00:00:04
Alexander Petsch: Glückauf und Herzlich Willkommen zu den heutigen “HRM Hacks”. In unserer heutigen HRM Hacks-Folge spreche ich mit Dr. Jürgen Erbeldinger zur Bedeutung von “No-” und “Low Coding” im Personalbereich und welche Hacks es dazu gibt. Dr. Jürgen Erbeldinger ist seit Jahren als Vordenker und Visionär nicht nur in der HR-Szene bekannt. 1998 hat er die” E&E Information Consultants AG”, den Grundstein für die heutige Escriba AG, gelegt. Wir kennen uns wahrscheinlich schon aus dem Jahr 2000. Da war nämlich “E& E” bereits in Karlsruhe auf der allerersten HR Messe mit dabei. Dr. Erbeldinger ist Multiunternehmer, neudeutsch sozusagen ein “serial entrepreneur” und meistens mit Themen zu neuen IT Technologien in Kombination mit Anwender Experience unterwegs. Und bei der “Escriba AG”, die er vielleicht auch von der HRTech in Köln kennt, legt er mit dem Thema “No-” und “Low Coding” seinen aktuellen Schwerpunkt. Herzlich willkommen, Jürgen!

Juergen Erbeldinger_4

00:01:43
Dr. Jürgen Erbeldinger: Vielen Dank für die tolle Begrüßung. Ich bin sehr, sehr gerne hier und freue mich auf das Gespräch mit dir!

00:01:48
Alexander Petsch: Ja, in unserer Vordiskussion bin ich über eine Sache gestoßen. Das gibt es ja gar nicht. Nach “Bring your own device” (also wir wissen alle, welche Herausforderungen das in vielen Organisationen und Unternehmen bereitet hat!), heißt es: “Bring your own software!” Sagst du eigentlich, die Mitarbeiter sind jetzt so weit? “Bring your own software”? Ist das nicht ein bisschen verrückt?

00:02:13
Dr. Jürgen Erbeldinger: Ja, es ist verrückt, aber es ist auch schon Realität. Wir haben dieses Jahr das erste Mal MitarbeiterInnen – einen Mann, eine Frau – eingestellt, die beide mit der Ansage kamen:”Ich habe auf der Plattform, die ihr betreibt, schon entwickelt und ich würde gerne eigene Software mitbringen und die auch bei mir am Arbeitsbereich einsetzen bzw für Skype einsetzen.” Von daher kommt auch dieser Impuls. Wir haben lange Zeit geguckt, dass “No-“/”Low Coding” ein Thema ist für die IT Entscheider, dass es ein Thema ist für HR IT. Aber das ist ein Thema für die ganze Personalarbeit. Das ist einerseits eine Herausforderung für den Personalbereich, aber auch für die ganze Personalarbeit. Ich gehe davon aus, dass das zukünftig Standard wird, dass Mitarbeiterinnen sich bewerben und sagen: “Neben meinen Skills, die ich in der Arbeitsleistung mit einbringe, habe ich auch eigene Programme, eigenen Content vielleicht sogar, den ich dem Unternehmen zur Verfügung stelle.” Und das hat Sprengstoff. Da ist Bewegung drin.

00:03:19
Alexander Petsch: Kannst du uns mal erklären, was man genau unter “No-/ Low Coding” oder “NLC” versteht?

