00:00:00

Alexander Petsch: Glückauf und herzlich willkommen zu den heutigen HRM-Hacks. Mein Name ist Alexander Petsch, ich bin der Gründer des HRM Instituts, Euer Gastgeber. In unserer heutigen HRM-Hacks-Folge spreche ich mit Marcel Poelker zu KI und Recruiting. Marcel kommt aus dem schönen Lübeck, ganz im Norden, und ist Mitgründer von Taledo, einem Recruiting- und Technologie-Start-up für künstliche Intelligenz. Das Thema begleitet Marcel schon ganz lange aus dem Studium und 2017 hat er dann Taledo mit zwei weiteren Mitgründer gegründet. Mittlerweile über 50 Mitarbeiter. Und ich freue mich, dass er heute wieder bei uns ist. Hallo Marcel.

00:01:41

Marcel Poelker: Alexander, freue mich auch, wieder hier zu sein.

00:01:44

Alexander Petsch: Wir haben zusammen schon mal eine Podcast-Folge gemacht, zum Thema „Recruiting is not HR“. Jetzt heute KI und Recruiting. Aber sag’ noch mal, Taledo, würde mich interessieren, habt Ihr das eigentlich gebootstrappt, also ohne fremdes Geld so richtig, ich sag’ mal mit keinen Gehältern als Gründern gestartet? Oder steckt bei Euch ein arabischer Staatsfonds dahinter?

00:02:12

Marcel Poelker: Nein, das ist tatsächlich so ein bisschen diese Garagen-Gründer-Geschichte. Wir haben tatsächlich zu Anfang im kleinen Raum quasi die Idee vorangetrieben, waren aber begeistert von der Idee, diesen Recruiting-Markt zu digitalisieren, weil er eben enorm viel Potenzial hat und noch nicht digitalisiert ist. Und von dem ist es gewachsen. Also wir waren tatsächlich gebootstrappt von Anfang an, inzwischen haben wir aber auch Investoren drin und haben auch eine EU-Förderung bekommen für unsere KI.

00:02:40

Alexander Petsch: Cool, schöne Sache. KI und Recruiting – ich hätte mal gefragt, braucht es das oder kann das weg?

00:02:47

Marcel Poelker: Das ist eine interessante Frage, weil die Antwort ist eigentlich ein Jein. Also, die Antwort ist im Prinzip Automatisierung durch KI, gezielter Einsatz von KI, auf jeden Fall! Da ist sehr viel Potenzial. Aber die Domäne, in der wir uns bewegen, ist eine Menschendomäne. Also, es geht um den Menschen von allen Seiten, dementsprechend muss man auch gucken, wo man KI einsetzt, wo man aber auch speziell beim Menschen bleibt.

00:03:12

Alexander Petsch: Okay, das ist spannend. Weil viele denken ja, bei KI und Recruiting, dass der Entscheidungsprozess oder das „Rausfiltern“ der Kandidatin oder des Kandidaten der zentrale Punkt ist. Was Du jetzt sagst, ist es eher der Workflow.

00:03:32

Marcel Poelker: Genau. Typische Einsatzbereiche von KI sind eher so etwas wie den Bewerbungsprozess schnell machen, indem man zum Beispiel den CV passed. Das macht es für den Kandidaten angenehm, für die Firma aber eben auch angenehm, weil es eben strukturiert die Daten sehen kann anstatt CV. Wobei wir auch nach wie vor an CV glauben bei Taledo, denn es ist die Visitenkarte und sagt eben auch noch viel aus.

00:03:56


Alexander Petsch: Das ist schon KI? Ich meine Passing von Lebensläufen kenne ich jetzt schon gefühlte zehn Jahre.

