Falsche Vorgehensweisen
können kontraproduktiv sein

person holding pencil and stick note beside table
Foto von Marten Bjork

Im Sinne der genannten Optimierungspotenziale sollte das Vorgehen auf einem guten Konzept basieren und alle Beteiligten informieren. Psychische Belastungen zu ermitteln erfolgt keinesfalls durch das reine Austeilen eines Fragebogens. Solche Vorgehensweisen können Mitarbeiter nicht nur frustrieren, sie können auch demotivieren.

Es ist besser, erfahrene Experten für Prävention einzubinden und ein auf das Unternehmen abgestimmtes Verfahren anzuwenden. Nur erfahrene Experten bringen neben dem nötigen theoretischen Fachwissen auch die praktischen Kenntnisse mit, um ein „sanftes Klagen“ der Mitarbeiter von echten Problemfällen zu unterscheiden. Nach der Beurteilung sind Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, worauf eine Wirksamkeitsprüfung erfolgt. Die Praxis hat gezeigt, dass einige Handlungen dringend vermieden werden sollten: ein zu rasches Vorgehen, das kurze oberflächliche Befragen, die Umsetzung von Maßnahmen wird ausgelassen, Alibiaktionen und unerfahrene Personen übernehmen die Planung. Die Folge davon ist fast durchgängig, dass die Mitarbeiter keine Veränderungen oder Verbesserungen erkennen und sich zurückziehen – Engagement bleibt dann Theorie. Allgemein finden wir jetzt bereits mehr als 30 Prozent an Mitarbeitern, die „innerlich gekündigt“ haben (Jiménez, 2011). Durch ungünstige Prozesse, also auch eine falsche Vorgehensweise der AePB erhöht sich das sehr stark. Aus Sicht der PE stellt dies ein Fiasko dar, denn es geht nicht nur Geld verloren, auch Chancen bleiben ungenutzt. Der Einbezug der Mitarbeiter ist daher nicht nur Pflicht, sondern stellt einen Erfolgsfaktor für den Prozess dar. Im Gegensatz dazu zeigt die Erfahrung, dass sich bei erfolgreicher Umsetzung der AePB kritische Prozesse und Strukturen erkennen lassen. Außerdem finden Mitarbeiter neue Ideen und kreative Lösungen, die Motivation und das Engagement steigen. Insbesondere beim Führungspersonal wächst die Bereitschaft, HR-Themen aufzunehmen. Weiters lässt sich ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess realisieren. Eine Verbindung einer AePB auf der Basis einer strategischen Personalentwicklung ist durchaus sinnvoll, mit guter Planung und Erkennung der Gemeinsamkeiten in den Themen lassen sich langfristig Synergien erreichen. Viele der Themen in der Dimension Sozial- und Organisationsklima sind zwar teilweise prozessbezogen und betreffen durchaus die Organisationsentwicklung, sie gehen aber direkt über in das Thema Führungskompetenz, Rollen der Führungskräfte und Teamarbeit.

Fazit

Die AePB soll Unternehmen Chancen und Möglichkeiten verdeutlichen. Die in das Gesetz gegossene gesellschaftliche Vorgabe bedeutet nicht nur, dass der Mensch am Arbeitsplatz langfristig nicht nur ohne Schäden bleiben soll. Darüber hinaus ist die Vorgabe eine Hilfestellung, um Kompetenzen zu erweitern und der Arbeit mit Freude nachzugehen. 

Literaturtipps

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung: Erfahrungen und Empfehlungen.
Hrsg. v. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, BAuA.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2014.

Psychische Belastungen der Arbeit und ihre Folgen.
Von Gudrun Biffl, Anna Faustmann, Doris Gabriel, Thomas Leoni, Christine Mayrhuber und Eva Rückert. Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung.
Wien 2012. Bundesgesetz über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (ArbeitnehmerInnenschutzgesetz – ASchG). Österreichisches Parlament 2013.