00:03:26
Dr. Jürgen Erbeldinger: Ja, super. Auch gut, dass man mit der Frage einsteigen kann. “No coding” heißt, ohne Quellcode zu schreiben, also ohne Coding, kann ich eine eigene Anwendung erzeugen. Man spricht dann auch vom “kritischen Developer” oder auch oft mal von dem “No Coder”. Ich finde, das klingt so ein bisschen komisch. Die Technik ist heute schon sehr weit. Ich kann mich vor ein Computer setzen und diktiere dann: “Lieber Computer, bitte baue mir eine einfache App zur Verwaltung, beispielsweise von meinen Kontaktdaten, damit ich automatisiert eine Mail zur Einladung an meinem Geburtstag schreiben kann.” Das ist das, was Microsoft gerade macht. Das ist die Sprachschnittstelle für “No Coding”. Wir arbeiten eher mit grafischen User Interfaces, weil wir an eine höhere Komplexität in diesem “No Coding” Bereich bringen. Aber die Grundidee ist: Ich kann eigene Software erzeugen, die auch tatsächlich dann überall läuft, ohne ein Code zu schreiben. Da steckt natürlich ein irres Potenzial drin! Es werden hier Softwarebereiche adressiert, die wir vorher gar nicht hatten. Man kommt jetzt an Themen heran, wo man sagt: “Das hatte ich vorher nie auf dem Schirm, zu digitalisieren.” Jetzt auf einmal kommt jemand und sagt “Du, ich habe das mal schnell mit einer App unterlegt.” Das ist “No Coding”. Abgrenzung dazu ist “Low Coding”. Mit Hilfe von vorgefertigten Code-Blogs baut man auch sehr leistungsstarke Anwendungen zusammen. Vorteil davon ist, dass man wesentlich schneller ist. Ich habe einen wesentlich geringeren Anteil an Codezeilen, die ich erzeugen muss. Dadurch ist es natürlich günstiger. Aber der ganz große Effekt ist es, es ist vor allen Dingen besser, weil ich mit durchgetesteten Code-Blocks arbeite. Man macht pro Codezeilen, die man schreibt, bestimmte Fehlern. Man sagt immer: auf 1000 Codezeilen sechs Fehler. Wenn ich jetzt nur 100 Zeilen schreibe, dann habe ich wahrscheinlich nur einen Fehler drin. Wenn ich 1000 Zeilen schreibe, habe ich sechs Fehler und dadurch ist dieses Thema “low coding”. Ich habe vorgefertigte Blocks und die kombiniere ich auch zu wirklich leistungsstarken Anwendungen. Eine wahnsinnig hohe Softwarequalität.

00:05:42
Alexander Petsch: Wo du das gerade so erzählst. Ich meine, gefühlt wahrscheinlich 22 Jahren oder 23 Jahren, als ich meine erste Firma gegründet habe, habe ich mein CRM so gebaut. Dann bin ich in den Mediamarkt gegangen und da gab es eine Box, da stand “Bau your own CRM”- Es war, glaube ich, damals die Firma Topware, die einfach um ihre eigene CRM Software, die sie selbst für sich gemacht hat, eine Box gemacht hat. Und ich habe sie nur gekauft, weil da hinten drauf stand, es gibt eine kostenlose Hotline dazu, aber das war damals schon so, dass ich, nachdem ich selbst bei den beiden Firmen davor für das Thema zuständig war, mir eigentlich ein sehr, sehr leistungsfähiges System zusammenklicken konnte, ohne dass ich eine Zeile Code geschrieben habe.

00:06:30
Dr. Jürgen Erbeldinger: Ja, der Gedanke ist auch so alt wie die Softwareindustrie. Es geht um die Wiederverwendbarkeit von Codes und das ist eigentlich in allen Programmiersprachen angelegt. Das Neue ist, dass heute die Leistungsstärke von der Technik eine ganz andere ist. Im Regelfall ist das SAAS, also “Software as a Service”, als Plattform angeboten. Und diese Plattformen wachsen dadurch, dass jeder Anwender, der darauf entwickelt, seinen Code anderen entgeltlich oder unentgeltlich zur Verfügung stellt. Und durch dieses Mengenthema ist da eine ganz neue, ja eine ganz neue Szene entstanden und auch eine ganz neue Leistungsklasse entstanden. Und früher waren das halt oft sehr einfache Anwendungen, die ich per “No Coding” und auch per “Low Coding” schreiben konnte. Heute ist die Leistungsklasse wirklich beeindruckend. Gartner, als einer der großen Auguren im Markt behauptet, dass innerhalb der nächsten Jahre, ich glaube, sogar 90 % aller Anwendungen, die im B2B Sektor existieren, durch “No-/” und “Low Coding” basierte Anwendungen abgelöst werden. Und das hat sicherlich damit zu tun, dass die Technik wirklich einen Sprung nach vorne gemacht hat. Cloud Technologie, die hohe Leistungsfähigkeit, Speicher kostet kein Geld mehr, leichte Verfügbarkeit von Bandbreiten, all das sind Faktoren, dass dieses Thema so an Bedeutung gewonnen hat.