00:04:02

Marcel Poelker: Ja, tatsächlich. KI ist auch eine sehr, sehr alte Industrie. Die Methodiken gibt es auch sehr, sehr lange schon. Bloß ist es eben in den letzten Jahren durch die Decke gegangen, und dementsprechend wurde es auch zu Anfang ja noch als Hype gesehen, weil es ja im Prinzip schon lange da war. Selbst der Taxifahrer hat irgendwann von KI geredet und dementsprechend war es ein Hype-Thema. Aber es ist letztendlich hier, um zu bleiben. Also, das hat damit zu tun, dass die Modelle besser werden, dass die Rechenpowern besser werden, dass die Daten größer werden und dementsprechend die KIs besser werden.

00:04:36

Alexander Petsch: Was wäre denn so Dein erster Hack für das Thema KI und Recruiting?

00:04:41

Marcel Poelker: Grundsätzlich, weil wir sehen, dass das immer noch ein bisschen auf Skepsis stößt, gerade im Bereich Recruiting, sowohl auf Kandidatenseite, aber auch auf der Firmenseite, davon nicht wegzulaufen. KI ist eine Technologie wie auch andere Technologien, die über die letzten Jahre gekommen ist, hat ihre sehr vielen großen Stärken, hat sehr, sehr viel Potenzial und de facto nutzen wir es schon jeden Tag. Und ich glaube, dessen muss man sich einmal bewusst sein. Jeder von uns, jeder von den Hörern hat es heute wahrscheinlich schon mal benutzt, denn es ist in Google drin, es ist in Alexa drin, es ist Netflix drin, und höchstwahrscheinlich habe ich eines von den dreien heute genutzt. Von daher, wir nutzen es jeden Tag.

00:05:19


Alexander Petsch: Muss ich dann Angst haben, dass es mich als Recruiter nicht mehr gibt, wenn ich zu stark auf KI setze? Wie ist da die Entwicklung?

00:05:32


Marcel Poelker: Das ist eine gute Frage, und die Angst ist tatsächlich da. Aber eigentlich ist die Angst gerade im Bereich Recruiting nicht rational, weil der Mensch im Recruiting essenziell ist. Das heißt, man kann gewisse Prozessschritte wie das CV-Passing oder vielleicht auch das initiale Matching, ob ein Kandidat grundsätzlich passt, oder auch typischerweise zeitfressende Prozessschritte wie das Interview-xxx. Dass man da eine gewisse Art von Automatisierung einsetzt, sei es durch KI oder vielleicht sogar auch ohne KI. Da sehen wir das Potenzial, eben Digitalisierung einzusetzen. Aber die Stärke des Menschen in Prozessen, gerade im Recruitingprozess, ist nach wie vor essenziell und wird es meiner Meinung nach auch langfristig bleiben.

00:06:21

Alexander Petsch: Wir haben uns mal früher darüber unterhalten, dass der ganze Recruitingprozess im Idealfall bewerberzentriert stattfindet. Und ich glaube, das ist auch der Punkt, den man sich bewusst machen muss, wo der human touch eine ganz entscheidende Rolle spielt. Weil ich glaube, kein Bewerber hat ein Interesse daran, nur mit einer Maschine zu kommunizieren, wenn ich irgendwie einen Arbeitgeber suche.

00:06:45


Marcel Poelker: Das wirkt jetzt so, als hättest Du mir das aus dem Mund geklaut! Genau so sehe ich das auch. Es ist genau dieser human touch. Nein, genau das ist das Argument, das wir sehen auf dem Markt, also ich spreche jetzt bei Dir von der Taledo-Perspektive, dass da andere Firmen sind, die zum Beispiel einen Chatbot erstellen oder die alles automatisieren wollen. Und wir persönlich aus unserer Perspektive glauben nicht dran, dass das der Schritt sein kann, weil eben dieser emotionale Prozess, den nächsten Job auszusuchen, ein wichtiger Schritt ist. Und den würde man nicht einem Chatbot zum Beispiel anvertrauen.

00:07:21


Alexander Petsch: Ja, es gibt vielleicht Einsatzbereiche, wo ich einen Chatbot auch einsetzen würde im Recruiting, nämlich wenn ein Bewerber nachts um drei mir Fragen stellen möchte. Da hätte ich gesagt, das ist besser als nichts.

