Motivationsbremsen aufspüren

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Foto von Kelly Sikkema

Im Personalbereich liegen große Potenziale brach. Nach einer Studie des Gallup-Instituts setzen sich nur 16 Prozent der Mitarbeiter in deutschen Unternehmen engagiert für ihre Firma ein. Die anderen begründen ihre mangelnde Motivation vor allem damit, dass sie ihren Anteil am Erfolg des Unternehmens nicht erkennen und dass ihr Wissen und ihre Ideen nicht gefragt sind. Eine gute Führungskraft muss also die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Mitarbeiter ihr Wissen, ihre Ideen und Beobachtungen tatsächlich und gerne zur Verfügung stellen. Wenn sie die Beschäftigten aus ihrem Arbeitsalltag erzählen lassen, kommen Motivationsbremsen und Kooperationsbarrieren rasch ans Tageslicht. Ihre Hauptaufgabe besteht dabei zunächst darin, aktiv zuhören. Denn wer zu häufig auf „Senden“ geschaltet ist, versäumt viele der besten Ideen und wichtigsten Hinweise. Von den kleinen Anekdoten und Witzen, die im Unternehmen kursieren, über die „am Rande“ erzählten Erlebnisse mit Kunden oder Partnern bis hin zu moderierten „Storytelling-Workshops“: Es gibt viele Gelegenheiten, zu erfahren, welche Themen den Mitarbeitern am Herzen liegen. Der Schlüssel zu Austausch und Offenheit ist ehrliches Interesse. Eine Führungskraft, die nicht nur in Anweisung, Vorgabe, Verkünden denkt sondern die Kommunikation mit ihren Mitarbeitern als „Vier-Ohren-Gespräch“ auffasst, also auch aufmerksam zuhört, erreicht die Menschen dann auch besser, wenn sie selbst etwas zu sagen hat. Selbstbewusste Mitarbeiter merken sehr wohl, wie mit ihnen geredet wird und geben die Aufmerksamkeit, die sie erhalten haben, auch wieder zurück.

Meetings leiten

Führungskräfte verbringen nach neueren Studien bis zu 70 Prozent ihrer Zeit in Meetings und Besprechungen. Jeder Vorgesetzte sollte deshalb die Meeting-Kultur seiner Abteilung einmal auf Sinn und Effektivität hinterfragen. Wer in Besprechungen effektiver kommunizieren möchte, sollte öfter in den Storytelling-Modus schalten: „Herr Mayer, können Sie Ihre Kritik an einer konkreten Geschichte festmachen?“ „Frau Hegmann, welches Erlebnis zeigt, wie weit wir mit der Umsetzung unseres Plans schon sind?“ „Wer hat in der letzten Zeit etwas erlebt, das ihn nachdenklich gestimmt hat?“ „Woran erkennen Sie, dass die Kunden dieses Konzept angenommen haben?“ Wenn die Führungskraft sich erst einmal angewöhnt hat, Vorschläge, Meinungen, Statements und Einwände so zu hinterfragen, wird sie bald feststellen, dass sich die Redezeit deutlich reduziert und verdichtet. Denn wer erzählt, bleibt immer nah an Praxis und Realität.

Wissen sammeln und weitergeben

Neue Ideen und Verbesserungsvorschläge gehen im Unternehmensalltag oft unter. Storytelling-Workshops sollten dazu beitragen, dass dieses Wissen nicht verloren geht. Dort besprechen Mitarbeiter hierarchieübergreifend und quer zu den etablierten Wegen der Kommunikation ein Thema oder Problem „face-to-face“. Sie verzichten auf Meinungen, Vorträge und Theorie. Stattdessen erzählen sie ihre eigenen Erlebnisse im Unternehmen und zeigen damit, wo in der Praxis der Schuh drückt. Der Vorteil: In den erzählten Geschichten sind die Lösungsansätze oft schon sichtbar. Denn sie zeigen das jeweilige Problem im Kontext seiner Entstehungsgeschichte, als Abfolge von Handlungen und Entscheidungen, welche die Teilnehmer kritisch hinterfragen können. Wichtig ist, dass alle Verantwortlichen und Entscheider dabei sind und aktiv zuhören. Besonders wichtig: Die Ergebnisse des Storytelling-Workshops dürfen nicht im Sande verlaufen. Deshalb sollte die Gruppe am Ende festlegen, welche Konsequenzen sie aus dem Gesagten ziehen will, ob sie etwas ändern möchte und wann erste Schritte erfolgen müssen.

