1. Hintergrund

two women near tables
Foto von Blake Wisz

Vor dem Hintergrund externer Beratungstätigkeit begann der Autor vor einigen Jahren der Frage nachzugehen, ob und wie sich Spielsettings dazu eignen, Prozesse der Wissenskommunikation effizienter und effektiver zu gestalten. Daraus entstand der Game Based Development2-Ansatz (GBD) mit dem Ziel, Fach- und vor allem Erfahrungswissen in kürzerer Zeit mit stärkerer Eigenmotivation in konkrete Handlungen fließen zu lassen. Dieser Ansatz wurde seither in unterschiedlichsten Projekten zu einer eigenständigen Methode weiterentwickelt.

2. Bestehende Spielansätze und Abgrenzung

Der Einsatz von Spielen in Lernkontexten geht auf die im 20. Jahrhundert entstandene Erlebnispädagogik [Hah58] und im weiteren Sinn bereits auf Rousseau zurück. In der Gegenwart belegt der Erfolg zahlreicher Kompilationen [Rac00] den breiten Einsatz spielerischer Aktivitäten im Rahmen organisationaler Lern- und Entwicklungsmaßnahmen. Diese Art von Spielen hat im Wesentlichen zwei Ziele: die Aktivierung der Teilnehmenden im Sinne eines ‚ganzheitlichen Lernens’ und das Sichtbarmachen verdeckter – emotionaler oder gruppendynamischer – Dynamiken mithilfe nachfolgender Reflexionsphasen. Dabei steht, im Unterschied zu praktisch allen Unterhaltungs- oder sportlichen Spielen, das Erleben und in Folge das Erkennen von Bedeutungs- und Beziehungszusammenhängen im Vordergrund.

In jüngerer Zeit hat sich unter dem Überbegriff „Serious Games“ eine weitere Art von Spielen entwickelt. In der Regel handelt es sich hierbei um Computerspiele mit didaktischen Zielen, also nicht rein unterhaltungsorientierte, sondern „ernste“ PC-Games, daher die Zusatzbezeichnung [MiC05]. Dies können nun spielerische eLearning-Anwendungen zum Wissenserwerb sein, Simulationen zum Erkennen und Erlernen komplexer Zusammenhänge, oder videobasierte Rollenspiele, die die Spielenden in Interaktion mit menschlichen Videofiguren oder Avataren treten lassen, um das eigene Verhalten zu testen und im Sinne der Lernziele zu verbessern. „Serious Games“ haben also letztlich dieselbe Zielsetzung wie nicht PC-basierte Lernspiele.

Der hier dargestellte Game Based Development-Ansatz verfolgt hingegen ein anderes Ziel, nämlich: Spieldynamiken zu nützen, um bestimmte Wissensprozesse einfacher und eigenmotivierter zu gestalten. Es wird also hier, anders als bei Simulationen, keine Wirklichkeit vorweggenommen oder in Spielform dargestellt, vielmehr sind konkrete betriebliche Aufgabenstellungen als ‚Missionen’ eines Spiels in Teams zu lösen. Im Unterschied zu erlebnisorientierten Spielaktivitäten wiederum finden hier keine Reflexionen des Spielgeschehens statt.

Der verwendete Spielbegriff ist also ein relativ enger: Ein Spiel ist für uns die Teilnahme an einem künstlichen, regeldefinierten Konflikt, der in ein messbares Ergebnis mündet [SaZ03]. Die Einsatzgebiete des GBD sind dabei Wissensprozesse wie Implementierungs-, Optimierungs- und Personalentwicklungsvorhaben. Im Wesentlichen eignen sich dafür alle Anlässe, bei denen der Austausch von Wissen oder Ideen zu einem organisationalen Thema und vor allem eine eigenmotivierte Umsetzung der daraus abgeleiteten Maßnahmen erzielt werden soll. Dabei haben diese Spiele immer Kampagnen-Charakter: Der Einsatzzeitraum ist (zumeist auf etwa drei Monate) begrenzt, um die Spieldynamik und somit die Leistungsbereitschaft der Teilnehmer zu fördern.

3. Spiele im Wissensmanagement

Bei Spielen zum Thema Wissensmanagement im engeren Sinn denkt man wahrscheinlich vor allem an Simulationen3. Deren Ziel es ist, das Thema Wissensmanagement anhand analoger Szenarien zu vermitteln, nicht jedoch Wissensmanagement direkt im Unternehmensalltag zu betreiben. So scheint es bislang noch keine Spielansätze zu geben, die das praktische Wissensmanagement im betrieblichen Alltag unterstützen.

