Darunter sind Organisationen, deren „Produkte“ sich einer vordergründigen ökonomischen Bewertung entziehen, wie zum Beispiel Akademien, Schulen, Museen, karitative Einrichtungen oder Institutionen des Gesundheitswesens. Sie alle stehen heute unter dem Druck, ihre Leistungen nachweisen zu müssen. Doch auch für kleine und mittlere Unternehmen ist eine Wissensbilanz interessant. Denn im Wettbewerb der Beschaffung von Eigenund Fremdkapital hilft ihnen die Wissensbilanz, ihre Stärken und Potenziale nach außen darzustellen.

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Einführung als Mitarbeiterprojekt

Die Wissensbilanz ist nicht nur ein Mittel der Außendarstellung, sondern wirkt auch nach innen. Der Bilanzierungsprozess bringt alle Beteiligten dazu, sich mit der Identität, den Zielen, Potenzialen und Prozessen ihrer Organisation zu beschäftigen. Die Beschäftigung mit der eigenen Organisation stärkt die Solidarität der Belegschaft und schärft das Bewusstsein für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.

Die Einführung der Wissensbilanz ist ein Mitarbeiterprojekt. Deshalb sollte die Projektgruppe die gesamte Belegschaft repräsentieren und den Betriebsrat miteinbeziehen. Zu Beginn leitet die Projektgruppe die Wissensziele von den allgemeinen Unternehmenszielen ab. Sie geht der Frage nach, welches Wissen und Know-how (Können) das Unternehmen benötigt, um die allgemeinen Unternehmensziele zu erreichen. In der Praxis wirft die Wissensbilanz die folgenden Fragen nach den Wissenszielen auf:

  • Was wissen wir noch nicht, sollten wir aber wissen, um unsere strategischen Ziele zu erreichen?
  • Was können wir noch nicht (Know-how), sollten wir aber können, um die gesteckten Ziele auch operativ zu erreichen?

Bereits in dieser frühen Phase der Wissensbilanzierung muss die Projektgruppe viele grundlegende Fragen klären, wie zum Beispiel:

  • Welche Produkte oder Dienstleistungen bieten wir wem an?
  • Warum nutzen unsere Kunden unsere Dienstleistungen/Produkte?
  • Was wollen wir erreichen? / Wo wollen wir hin?
  • Wie sieht die Aufgabenverteilung aus?
  • Was sind unsere Kernprozesse?
  • Wie können wir unsere Leistungen verbessern?
  • Wie soll am Ende einer Periode, zum Beispiel eines Jahres, der Zuwachs an Wissen und Können gemessen werden?

Die Implementierung der Wissensbilanz erfolgt in fünf Schritten:

Projektphase Erfolgsfaktoren
Phase 1: Design der Wissensbilanz,

Definition der Ziele und Strategien

Zielorientierte Bewertung
Phase 2: Auswahl und Definition

der Indikatoren

Valide Indikatoren und verlässliche Quellen
Phase 3: Datenerhebung Koordination mit anderen Projekten
Phase 4: Interpretation und Bericht Beteiligte über das Projekt informieren
Phase 5: Kommunikation

(intern und extern)

Kollektives Lernen durch gemeinsames

Erstellen der Wissensbilanz

Die Implementierung der Wissensbilanz

Analyse- und Strategieinstrument für die Personalentwicklung

Die Einführung der Wissensbilanzierung geht zwangsläufig mit einem Veränderungsprozess einher, in dessen Mittelpunkt das Humankapital steht. Das Humankapital stellt nehmen dem Struktur- und Beziehungskapital das größte Wertschöpfungspotenzial des Unternehmens dar (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1:Das ARC-Modell der Wissensbilanz.

  • Humankapital: das Vermögen eines Unternehmens, verstanden als Wissen und Können der Mitarbeiter.
  • Strukturkapital: alles, was im Unternehmen verbleibt, wenn die Mitarbeiter nach Hause gegangen sind: Infrastruktur, Computernetze oder auch Managementund Qualitätssysteme
  • Beziehungskapital: Verbindungen, die eine Organisation von und nach außen pflegt, insbesondere zu Kunden, Kooperationspartnern und Lieferanten

Da sich das Humankapital nicht direkt in Geldwerten ausdrücken lässt, arbeitet die Wissensbilanz mit einer Kollektion beschreibender, qualitativ-quantitativer Kennzahlen oder Indikatoren. Abbildung 2 zeigt beispielhaft die Kennzahlen der Forschungseinrichtung Seibersorf. Ein Vergleich der Wissensbilanzen aus unterschiedlichen Jahren lässt Rückschlüsse darauf zu, welche HR-Kennzahlen die Unternehmensentwicklung mitbestimmt haben.

Abbildung 2:Ein Zeitreihenvergleich der Wissensbilanzen des Forschungszentrums Seibersdorf plus Benchmark mit dem erheblich größeren Forschungsunternehmen Deutsche Luft- und Raumfahrt (DLR), das nicht alle Kennzahlen ausweisen konnte.