Projekte managen

Personalverantwortliche nehmen ihre Führungsaufgaben immer häufiger im Rahmen von Projekten wahr. Keine leichte Aufgabe, denn trotz ausgefeilter Planungstools verlaufen Projekte fast immer anders als geplant. Hauptursachen hierfür: im Verlauf des Prozesses tauchen Mitspieler und Gegenspieler auf, welche die Projektgruppe nicht von Anfang an richtig eingebunden hat. Außerdem vergessen die Beteiligten oft, Strategien für die Schlussphase des Projektes zu entwickeln. Wie sollen die Projektergebnisse im Unternehmensalltag umgesetzt und verankert werden? Welche Positionen sollen die Beteiligten nach Abschluss des Projekts einnehmen? Fragen wie diese bleiben häufig unbeantwortet. Für diese kommunikativen und beziehungsrelevanten Aspekte des Projektmanagements bietet der Storytelling-Ansatz verschiedene Vorgehensmodelle an: Mit den Mitteln des narrativen Projektmanagements rückt von Anfang an die folgende Fragestellung in den Fokus der Aufmerksamkeit: „Wie mache ich aus meinem Projekt für alle Beteiligten und Betroffenen eine gute Geschichte?“ Die kommunikative Planung orientiert sich an der „Abenteuerreise des Helden“: Von der Phase des „Aufbruchs“ bis hin zur Phase der „Rückkehr“ kann die Projektgruppe nach diesem Modell szenariotechnisch durchspielen, wann welche Figuren in welcher Konstellation der Geschichte wichtig werden und welche Aufgaben sie übernehmen müssen.

Prozesse reflektieren

Die konstruktive Reflexion von Prozessverläufen kommt in vielen Unternehmen zu kurz, weil dafür weder Zeit bleibt noch geeignete Formen etabliert sind. Doch wer Fehler und Schwächen in Zukunft vermeiden will, braucht eine verlässliche Feedback-Kultur. Als Möglichkeit dafür bietet sich vor allem der Storyboard-Workshop an: Das „Storyboard“ hängt als Packpapierstreifen an der Wand und hat ein Vergangenheits-, ein Gegenwarts- und ein Zukunftsfeld. Die Beteiligten treffen sich davor und rekonstruieren gemeinsam den Projektverlauf. Die wichtigsten Ereignisse tragen sie auf dem Zeitstrahl ein. Dabei reflektieren sie mit Blick auf das Vergangenheitsfeld ihre verschiedenen Projekterfahrungen und sprechen gegebenenfalls Konflikte an, die im Lauf der Zusammenarbeit aufgetreten sind. Anschließend sprechen sie über die Ereignisse und Entscheidungen der Gegenwart. Auch hier tauschen sie nicht ihre Meinungen aus („Diese Entscheidung war falsch“), sondern bleiben im Storytelling-Modus („Ich hatte nach dieser Entscheidung folgendes Problem“). Anschließend entwirft die Gruppe im „Zukunftsfeld“ die nächsten Schritte und Wegmarken für konkrete Verbesserungen.

Aus den erzählten Erfahrungen lassen sich Geschichten herausdestillieren, mit denen die Gruppe Außenstehenden und Entscheidern die Kernbotschaften des Projektes vermitteln kann. Die Geschichte eines gelungenen Projekts kann sie festhalten und als Teil einer „Erfahrungs-Datenbank“ in das allgemeine Wissensnetzwerk des Unternehmens einspeisen.

