Schon seit Mitte der 1980er Jahre kennt die Wirtschaftspsychologie den Begriff des „Merger-Syndroms“, das fusionierende Unternehmen durchleben. Es äußert sich durch Stress, interne Grabenkämpfe und brodelnde Gerüchteküchen – also negative psychische Reaktionen und Verhaltensweisen, die den Erfolg von Transaktionen gefährden können. Fusionen und Akquisitionen verunsichern die Beschäftigten – und sie führen fast immer, zumindest vorübergehend, zu Umstellungen und Mehrarbeit.

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Foto von LinkedIn Sales Navigator

Stress und Unzufriedenheit als typische Merkmale des „Merger-Syndroms“ gehören zu den vorübergehenden, durchaus beeinflussbaren Folgen von Fusionen. Verluste im organisationalen Commitment sind dagegen von langer Dauer und Unternehmen können sie in den meisten Fällen zwar mildern, aber nicht gänzlich vermeiden.

Warum Commitment in Fusionen nachlässt

Die Bindung an einen Arbeitgeber hat verschiedene Facetten. John P. Meyer und Nathalie J. Allen (1997) unterscheiden drei Dimensionen des organisationalen Commitments:

  • Das affektive Commitment umfasst die emotionale Bindung: Mitarbeiter wollen im Unternehmen bleiben und sind stolz auf ihren Arbeitgeber. Dieses Bindungsgefühl entsteht durch gemeinsame Werte, eine attraktive Organisationskultur, spannende Arbeitsbedingungen und persönliche Beziehungen im Unternehmen.
  • Beim normativen Commitment fühlen sich die Mitarbeiter moralisch verpflichtet, im Unternehmen zu bleiben. Basis der Verbundenheit sind Normen, sowie ein Gefühl der Verpflichtung und Verantwortung für das Unternehmen und seine Ziele.
  • Das fortsetzungsbezogene Commitment entsteht häufig, weil Alternativen fehlen oder Arbeitgeber einen Wechsel teuer erkaufen müssten. Entscheidend für diese Form des Commitments sind unter anderem die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt und der konkrete Nutzen, den ein Wechsel bringen würde.

Fusionen und Akquisitionen können alle drei Dimensionen des Commitments erschüttern. Besonders entscheidend für den Arbeitgeber ist die affektive Dimension. Die Fluktuationsbereitschaft von Mitarbeitern hängt vor allem von ihrer emotionalen Bindung ab. Allerdings muss sich emotionales Commitment nicht auf das Unternehmen beschränken, sondern kann auch andere Bezugsobjekte haben, zum Beispiel einzelne Kollegen und Abteilungen oder die eigene Tätigkeit.

Strukturelle und kulturelle Faktoren

Aus welchen Gründen das Commitment von Mitarbeitern in Fusionsprozessen nachlässt, wird anhand des Eisbergmodells von Wendell L. French und Cecil H. Bell (1994) in Abbildung 1 deutlich (Ingela Jöns 2008).

Der obere, sichtbare Teil des Eisbergs kennzeichnet die äußere Gestalt eines Unternehmens mit seinen Produkten, Techniken und Strukturen sowie den kommunizierten Zielen und Strategien, den beobachtbaren Verhaltensweisen des Managements sowie des Personals. Der unsichtbare Teil unterhalb der Wasseroberfläche, auf dem der obere Teil basiert, umfasst die Organisationskultur mit ihren informellen Gepflogenheiten und Beziehungen sowie dem unausgesprochenen Machtgefüge.

Bei einer Fusion sollen die beiden Unternehmen (Eisberge 1 und 2) bildlich gesprochen zu einem neuen Eisberg verschmelzen. Das Integrations management gestaltet in diesem Prozess den oberen Eisberg (3), indem es die Strukturen der neuen Organisation defi niert, die Besetzung der Schlüsselpositionen klärt, Abläufe aufeinander abstimmt und Standards fest legt. Im Idealfall baut das Management den neuen Eisberg auf den Stärken der beiden ursprünglichen Organi sationen auf. Der neu konstruierte Eisberg basiert im Kern auf den gemeinsamen, zumeist branchentypischen Merkmalen (3a). Hinzu kommen die bisherigen Kulturmerkmale der beiden Organisationen (1a und 2a), die sich stark unterscheiden können. Darüber hinaus ergibt sich in Fusionen oft noch ein kulturell ungedeckter Teil (3b), der zum Beispiel innovative Konzepte und Strategien repräsentieren kann, für die es bisher weder in der einen noch in der anderen Organisation entsprechende Denkschemata und Verhaltensroutinen gab.

