Dabei war alles einmal so einfach: Wer begehrte Spezialisten und Fachkräfte gewinnen wollte, bevor der Wettbewerb zuschlug, bot das gewisse Mehr an Cash. Schließlich driftete der Sozialstaat in seine selbstbeschleunigende Schieflage und Angebote wie Vorsorge und Maßnahmen zum Erhalt der Work-Life-Balance durch den Arbeitgeber gewannen massiv an Bedeutung. Betriebliche Zusatzpensionen markierten die erste Welle dieses Megatrends am Personalmarkt.

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Foto von bruce mars

Der Mensch im Mittelpunkt

Mittlerweile sind betriebliche Pensionsleistungen in der Anwerbung und Bindung von Leistungsträgern nahezu zum Standard geworden. Zunehmend sind es betrieblich verankerte Systeme der Gesundheitsförderung, die im Wettbewerb der Arbeitgeber um die Top-Leistungsträger den spürbaren Unterschied machen. Was wir jetzt beobachten, ist, dass das Umfeld für betriebliche Gesundheitsleistungen reif geworden ist. Das keineswegs neue Konzept, die Schlüsselressource Mensch im Unternehmen an einen selbstverantwortlichen und gesundheitsbewussten Arbeits- und Lebensstil heranzuführen, ist endlich „erwachsen“ geworden. Gutgemeintes, wie die Fitnessecke im hinteren Bürogebäude oder die Obstschale in den Aufenthaltsräumen, wird abgelöst durch konsistentes Gesundheitsmanagement, das ausreichend verankert ist, um die Unternehmenskultur tiefgreifend zu prägen.

Eine aktuelle Mercer-Studie zum betrieblichen Gesundheitsmanagement in Österreich verdeutlicht, dass Unternehmen die Bedeutung des betrieblichen Gesundheitsmanagements erkannt haben. Mit 96 Prozent bemüht sich der Großteil der befragten Unternehmen, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fördern und verhaltensorientierte Maßnahmen rund um Gesundheit und Work-Life-Balance anzubieten: von Sport und einschlägigen Seminaraktivitäten über ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und Techniken im Umgang mit Stress bis zur gesunden Betriebsküche. Dass dies nur teilweise den gewünschten Erfolg bringt, liegt offenkundig an der mangelnden strategischen Ausrichtung dieser Initiativen: 77 Prozent der befragten Unternehmen bieten – bisweilen wenig koordinierte – Einzelmaßnahmen zusätzlich zu arbeitsmedizinischen Leistungen an, aber nur 28 Prozent der Studienteilnehmer „managen“ ihre angebotenen betrieblichen Gesundheitsleistungen. Die Bedeutung verhältnisorientierter Maßnahmen hat hingegen gänzlich abgenommen, sie werden kaum noch angeboten.

Gesundheitsmanagement produktiv machen

Ein kluges und nachhaltiges Gesundheitsmanagement schafft Rahmenbedingungen, die es Mitarbeitern ermöglichen, eigenverantwortlich für ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu sorgen. Gesundheit im Betrieb zu managen ist insbesondere in Zeiten des demografischen Wandels zur Notwendigkeit geworden. So wird prognostiziert, dass Österreich bis 2049 mit dem stärksten Arbeitskräfterückgang infolge des demografischenWandels zu kämpfen haben wird. Gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter der erwerbstätigen Bevölkerung kontinuierlich an. Unternehmen sind aufgrund dieser und anderer demografischer Risiken mit enormen Herausforderungen konfrontiert. Sie müssen in einem künftig durch Knappheit und stärkere Konkurrenz geprägten Arbeitsmarkt Personal rekrutieren. Es wird zunehmend schwieriger werden, offene Stellen mit Leistungsträgern zu besetzen. Angesichts dieser Personalknappheit gilt es, ältere Arbeitnehmer länger an das Unternehmen zu binden. Betriebliche Gesundheitsleistungen nehmen hierbei eine essenzielle Stellung ein.
Der Beitrag, den betriebliche Gesundheitsleistungen zur Bewältigung der oben beschriebenen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen leisten können, liegt vielleicht nicht unmittelbar auf der Hand. Doch bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass das Angebot von betrieblichen Gesundheitsleistungen ein wichtiger Bestandteil sein kann, um beispielsweise die eigene Arbeitgebermarke zu unterstreichen. So können Gesundheitsleistungen auf dem stark umkämpften Markt der Fach- und Führungskräfte ein Kriterium darstellen, das für die Entscheidung eines Bewerbers für oder gegen ein Unternehmen mitverantwortlich ist.
Weiters lassen sich die demografischen Herausforderungen nur durch den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit der Belegschaft bewältigen. Damit Arbeitnehmer gesund, leistungsfähig und leistungsbereit sind und bleiben, ist eine Investition seitens des Arbeitgebers aber auch des Arbeitnehmers erforderlich.
Letztendlich stellen die Maßnahmen zum Erhalt und zur Förderung der Mitarbeitergesundheit auch einen Aspekt der „Social Responsibility“ eines Unternehmens dar. Sie dienen der Steigerung der Attraktivität eines Unternehmens ebenso wie seiner Produkte und Dienstleistungen. Das Angebot von betrieblichen  Gesundheitsleistungen in Form von Einzelmaßnahmen ist längst nicht mehr ausreichend. Gefordert sind unternehmensspezifische, gesundheitsfördernde Maßnahmen, die gezielt, systematisch und nachhaltig im Unternehmen implementiert werden.