Wissensarbeitern und Kulturen ermöglichen – Moderation, Zuhören und Storytelling sind die Instrumente der neuen Führungskraft.

Erfolgsgeschichten erzählen

Manager und Führungskräfte setzen Ziele, machen Vorgaben, haben Erwartungen, verlangen Leistung, fordern Einsatz und wollen Erfolge sehen. Aber was bringt die Mitarbeiter eigentlich dazu, etwas zum Erfolg des Unternehmens beizutragen? Den Umsatz um ein paar Prozentpunkte zu steigern, das Ergebnis zu verbessern, den Arbeitsplatz zu erhalten: Das ist gut und wünschenswert, aber als Ziel nicht besonders attraktiv.

Qualifizierte Mitarbeiter brauchen Ziele, für die sie sich über die pragmatische Formel „Arbeit gegen Geld“ hinaus einsetzen möchten. Aufgabe von Managern und Führungskräften ist es, diese Ziele zu entdecken, zu Erfolgsgeschichten zu verdichten und in Fluss zu bringen. Wo ist unsere Abteilung besonders stark? Was ist uns in letzter Zeit besser gelungen als früher? Welche Ideen haben wir eingebracht? Welche Klippe haben wir umschifft, welche Gefahr abgewendet?

Geschichten wie diese sollten gute Führungskräfte aufspüren und weitererzählen, um die Erfolgsgeschichten ihres Unternehmens lebendig zu halten. Das spornt an, mehr davon zu erleben und zu erzählen. Ein selbstbewusstes Unternehmen wird getragen von selbstbewussten Mitarbeitern, die sich, ihre Arbeit und ihre Firma schätzen. Führen durch Ziele kann also auch heißen, wertschätzend von dem zu erzählen, was im Unternehmen getan und geleistet wird.

Diese Art „Storytelling“ bindet auch Kunden und Partner. Denn sie lernen das Unternehmen nicht nur über eine auf Hochglanz getrimmte Schokoladenseite kenn, sondern über glaubwürdige Geschichten, in denen das Besondere dieser Firma lebendig wird. Wichtig ist aber auch hier, dass Führungskräfte nicht versuchen, Erfolgsgeschichten zu erfinden. Denn wirklich spannend wird es erst, wenn das Geschehen authentisch ist und die Geschichte Gefahren und Probleme nicht ausklammert.

Zuhören, moderieren, Geschichten erzählen

Im heraufziehenden Zeitalter der Wissensökonomie liegt die größte Produktivitätsreserve nicht nur in der Kreativität, dem Wissen und Beziehungspotenzial der einzelnen Mitarbeiter, sondern in der Fähigkeit der Organisation, diese Potenziale zu entfalten und miteinander effektiv zu vernetzen. Dies gelingt nur durch eine entsprechende Kommunikation. Insofern wandeln sich auch die Anforderungen an die Führungskräfte.

In früheren Zeiten und einer eher tayloristisch geprägten Organisation beschränkte sich der Kommunikationsauftrag der Führungskräfte auf Anweisen, Verkünden und Überzeugen. Nicht zuletzt deshalb war die Kunst der Rhetorik bei Führungskräften so beliebt. In den komplexen Organisationen der Wissensökonomie aber verschwindet der Rhetoriker in der Mottenkiste. Die Unternehmen benötigen Menschen, die Verständigung und Kooperation zwischen unterschiedlichen Wissensarbeitern und Kulturen ermöglichen – Moderation, Zuhören und Storytelling sind die Instrumente der neuen Führungskraft.

Buchtipps:

Storytelling. Das Harun-al-Raschid-Prinzip. Die Kraft des Erzählens fürs Unternehmen nutzen.

Von Karolina Frenzel, Michael Müller und Hermann Sottong.

Hanser 2004.

Storymanagement.

Von Michael Loebbert.

Klett-Cotta 2003.

Quelle: personal manager 1/2005