00:07:58
Alexander Petsch: Hm. Hm. Und was bedeutet das jetzt für HR?

00:08:05
Dr. Jürgen Erbeldinger: Der eine Aspekt für den HR Bereich ist, das man den Digitalisierungsstau auflösen kann. Wir erleben ganz oft, dass die Personalbereich in ihren Kernprozessen, Abrechnungen oder auch Personalentwicklung durch die Backend Systeme ganz gut digitalisiert sind. Aber die ganze Arbeit, die rechts und links davon liegt (und die ist sehr vielfältig im HR-Bereich), die wird oft nicht digitalisiert, wenn man sagt, das ist vom Volumen zu klein oder man hat nicht die richtige Priorität bei der IT Abteilung dafür, und und und und. Dadurch kennen wir sehr viele Personalbereiche, die haben so einen regelrechten Digitalisierungsstau, den kann man an der Anzahl an Exceltabellen, die im Bereich sind, messen. Man merkt dann: Wir haben einen Exceltabelle für bestellen, einer Schutzbrille, eine Exceltabelle für die Geburtstagsliste, eine Exceltabelle für Spindverwaltung und und und, plus 35 Spezialapplikationen, um kleine Prozesse abzumachen. Und das ist das, was heute diesen Digitalisierungsstau ausmacht, und den kann ich auflösen. Mit so einer No/Low Coding Plattform komme ich selbst wieder in den Driver Seat. Ich kann viele Sachen selbstständig machen oder vom Excel to App ist so eine Sache, aus einer Excel Tabelle eine Anwendung zu bauen, das geht wirklich in Stunden, in Minuten. Damit habe ich eine höhere Datensicherheit. Ich habe eine bessere Verfügbarkeit. Ich bin oft auch besser in der Compliance. Dadurch komme den Anforderungen von DSGVO, zum Beispiel, nach. Das ist der große Vorteil, den ich als Personalabteilung bekomme. Das zweite und das finde ich genauso interessant, ist ein Beitrag zur Kostensenkung. Was wir bis jetzt gesehen haben bei größeren Projekten, das ist dann mehr “Low Coding”, man konsolidiert das HR IT Portfolio und im Regelfall sind da 20 bis 25 % Kosteneinsparung drin. Und ich glaube, wir alle kennen dieses – das “95 zu 5 – Problem” heißt es immer so schön – 95 % der Anwender nutzen 5 % der Funktionalität. Trotzdem bezahle ich natürlich 100 % der Lizenzkosten. Jetzt geht man mit “Low Coding” hin und baut genau diesen Funktionsteil, ich sags mal ganz platt, nach. Dadurch erreicht man eine signifikante Kostenreduktion und gerade in Zeiten von so einer hohen Inflationsrate oder auch einem zunehmenden Kostendruck denke ich, ist das das ganz große Argument, um zu sagen ich stell mir IT-Plattform als Rückgrat meiner IT in beispielsweise dem HR-Bereich. Das gilt analog auch für andere Bereiche. Und da liegt, glaube ich, ein ganz großes Thema darin. Das sind für mich so die beiden ersten Steps, also “Back to Driver seet”. Ich bin wieder führend bei der Digitalisierung, weil ich vieles selbst machen kann. Und das zweite: Ich habe ein einheitliches System. Ich leiste einen Beitrag zur Kostenreduktion und kann natürlich, wenn ich eine einheitliche Plattform habe, ganz anders Daten auswerten, ganz andere Reports zur Verfügung stellen. Ich kann ganz anders ISO-Norm, Compliance und die Themen, erfüllen. Das sind so zwei Aspekte, von denen ich glaube, dass sie zentral für einen Personalbereich sind. Und der dritte Aspekt ist die veränderte Arbeitskultur. Wir haben das bei einem großen Softwarehaus erlebt. Für die haben wir weltweit NLC eingeführt. Und insbesondere die Applikationen, die selbst geschrieben wurden, also da, wo die Citizen Developer “No Coding” betrieben haben, hat man natürlich eine ganz andere Akzeptanz für Software, als ich die habe, wenn ich fremde Software einkaufe. Das ist schon ein ganz spannendes Thema. “Invented here”, “Made by Colleagues” ist schon ein ganz, ganz großes Thema. Und interessanterweise ist auch wirklich zu sehen. Die No Coder, also die Mitarbeiterinnen aus den Fachbereichen, schreiben andere Software als wir mit unserem IT verzerrten Blick. Und im Regelfall ist die besser. Die, die passt viel genauer. Die greift andere Themen auf. Und in dem Kontext dann, wenn ich sehe, wie diese Akzeptanz ist, aber auch wie die Begeisterung ist, dann merkt man auch, dass das ein Einstieg in die ganze Technologie liefert. Das waren in dem Fall Kolleginnen, waren Juristinnen, die haben vorher sich noch nie mit Software beschäftigt, obwohl sie in dem Softwareunternehmen arbeiteten. Jetzt auf einmal schreiben sie selbst Softwares und kriegen dadurch Zugang zu der Materie, haben ein ganz anderes Verständnis, interessieren sich auf einmal für die Frage, was den ein “producter owner” ist. Mittlerweile gibt es auch bei uns den festen Begriff sogenannte “NLC product owner”. Da geht man hin und lernt halt wirklich so die Grundbegriffe vom agilen Arbeiten, hat eine hohe Eigenverantwortung und ich glaube, da liegt für den Personalbereich auch viel drin, das immer zu sehen und vielleicht auch die Qualifikationsbedarfe daraus abzuleiten.

