen unseres Publikums.

3. Was ist Ihre Story?

Wenn wir ein Unternehmen, ein Produkt oder uns selbst innerhalb einer Organisation bekannter machen wollen, ist die erste Frage, die wir uns stellen: Was habe ich zu erzählen? Was gibt es zu erzählen? Die brennendste Frage: Gibt es überhaupt etwas zu erzählen? Es macht Sinn, sich mit diesen Fragen sehr ausführlich auseinander zu setzen. Und eines kann ich Ihnen garantieren: Sie finden etwas.

Wechseln Sie bei den Erörterungen darüber, was Sie denn eigentlich zu erzählen haben, die Perspektive: Was könnte die anderen interessieren? Der Köder muss nämlich dem Fisch schmecken, nicht dem Angler! Es geht sehr schnell, dass wir andere mit unseren eigenen Verkaufsargumenten zutexten. Doch wie kommt das an?
So ist das auch im Alltag: Ihren potenziellen Chef in spe wird beim Vorstellungsgespräch etwas anderes interessieren als Ihren neuen Kollegen. Zum Beispiel, wo Sie Ihren Abschluss gemacht haben. Ihr Kollege aus dem einsamen Büro von nebenan ist mehr darauf aus, mit einem umgänglichen Menschen zusammenzuarbeiten: Was machen Sie in der Freizeit, haben Sie gemeinsame Interessen, trinken Sie auch Kaffee in den Pausen?, möchte er wissen. Der Nutzen Ihres Kollegen ist es, sich mit Ihnen die Arbeitspausen zu versüßen. Ihr Chef hingegen profitiert davon einen guten, verlässlichen und erfahrenen Mitarbeiter zu haben. So ist das auch mit Produkten: Einen Facebook-Fan interessiert etwas anderes als einen Journalisten, ein Handelsvertreter will andere Geschichten hören als Ihr Endkonsument. Target your audience – in allem, was Sie von sich erzählen. Das ist das Geheimnis effektiver Kommunikation.

4. Lernen Sie Ihre Rollen

Je besser Sie sich in Ihre Zielpersonen hineinversetzen können, wie sie denken, was sie fühlen, was sie wollen, desto erfolgreicher werden Sie sein. Nun ist das nicht bei jedem gleich einfach. Tipp: Schlüpfen Sie in eine andere Rolle. Die Rolle des Verkäufers ist eine andere Rolle als die des Beraters. Bei den meisten Selbstständigen und auch bei vielen Managern hängt der berufliche Erfolg mitunter direkt davon ab, ob sie die Rolle des Verkäufers begriffen haben und beherrschen. Wenn ich etwas verkaufen möchte, tue ich erst mal so, als wäre ich der Verkäufer.

Jetzt muss ich eine Geschichte in der Tasche haben. Eine Geschichte, die den möglichen Käufer davon überzeugt, einen von mir festgelegten Tauschwert für ein bestimmtes Gut zu bezahlen. Denken Sie wieder daran, dass nur authentische Geschichten nachhaltigen Erfolg bringen!

Die überzeugendsten Kaufargumente sind Erfolgsgeschichten. Wenn ich Ihnen erzähle, dass die britische Luxusmarke Burberry durch ihre Social Media-Auftritte über eine Million Fans generieren konnte, welche anschließend die Verkäufe in den Stores um 10 Prozent in die Höhe schnellen ließen: Sind Sie dann überzeugt, dass dieser Weg des Weitererzählens tatsächlich reale Erfolge erzielt? Oder gefällt Ihnen die Geschichte der Fastfoodkette Pizza Hut besser, die mit einem 50 Prozent Gutschein auf Bestellungen mit einer iphone App über eine Million Dollar zurückholen konnte?

5. Die eigene Erfolgsgeschichte
schreiben: Die Heldenreise

Auch unsere eigene Geschichte können wir als Erfolgsgeschichte schreiben. Die Geschichte wird zum Selbstcoaching-Instrument, das uns bei beruflichen, privaten und persönlichen Veränderungen hilft. Ein beliebtes Grundmodell für Erfolgsgeschichten ist die Heldenreise des amerikanischen Mythenforschers Joseph Campbell. Viele Hollywood- Filme sind nach dem Modell der Heldenreise aufgebaut. Zum Beispiel „Der König der Löwen“, „Herr der Ringe“, „Star Wars“ oder „Pretty Woman“ und viele mehr. Die Heldenreise verläuft in zwölf Etappen. Sie ist auch für das eigene Leben ein faszinierendes Modell, mit dem wir den Stift selbst in die Hand nehmen und unser Drehbuch selbst schreiben können. Auch ganz neu, wenn wir wollen (siehe Kasten).
Mit der Heldenreise können wir unser Unternehmen, unser Produkt und die Story dahinter für andere interessant machen, damit sie andere für uns weitererzählen. Was war Ihr Ruf des Abenteuers? Wer waren die Schwellenhüter? Wer waren die Mentoren? Welche Prüfungen mussten Sie bestehen – und wie haben Sie den Kampf gewonnen? Welchen Verlust haben Sie dabei erlitten? Was ist Ihnen am Rückweg klar geworden, und was machen Sie heute anders? Ich bin überzeugt, dass Ihre ganz persönliche Geschichte faszinierend ist. Erzählen Sie sie!