In der Realität sind die Veränderungen noch komplexer als in der vereinfachenden Eisberg- Darstellung. Denn Unternehmen haben nie einheit liche Strukturen und Kulturen, sondern beheimaten immer auch Subkulturen. In Fusionen führt dies oft zu Friktionen quer durch die beteiligten Organisationen, da sich manche Subkulturen besser in die neue Organisation einfügen als andere.

Für die einzelnen Mitarbeiter hängt das Ausmaß des gefühlten Bindungsverlustes davon ab, wie viel „Neues“ auf sie zukommt und wie positiv oder negativ sie selbst die Chancen bewerten, die sich durch eine Fusion ergeben. Ist das Unternehmen wirtschaftlich angeschlagen, bewerten die übernommenen Mitarbeiter den Zusammenschluss mit einem starken Unternehmen positiver und sind tendenziell offen, sich an die neue Organisation zu binden. Umgekehrt erleben Mitarbeiter von Käuferunternehmen Fusionen häufi g als unnötiges Risiko, so dass auch kleinere Veränderungen zu großen Irritationen führen. In einigen Fällen müssen auch die Beschäftigten der Käuferfirmen nach der Übernahme größere Einschnitte hinnehmen.

Abb. 1: Struktur und Kultur nach einer Fusion

Commitmentverluste vermeiden

Wie sich das Commitment der Mitarbeiter im Zuge der Fusion entwickelt, hängt auch vom Verlauf beziehungsweise der Gestaltung des Integrationsprozesses ab. Entscheidend sind hierbei zum Beispiel die Glaubwür digkeit und Offenheit der Informationspolitik, das Einbinden der Mitarbeiter in den Veränderungsprozess sowie die Transparenz und Absehbarkeit der persönlichen Veränderungen. In jeder Fusion gibt es Phasen der Orientierungslosigkeit, in denen die verschie denen Kulturen der beteiligten Organisationen neben- und gegeneinander existieren. Umso wichtiger ist es, dass die Beschäftigten dem Management vertrauen, seine Entscheidungen mittragen und diese als grundsätzlich gerecht empfi nden. Außerdem sollten sie den Sinn und Zweck der Fusion für das Unternehmen verstehen können, damit sie weiterhin einen Sinn in ihrer eigenen Tätigkeit sehen und eine neue Basis für ihre soziale Identität im Unternehmen erhalten. Dazu beitragen können ein Integrationsmanagement, das den Verlust von Commitment in Fusionen gering hält, und ein strategisches Kulturmanagement, das die Bindung der Belegschaft an das neue Unternehmen fördert.

Integrationsmanagement

Die zentrale Voraussetzung für den Erfolg der Integration ist eine tragfähige Zukunftsperspektive. Nur sinnvolle und überzeugende Fusionen, denen marktgerechte Strategien zugrunde liegen, können Differenzen über die strate gische Neuausrichtungen überwinden, die in jeder Transaktion früher oder später auftreten. Ist die Entscheidung für einen Zusammenschluss von Unternehmen strategisch falsch, wird auch das beste Integrationsmanagement die Fusion nicht zum Erfolg führen können.

Zum Handwerkszeug des Integrationsmanagers gehört neben den bereits erwähnten Grundsätzen einer offenen Informa tionspolitik und intensiven Partizipation der Mitarbeiter auch ein professionelles Projektmanagement. Entgegen anderslautender Meinungen ist es nicht ratsam, die Projekte grundsätzlich paritätisch mit Mitarbeitern aus den Ursprungsorganisationen zu besetzen. Denn nicht die Herkunft, sondern die Kompetenz der Projektmitarbeiter sollte im Vordergrund stehen, wenn das Unternehmen kompetent neu aufgestellt werden soll.