00:13:19
Alexander Petsch: Die HRM Hacks ist ja unser Thema. Was wären denn so Tipps und Tricks, wie man sich dem Thema nähern kann? Oder was hast du uns denn da mitgebracht?

00:13:29
Dr. Jürgen Erbeldinger: Na, ich glaub, der wichtigste Trick ist ausprobieren. Es gibt in dem agilen Management den Satz “Try it, keep it, drop it”. Ausprobieren, verbessern, wegwerfen. Und genau so würde ich auch an das Thema “No-” und “Low Coding” rangehen. Sich den Platformbereich freischalten zu lassen und darauf einen einfachen HR Prozess zu optimieren, beispielsweise die elektronische Krankmeldung, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für Privatversicherte ist ein Thema, das alle haben. Da eine Lösung zu bauen auf einer NLC Plattform oder auf einer vorkonfektioniert Lösung aufzusetzen ist in zwei Stunden gemacht, inklusive sogar der Integration auf dem SAP Backend (wir haben meistens SAP Backends, auf die wir gehen) und dann kann ich direkt mal ausprobieren: Bringt mir so etwas oder bringt das ganze nichts? Und daran dann stufenweise zu lernen und zu sagen okay, das ist jetzt wirklich ein einfacher Prozess. Wir machen mal als zweites, weiß ich nicht, Arbeitszeitänderungen oder einen Freigabeprozess mit Betriebsräten und Zustimmungen. Das ist der zentrale Hack; einfach ausprobieren und damit in diese Welt einsteigen. Und dann, wenn man merkt, das ist das Thema, dass das bei uns funktioniert. Oder es gibt bei uns AnwenderInnen, die sagen, sie wollen weitermachen, dann würde ich sagen okay, jetzt sieht man das Thema mal größer und dann ist die Frage: eine Plattform? Mehrere Plattformen? In welchem Umfang? Wie macht man Governance? Dann gibt es schon einiges zu diskutieren. Aber der zentrale Hack ist: Just do it. Ausprobieren, um so ein Gefühl dafür zu kriegen, wie stark sich die Software Welt verändert.

00:15:08
Alexander Petsch: Also, dass das, glaube ich, ein Megatrend ist, kann man auch daran erahnen, dass auch ein anderer (auch auf der HRTech) Softwareanbieter, der eigentlich das Ganze, den ganzen HR Prozess oder große Teile davon als Gesamtlösung anbietet,  sozusagen “build your own process”. Man an sieht auch da ist Bewegung im Markt, sonst würde man das nicht machen. Ich glaube auch gerade HR ist dazu prädestiniert, weil es ist ja wirklich eine unglaubliche Fülle an Themen. Ich habe immer das Gefühl, wenn man nicht weiß, wo man im Unternehmen irgendwas ansiedelt, Iim Zweifelsfall landet es in HR.

