Problempunkt

assorted notepads
Foto von Patrick Perkins

Der Mitarbeiter ist seit 2007 bei dem Unternehmen beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag enthält folgende Klausel: „Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Höhe der Bezüge vertraulich zu behandeln, im Interesse des Betriebsfriedens auch gegenüber anderen Firmenangehörigen.“ Der Arbeitgeber mahnte den Mitarbeiter ab, weil er sich entgegen dieser Verpflichtung mit einem Arbeitskollegen über die Höhe seines Gehalts und die vor Kurzem erfolgten Änderungen unterhalten hatte. Mit seiner Klage verlangte der Mitarbeiter, dass der Arbeitgeber die Abmahnung aus seiner Personalakte entfernt. Das Unternehmen berief sich darauf, dass Gespräche über das Gehalt den Arbeitsfrieden beeinträchtigen könnten. Da es um Tatsachen gehe, sei auch nicht die Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer aus Art. 5 GG betroffen. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt.

Entscheidung

Das LAG schloss sich dieser Meinung an. Die Beklagte muss die Abmahnung aus der Personalakte entfernen, da keine Pflichtverletzung des Klägers vorliegt. Er hat zwar möglicherweise gegen die Verschwiegenheitsklausel aus dem Arbeitsvertrag verstoßen. Diese benachteiligt den Arbeitnehmer aber entgegen den Geboten von Treu und Glauben i. S. v. § 307 BGB unangemessen und ist damit unwirksam.

Arbeitgeber müssen nach ständiger Rechtsprechung auch bei der Lohngestaltung den Gleich- behandlungsgrundsatz beachten (BAG, Urt. v. 15.7.2009 – 5 AZR 486/08, DB 2009, S. 2496). Die einzige Möglichkeit für den Arbeitnehmer, festzustellen, ob er Ansprüche aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz hinsichtlich seiner Lohn- höhe hat, ist das Gespräch mit Arbeitskollegen. Ein solches ist nur erfolgreich, wenn der Mitarbeiter selbst auch bereit ist, über seine eigene Lohngestaltung Auskunft zu geben. Könnte man ihm derartige Gespräche wirksam verbieten, hätte er kein erfolgversprechendes Mittel, Ansprüche wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen der Lohn- gestaltung gerichtlich geltend zu machen.

Die vertragliche Verschwiegenheitspflicht verstößt zudem gegen die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG, da sie auch Mitteilungen über die Lohnhöhe gegenüber einer Gewerkschaft verbietet, deren Mitglied der betroffene Arbeitnehmer sein könnte. Sinnvolle Arbeitskämpfe gegen ein Unternehmen wären so nicht möglich, weil die Gewerkschaft die Lohnstruktur nicht in Erfahrung bringen kann.

Konsequenzen

In nicht tarifgebundenen Unternehmen kann der Arbeitgeber das Gehalt abhängig von Einstiegszeitpunkt, Qualifikation, Berufserfahrung, konjunkturellen Rahmenbedingungen, Retention-Risiken etc. bei Einstellung und späteren Gehaltserhöhungen bestimmen. Aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist er aber verpflichtet, vergleichbare Arbeitnehmer bei Anwendung einer selbst gesetzten Regelung gleich zu behandeln. Deshalb darf er auch im Falle einer freiwillig gewährten allgemeinen Lohnerhöhung Unterschiede nur aus sachlichen Gründen machen. Der Arbeitgeber muss die Anspruchsvoraussetzungen so abgrenzen, dass er nicht einen Teil der Arbeitnehmer sachwidrig oder willkürlich von der Vergünstigung ausschließt.

Die Frage nach der Gehaltshöhe von Kollegen, die identische oder gleichartige Tätigkeiten leisten, ist deshalb oft ein Thema unter den Beschäftigten. Arbeitgeber können deshalb ein Interesse daran haben, dass Vergütungshöhe und -bestandteile einzelner Mitarbeiter nicht diskutiert werden. Daher enthalten viele Arbeitsverträge Verschwiegenheitsklauseln, die sich auch auf die Entgelthöhe beziehen. Das Urteil hebt die innerbetriebliche Bindungswirkung derartiger Klauseln auf, so dass das Unternehmen Verstöße nicht wirksam sanktionieren kann.

Praxistipp

Unabhängig davon, ob bzw. unter welchen Um ständen solche Klauseln rechtswirksam sind (vgl. Preis, Arbeitsvertrag, II IV 20 Rdnr. 33 f.), tauschen sich Beschäftigte innerbetrieblich faktisch häufig über das Entgelt aus. Wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (§ 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG: Einsicht in Gehaltsliste, § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG: betriebliche Lohngestaltung und leistungsbezogene Entgelte), aber auch aus personalpolitischen Gründen sind Arbeitgeber grundsätzlich gut beraten, vergleichbare Tätigkeiten auch gleich zu vergüten. Ein willkürliches und bzw. oder intransparentes Entgeltsystem kann sowohl rechtliche als auch personalpolitische (Motivation, Führung) Risiken bergen.

RA Volker Stück,

Aschaffenburg

Quelle: Arbeit und Arbeitsrecht ∙ 8/10