Mercer 2010 Pan European Health and Benefits Survey

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und Herausforderungen hat das Beratungsunternehmen Mercer die Studie „Mercer Pan European Health and Benefits Survey” zu betrieblichen Gesundheitsleistungen in Österreich und Europa durchgeführt, aus der sich die folgenden Ergebnisse und Erkenntnisse ergeben:

  • 49 Prozent der Studienteilnehmer stimmen zu, dass die Mitarbeitergesundheit im eigenen Unternehmen eine große Bedeutung hat.
  • 39 Prozent der Studienteilnehmer geben pro Jahr und pro Mitarbeiter zwischen einem und 100 Euro für betriebliche Gesundheitsleistungen aus.
  • 44 Prozent der Unternehmen geben an, dass weniger als ein Drittel der Belegschaft die angebotenen betrieblichen Gesundheitsleistungen nutzt.
  • 47 Prozent der Studienteilnehmer investieren in den Bereich Prävention, gefolgt von Maßnahmen im Bereich Organisation, Ernährung und Bewegung/Ergonomie.
  • 56 Prozent der Studienteilnehmer sind der Meinung, dass vermehrt in die Mitarbeitergesundheit investiert würde, wenn der Staat betriebliche Gesundheitsleistungen verstärkt fördern würde.
  • 73 Prozent der Studienteilnehmer glauben, dass betriebliche Gesundheitsleistungen in Zukunft einen festen Platz in österreichischen Unternehmen einnehmen werden.
  • In den kommenden zwei Jahren wollen die Studienteilnehmer vorrangig die Themen Stress und Burn-out behandeln.

Auch im gesamteuropäischen Kontext sind die Ausgaben für betriebliche Gesundheitsleistungen im vergangenen Jahr gestiegen, so das Ergebnis der Studie „Pan European Health and Benefits Survey“. Die Studie zeigt, dass die Ausgaben für betriebliche Gesundheitsleistungen in Ländern mit einem Gesundheitssystem, das größtenteils aus Steuergeldern finanziert wird, mehr angestiegen sind als in Ländern, in denen das Gesundheitssystem in erster Linie aus Sozialversicherungsbeiträgen finanziert wird, wie beispielsweise in Österreich, Tschechien, Frankreich, Deutschland, Polen, in der Schweiz und den Niederlanden.
Bei steuerfinanzierten Gesundheitssystemen wird ein durchschnittlicher Anstieg von 3,7 Prozent verzeichnet. Großbritannien und Irland gehören dabei zu den Spitzenreitern mit jeweils 4,9 Prozent, gefolgt von Portugal mit 4,1 Prozent. Die geringsten Zuwachsraten gab es in Deutschland (1,5 Prozent) und in Tschechien (1,8 Prozent), die beide ein sozialversicherungsbasiertes System haben.
Ein genauerer Blick auf die Einzelergebnisse der verschiedenen Länder macht deutlich, dass die Treiber für die steigenden Ausgaben von Land zu Land variieren. Während für Deutschland vor allem die zunehmende Komplexität und die steigenden Kosten für medizinische Untersuchungen und Behandlungen angeführt wurden, hat Österreich eher mit dem Alter der Belegschaft zu kämpfen. In Irland, Polen, UK und Spanien wurde die „medizinische Inflation“, also die Kosten für Behandlungen und Medikamente, als Hauptgrund identifiziert. In Tschechien und Portugal ist es die zunehmende Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, die die Kosten am stärksten in die Höhe treibt. In Frankreich und den Niederlanden haben regulatorische und gesetzliche Änderungen den größten Einfluss.
Im Rahmen der Studie wurden die Teilnehmer auch zu den Zielen, die sie mit dem Angebot betrieblicher Gesundheitsleistungen verbinden, befragt. 37 Prozent der Befragten halten die Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern für ein sehr wichtiges, weitere 36 Prozent für ein wichtiges Ziel. Das Management von Gesundheitsrisiken bezeichnen 27 Prozent als sehr wichtig und 36 Prozent als wichtig. Für 17 Prozent der Befragten ist die Steigerung der Produktivität ein sehr wichtiges und für weitere 36 Prozent ein wichtiges Ziel.
Die Studie macht deutlich, dass Unternehmen aus Ländern mit umfassenden gesetzlichen Gesundheitssystemen, wie zum Beispiel Österreich, Deutschland oder die Niederlande, die Steigerung der Produktivität als wichtigeres Ziel als die Mitarbeiterbindung betrachten. Unternehmen aus UK, Irland und Spanien, also aus Ländern, in denen die gesetzlichen Systeme einige Schwachstellen aufweisen, sehen dagegen in betrieblichen Gesundheitsleistungen in erster Linie ein wertvolles Instrument zur Gewinnung von Mitarbeitern.