Game Based Development betrachtet Wissensmanagement unter dem Aspekt der Wissenskommunikation [EpR04] und stellt dafür Spiele als Kooperations- und Kommunikationsdesigns bereit. Bei diesen wird u.a. durch den Austausch der Spielenden über ihre Praxiserfahrungen, Erfolge und Misserfolge bei der Umsetzung, Tipps und Kommentare sowie über gemeinsam zu lösende Aufgaben eine intensive Form der Wissenskommunikation erreicht, wie das Anwendungsbeispiel unter Punkt 5.2 verdeutlichen wird.

4. Methode

Der hier dargestellte Ansatz ist insofern systemisch orientiert, als sowohl die Lösungen zu den einzelnen Aufgabenstellungen als auch deren Bewertung in der Regel von den Mitarbeitenden erbracht werden.

Methodisch lässt sich Game Based Development durch zwei wesentliche Merkmale charakterisieren: durch die Spieldynamik und durch den Blend aus kurzen Präsenzeinheiten und einer ergänzenden Web 2.0-Plattform.

Diese Kombination erreicht dreierlei:

  1. eine erhöhte Bereitschaft der Mitarbeiter, sich an dem Prozess zu beteiligen,
  2. einen höheren Output durch Stärkung der sozialen bzw. informellen Komponente des Lernens und
  3. eine Zeitersparnis durch Verlagerung von Lernprozessen auf die Plattform.

Dabei nutzt die Methode bewusst Selbststeuerungsmechanismen. Diese wirken besonders effektiv, wenn das Lernen in ein aktives soziales Gefüge, eine Community of Practice, eingebettet ist [WEL91]. Die Ergänzung solcher Wissens- oder Change-Prozesse durch eine Web 2.0-Plattform [HiN02] kommt dabei einerseits den Bedürfnissen dezentraler Organisationen entgegen und stellt andererseits den Teilnehmenden ähnliche Funktionen zur Verfügung, wie sie auch im Privaten häufig genutzt werden (Xing, Flickr, YouTube, ebay, Amazon etc.).

4.1 Spieldynamik

‚Spiel’ wird hier, wie unter Punkt 2 beschrieben, als regelbasiertes Game4 mit Wettbewerbs-Charakter verstanden, bei dem reale Themen unmittelbar im Arbeitsalltag bearbeitet werden. Die Herausforderung für das Spieldesign besteht daher darin, relevante Anliegen aus Organisationen spielbar zu machen. Eine gestalterische Grundregel ist dabei das 3K-Prinzip, das besagt, dass die drei Grundprinzipien Kompetition, Kooperation und Kommunikation in einer ausgewogenen Balance zueinander stehen müssen, damit eine derartige Spielmechanik auch funktioniert (s. Abb. 1).

                                                    Abb. 1: 3K-Prinzip

Wesentliche Elemente einer motivierenden Spieldynamik sind dabei unter anderem: der Wettbewerb mit Gewinnmöglichkeit und Preisen, verschiedene – als gleich stark erlebte – Teams mit individuellen Teamrollen, die Relevanz der Aufgabenstellungen, das Erstellen und Präsentieren von Artefakten (Lösungsideen, Goldene Regeln, Modelle etc.) und natürlich die Punktevergabe durch die Spieler selbst und ggf. durch Vorgesetzte. Spielbretter (s. Abb. 2) oder -karten und andere Spielmaterialien haben hier eine wichtige spieldramaturgische Funktion: Sie sollen das Einlassen auf den „Magischen Kreis“ des Spiels [Hui04] ermöglichen, wobei – wie bei Unterhaltungsspielen – die Spieler immer nur quasi mit einem Bein im Spiel stehen, mit dem anderen in der (betrieblichen) Wirklichkeit. Sie sind sich also auch hier auf gewisse Weise stets bewusst, ein Spiel zu spielen.

                                                                        Abb. 2: Spielbrett

4.2 Blend – Präsenzeinheiten plus Webplattform

Die Kombination aus Präsenz- und Online-Aktivitäten sieht nun so aus, dass eine Reihe von – meist zwei- bis dreistündigen – spieldynamischen Präsenzworkshops jeweils die Wissens-Prozesse initiiert, die sich dann während der folgenden vier Wochen auf der moderierten Plattform fortsetzen.