00:15:58
Dr. Jürgen Erbeldinger: Wir haben so ein Produkt-Leistungs-Katalog, wir zählen und systematisieren. Welche Aufgaben übernimmt üblicherweise ein Personalbereich? Wir haben bei 325 mal gesagt, dass wir komplett sind. Wir sind mittlerweile weit über der 400. Ob das COVID-Zertifikat ist oder ob das andere Themen sind. Die Tendenz ist hier nicht nur wachsend, das ist exponentiell wachsend.

00:16:20
Alexander Petsch: Ja, ja.

00:16:22
Dr. Jürgen Erbeldinger: Es ist ein großer Trend. Aber auch hier muss man aufpassen. Viele gehen hin und haben ganz einfache “Customizing”-Oberflächen, wo ich mit ein paar Klicks eine Anwendung anpassen kann. Das ist kein “No Coding”. Der Unterschied zwischen “Customizing” und “No Coding” ist so groß wie der von Pfirsich zu Walfisch. Das hat nichts miteinander zu tun. Das eine ist Ich kann wirklich selbstständig eine App bauen und das andere ist Ich kann ein Business Prozess anpassen. Das erwarte ich, dass man das kann. Aber zu sagen, ich baue mir eine eigene App, ist eine wesentlich größere Gestaltungsmenge und damit auch ein ganz anderer Ansatz, weil gerade bei Customizing muss ich verstehen, was kann die Anwendung, die ich anpasse? Wo sind die Grenzen? Was ist denn da vorgedacht? Das ist ein ganz anderes Konzept. Und klar springen jetzt viele auf diesen Zug auf. Seit 2016 wird das von Gartner als wichtiger Trend identifiziert und 2022 kommen so die letzten, die sagen “Okay, jetzt habe ich erkannt, das ist was!”

00:17:26
Alexander Petsch: Wenn du von App sprichst, meinst du dann eine responsive website oder wirklich, ich sag mal eine, eine Handy App oder wie?

00:17:41
Dr. Jürgen Erbeldinger: Es gibt unterschiedliche Techniken. Wir arbeiten mit Webseiten, also unser Framework hat als FrontEnd “Type Scrip”t oder “Java”-basierte “responsive HTML Designs”. Es gibt auch andere Anbieter. Ich habe vorhin schon mal auf Microsoft verwiesen. Microsoft setzt sehr stark auf die Teams Plattform. Dadurch installiere ich mir halt wieder mal ein Stück Code auf einem Device und dann läuft in dem Device der entsprechende “No coding”, ich nenne es einfach mal Compiler. Stimmt nicht und wir haben gesagt, wir wollen das nicht. Wenn da unabhängig sein, der Vendor Lock in ist mir hier zu groß und dann das was wir machen ist tatsächlich mit unserer Technik, aber grundsätzlich mit jeder HTML Technik lauffähig und wir sind “Zero Footprint”. Tatsächlich brauche ich keinerlei Installation auf den Geräten, um die Sachen laufen zu lassen, weil das ist für mich ein ganz wichtiges Mantra, dass wir nicht wieder zurückfallen in so alte Themen und sagen “Ja, du musst erst mal ein Betriebssystem und sonst irgendwas installieren und dann läuft da schon irgendwas drauf.” Der zweite Grund, wenn wir schon so ein Produktvergleich im Kopf haben, Microsoft ist wahnsinnig stark bei No Coding, aber in relativ beschränktem Umfang! Wir selbst kombinieren “No-” und “Low Coding” und gerade die Kombination ist für mich sehr wichtig, weil dadurch können Fachbereiche Erfahrung mit “No Code” sammeln, um dann besser mit “Low Codern” und “Deep Codern”, wie uns oder der IT Abteilung, zusammenzuarbeiten. Und das ist vielleicht mein zweiter Hack. Das ist ein wahnsinnig gutes Instrument, so eine NLC Platform, um die Zusammenarbeit mit IT neu aufzusetzen. Was machen wir als Fachbereiche? Was könnt ihr als IT leisten? Wie können wir Dritte einbinden, wenn wir Projekte haben? Dafür ist so eine NLC Plattform einfach ein strukturgebendes Element. Das ist das, was ich an der Technik so schätze und was wir auch bei unserer NLC Platform – wir sind ein eigener Anbieter – stark in den Vordergrund stellen.