Für das Personalmanagement gilt es, möglichst rasch klare Abteilungs- und Personalstruk turen zu schaffen und zu besetzen. Alle Auswahlkriterien müssen transparent und die Entscheidungsprozesse von Fairness und Respekt geprägt sein. Das gilt vor allem für einen eventuell notwendigen Personalabbau. Auch den kulturellen Aspekten einer Fusion sollten sich Unternehmen in der Integrationsphase zuwenden. Bei der Entscheidung für oder gegen eine Transaktion spielt die Kultur noch selten eine Rolle. Kulturdiagnosen, die als Ergänzung zur klassischen Due-Diligence-Prüfung (Stärken-Schwächen- Analyse) empfohlen werden, sind vor dem Vertragsabschluss zur Fusion kaum solide durchzuführen. Außerdem ist zu diesem frühen Zeitpunkt die Gefahr zu groß, dass die Transaktion doch noch scheitern könnte. Erst in der konkreten Planung des Integrationsgrades, der zugrundeliegenden Strategie und der einzelnen Integrationsprozesse beginnen fusionierende Unternehmen, sich mit der Kultur auseinander zu setzen.

Voraussetzungen für die kulturelle Integration schaffen Workshops, in denen das oberste Management Werte, Leitbilder und Strategien festlegt. Damit die Belegschaft diese auch wirklich lebt, sind dezentrale Projekte und Aktivitäten für die Mitarbeiter wichtig. Ausgangspunkt können Kulturdiagnosen zu Selbst- und Fremdbildern sein, im weiteren Verlauf sollte der Fokus jedoch von den Differenzen zu einer gemeinsamen Zukunft wechseln.

In der Praxis stößt kulturelles Integrationsmanagement allerdings an enge Grenzen, weil sich Kultur nicht verordnen lässt, sondern nur gemeinsam entwickeln kann. Ein zentrales Merkmal von Kultur besteht darin, dass sie auch unbewusste Phänomene umfasst, die sich der gemeinsamen Kommunikation und Neudefinition entziehen. Kulturentwicklung braucht Zeit – und in dieser Zeit kann es immer wieder zu Friktionen und Konflikten kommen, die das Vertrauen in Gerechtigkeit und Fairness als zentrale Aspekte des Commitments erschüttern.

Abbildung 2: Erlebnisse in Integrationsprozessen

Kulturmanagement

Kultur kann in Unternehmen letztlich nur im Arbeitsalltag über gemeinsame Ziele und Aufgaben entstehen. Dabei spielen Erfolge als Verstärker eine zentrale Rolle. Insofern gilt es nach Abschluss der offiziellen Integrationsprozesse, den Aufbau von Commitment über ein strategisches Kulturmanagement zu fördern.

Die Basis für Commitment ist das Vertrauen in die Zukunft der Organisation. Verbundenheit entwickeln die Mitarbeiter jedoch nur, wenn sie auf eine längere Bindung vertrauen können. Entsprechend wichtig ist die strategische Perspektive des Unternehmens. Das Management darf sich in der Post-Merger-Phase nicht darauf beschränken, die Zukunftsvisionen zu kommunizieren, sondern sollte die Strategie sichtbar leben, zum Beispiel, indem es Teams an neuen Produkten arbeiten oder neue Märkte erschließen lässt.

Schon in einer frühen Integrationsphase sollte das Management die gemeinsame Zukunftsvision definieren, um davon kulturelle Normen und Werte abzuleiten. In der anschließenden Phase des Kulturmanagements konkretisieren die verschiedenen Abteilungen und Teams diese Werte und Normen für ihre Arbeit. Mithilfe von Mitarbeiterbefragungen können Arbeitgeber überprüfen, wie weit der Veränderungsprozess im gesamten Unternehmen sowie in einzelnen Abteilungen gediehen ist.

Durch die Zukunftsperspektive wird primär das fortsetzungsbezogene Commitment unterstützt, während die gemeinsame Entwicklung von Zielen und Normen auf der Basis von Vertrauen und Offenheit das affektive Commitment fördert. Bei einem hohen und kompetenten Engagement des Managements für die Belegschaft werden die Mitarbeiter über ihre eigene Mitwirkung auch ein hohes normatives Commitment entwickeln und sich dem neuen Unternehmen nicht nur verbunden, sondern auch verpflichtet fühlen.