00:07:37


Marcel Poelker: Ja, Emotion ist ein wichtiger Punkt und ich meine, ich spreche auch aus der Perspektive von einer Personalvermittlung, wir machen das Ganze digital, aber haben eben auch verstanden, dass es eben um Punkte wie Trust geht, dass es eben um Kommunikation geht und Zwischen-den-Zeilen-lesen und diese Punkte. Das heißt, wir sehen durchaus den Menschen, dass er die Stärken gezielt einsetzen kann und von der KI im Zweifel dann unterstützt wird. Das heißt zum Beispiel beim Herausfinden, warum ein Kandidat wirklich wechseln möchte, was wirklich die Wechselmotivation ist? Oder was dann wirklich die Gehaltsvorstellungen sind. Man kann ganz einfach den Test machen. Was gibt ein Kandidat im ersten Schritt in einem Formular ein? Und was passiert, wenn man mit einem Menschen darüber redet? Und das sind dann oftmals zwei verschiedene Paar Schuhe.

00:08:28


Alexander Petsch: Was sind denn die Stärken des Menschen? Du hast gerade schon gesagt, dieses Einfühlungsvermögen natürlich, auch vielleicht dieses Evaluieren von Aussagen. Was wäre denn noch so eine Stärke?

00:08:47


Marcel Poelker: Ja. Du hast das jetzt als ein Punkt genannt, aber dieser Punkt Empathie ist halt ein sehr, sehr großer Punkt. Weil das erlaubt ja sehr, sehr viel, mit gewissen Situationen mitzugehen, flexibel darauf zu reagieren, zu verstehen, emotional, was ist da eigentlich beim Kandidaten? Was sagt der mir da eigentlich gerade? Das ist, glaube ich, der größte Punkt.

00:09:08


Alexander Petsch: Und umgekehrt, was kann die KI besser?

00:09:10


Marcel Poelker: Die kann letztendlich gewisse Schritte, besonders repetitive Schritte, schneller machen, automatisch machen, sei es jetzt vollautomatisiert oder zumindest eine Vorauswahl treffen. Zum Beispiel ist es so, dass die KI Kandidaten nicht automatisch ablehnen darf. Das ist in Deutschland nicht erlaubt, weil eben hier noch ein menschlicher Entscheider gebraucht wird. Das ist eben ein Gesetz hier und dementsprechend kann man die KI nutzen, um sozusagen eine Vorauswahl zu stellen oder eben einen Vorschlag zu machen. Aber letztendlich ist es dieses human judgement sozusagen, was am Ende wichtig ist. Also Automatisierung, Prozesse schneller machen, Patterns erkennen in einer großen Datenmenge, dafür sind KIs gut.

00:09:58


Alexander Petsch: Also im Prinzip den Prozess schneller machen, so wie wir es anfangs schon gesagt haben. Ich kann schneller CVs einlesen, ich kann sie schneller matchen, kann schneller vielleicht Termine vereinbaren. Also diese ganzen Prozessschritte sozusagen.

00:10:14


Marcel Poelker: Genau. Und da ist natürlich beliebig viel Verbesserungspotenzial. Und wir sehen, dass auch große Plattformen, wie jetzt zum Beispiel LinkedIn aktiv daran arbeiten und iterieren. Zum Beispiel ist letztendlich dieser Skill-Bereich, den man da angeben kann, nicht wirklich kuratiert, also man kann im Prinzip jeden Skill angeben, auch wenn er gar keinen Sinn macht. Also wirklich eine komplette Freitextangabe. Und das führt dazu, wenn man zum Beispiel nach Java sucht als Skill, dass dann auch ein Recruiter erscheint, der auf seinem Profil stehen hat, ich suche nach Java-Developern, obwohl das gar nicht die Intention war. Da sieht man halt auch, dass große Plattformen wie LinkedIn auch noch nicht perfekt sind und eben wie gesagt aktiv auch iterieren. Zum Beispiel haben sie, das war letztes Jahr, ein Skill Assessment eingeführt, um zu verstehen, wie gut kann ein Kandidat einen Skill denn wirklich? Und das ist eben ein Novum, das hatten sie vorher nicht, weil vorher konnte man letztendlich alles eingeben.