00:19:53
Alexander Petsch: Vielleicht nicht unbedingt ein Hack, aber sich daraus ableitend, ist natürlich auch, dass es das ganze Thema der mobilen Arbeitswelt natürlich auch unterstützt. Es ermöglicht viele Prozesse, die ich vielleicht anders gar nicht oder nur schwer remote abbilden kann.

00:20:14
Dr. Jürgen Erbeldinger: Auf jeden Fall. Das ist das Modularisierungprinzip und das ist auf jeden Fall ein Hack. Wir machen mal ein Beispiel: Ein großer Lebensmittelhändler, Einzelhändler, über 200.000 Beschäftigte, fängt jetzt an und sagt ich brauche ein COVID-Zertifikat und die werden unterschrieben. In so einer Plattform ist das Integrieren von einem Signing Service, also von einer digitalen, laufender qualifizierten digitalen Signatur. Einmal gemacht und jetzt steht es für jede Anwendung, die auf der Plattform läuft, zur Verfügung. Das gilt auch, wenn das dezentral eingespielt wird. Dadurch konnten wir so einen Prozess wie zertifizierte COVID-Zertifikate innerhalb von kürzester Zeit frei perfekt unterstützen. Das war in drei Tagen gemacht, dass wirklich so jeder sein Zertifikat hochladen und bestätigen konnte. Damit gewinnt das Thema Geschwindigkeit, “time to market durch NLC”, eine unglaubliche Bedeutung. Und das liegt immer am Modularisierungprinzip. Ich hänge hier halt nicht am Tropf von einem Vendor, sondern ich bin hier auf einer offenen Plattform, die Marktstandards unterstützt. Darin sehe ich auch noch einen ganz wichtigen Schritt zu sagen, wenn man sich für eine NC Plattform entscheidet, bitte prüfen: Ist das Vendor-spezifisch? Also ist es beispielsweise eine Sales Force. Die haben auch schon relativ lange auf ein relativ gutes “Low Coding Environment”. Oder ist es Mendix? Sie haben auch “Low Coding Environment”. Oder bin ich eben in einer Standardplattform, die “quelloffen” ist, also Module in- und ausgecheckt werden können? Und dann habe ich den großen Vorteil, dass ich mehr Geschwindigkeit und vor allen Dingen dieses Versprechen “Never get outdated!” ganz gut realisieren kann.

00:22:03
Alexander Petsch: Gibt es da eigentlich im HR-Bereich auch so was schon wie einen App Shop für die 400 und mehr explodierenden HR Prozesse?

00:22:14
Dr. Jürgen Erbeldinger: Wir haben jetzt gerade den sogenannten HR Service Manager gelauncht. Das haben wir im Frühjahr bei dem Bergbauunternehmen gemacht. Da liefern wir im “STANDARD 90” vorkonfektionierte HR Services aus. Da ist dann der Prozess, die Beantragung, die Freigabe, die Ablage, die Unterschrift, die Kennzahl, das Service Level Agreement. Die sind alle vorkonfektioniert und die kann ich mehr oder minder einschalten. Aber ja, wir haben für 90 Standardleistung aus dem HR-Bereich komplett an die Kette. Von der Beantragung der Bearbeitung, der Freigabe, der Unterschrift, der Ablage und dem Monitoring. Wie lange dauert das? Ist es SLA eingehalten? Das haben wir vorkonfektioniert und liefern das im Prinzip wie so ein Webshop mit aus. Und das ist wie so eine Menükarte, wo man sagt: das nehme ich, das nehme ich nicht. Wir haben jetzt mit unserem Partner zusammen, der Software-GEMA, geguckt. Die haben über 30 fertige Apps für HR. Das geht vom Verlagswesen über Entgeltanpassungen. Wir haben einen anderen großen Partner, der hat in den USA schon über 15 HR-Sachen. Von daher werden wir die konsolidieren und in den Webshop stellen. Aktuell ist das noch so ein bisschen “handmade”. Einfach weil wir die Software relativ frisch übernommen haben und es noch keine, aus unserer Sicht, freigegebene Lösung für so einen Marktplatz gibt.

