Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht.
Das ist als der Informationsbegriff der Systemiker mittlerweile geläufig.
Daten, also irgendwelche Vorgaben, werden von solchen Unterschieden, die für eine Steuerung einen Unterschied machen. Es geht also um die Beziehung eines Subjektes zu Daten, wenn von Information die Rede ist. Bei Information geht es um Anpassung und Steuerung.

man standing in front of group of men
Foto von Austin Distel

Für die Heizungssteuerung ist Helligkeit im Raum keine Information, wohl aber Temperatur. Überschreitet sie einen Unterschied zum Sollwert, springt die Heizung an. Für ein nachtaktives Tier kann aber Helligkeit der entscheidende Unterschied sein. Ein und derselbe Unterschied kann für die eine Steuerung bedeutsam sein, für die andere Steuerung nicht. Die Beschreibung der wichtigsten Leitdifferenzen einer Steuerung beschreibt ihre Wirklichkeit. Wenn ich beobachte, auf welche Unterschiede eine Steuerung anspringt, kann ich z.B. schnell aufklären, welches die Heizung und welches das nachtaktive Tier war. Nun wäre das nicht eine so schwere Übung, dass es dazu eines systemischen Ansatzes gebraucht hätte. Doch ist mir im richtigen Leben vor Kurzem noch einmal klar geworden, welche weitreichende Bedeutung solche Beobachtungen haben können.

Ich war Mitglied einer Kommission, die sich ein Bild über Bewerber für die Leitung einer Organisation machen sollten. Während ich anfänglich eher darauf achtete, ob mir die Bewerber gefielen und ich ihre Meinungen für qualifiziert hielt, sprang meine Wahrnehmung plötzlich um und ich achtete auf das Bild der Organisation, das die Bewerber in den Vordergrund hoben und damit über sich selbst und ihre bevorzugten Wirklichkeiten Auskunft gaben.

Bewerber A erklärte ausführlich, wie das Image der Organisation aufgebessert werden könnte und welche Imageträger auf welchen Marktplätzen für Sichtbarkeit sorgen könnten. Fragen nach der qualitativen Entwicklung von Produkten oder Prozessen lösten etwas Ratlosigkeit aus bis sie dann in Präsentationsprobleme und Verbesserung von Außenwirkung übersetzt und dazu Ideen entwickelt werden konnten. Leitdifferenzen: nach außen darstellbar oder nicht, Konkurrenten und gesellschaftliche Imageträger beeindruckend oder nicht. Wenig Unterschied schien z.B. zu machen: Mitarbeiter und Kunden überzeugende Qualität oder nicht, Nachhaltigkeit einer Entwicklung oder nicht. Also: Diese Organisation als Imageproblem und ihr Leiter als Marketingspezialist? Wollte ich das mittragen?

Bewerber B positionierte sich, indem er gleich erklärte, dass man Organisationen nicht diktatorisch führen könne, sondern einen Interessenausgleich mit den vorhandenen Gremien finden müsse. (Warum musste man etwas so selbstverständliches so beschwichtigend betonen?) Man müsse eben die dort wichtigen Leute und deren Interessen kennenlernen und könne nicht gleich mit der Durchsetzung eigener Vorstellungen beginnen. Auch Gespräche unter vier Augen könnten hilfreich sein, um Durchsetzungsmöglichkeiten auszuloten. Fragen nach inhaltlicher und kultureller Ausrichtung der Organisation und Verankerung in dafür geeigneten Umfeldern wurden in Fragen der Überzeugung von Mächtigen und Durchsetzbarkeit übersetzt und dann beantwortet.
Leitdifferenzen: durchsetzbar oder nicht, Nachgiebigkeit oder machtvolles Auftreten je nach Opportunität etc. Also: Diese Organisation als Dompteurnummer und der Leiter als bravouröser oder scheiternder Herrscher? Wollte ich das mittragen?

So ging das weiter. Je länger die Vorstellungen gingen, desto weniger beschäftigte ich mich damit, was ich von den jeweiligen Positionen und Kompetenzen in jeder der Darstellungen hielt, umso mehr aber damit, welche Welt-, Menschen und Selbstbilder damit explizit und implizit entworfen wurden. Welches waren die Leitdifferenzen, mit denen die Kandidaten die Wirklichkeiten der Organisation, der anstehenden Entwicklungen und Herausforderungen entwarfen? Damit charakterisierten die Kandidaten sich selbst und ihre Welten. Konnte das künftig die Wirklichkeit der Organisation sein? Sollten es diese Art von Fragensein, auf die dort künftig Wert gelegt und auf die Antworten gefunden werden sollten? Waren sie angemessen vielfältig, integriert und gewichtet und zu der Persönlichkeit, die sich vorstellte passend? Schließlich gab es dann doch eine engere Auswahl von Kandidaten, mit immer noch erstaunlich verschiedenen aber akzeptablen Wirklichkeitsentwürfen der Organisation, Selbst- und Kompetenzdarstellungen.

Informationen sind Unterschiede, die Unterschiede machen. Hat mir das jetzt eigentlich was geholfen? Klar, ich habe wahrscheinlich auch nichts anderes gemacht als meine KommissionskollegInnen und bin letztlich auch mit ihnen weitgehend einig gewesen. So what? Ich freu mich halt, wenn ich etwas, was die meisten intuitiv machen, auch bewusst erfasse, und wenn Konzepte, an denen wir Kommunikationsleute basteln nicht nur theoretischer Überbau sind, um „wissenschaftliche“ Garnituren vorzuweisen. Diese Definition hat für mich einen Unterschied gemacht, mitten drin im wirklichen Leben.

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