00:11:11

Alexander Petsch: Gibt es noch weitere Aspekte, wo man sagen kann, da macht KI weniger Sinn? Oder wo es noch mehr den Menschen braucht?

00:11:23


Marcel Poelker: Es gibt ein paar Ansätze und das ist dann so ein bisschen Graubereich, denke ich. Es gibt halt so im Prinzip Anwendungen, die in Richtung Evaluation gehen oder automatisiertes Erkennen von zum Beispiel der Stimmlage in einem Interview und der Interpretation dessen, was es heißt. Oder bestimmte Mimiken, die gemacht werden, und dementsprechende Aussagen zu treffen. Da gibt es Firmen, die das machen, die kommen da meistens eher zum Beispiel aus den USA. Das finde ich einen Graubereich. Das ist dann schon schwierig, da dann eben eine Automatisierung darüber laufen zu lassen. Deswegen finde ich es persönlich gut, dass man hier im Deutschland den Menschen eben noch als Entscheider in letzter Instanz hat.

00:12:08


Alexander Petsch: Da hatten wir auch einen Podcast zu, zum Thema KI und auch Spracherkennung, war sehr spannend, weil im Prinzip war die Kernaussage, sich damit auseinandersetzen. Da ist die Technologie noch nicht so weit, dass es völlig rund läuft. Aber mit der Vergrößerung der Datenbasis und der weiteren Entwicklung ist die Tendenz dahin, so würde ich das mal formulieren.

00:12:39


Marcel Poelker: Ja, es wird immer mehr werden und wir sehen das auch in anderen Bereichen, wo KI jetzt eingeführt wird. Das ist inzwischen auch in kreativen Bereichen wie der Musik so. Ein Hobby von mir ist Musik, ich bin Musiker, und dementsprechend sehe ich das mit einem weinenden Herz, obwohl ich das als Technologe mit einem strahlenden Herz sehe. Aber das ist natürlich schade, wenn im Bereich, wo Kreativität gebraucht wird, da jetzt auch schon quasi über Pattern Matching versucht wird, Songs zu schreiben. Und interessanterweise, wenn man in diesen Bereich reingeht, wird es eher eine philosophische Diskussion: Was ist eigentlich Kreativität und was heißt es eigentlich, auf eine neue Idee zu kommen? Sind wir als Menschen selbst der Ideengeber oder sind wir auch nur quasi die Erfahrung der gesammelten Gespräche, die wir haben? Und darauf kommen wir sozusagen auf neue Ideen. Das ist ein sehr, sehr interessanter Bereich, der sich da gerade auftut.

00:13:33


Alexander Petsch: Da könnte man noch eine Stunde einen neuen Podcast zu machen. Ich glaube, dass gute Ideen auch auf der Welt immer gleichzeitig entwickelt werden und dass die Zeit für gewisse Ideen reif ist. Zum Beispiel der Kubismus ist von unterschiedlichen Akteuren gleichzeitig eigentlich entwickelt worden, die sich nicht kannten. Also auch in der bildenden Kunstwelt haben solche Strömungen immer wieder zu einer Kreativität geführt, die ziemlich gleich geartet war. Für die Musik gibt es ja wahrscheinlich ähnliche Parallelen.

00:14:06


Marcel Poelker: Ja, das ist superspannend. Oder allein dieser Gedanke, wie wird KI gebaut? Welche Modelle werden da verfolgt? Und was im Rückschluss sagt das eigentlich über das menschliche Gehirn? Weil wir wissen heutzutage auch noch nicht besonders viel, was ist eigentlich unsere consciousness und wie funktioniert das eigentlich alles? Und vielleicht wird KI dabei auch helfen, diese Fragen sozusagen rückwärts betrachtend, also ein bisschen reverse engineering, zu beantworten.