00:23:59
Alexander Petsch: Gibt es Hacks zum Thema “Wie gehe ich denn mit mit dem Thema IT Abteilung versus HR Abteilung in dem Kontext um”?

00:24:10
Dr. Jürgen Erbeldinger: Ja, einer der zentralen Hacks. Meine Erfahrung ist, dass die IT Abteilungen auf den Ansatz sehr positiv reagieren. Es gibt aus München ein tolles “White Paper” von 2016, das auch in der IT-Szene viel Beachtung gefunden hat. “Managed Evolution”. Da geht es darum, wie kann man als IT-Abteilung Komplexitäten reduzieren? Und da wird das Thema “No-“ und “Low Coding” als zentrale Methode genannt. Zu sagen, – anstatt dass der HR Bereich 30 verschiedene Apps von unterschiedlichen Herstellern hat – bitte stellt denen eine ordentliche NLC Plattform zur Verfügung, unter Umständen sogar zwei oder drei Plattformen und helft dabei, dass der Fachbereich eigenständig werden kann. Das ist so das Kernthema und das kann jedem IT Bereichen recht sein. Für IT ist es wesentlich einfacher zu sagen: wir haben eine Plattform und die hat bestimmte Normen und darauf kann ich Governance betreiben. Und dieses Argument, das funktioniert immer.

00:25:17
Alexander Petsch: Also, du würdest sagen, die Hoheit, Auswahl, Entscheidung bei der IT Abteilung was das was den Rahmen angeht, da die IT mit einbinden.

00:25:31
Dr. Jürgen Erbeldinger: Ja vielleicht sogar die Freigabeprozesse. Wir kennen einen anderen Fall von einem großen Leverkusener Unternehmen, die haben sich 100.000 User Lizenzen auch für “No Coding” gekauft, um dann festzustellen, dass es die Hölle ist, wenn 100.000 Leute versuchen Prozesse zu verändern. Das ist natürlich eine Frage von Freigabe, Überwachung, Kontrolle, auch Nutzen, Gedanken. Ich glaube nicht, dass jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin, ein No Coder werden kann. Aber es gibt welche, die sagen “Ich will das” und mit denen gezielt zusammenarbeiten. Das könnte eine wichtige Rolle sein. Und da kann ich hier aus meiner Sicht die Governance oder sollte sogar die Governance haben und das mit einer IT Abteilung zu besprechen. Ich glaube, dass man da auf offene Ohren stößt.

00:26:18
Alexander Petsch: Was gibt es denn sonst noch für Tipps, die du zu unserem Thema hast?

00:26:22
Dr. Jürgen Erbeldinger: Das sind so ganz, ganz viele. Die Frage “Was sind denn deine besten fünf?” finde ich immer so schwer zu beantworten. Ich glaube, ich habe die meine liebsten 15.

00:26:32
Alexander Petsch: Dann komm los. lacht

00:26:37
Dr. Jürgen Erbeldinger: Etwas, was ich tatsächlich am stärksten finde, ist das Thema “Mitarbeitermotivation” und letztlich auch “Employee Experience”. Ich habe das vorhin im Nebensatz gesagt. Es ist wirklich verblüffend zu sehen, was Fachabteilungen für ein Blick auf die Themen haben, wenn sie das richtige Werkzeug in der Hand haben. Da müssen wir uns als IT wirklich verstecken und sagen, das sind einfach tolle Ideen. Wenn man merkt, die kommen aus der Fachlichkeit und das ist vielleicht so tatsächlich mein liebstes Thema. Es entsteht andere und neue Software, wenn der Fachbereich im “Driver seat” sitzt, aber eigenverantwortlich arbeiten muss. Man kann nicht einfach auf die IT schimpfen und sagen “Ha, ich will so und so und die haben es nicht gebaut”, sondern gerade die Oberfläche und damit die Benutzerführung, die liegt im “No Coding”. Und das kann der Fachbereich selbst. Und da entstehen wahnsinnig spannende Konzepte und eine ganz anders genutzte Software.

