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Foto von Zaiqiao Ye

Bekannt ist Prof. Dr. Christian Scholz nicht nur als Autor zahlreicher Fachbücher und Kolumnen wie seinem FAZ-Blog „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“, sondern vor allem als Mann der klaren Worte und provokanten Thesen. Der 59-jährige Österreicher lehrt und forscht unter anderem zum Thema Medienmanagement. Wir sprachen mit ihm über aktuelle Entwicklungen in der Personalarbeit, dem „Dilettantismus“ von Unternehmen im Umgang mit Social Media und „Informatio Diametralis“ im Employer Branding.

der Fachkräftemangel beschäftigt aktuell viele Personalabteilungen. Wo würden Sie den Hebel zuerst ansetzen?

Ich erlebe zurzeit ziemlich drastisch, dass die Personalabteilungen nicht mehr hinreichend befähigt und befugt werden. Der Stellenwert der Personalabteilungen nimmt in vielen Unternehmen dramatisch ab. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Zahl der Qualifikationsangebote zurückgeht – es gibt beispielsweise immer weniger Lehrstühle, die reines Personalmanagement anbieten. Aber nur mit dem entsprechenden Know-how können Personaler ihr Unternehmen im Kampf um die Talente bestmöglich unterstützten. Zum anderen sollten sich HR-Fachleute verstärkt fragen, ob sie sich aktiv genug für ihre Rolle im Unternehmen einsetzen.

Bei welchen Themen macht sich diese „mangelhafte Befähigung“ im Personalmanagement aus Ihrer Sicht besonders bemerkbar?

Der Umgang mit Social Media zeigt, was viele zurzeit falsch machen: Es wird einfach „herumdilettiert“. Alle wollen dabei sein, aber keiner weiß, warum, und keiner schaut danach, was eigentlich dabei herauskommt. Dabei sein allein reicht aber nicht. Die Firmen – darunter auch viele Top-Unternehmen – beurteilen ihre Effektivität häufig danach, in wie vielen Kanälen sie aktiv sind. Der Ansatz müsste eher sein, weniger Kanäle und die aber richtig zu bedienen. Es nutzt nichts, hunderttausend Freunde zu haben, denn nicht jeder Freund ist ein guter Mitarbeiter. Arbeitgeber müssten effektiver und fokussierter vorgehen. Auch unabhängig von Social Media sollten Unternehmen sich mehr Gedanken machen, wie sie an ihre Zielgruppen herankommen. Mit der Schrotkugel einfach mal so durch die Gegend zu feuern – das ist lächerlich.

Inwiefern werden Social Media Policies dafür wichtiger?

Unternehmen waren lange Zeit sehr freizügig, wenn es darum ging, ob Mitarbeiter auch während der Arbeitszeit Social Media nutzen dürfen. Aber einige Anzeichen sprechen dafür, dass sich das in nächster Zeit ganz krass ändern wird. Die Firmen erkennen erst jetzt, was das alles bedeutet, wenn ein Mitarbeiter eine Aussage in Facebook macht – in vielen Fällen hat es juristische Implikationen. Das haben deutsche Unternehmen lange Zeit unterschätzt. Die ersten Arbeitgeber sind schon viel restriktiver und setzen entsprechende Social Media Policies auf.  Wir hatten vor kurzem eine Veranstaltung, zu dem auch jemand aus einem Unternehmen kam, das sehr viel mit Social Media macht. Diese Person durfte auf seinem Geschäftslaptop Social Media gar nicht aufrufen, dazu nutze er sein privates iPad.

Finden Sie diese Stoßrichtung richtig?

Ich finde es richtig, dass Unternehmen vorsichtiger sind und darüber nachdenken, bin aber der Meinung sie müssten bewusster kommunizieren. Sie sollten sich überlegen, wer sagt was. Da geht es um Rollenverteilung und um Inhalte. Firmen kommunizieren heute oft Dinge, die sie nicht haben, weil sie glauben, damit Leute ködern zu können. Das Problem ist, dass die Unternehmen gar nicht darüber nachdenken, was ihre wirkliche Value-Proposition ist, für die sie stehen. Das ist aber die eigentliche Hausaufgabe der Personaler.

Folglich fehlt es Ihrer Meinung nach auch beim Thema Employer Branding am nötigen Know-how?

Wenn es darum geht, ein Identitätsgefühl in Unternehmen zu schaffen, dann setzt das ein professionelles Wissen voraus. Wenn Sie Personaler, die alle über Employer Branding sprechen, mal fragen: „Was ist eigentlich der Präferenzvektor?“, dann kennt diese Standardmethode zur Positionierung von Unternehmen kaum jemand – aber nahezu jeder aus dem Marketing – als zentrales Handwerkszeug.

Inwiefern wäre es dann nicht sogar wünschenswert, dass die Marketingleute das Thema übernehmen?