00:14:30


Alexander Petsch: Wie engstirnig wir im Jahr 2022 waren, wird dann unsere KI rückwirkend über uns sagen. Sehr schön. Wenn wir mal so aufs Ergebnis gucken, wir reden über Recruiting und über Teammitglieder, die wir rekrutieren wollen, das hat doch wahrscheinlich auch Impact auf den Auswahlprozess. Wie siehst Du das denn da?

00:15:14


Marcel Poelker: Ja, das ist ein spannender Bereich, weil das im Prinzip damit einhergeht, diesen Prozessschritt zu automatisieren. Und da stellt sich die Frage, was wird im Prinzip hier vorgeschlagen? Und hier kann ich jetzt für Taledo sprechen, dass wir einen skill-basierten Ansatz verfolgen und dementsprechend möglichst neutral diesen Match herstellen. Das ist letztendlich, wer den Skill hat, der ist sozusagen grundsätzlich im Match vorhanden. Und dann gibt es halt noch im Prinzip weitere Faktoren, das ist ein relativ komplizierter Algorithmus. Wo wird er letztendlich angezeigt? Wie verhält er sich auf der Plattform? Und solche ganzen Geschichten. Aber es ist wichtig, dass der Ansatz letztendlich neutral ist und dass man grundsätzlich kein Bias mit reinbringt. Wenn ein Bias mit drin ist, dann führt das im Prinzip dazu, dass die Kandidaten, die dann angezeigt werden, im Zweifel halt irgendwie einseitig sind.

00:16:06

Alexander Petsch: Was meinst Du mit Bias? Das versteht vielleicht nicht jeder. Kannst Du das kurz erklären?

00:16:10


Marcel Poelker: Bias sind im Prinzip unbewusste Tendenzen, die jeder von uns hat. Ein typisches Beispiel ist, ob man jetzt Männer vor Frauen im Bewerbungsprozess bevorzugt oder irgendeine Hautfarbe bevorzugt oder solche Sachen. Aber das sind halt unbewusste Neigungen, die dann eben zu Entscheidungen führen. Und jetzt habe ich schon den Menschen mit ins Spiel gebracht, denn letztendlich ist es auch ein menschlicher Punkt, den man ansprechen muss. Weil es ist ein Thema, das sehr viel diskutiert wird. Und es ist ein Punkt, in dem man den Menschen reflektieren muss, denn jeder von uns ist gebiased.

00:16:51


Alexander Petsch: Du meinst, jeder hat Vorurteile, weil biased ist ja im Prinzip eine Beschreibung oder eine Ausprägung, die aufgrund von Vorurteilen sich entwickelt. Und Du meinst, eigentlich sollte man die KI einsetzen, um dem Recruiter zurückzuspiegeln, wie seine Vorurteile gelagert sind?

00:17:12


Marcel Poelker: Genau. Also erst mal sollte man da nicht alles auf die KI oder die Algorithmen schieben. Der Mensch ist letztendlich der, der gebiased ist. Und natürlich, das hast Du gut gesagt, man kann die KI jetzt nutzen, um das sogar zu spiegeln. Und dieser Punkt, sich diesen Spiegel vorzusetzen, das ist ein interessanter Punkt, weil wir sprechen von Bias typischerweise in Bewerbungsprozessen, wer wird bevorzugt und wer nicht? Aber die interessante Frage ist eigentlich, in welchen Bereichen, wo wir es nicht so offen diskutieren, sind wir auch gebiased? Denn Fakt ist, wir sind gebiased, und bei manchen Themen haben jetzt mehr Awareness bekommen, weil wir darüber sprechen. Aber wo sind wir noch gebiased? Das ist ein sehr, sehr interessanter Punkt und man kann ihn eigentlich nur über Reflexion rauskriegen. Und dementsprechend haben wir auf Taldedo einen sogenannten Bias-Filter eingebaut, der es ermöglicht, im Prinzip relativ simpel von der Idee, das Gesicht von Kandidaten zu verblurren, so dass man nicht mehr sieht, welches Geschlecht, welche Hautfarbe und so weiter … und auch den Namen nicht mehr sieht, so dass man im Prinzip nicht mehr daraus ableiten kann. Das heißt, das ist im Prinzip unser Fingerzeig zurück an die Recruiter oder auch die Gesellschaft, um zu schauen, bin ich eigentlich selbst gebiased? Weil wenn man das macht, ist es tatsächlich im ersten Moment ein ungewohnter Punkt, weil man es eben in Deutschland gewohnt ist, noch ein Bild zu sehen.