00:27:38
Alexander Petsch: Ich habe gerade neulich einen Podcast gemacht mit dem Daniel Mühlbauer. Der kommt ja eher aus HR Software seitig, oder? Ja, und der hat es auch von der anderen Seite. Im Prinzip genau dasselbe Thema beschrieben. Hat nämlich gesagt: “Du musst eigentlich als HR Software Verantwortlicher erst mal den Business Case genau verstehen und die Ziele genau verstehen und da erst mal tief einsteigen, um nachher nicht was zu machen, was nachher (ich sage jetzt mal überspitzt gesagt) keiner braucht oder ein Ergebnis zu liefern, was gar nicht gewünscht ist.”

00:28:20
Dr. Jürgen Erbeldinger: Nur Software, die nutzt, wird benutzt. Das ist ein ganz alter Satz, aber da ist ganz viel dran und ich bin da auch eng bei dem Daniel. Nur ganz oft ist es so Der Fachbereich weiß gar nicht genau, wie soll er die IT prüfen? Da ist ein wahnsinniges Loch dazwischen. Die IT, ich bin ja auch jemand, der sehr aus der Technik kommt, hat gar kein Bild davon, wo der Fachbereich ansetzen will. “No Coding”, da kann ich mal eine kleine App schreiben und sagen “Na ja, hier hätte ich gern die Daten aus SAP gelesen. Konnte ich aber nicht.” Wobei das sogar noch No coding wäre. Aber oft mal kommen der Punkt, wo man sagt das konnte ich selbst nicht einrichten, aber da hätte ich gerne das und das gehabt. Und durch dieses konkrete Arbeiten an einem einfachen “Mock Up”, an einem “Minimal Viable Product”, entsteht ein ganz anderes Zusammenarbeiten und man hat ein ganz schnelles Erfolgserlebnis.

00:29:07
Alexander Petsch: Was ist denn ein “Minimal Viable Product”?

00:29:10
Dr. Jürgen Erbeldinger: Die kleinste machbare Lösung für ein Problem. Ein MVP. Das steckt ganz stark in diesen agilen Methoden, aber auch ganz stark in dem “No-” und “Low Coding”- Ansatz. Bau doch erstmal die kleinste, die kleinste Version von der Software, die dir hilft, die aber tatsächlich auch läuft, überlebensfähig, viable, ist. Und das ist toll zu sehen, das nennt man so schön “Elefanten Carpaccio”. Einen ganzen Elefanten, den kriegst du nie auf den Grill. Aber den einzufrieren und in hauchdünne Scheiben zu schneiden, das ist das, was man da macht. Wenn ich so meine Hacks zusammenzähle, wäre das auch einer von denen, zu sagen: Baut doch mal die kleinste Software, von denen ihr sagt “die hilft mir”. Elefanten Carpaccio klappt wahnsinnig gut.

00:30:00
Alexander Petsch: Ja, Jürgen, gibt’s noch zum Schluss was? Etwas, woran wir denken sollten, wenn wir uns damit beschäftigen.

00:30:09
Dr. Jürgen Erbeldinger: Ja, Mark Andresens “Software is Eating the World” – der Beitrag ist, glaube ich, 2008 oder 2009 in den USA erschienen – der gesagt hat: Jedes Unternehmen wird zum Softwareunternehmen. Ich gehe mittlerweile soweit, dass ich glaube, in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird jeder Arbeitnehmer zum Softwareanbieter. Und das ist so der nächste Schritt, über den ich auch bei Gelegenheit gern sprechen möchte. Was heißt das für die Arbeitswelt? Nicht nur für die HR Abteilung? Und ich glaube, dass der Andresen sogar zu kurz gesprungen ist. Software eating the World heißt wirklich jeder, der zukünftig im Arbeits geschehen aktiv sein wird, ist Anbieter von eigener Software.

00:30:50
Alexander Petsch: Das ist ja eine spannende Vision. Ja, Jürgen, herzlichen Dank für deine Hacks und für dein “Tür aufmachen” zu einer neuen großen Welt des “No Codings” oder “Low Codings”. Schön, dass du da warst.

00:31:04
Dr. Jürgen Erbeldinger: Ich habe zu danken. Es hat viel Spaß gemacht. Bis bald.