Auf dieser wirkt das spielerische Element gemäß der 3K-Regel auf mehrere Arten: durch neue Aufgabenstellungen, die in verschiedenen Zusammensetzungen zu lösen sind, durch den Austausch von Erfahrungen, durch den Handel mit Ideen und Tools5, durch gegenseitiges Feedback, Punktevergaben und durch Umsetzungsblogs. All diese Aktivitäten fließen in das Bewertungsschema – das Scoring – des Spiels ein. Das bedeutet in der Praxis, dass das Spiel nur durch effektive Kooperation und Kommunikation gewonnen werden kann.

                                                                                            Abb. 3: Webplattform

5. Praxis

Wie sieht nun der Einsatz derartiger Spiele in Unternehmen aus, welche Möglichkeiten bzw. Grenzen ergeben sich aus dem Ansatz und worin besteht der konkrete Nutzen für Unternehmen?

5.1 Ablauf

Zu Beginn werden im Rahmen einer Auftragsklärung Situation, Ziele und Rahmenbedingungen geklärt; daraus wird in der Folge ein Spieldesign entworfen. Gegebenenfalls wird das Erstdesign probegespielt und modifiziert, um schließlich pilotiert und dann ausgerollt zu werden.

Die Spielrunden – meist drei bis vier im Abstand von jeweils vier Wochen – werden in Gruppen von 12-16 Teilnehmenden im Rahmen von zwei- bis dreistündigen Workshops durchgeführt, so dass bei größeren Rollouts bis zu vier Gruppen (ca. 60 Mitarbeiter) pro Tag an einer Maßnahme teilnehmen können. Zwischen diesen Spielrunden bearbeiten die Mitarbeiter die zu lösenden Aufgaben in ihren Teams im Rahmen von Umsetzungsphasen. Während und zwischen den Workshops erhalten die Teilnehmenden verschiedene „Missionen“ – individuell oder in Teams zu lösende Aufgaben, die unmittelbar aus den Zielen der Maßnahme abgeleitet werden. Sind diese erfüllt, werden sie den Mitspielern präsentiert und von diesen online oder face-to-face bewertet. Die Spieler oder Teams mit den meisten Punkten gewinnen das Spiel.

5.2 Anwendungsbeispiel

Ein großes Handelsunternehmen möchte den Wissensaustausch seiner Niederlassungsleiter untereinander fördern; konkret sollen sie ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Vorgehensweisen austauschen, um die Einzelergebnisse zu verbessern, an die jeweiligen Best Practices anzugleichen und letztlich Standards für verschiedene Prozesse zu etablieren. Dem Auftraggeber ist dabei wichtig, dass (a) die Führungskräfte motiviert werden, ihr eigenes Erfahrungswissen preiszugeben sowie das ihrer Kollegen zu nützen und dass (b) dafür möglichst wenig Zeit aufgewendet wird – im Idealfall spielt sich die Maßnahme in Verbindung mit regelmäßigen Meetings der Niederlassungsleiter ab und nimmt jeweils nicht mehr als zwei Stunden in Anspruch.

Das Spieldesign sieht drei Spielrunden vor: In der ersten werden die Regeln, Rahmenbedingungen und Ziele des Spiels kurz erklärt und sodann die Führungskräfte in Teams zusammengefasst. Als erste Missionen müssen sie erprobte Praktiken, aber auch momentane Herausforderungen nach vorgegebenen Kriterien präsentieren. Die inhaltliche Qualität dieser Präsentationen wird jeweils von den anderen Teams durch Punktevergaben bewertet. Nun können die einzelnen Teams Lösungsideen von den anderen Teams ‚kaufen’ und gleichzeitig anderen Teams eigene Lösungen für deren Herausforderungen anbieten. Dieser Ideenfindungs- und Trading-Prozess setzt sich nach dem zweistündigen Brettspiel vier Wochen lang auf einer Webplattform fort: Ideen wie Problemstellungen werden in den verschiedenen Teams formuliert und Lösungen gehandelt, wodurch sich der Punktestand laufend verändert.

Im der zweiten Spielrunde geht es nun darum, zu den ‚gekauften’ Ideen Umsetzungspläne zu formulieren. Die Punktevergabe funktioniert hier nach dem Börseprinzip – durch Beteiligungen der Teams an den Umsetzungsvorhaben der anderen: Je wahrscheinlicher also ein Maßnahmenplan, desto mehr ‚Anleger’ wird er für sich gewinnen. Die Anleger wiederum partizipieren an den Umsetzungserfolgen, was das Interesse an den Leistungen der anderen Teams fördert. Auch dieser Prozess wird nach Beendigung des Brettspiels online weitergeführt, wobei Kommentar- und Blogfunktionen den Austausch der Niederlassungsleiter ergänzen.