00:18:30


Alexander Petsch: Spannend. Und wenn ich das richtig verstehe, ist es bei Euch eine Zusatzfunktion. Also, das kann man ein- und ausschalten, oder wie ist das?

00:18:37


Marcel Poelker: Ja, das ist eine Zusatzfunktion. Und es ist im Prinzip tatsächlich einfach nur, dass man sich selbst fragen kann, was bevorzuge ich eigentlich? Möchte ich das Bild sehen oder eher nicht? Weil für den Entscheidungsprozess sollte es ja keine Rolle spielen. Und bei uns ist es so gebaut, dass man auch nur in den Suchergebnissen das Gesicht dann nicht mehr sieht und den Namen nicht mehr sieht. Aber wenn man auf den Kandidaten klickt, dann sieht man wieder alles in vollem Umfang. Das heißt, es geht eigentlich nur um diesen Intent. Also, würde ich diesen Schritt gehen? Und wenn man das mal selbst ausführt, ist es interessant, wie befremdet das wirkt, weil wir sind es in Deutschland noch gewohnt, dass man eben Bilder sieht. Und das ist, was ich mit Spiegel meinte, sich selbst mal diese Frage stellen, warum ist es eigentlich so?

00:19:19


Alexander Petsch: Und könnt Ihr messen, wie viel Eurer Kunden das nutzen?

00:19:24


Marcel Poelker: Ja, es werden mehr, aber es sind sehr, sehr wenige. Es ist einstelliger Prozentbereich, der das macht und das ist dementsprechend fast niemand. Man muss dazu aber auch sagen, der Default bei uns ist, dass es eben ausgestellt ist. Das, was man als Nutzer kennt, wie zum Beispiel auf LinkedIn oder auch Xing und so weiter, wie es da funktioniert, das ist der Standard. Und man muss diesen Extraschritt machen, um es einzuschalten. Das machen die wenigsten.

00:19:51


Alexander Petsch: Ja, spannend. Habt Ihr auch eine Statistikauswertung, dass man das nachher auch messen kann?

00:20:16


Marcel Poelker: Wir haben es bei uns noch nicht eingebaut, aber wir sehen da Potenzial. Es sind sehr viele Bereiche, die man machen kann. Zum Beispiel wirklich diese Auswertung, um zu zeigen, wie hire ich eigentlich und wie verhält sich das im Vergleich zum Durchschnitt? Oder auch bei der Gehaltsfrage, auch eine interessante Frage. Weiche ich bei dem einen Kandidaten gerade ab zu meinen vorherigen hires, obwohl das die gleiche Position ist und die gleiche Seniorität? Also, man kann sehr, sehr viel da noch machen und wir sehen noch Potenzial, das weiter auszurollen, um sozusagen dieses Bewusstsein dafür zu schaffen.

00:20:48


Alexander Petsch: Ist das verwerflich? Ich sage mal, wenn ich einen Kandidaten habe, wo ich sage, der ist einfach mein perfect match. Bin ich vielleicht auch bereit, Zugeständnisse zu machen?

00:21:01

Marcel Poelker: Genau. Es kann ja auch andersrum sein, dass der gleiche Kandidat vor gleicher Qualifikation, vor gleicher Seniorität weniger angeboten bekommt, weil er vielleicht einen anderen Hintergrund hat. Also, jetzt geografisch gesehen. Und dementsprechend, da muss man halt ein bisschen darauf achten. Und es liegt auch nicht in unserer Macht, das zu verhindern. Es geht einfach nur darum, den Spiegel zu zeigen, weil es ist ein Punkt, den man sich selbst bewusst machen muss und dementsprechend sich selbst verändern muss. Das ist ein gesellschaftliches Thema.