Die strategiefokussierte Organisation. Führen mit der Balanced Scorecard.
Von David P. Norton und Robert Kaplan.
Schäffer-Poeschel Verlag 2001.

Balance statt Belastung.
Von Paulino Jiménez.
In: Dienst nach Vorschrift. Zwischen Engagement und Demotivation: Welchen Einfluss Unternehmen auf die Leistung ihrer Mitarbeiter haben.
Bildung aktuell, 12/2011, S. 11–13.

Personalentwicklung: Gegenstand, Prozessmodell, Erfolgsfaktoren.
Von Marc von Solga, Jurij Ryschka und Axel Mattenklott.
In: Marc von Solga (Hrsg.), Praxishandbuch Personalentwicklung. Instrumente, Konzepte, Beispiele.
Gabler / GWV Fachverlage GmbH, 2008, S. 19–33.

Bewertung der Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen im Rahmen der Kontroll- und Beratungstätigkeit.
Leitfaden für die Arbeitsinspektion. Bundesministerium für Arbeit, Soziales u. Konsumentenschutz.
Wien 2013.

Sicherheitsinformation der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt.
Hrsg. v. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Arbeitsplatzevaluierung, 2013.

Evaluierung Psychischer Belastungen. 
Die Arbeits-Bewertungs-Skala – ABS Gruppe. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt.
Wien 2013.

Das neue ArbeitnehmerInnenschutzgesetz: Psychische Belastungen evaluieren bringt mehr Schutz der Psyche am Arbeitsplatz (Broschüre).
Kammer für Arbeitgeber und Angestellte für Wien 2013. 

 

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Quelle: personal manager – Zeitschrift für Human Resources | Ausgabe 2 März/April

Fotocredit: 
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Die Arbeitswelt verändert sich auf vielen Ebenen. Der Druck in der Wirtschaftswelt steigt und wird innerhalb der Unternehmen noch stärker an die Mitarbeiter weitergegeben, der Trend geht zu immer mehr Selbstständigkeit. Dies stellten Gudrun Biffl und Kollegen im Jahr 2012 auch für Österreich fest. Diese und viele weitere Veränderungen sind oft tiefgreifend und wirken sich auf Prozesse sowie Strukturen aus und damit sowohl auf die Wirtschaftlichkeit als auch auf die Mitarbeiter. Erste negative Auswirkungen der Veränderungen sehen Experten der Arbeitswissenschaft darin, dass arbeitsbedingte psychische Erkrankungen zunehmen.

Zwischen 1996 und 2009 verdoppelten sich, von einem niedrigen Ausgangsniveau ausgehend, die Krankenstände aufgrund von psychischen Erkrankungen (Biffl et al., 2012). Für den Gesetzgeber war das ein Anlass, das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz zu novellieren.

Unternehmen suchen Antworten

Aus Sicht mancher Experten hat sich der Inhalt im Arbeitnehmerschutzgesetz nicht verändert. Nur der Aspekt „Psyche“ werde nun deutlicher erwähnt. Einen feinen Unterschied macht der Satz „Belastungen, die zu Fehlbeanspruchung führen.“ Der Anspruch, psychische Belastungen zu erkennen, bedeutet, dass der Gesetzgeber genauer definiert, was darunter zu verstehen ist. Broschüren und Informationsblätter verweisen hierzu auf die Norm ISO 10075-1, nach der eine begriffliche Trennung von Belastungen und Beanspruchungen erfolgt, um die kritischen Quellen in der Arbeitswelt zu ermitteln. Für Experten scheint diese Bestimmung klar, Unternehmen hingegen stellen sich Fragen und suchen Antworten. Nach der Norm sind Belastungen alles von „außen auf den Menschen zukommende“, das „psychisch auf ihn einwirkt“ und was „erfassbar“ ist. Erst die „unmittelbaren Auswirkungen der psychischen Belastungen“ sind „in Abhängigkeit von seinen Voraussetzungen“ dann als Beanspruchungen zu sehen, eventuell Fehlbeanspruchungen. So kann beispielsweise Verantwortung als grundsätzlich neutral gesehen werden (im alltäglichen Umfeld sogar nur positiv). Für eine Kundenbetreuerin wird dies jedoch beanspruchend, wenn die Verantwortung unklar ist, also beispielsweise ab wann sie Reklamationen abgeben darf oder sogar muss. Kritisch wäre es für sie auch, wenn sie laut Anweisung stets Anfragen technischer Natur weiterleiten muss, obwohl sie diese beantworten könnte. Hier sähen wir eine zu niedrige Verantwortung, obwohl die Qualifikation gegeben wäre.