Die 12 Stufen der Heldenreise
Die eigene Geschichte leben

Das Modell der Heldenreise liegt vielen Hollywoodfilmen, Bestsellern, Songs und Lebensgeschichten zugrunde. Es hilft zum einen, die eigene Erfolgsstory (neu) zu schreiben und zum anderen, wirklich gute Geschichten zu erzählen. Jede Geschichte, aus der wir lernen und die wir uns merken, folgt diesem Muster. Mit der Heldenreise können wir uns selbst entwickeln und Erlebnisse und Erfahrungen neu einordnen und verstehen.

ERSTER AKT

1. Die gewohnte Welt

Die gewohnte Welt ist der Alltag, in dem sich immer mehr Unzufriedenheit breit macht. Es ist sicher und vorhersehbar, doch irgendetwas fehlt, irgendetwas passt nicht. Langsam wird das Gefühl immer größer, dass es dort draußen noch mehr gibt.

2. Der Ruf

Der Ruf kann eine Vision sein oder ganz einfach nur die Erkenntnis: „Jetzt reicht’s!“. Oft wird er von einem Herold überbracht. Dieser Bote kann jemand sein, der Sie inspiriert, es ihm nachzumachen. Jetzt ist die Zeit angebrochen, die Komfortzone zu verlassen. Das Abenteuer beginnt. Sind Sie bereit und sagen Sie ja?

3. Die Verweigerung des Rufs

Ja, nein oder vielleicht: Nach dem Ruf kommen Zweifel auf. Sie verweigern den Ruf. In dieser Phase ist der innere Kritiker besonders laut. „Schwellenhüter“ versuchen, Sie vom Ruf des Abenteuers abzuhalten, indem sie an Ihre Ängste und Unsicherheiten appellieren.

4. Die Begegnung mit dem Mentor

Diese Person(nen) gibt/geben dem Reisenden das Gefühl, dass sie genauso großartig sein können wie die Mentoren selbst. Sie machen Mut und bringen Sie in die richtige Richtung. Mentoren erwarten sich keine Gegenleistung.

5. Überschreiten der ersten Schwelle

An diesem Punkt machen Sie zum ersten Mal in Ihrer Reise etwas, das sich nicht rückgängig machen lässt: Eine Firma anmelden, den Job kündigen, eine Facebookseite für Ihr neues Produkt erstellen usw. Vielen Menschen fällt dieser Schritt so schwer, dass sie ihr Leben oft bis ans Ende in den gewohnten Bahnen verbringen.

ZWEITER AKT

6. Prüfungen, Feinde, Verbündete

Erste Veränderungen beginnen, der Kampf zwischen Gut und Böse fängt an. Sie erkennen, dass Sie Freunde und Feinde haben. Sie beginnen, mit der Veränderung zu experimentieren. Das macht Sie auch für sich selbst ein Stück unberechenbar. Auf dieser Stufe suchen Sie selbst noch nach Orientierung.

7. Vordringen in die tiefste Höhle

Jetzt wird alles klar. Zum ersten Mal sehen Sie jetzt das Ganze in seinem Ausmaß. Sie erkennen auch Ihren größten Feind – das kann eine Eigenschaft oder ein Verhalten von Ihnen selbst sein, z.B. Ihre Zurückhaltung. Genau das könnte Sie jetzt „den Kopf kosten“. Es ist der dramaturgische Höhepunkt der Story, der Tag des Showdowns.

8. Der Entscheidungskampf

Der Entscheidungskampf findet immer nach zwei Dritteln des Weges statt. Er ist der Wendepunkt, vor dem sich die Situation schon zugespitzt hatte. Es ist die Phase der größten Emotionen, der größten Ängste. Jetzt entscheidet sich alles: Gewinnen oder verlieren? Alles steht auf dem Spiel!

9. Die Belohnung

Das Ergreifen des Schwerts. Sie haben gewonnen! Jetzt sagen Sie: „Ja das ist es! Das möchte ich von jetzt an tun!“ Es wird gefeiert und gejubelt. Sie fühlen sich jetzt besonders lebendig und kraftvoll. Sie nehmen den Schatz des Sieges an sich, Ihr Selbstvertrauen ist gewachsen.

10. Der Rückweg

Sie kehren mit neuen Erkenntnissen und einem neuen Selbstverständnis zurück. Auch hier müssen wir uns aufs Neue wieder mit Ängsten und Zweifeln konfrontieren. Denn der Weg hat mit der Belohnung nicht aufgehört. In Wahrheit fängt er jetzt erst richtig an. An dieser Stelle trennen Sie sich von Menschen, die Sie nicht mehr brauchen.

11. Die Verwandlung

Diese Stufe ist die Zeit der Reinigung, des Verzeihens und der Versöhnung. Sie behalten das, was dienlich ist, und wenden sich diesem mit neuen Erkenntnissen zu. Sie verbinden sich erneut mit Ihren besten Seiten und dem Gelernten. Jetzt wenden Sie sich endgültig der großen Veränderung zu. Das Gute siegt über das Böse.

12. Rückkehr mit dem Elixier

Sie verbinden die gemachten Erfahrungen mit ihrem jetzigen Leben. Das Leben wird jetzt viel besser, reicher, lebendiger und intensiver. An diesem Punkt hat sich auch Ihr Umfeld verändert. Die Aufgabe, die am Anfang so unlösbar erschien, ist jetzt geschafft. 

SERVICE

Weiterführende Homepage

www.geschichtenwerk.at


Fotocredit: Sandra Nabbefeld (1) / www.pixelio.de
Fotocredit: Gerd Altmann (2) / www.pixelio.de
Fotocredit: Rolf van Melis (3) / 
www.pixelio.de

Quelle


LERNENDE ORGANISATION

Zeitschrift für Relationales Management und Organisation

N°73 Mai / Juni 2013

Verlag Relationales Management