00:21:35


Alexander Petsch: Da weiß ich nicht, ob ich so mitziehen kann mit Deiner Meinung. Ich überlege gerade, ob das in meinen letzten Entscheidungen irgendein Algorithmus hätte nachvollziehen können, warum meine Bauchentscheidung oder warum die Erfahrung, die die Kandidatin oder der Kandidat mitgebracht hat, für mich so entscheidend war. Das hätte keine KI tricken können.

00:21:56


Marcel Poelker: Nein, deswegen sollte auch KI meiner Meinung nach keine Entscheidungen treffen. Es sollte sozusagen nur diese Sachen aufzeigen. Und es muss nicht mal eine KI sein, sondern es kann ja auch eine andere Art von Auswertung sein. Und KIs sind dafür bekannt, aus vielen Daten Patterns zu erkennen, die eben nicht für jeden ersichtlich sind. Und diese sichtbar zu machen, könnte interessant sein. Das heißt nicht, dass sie immer richtig ist, sollte aber zeigen, hey, schau’ mal, hier könnte irgendwas sein, was interessant ist.

00:22:26


Alexander Petsch: Wo ich gerade so einen kompetenten Digitalexperten habe: Was ist denn eigentlich mit dem Thema Blockchain? Spielt das da mit rein?

00:22:40

Marcel Poelker: Also, Blockchain und KI muss man halt meiner Meinung nach gezielt einsetzen. Es macht nicht unbedingt Sinn, nur auf den Trend mit aufzuspringen, weil man diese Technologie haben muss.

00:22:52


Alexander Petsch: Aber wo würdest Du denn einen sinnvollen Einsatz der Blockchain im Recruiting sehen?

00:22:59

Marcel Poelker: Es gibt ein paar Ansätze, die darum gehen, zum Beispiel die referrals, also wenn man nachvollziehen möchte, dass wirklich jemand referred wurde, ob das authentisch ist, ob das wirklich echt ist, das in der Blockchain zu machen. Trotzdem muss man sich fragen, ob die Blockchain wirklich der richtige Weg ist und ob das notwendig ist. Also, ich bin da ein bisschen skeptisch, was das Thema angeht.

00:23:22


Alexander Petsch: Mit referrals meist Du Zeugnisse?

00:23:26

Marcel Poelker: Genau, Zeugnisse. Ob der Werdegang so richtig ist, ob jemand wirklich von einem früheren Arbeitgeber empfohlen wurde oder nicht. Dass eben alles authentisch ist.

00:23:36

Alexander Petsch: Ja, spannend. Das war eigentlich einer der ersten Anwendungen im Recruiting, die ich mir gut vorstellen konnte, dass man eigentlich auch Schulzeugnisse oder Universitätszeugnisse über einen Blockchain-Eintrag sozusagen fälschungssicher macht.

00:23:53


Marcel Poelker: Ja. Warum ich da so skeptisch bin, ist, weil es momentan sehr gehypt ist. Das heißt, es gibt sehr viele Unternehmen, die irgendwas in dem Bereich machen wollen, nur des Zweckes wegen die Technologie einzusetzen. So sehe ich auch KI letztendlich. Man muss KI einsetzen, wenn es sinnvoll ist. Zum Beispiel haben wir bei Taledo uns dafür entschieden, wirklich zu sagen, okay, unser Lösungsangebot besteht aus KI, aber auch aus Intelligenz und Produktdesign. Zum Beispiel das mit der Bias, das hat nichts bei uns nichts mit KI zu tun, das ist einfach ein intelligentes Produktfeature. Und dementsprechend muss man eben das Produkt auch so aussteuern, dass es für den Nutzer einen Mehrwert bringt. Und in letzter Instanz auch der Mensch. Also, diese Kombination KI, Produkt und Mensch, daran glauben wir.