Bezug zur Personalentwicklung

Unternehmen sehen die Arbeitsplatzevaluierung Psychischer Belastungen (AePB) oft als lästige Pflicht an. Entsprechend schnell soll sie abgehandelt sein. In diesem Fall versuchen Betriebe, Belastungen schnell mit einem Fragebogen zu messen und einige Aktionen zu setzen, um den Vorgang als erledigt zu betrachten. Experten sehen darin allerdings eine Fehleinschätzung, denn es geht um einen Prozess der Verbesserung. Dieser Prozess sollte im Sinne des Unternehmens sein, um kritische Momente im Betrieb erkennen zu können. Im oben genannten Beispiel der Kundenbetreuerin wird Potenzial im Unternehmen vergeudet. Solch ein ineffizienter Ablauf in der Auftragsbearbeitung beansprucht nicht nur die Mitarbeiter, dies wirkt sich selbstverständlich auch ökonomisch aus. Unternehmen, die sich bereits mit dem Thema Balanced Scorecard beschäftigt haben, sehen vermutlich rasch einen Bezugspunkt zur AePB, geht es doch um die Erkennung von wichtigen Kennzahlen, um die Optimierung strategischer Prozesse und letztlich um die Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Noch konkreter geht es um Mitarbeiterressourcen – ein Thema der Personalentwicklung (PE). Die PE denkt nicht zuerst an belastende Aspekte der Arbeit, sondern viel deutlicher an Kernaspekte, wie zum Beispiel die Förderung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Einstellungen. Nach Jurij Ryschka, Marc Solga und Axel Mattenklott (2008) soll PE auf „Kompetenzen fokussieren, die zur Verwirklichung strategischer Unternehmensziele benötigt werden“. Ist der Sprung zur PE gemäß dieser Definition zu gewagt? Ich wage die These, dass die Agenden der AePB sogar sehr stark bei der PE liegen sollten. Die AePB befasst sich mit vielen für die PE bekannten Themenfeldern, konzentriert sich aber stark auf die Basisanforderungen an eine gute Arbeitswelt. Es zeigen sich viele Berührungspunkte: Die AePB soll nach dem Leitfaden der Arbeitsinspektion Belastungsquellen anhand von vier Themenfeldern prüfen: Arbeitsanforderungen und -tätigkeiten, Organisationsklima, Arbeitsumgebung sowie Arbeitsabläufe und Arbeitsorganisation. Eine Ebene tiefer sieht der Leitfaden eine Prüfung von Themen vor, die in einer guten Organisationsdiagnose die förderlichen und hinderlichen Aspekte der Strukturen und Prozesse im Unternehmen erkennen lassen. „Zu hohe Verantwortung für Personen“, „fehlende Rückmeldungen“, „fehlende Gestaltungsmöglichkeiten“ oder „unklare Prioritäten“ widersprechen dem Ziel, die Wirtschaftlichkeit zu erhalten. PE-Verantwortliche sehen in den genannten Beispielen sicher selbst viele Arbeitsfelder wie beispielsweise Führung. Letztlich sind sogar viele Personal- und Organisationsentwicklungsthemen enthalten.