Neue Perspektiven für Commitment

Angesichts der steigenden Zahl von Fusionen und Übernahmen stellt sich jedoch die Frage, ob eine Bindung an Unternehmen überhaupt noch möglich und erstrebenswert ist. Denn wie soll Commitment entstehen, wenn Unternehmen im Abstand weniger Jahre mehrmals Namen und Struktur verändern? Und ist es für das Management sinnvoll, das Commitment der Beschäftigten an die jeweilige Organisation zu fördern, da diese doch im globalen Wettbewerb einem ständigen Wandel unterliegt?

Grundsätzlich muss sich Commitment nicht auf das Unternehmen beziehen, sondern kann unterschiedliche Bezugsobjekte haben – angefangen von den Kollegen und Vorgesetzten über die Abteilung bis hin zur eigenen Tätigkeit. Aus unternehmenspolitischer Sicht spielen diese alternativen Bezugsobjekte eine zunehmend wichtige Rolle, da sie auch in Zeiten permanenter Restrukturierungen relativ stabil bleiben können.

Dezentrale Bezugspunkte des Commitments können gerade in den instabilen Phasen einer Fusion eine wichtige Grundlage für die soziale Identität der einzelnen Mitarbeiter und damit für das organisationale Engagement der Belegschaft darstellen. So lässt sich in Akquisitionen häufig beobachten, dass Mitarbeiter eines übernommenen Unternehmensbereiches eine eigene gemeinsame Identität entwickeln. Sie rücken die kulturellen Merkmale und wirtschaftlichen Leistungsprozesse ihres Umfeldes in den Vordergrund, während die Zugehörigkeit zum eigentlichen Unternehmen für sie von nachgeordneter Bedeutung ist.

Eine solche Differenzierung birgt zwar die Gefahr, dass sich Mitarbeiter vom Gesamtunternehmen abgrenzen. Dennoch kann sie – aktiv gesteuert – gerade für größere Unternehmen ein zukunftsfähiger Ansatz sein. Das gilt vor allem dann, wenn Abteilungen oder Divisionen ein marktfähiges Kerngeschäft oder abgrenzbare Leistungsfelder umfassen, deren Wertschöpfungskette sich nicht weiter unterteilen oder ausgliedern lässt. Wer die Bindung zu einer Abteilung fördert, unterstützt zwar unter Umständen den internen Wettbewerb, diese Konkurrenz muss jedoch nicht dem Gesamterfolg abträglich sein. Eine aktive Förderung der Verbundenheit mit kleineren Organisationseinheiten könnte möglicherweise sogar der Entstehung von nicht funktionalen Subkulturen entgegen wirken. Durch die Konzentration auf kleinere Einheiten würden Unternehmen den Verlust von Commitment bei Fusionen vergleichsweise gering halten, weil der Kern des Geschäfts, der die neue Basis für das Commitment bildet, den Mitarbeitern erhalten bliebe.

Literaturtipps:

Fusionen und Akquisitionen – Aufgaben für das Integrationsmanagement.Von Ingela Jöns, in: Rudolf Fisch, Andrea Müller & Dieter Beck (Hrsg.), Veränderungen in Organisationen – Stand und Perspektiven, Verlag für Sozialwissenschaften 2008 (erscheint voraussichlich im September), 301- 324.

The human side of mergers and acquisitions: managing collisions between people, cultures, and organizations.Von Anthony F. Buono & James L., Bowditch, 2. Aufl, Beard Books 2003.

Organisationsentwicklung. Von Wendell L. French & Cecil H. Bell jr., 4. Aufl., Haupt Verlag 1994.

Ein psychologisches Rahmenkonzept zur Analyse von Fusions- und Akquisitionsprozessen.Von Ruth Klendauer, Dieter Frey & Tobias Greitemeyer. Psychologische Rundschau, Nr. 57, Ausgabe 2/2006, 87-95. Commitment in the Workplace. Von John P. Meyer & Nathalie J. Allen, Sage Publications 1997.

Anforderungen und Zumutungen: Das HR-Management bei Fusionen.Von Niko Pohlmann und Stephan Jansen, in: Personalführung, Nr. 33, Ausgabe 2/2000, 30-39.

Quelle: personal manager 05/2008