Schlüsselfaktoren

Auch wenn die Verbreitung von BGM noch viel Potenzial bietet, gibt es doch eine Vielzahl an Unternehmen, die den Erhalt und die Förderung der Mitarbeitergesundheit als langfristiges Ziel in ihrer Personalstrategie verankert haben. Was zeichnet diese Unternehmen aus?

Unsere Erfahrungen aus der Praxis zeigen folgende Kriterien:

  • Gesundheitsförderung ist strategisch und strukturell verankert. Diese Verankerung kann durch das Unternehmensleitbild, entsprechende Führungsleitlinien oder auch durch die Etablierung eines Steuerungskreises erfolgen. Wichtig sind das klare Bekenntnis der Leitung und die zur Verfügung stehenden Ressourcen.
  • Die Führungskräfte aller Ebenen haben den Nutzen und ihren Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten erkannt und ihr Handeln daran ausgerichtet.
  • Maßnahmen der Gesundheitsförderung sind in einem Prozess kontinuierlicher Verbesserung organisiert. Gemäß dem aus dem Qualitätsmanagement bekannten Plan-Do-Check-Act-Zyklus erfolgt vor der Durchführung der Maßnahmen eine Analyse der Ausgangssituation. Darauf basierend werden notwendige Maßnahmen bedarfsgerecht eingesetzt, nach Abschluss hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft und bei Bedarf angepasst.
  • Maßnahmen der Gesundheitsförderung sind ganzheitlich ausgerichtet. Ganzheitlichkeit zeigt sich dabei einerseits in der Berücksichtigung der Organisation (Verhältnisse) und der Beschäftigten (Verhalten). Darüber hinaus werden sowohl klassische, gesundheitsbezogene Maßnahmen durchgeführt als auch solche, die die Arbeitsbedingungen berücksichtigen.
  • Durch den Einsatz von Partizipationsinstrumenten, wie zum Beispiel Mitarbeiterbefragungen, Gesundheitszirkel oder Arbeitssituationsanalysen, wird der Bedarf der Beschäftigten ermittelt. Die Beschäftigten können so ihre Erfahrungen einbringen und Verantwortung für die Gestaltung von Arbeitsplatz und -organisation übernehmen.
  • Unternehmen verankern Maßnahmen dauerhaft. Die Integration von Gesundheitsthemen in die Strukturen und Prozesse des Unternehmens sichert die Nachhaltigkeit.

Fazit

Nur ein Unternehmen, das sinnvoll in die Gesundheit seiner Mitarbeiter investiert, bleibt beziehungsweise wird selbst gesund. Belegschaften altern. Zu wenige junge und qualifizierte Mitarbeiter kommen nach und das Pensionsantrittsalter wird heraufgesetzt. Gesetzliche Krankenversicherungen kosten zunehmend mehr, leisten aber weniger. Die erhöhten Beiträge wirken sich zulasten der persönlichen Gesundheitsfürsorge von Mitarbeitern aus. Durch die zunehmenden internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen herrscht ein grenzüberschreitender Wettbewerb um qualifizierte Führungskräfte. BGM schafft hier einen klaren Mehrwert. Diesen Wert schafft es aber nur, wenn auch die Beschäftigten Verantwortung nicht einfach an den Arbeitgeber abwälzen, sondern am Ende gelernt haben, die Verantwortung für ihre Gesundheit selbst und aktiv zu leben.


Dieser Beitrag ist in der Fachzeitschrift personal manager 1/2012 erschienen.