Die dritte Spielrunde bildet den Höhepunkt: Die Zwischenwertungen werden zusammengezählt, die Teams und eine Jury aus Vorstandsmitgliedern vergibt noch Zusatzpunkte für besonders hilfreiche und gewinnbringende Beiträge zum Wissensaustausch, und nach der Endwertung werden die Sieger geehrt, wobei jeder der Teilnehmenden einen Anerkennungspreis erhält.

6. Erfolgsfaktoren, Grenzen und Nutzen

Game Based Development versteht sich als Alternative bzw. Ergänzung für Change-Prozesse in Unternehmen, bei denen der Wissensaustausch wesentlich ist. Besonders gute Resultate erzielen die Spiele dort, wo klassisches Vorgehen einen geringen Umsetzungserfolg erwarten lässt und dann, wenn bei geringem Zeitaufwand ein hoher Output erzielt werden soll.

Der Ansatz ist grundsätzlich branchenunabhängig einsetzbar. Es hat sich jedoch gezeigt, dass Unternehmenskulturen, die die Eigenverantwortung ihrer Mitarbeiter fördern (wollen), bessere Resultate erzielen. Die Grenzen des Einsatzes von Spielen liegen vor allem in krisenhaften oder stark emotional gefärbten Situationen, da sich hier die Teilnehmer zumeist nicht ernst genommen fühlen.

7. Ausblick: Spiel, Web 2.0 und Learning on demand

Aus Sicht des Autors sind drei Trends dafür verantwortlich, dass sich Ansätze wie der hier vorgestellte zukünftig noch stärker etablieren werden:

  1. Spielen oder spielähnlichen Aktivitäten: Die Erfolge von ebay6, Second Life oder der momentane Poker-Boom zeigen noch deutlicher als die Höhenflüge der Umsatzzahlen diverser Computerspiele, dass sich in diesem Bereich auch im gesellschaftlichen Mainstream viel bewegt und bewegen wird.
  2. Web 2.0: Soziale Plattformen wie XING, YouTube oder im weiteren Sinn auch Amazon sind für viele aus ihrem Alltag kaum mehr wegzudenken und werden sich wahrscheinlich noch in Richtung neuer Angebote oder Kombinationen für neue Zielgruppen weiterentwickeln.
  3. Learning On Demand: Vor allem im betrieblichen Lernen werden zunehmend informelle und/oder anlassbezogene Lernformen nachgefragt werden, da das steigende Arbeitsvolumen und die viel zitierte „Halbwertszeit“ des Wissens kürzere, flexiblere und praxisnähere Lernformate erfordern. Alle diese Entwicklungen haben einen positiven Einfluss auf die Verbreitung spielebasierter Ansätze. Die nahe Zukunft wird zeigen, wie schnell sich das Spiel als Instrument für Wissensprozesse etablieren wird. Die Diskussion über Veränderungen der Arbeit durch das Spiel und durch Spieler hat jedenfalls bereits begonnen [Bec06].

Literatur

[Bec06] Beck, J.: The Kids Are Alright. How The Gamer Generation Is Changing The Workplace. Mcgraw-Hill, 2006.

[EpR04] Eppler, M.; Reinhardt, R.: Wissenskommunikation in Organisationen. Springer, 2004.

[Hah58] Hahn, K.: Erziehung zur Verantwortung. Reden und Aufsätze. Klett 1958.

[HiN02] Hieber, Ch.; Nossek, S.: Neue Kommunikation in Unternehmen – Organisationsentwicklung und Prozessbegleitung integriert gestalten. Galileo Press, 2002.

[Hui04] Huizinga, J.: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel.

[LaW91] Lave, J.; Wenger, E.: Situated Learning. Legitimate Peripheral Participation (Learning in Doing). Cambridge University Press, 1991. Rowohlt, 2004.

[MiC05] Michel, D.; Chen, S.: Serious Games. Games That Educate, Train, and Inform. Itps Thomson Learning, 2005.

[Pre07] Prensky, M.: Digital Game Based Learning. Paragon House Publ., 2007.

[Rac00] Rachow, A.: Spielbar. 51 Trainer präsentieren 77 Top-Spiele aus ihrer Seminarpraxis 1. Managerseminare Verlag 2000.

[SaZ03] Salen, K.; Zimmerman, E.: Rules Of Play. Game Design Fundamentals. MIT Press, 2003.

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Quelle:

Mehr Wissen – mehr Erfolg! 9. Kongress zum IT-gestützten Wissensmanagement.

Kongressband zur KnowTech 2007