Leider wird Employer Branding in vielen Unternehmen nicht mehr in der Personalabteilung gemacht, sondern in der Marketingabteilung, in der PR oder von externen Beratern. Und gerade das ist kontraproduktiv, da viele Unternehmen Employer Branding als reine Kommunikationsaufgabe sehen. Letztlich kommen völlig austauschbare Botschaften dabei heraus – oder eben Informatio Diametralis: dass Unternehmen Dinge kommunizieren, die sie in der Realität gar nicht anbieten können.

Wie könnten Personaler da gegensteuern?

Sie müssten das Problem benennen und sich aktiver für die Identitätsfindung im Unternehmen einsetzen. Natürlich gibt es auch welche, die das schon sehr gut machen – meistens arbeiten aber gerade diese Firmen im Verborgenen. Die Programme, mit denen Arbeitgeber laut herumtönen, taugen bei genauerem Hinsehen oft nichts. Insofern tragen auch die Medien ihren Teil dazu bei, dass gute Personalarbeit stagniert.  Journalisten fragen heute nur sehr selten kritisch nach.

Personaler wehren sich aber auch zu wenig gegen die Übermacht der PR-Abteilungen, die teilweise sogar Personalvorständen vorschreiben, wem sie ein Interview geben und was sie sagen dürfen. Wie kann es sein, dass eine PR-Abteilung darüber entscheidet? Da sollten sich Personaler die Entscheidungshoheit nicht nehmen lassen.

Andererseits haben Personalmanager auch neue Einflussbereiche – etwa das Betriebliche Gesundheitsmanagement. Wie gut sind sie bei diesem Thema schon aufgestellt?

Viele Dinge, die das Gesundheitsmanagement betreffen, sind bereits durch gesetzliche Regelungen zum Beispiel zum Arbeitsschutz in Deutschland geregelt. Dennoch müssen Unternehmen natürlich darüber nachdenken, wie sie ihre Belegschaft dauerhaft leistungsstark machen. Gerade die demografische Entwicklung zeigt, dass Firmen zum Teil mit einer Aging Workforce umgehen müssen. Dabei ist Betriebliches Gesundheitsmanagement mit Sicherheit ein wichtiger Baustein – der auch ein interessantes Arbeitgebermerkmal im Employer Branding darstellt. Inzwischen gehört es aber bereits zum Standard guter Personalarbeit, dass es hierzu Vorschläge im Unternehmen gibt.

Welchen Einfluss hat die Finanzkrise in Europa – also die unsichere Konjunkturentwicklung auf die Personalarbeit?

Personalarbeit ist wie ein Eisberg. Oben ist eine Spitze, über die alle reden. Da ist von Talentmanagement, Personalentwicklung oder variablen Bezügen die Rede. Viel gravierender ist der Bereich, der darunter stattfindet, über den aber so gut wie nie berichtet wird: Die Unternehmen sind gerade dabei, radikal ihre Personalstrukturen umzubauen. Sie schalten ihre interne Stammbelegschaft auf eine zugekaufte, externe Leihbelegschaft um – als Lehre aus den immer schnelleren Auf und Abs der Konjunktur. Sie sind auch dabei, Personalentwicklung abzubauen und auf den Mitarbeiter zu verlagern. 

Das heißt, sie forcieren die Flexibilisierung der Belegschaft?

Wir Wissenschaftler haben das vor 15 Jahren schon kommen sehen: Es wird einen ganz kleinen Teil von Mitarbeitern geben, die zum Unternehmen dazugehören. Den Rest decken Unternehmen zum Beispiel über freie Mitarbeiter ab. Diese Bewegung findet nun tatsächlich statt. Aber das fällt nur bei wenigen Firmen auf. IBM zum Beispiel plant, dass allein in Deutschland 8.000 der 20.000 Mitarbeiter ihre Festanstellung verlieren werden und sich auf Projektbasis laufend um Aufträge bewerben müssen. Aber auch für andere Unternehmen gibt es analoge Optionen: BMW beschäftigt in Deutschland 70.000 Personen, hat aber nach Angaben der Gewerkschaft immerhin schon 11.000 Leiharbeiter und 3.000 bis 5.000 Werkverträge, die befristet und schlechter bezahlt sind.

Welche Aufgaben kommen diesbezüglich auf die Personalabteilung zu?

Sie müsste über die soziale Dimension dieser Entwicklung nachdenken und auch darüber, was das alles für Personalarbeit und Mitarbeiter bedeuten könnte: Themen wie Personalbeschaffung werden an Bedeutung verlieren und durch Konzepte wie Führung in virtuellen Teams ersetzt. Personalentwicklung bleibt bedeutsam, rutscht aber in die individuelle Verantwortung der externen Mitarbeiter, die sich um ihre Beschäftigungsfähigkeit selbst kümmern müssen. Gleichzeitig werden Arbeitsmärkte für alle Unternehmen globaler und Arbeitsleistungen in der ganzen Welt über „internationale Werkverträge“ einkaufbar, was mit Sicherheit auch zunehmend juristische Fragestellungen mit sich bringen kann.

Interview: Stefanie Hornung