Die relevanten Kennzahlen unterscheiden sich von Organisation zu Organisation. Zwar können die in fast jedem Unternehmen verfügbaren Grunddaten über Qualifikation, Altersstruktur oder Betriebszugehörigkeit meist problemlos aus dem Personalverwaltungssystem gezogen werden. Doch nur eine verbindliche Standardisierung der Kennzahlen kann eine Vergleichbarkeit gewähren. Deshalb bietet das ARC-Modell einen Kern vergleichbarer Humankapital-Kennziffern.

Abbildung 2:Wissensbilanzen im Jahresvergleich

Darüber hinaus wird jede Organisation zusätzlich für sich spezielle Kennzahlen von individueller Bedeutung definieren. So ist für eine Forschungseinrichtung relevant, ob und wie viele patentierbare und verwertete Erfindungen ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter vorweisen können. Für eine Universität wiederum steht die Frage der didaktischen Qualität wie auch der Forschungsexzellenz, ausgedrückt durch die Menge und Qualität von Publikationen, im Vordergrund.

Ganzheitliche Sicht auf das Management

Die Kennzahlen der Wissensbilanz werden einer finanzorientierten Sicht der Analysten nicht gerecht. Sie geben aber Auskunft darüber, mit welchem immateriellen Invest ein Unternehmen seine finanziellen Ergebnisse erreichen will.

Die eigentliche Leistung einer Wissensbilanz besteht in der gut begründeten Zusammenstellung jener Aspekte, welche die Gesamtschau eines Unternehmens erst ermöglichen. Die Bilanz veranschaulicht nicht nur dem Management, sondern auch jedem Mitarbeiter die Unternehmensstrategie, die bereits vorhandenen Umsetzungspotenziale und -prozesse. Für das Personalmanagement wirft die Bilanz folgende Fragen auf:

  • Qualifikationsstruktur: Wie sieht das Erfahrungs- und Fachprofil aller Mitarbeiter aus? Habe ich den richtigen Mix, um die Unternehmensstrategie zu realisieren?
  • Weiterbildungserfordernisse: Was muss ich in die Qualifikation des bestehenden Personals investieren, um die nächsten Stufen der Unternehmensentwicklung zu schaffen? Welches Budget muss bereitgestellt werden?
  • Ad-hoc-Maßnahmen: Welche Aktivitäten muss ich sofort ausführen?

Wissensbilanz-Benchmarking

Im ökonomischen Wettbewerb sollten die Mitarbeiter motiviert sein, sportliche Vergleiche mit Marktkonkurrenten anzustellen und möglichst für sich zu entscheiden. Bis dato waren die entscheidenden Messgrößen immer ökonomische Kennziffern, die von der Buchhaltung und dem Rechnungs- und Bilanzwesen erzeugt wurden. Mit der Wissensbilanz steht erstmals ein Instrument zur Verfügung, das die Beurteilung und damit den Vergleich von Firmen nach ihren „inhaltlichen Werten und Potenzialen“ erlaubt. Beispiel:Das Forschungszentrum Seibersdorf fand im Forschungsunternehmen Deutsche Luft- und Raumfahrt (DLR) einen Benchmark-Vergleichspartner (siehe Abbildung 2). Leider konnte die DLR nicht alle Indikatoren-Daten beschaffen. Doch der Vergleich der vorhandenen Schlüsselindikatoren zeigt bereits erhebliche Abweichungen, zum Beispiel bezogen auf die Publikationsrate pro wissenschaftlichem Mitarbeiter.

Integrative Methode

 

Die Wissensbilanz ist nicht die einzige Methode zur ganzheitlichen Unternehmensanalyse und strategischen Steuerung. Sie ist jedoch integrativer als viele andere, da sie alle Mitarbeiter einbindet. In der Wissensökonomie wird das Wissen und Können der Beschäftigten zunehmend wichtig. Das Personalmanagement kann sich vor diesem Hintergrund mit der Wissensbilanz als relevanter Partner neu legitimieren. Allerdings kann das Wissensmanagement nicht exklusiv von einer Unternehmensdisziplin bestritten werden – weder von HR, noch vom Organisationsmanagement, von Marketing und Vertrieb, dem Finanzbereich oder der Informatik. Die Wissensbilanz setzt eindeutig den Akzent darauf, dass alle Mitarbeiter das Unternehmen ausmachen und dass Menschen die komplexen, vielen Stellrädchen beherrschen müssen, wenn ihr Unternehmen den Wettbewerb des Wissens gewinnen will.

Literaturtipps:

Measuring and Reporting Intangible Assets and Results in a European Contract Research Organisation.

Von Günter R. Koch, Karl-Heinz Leitner und Manfred Bornemann.

Joint German-OECD Conference, Benchmarking Industry-Science Relationships.

Berlin, 16. bis 17. Oktober 2000.

Development and Implementation of an Intellectual Capital Report for a Research Technology Organization.

Von Karl-Heinz Leitner, Manfred Bornemann, Ulrike Schneider.

In: Bontis, N. (Hrsg.) World Congress on Intellectual Capital Readings. Butterworth & Heinemann.

Boston 2002, S. 266-286.

Die erste gesamtuniversitäre Wissensbilanz: Donau-Universität Krems.

Von Günter Koch und R. Pircher. In: Wissensbilanzen.

Intellektuelles Kapital erfolgreich nutzen und entwickeln.

Hrsg. von Kai Mertins, Peter Heisig, Kay Alwert. Springer Verlag 2005.

Quelle: personal manager 2/2005