00:24:40


Alexander Petsch: Gibt es sonst noch Hacks und Tipps zum Thema KI und Recruiting, die Du unseren Hörerinnen und Hörer mitgeben willst?

00:24:49


Marcel Poelker: Ja, vielleicht ein bisschen weiter ausgeholt, dass dieses Thema Digitalisierung noch einen Schritt höher geht. Dass man hier darauf achten sollte, dass man Digitalisierung von innen aus erleben muss, das heißt, und das hatten wir auch im letzten Podcast angesprochen, es geht eben darum, dass man halt schaut, dass eine Karriereseite ansprechend ist, dass die Prozesse schlank sind, dass man eben mit der Zeit geht, was das Ganze angeht. Und dass das nicht unbedingt der Fall ist in Deutschland, haben wir rausgefunden, indem wir eine Umfrage gemacht haben oder analysiert haben bei den Dax-Unternehmen, wie viel IT-Expertise eigentlich in den Führungsetagen zu finden ist. Und haben festgestellt, dass CEOs oftmals Juristen sind. Und das ist interessant, weil warum sind Juristen dafür da, diesen Informationsgedanken oder Technologiegedanken voranzutreiben? Das heißt, wir sehen hier halt Nachholbedarf, wirklich diesen Digitalisierungsgedanken von innen heraus zu tragen.

00:25:51


Alexander Petsch: Na ja, dieselbe Frage könnte man stellen zum Thema HR und Recruiting: Wie viele CEOs haben einen HR-Background? Wahrscheinlich keiner.

00:26:02


Marcel Poelker: Ja, super, das ist ein guter Einwand.

00:26:05


Alexander Petsch: Wahrscheinlich gibt es noch ein paar mit Vertriebs-Background.

00:26:10


Marcel Poelker: Das ist ein guter Punkt, weil das geht darauf zurück, dass das richtige Talent finden eigentlich Chefsache sein sollte. Also vollkommen richtiger Einwand, ja.

00:26:18


Alexander Petsch: Aber wer kann gleichzeitig IT-ler und Recruiter sein?

00:26:22

Marcel Poelker: Ja, deswegen Recruitingplattform wie Taledo, da findet man das.

00:26:29


Alexander Petsch: Ja, Marcel, gibt es noch etwas, was wir vergessen haben oder wo Du sagen würdest, das würdest Du gern noch loswerden?

00:26:37


Marcel Poelker: Ne, vielleicht so einen Wrap-up, aber ich glaube, das wäre das Wichtigste zu sagen, einfach nicht vor dem Thema weglaufen, aber darauf achten, es eben gezielt einzusetzen, sich die Tools auch rauszusuchen, wo man eben unserer Meinung nach diese Schnittmenge findet – Prozessschritte automatisieren ist gut, sei es über KI, sei es über Produkte, wie auch immer. Aber vor allem auch den menschlichen Aspekt mit zu berücksichtigen. Und ich weiß, ich wiederhole mich da, aber das ist eigentlich meine wichtigste Aussage, dass Technologie ohne den Menschen gerade im Bereich Recruiting schwer zu realisieren ist.

00:27:11


Alexander Petsch: Marcel, herzlichen Dank für Deinen Input heute! Und ich arbeite noch daran, dass Marcel am 6. Juli in München auf der TALENTpro sein Musiktalent beim Aftershow-Event zum Besten gibt. Da haben wir eine Open Stage. Ich hoffe, Marcel zeigt uns, was er kann an den Drums.

00:27:37


Marcel Poelker: Ich freue mich drauf.

00:27:39

Alexander Petsch: Ja, wenn Ihr das Ganze noch mal nachlesen wollt, einfach hrm.de, da findet Ihr auch noch mehr über Marcel. Und ja, danke fürs Zuhören. Glückauf, bleibt gesund und denkt daran, der Mensch ist der wichtigste Erfolgsfaktor für Euer Unterneh