Drei organisationale Lernräume stehen im Mittelpunkt dieser Gedanken-Expedition: Großgruppenveranstaltungen, Organisationsaufstellungen und Lern-Räume. Diese mehr oder weniger neuen Interventionskonzepte diskutieren die Autoren auf unterschiedlichen Theorieebenen und evaluieren ihren Nutzen aus Sicht der Klienten – bis hin zu konkreten Handlungsempfehlungen für die Praxis. Wesentlich für das Verständnis: Der Denkansatz der „Lern-Expedition“ ist in ein systemisches OE-Verständnis eingebettet und beruht unter anderem auf dem Paradigma der Komplexität sozialer Systeme, die sich linearen Lenkungseingriffen entziehen. Nach diesem Denkansatz sind Interventionsprozesse nicht steuerbar und Kontrollverlust ist ein zulässiges, implizites Management-Phänomen. Deshalb stellen die Autoren das „Expeditions-Management“ systemischer Prägung dem Projekt-Management des „geplanten Wandels“ klassischer OE-Prägung gegenüber. Es geht um einen Perspektiv-Wechsel in der Handhabung von Management- und Veränderungsprozessen – insbesondere darum, „Vertrauen auf Selbstregelung“ zuzulassen und von der „Kontrolle der Außensteuerung“ abzulassen. Ein „wahrer Leader“, der Führungshandeln stets als Handeln unter Unsicherheit begreift, werde zum „idealen Expeditionsleiter“, so Herausgeber Peter Heimerl.

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Foto von Austin Distel

Einige lohnende Momente bei der Lektüre:

  • die Verknüpfung von theoretisch-methodischen Elementen mit empirisch-praktischen, handlungsrelevanten Anteilen
  • ein Buch, das die Klientensicht hereinholt und damit für (künftige) „Expeditions-Leader“ und „Mitreisende“ umso interessanter wird
  • ein engagierter Mutmacher zu „Leadership statt Machertum“ und „Neugier statt Planerfüllung“

Einige kritische Momente:

  • In manchen Passagen verheddern sich die Autoren unnötig in einer systemtheoretischen Kunstsprache, die zwar Insidern kaum Probleme macht, aber die Frage nach der Anschlussfähigkeit für andere Neugierige aufwirft.
  • Noch mehr Widerspruch und kritischer Diskurs der drei untersuchten Interventions-Konzepte hätten der Objektivität gut getan, um den möglichen Eindruck von Selbstbestätigung beziehungsweise Selbstreferenz zu egalisieren.

Fazit
Ein Buch, das sich wohltuend von anderen abhebt, da es kein neues OE-Dogma proklamiert, sondern – im Gegensatz zum polarisierenden Titel des Buches – selbstkritisch resümiert, Organisation und Expedition bräuchten einander, denn „Lernräume sterben, wenn sie sich von den Strukturen isolieren“. Etwas weniger „systemisch-konstruktivistischer Sprachdunst“ hätte dem Buch gut getan und es mehr für „System-Fremde“ geöffnet. In jedem Fall ist es ein anregendes Buch zum „verrückten“ Andenken und Querdenken, ganz im Sinne Heinz von Foersters „Eins plus eins ist grün.“

Leserprobe

Expedition statt Organisation
Organisationszukunft ermöglichen mittels Lernräumen, Organisationsaufstellungen und Großgruppenveranstaltungen
Von Peter Heimerl, Karin Brunnmayr-Grüneis, Karin Huber und Beatrice Pacher
Haupt Verlag 2007, 330 Seiten, 38,50 Euro
ISBN: 978-3-258-07094-0
www.haupt.ch

Nimmt man die nahezu allerorts beschworene hohe Komplexität, also die innere Veränderungsdynamik von Systemen und Umwelten ernst, so stoßen Technologien zur Komplexitätsreduktion wie beispielsweise Projektmanagementmethoden an Grenzen. Die Fragen, die sich auftun, lauten nun: Wie kann die Komplexität gehandhabt werden, ohne dabei den Anspruch auf deren Beherrschung und Steuerung zu erheben? Wie kann dabei dennoch Managementverantwortung ausgeübt werden? In welchen Räumen kann Komplexität bewusst gelebt werden, um dem System als Ressource zur Zukunftsarbeit zur Verfügung zu stehen? Was bringen diese Räume?
Dieser Perspektivenwechsel ist der gedankliche Ausgangspunkt dieses Buches. Wir machen diese Haltung der Komplexitätshandhabung an einigen zentralen Begrifflichkeiten fest, die auf den folgenden Seiten zu erörtern sind: Von Organisation (um die Ecke) zur Expedition (zwischen Räume). Dieses Begriffspaar korrespondiert mit dem in der Führungsliteratur intensiv diskutierten Begriffspaar „Management“ und „Leadership“, also von kurzfristiger Zielverfolgung zu langfristiger Zukunftsarbeit. Darin zeigt sich aber auch bereits Versöhnlichkeit: So wie Leader und Manager einander brauchen, braucht es in sozialen Systemen Expeditions- und Organisationsdenken.
Der Expeditionsbegriff ist im Zusammenhang mit der Organisationsentwicklung noch wenig gängig. Wir bündeln damit die Haltung der Komplexitätshandhabung im Sinn der oben aufgeworfenen Fragestellungen. Die zentralen Kapitel 2 bis 4 zeigen, in welchen konkreten Räumen „Expedition“ ausgelebt werden kann und welche Chancen und Risiken damit verbunden sein können. Drei solcher Räume stehen im Mittelpunkt dieses Buches: Großgruppenveranstaltungen, Organisationsaufstellungen und Lernräume (in engerem Sinn).

Quelle: personal manager 4/2007