Viele Unternehmen haben Not: Sie finden für bestimmte Jobprofile keine geeigneten Kandidaten, vor allem keine Professionals. Das hat nicht nur etwas mit dem leergefegten Markt zu tun, wie Recruiting-Experten wissen. Personaler scheitern an den Vorgaben der Fachabteilungen oder starren Prozessen, Kandidaten wenden sich wieder ab. Ein neues Mindset ist gefragt.

Treffer aber nicht versenkt. Das Sourcing-Dilemma
Treffer, aber nicht versenkt – Das Sourcing-Dilemma

Das Beispiel ist kein Einzelfall: Zwei IT-Spezialisten hatten Sourcer im Auftrag für eine ausgeschriebene Stelle aufgespürt und angesprochen. Und das unter erschwerten Bedingungen: Erstens, weil das Unternehmen keinen besonders attraktiven Standort bot, und zweitens, weil eben eine ziemlich gefragte Berufsgruppe gesucht wurde. Und dann waren beide wieder weg. Warum? Ganz einfach: In der Personalabteilung hatte gerade niemand Zeit, sich um die Bewerbungen zu kümmern. Zu viel zu tun, eine Messe, ein Kollege ist krank, etc. Ein echtes Problem im Recruiting, von dem Spezialisten wie Henrik Zaborowski ein Lied singen können.

Starre Prozesse, unflexible Entscheider oder Fachabteilungen, falsche Kommunikation – und immer die Fixierung auf die Bewerbungsunterlagen. „30 Prozent der Bewerber, denen auf Basis ihrer Bewerbungsunterlagen abgesagt wird, wären eigentlich geeignet für den Job“, sagt Zaborowski. Sein Fazit: Die Personalauswahl, wie sie derzeit praktiziert wird, ist Schrott. Seine These: Personaler und Recruiter brauchen ein neues Mindset, um in einer digitalisierten Welt die richtige (Vor-)Auswahl zu treffen. Mit seinem Onlinekurs „Recruiting-Wissen für Hiring Manager“ will er Personalern vor allem drei Themen nahe bringen: Offenere Anforderungen an Kandidaten, besser gemanagte Bewerbungsprozesse und flexiblere Kandidatenauswahl.

Coolness und Kicker reichen nicht mehr

Die Quellen für Fehler sind vielfältig. Das trifft wahrlich nicht allein klassische Unternehmen. Auch Start-ups, Agenturen oder andere moderne Companies, die sich moderne Arbeitsverhältnisse und Trends wie New Work auf die Fahnen schreiben, haben Probleme. Manchmal sogar noch mehr als traditionelle Großbetriebe. „Bei uns ist es cool, du bekommst gratis Getränke und Obst, hast einen Kickertisch in der Pause und kannst deine Turnschuhe anbehalten“ reicht eben nicht mehr. Das sind keine „kulturbildenden Faktoren“, sagen Experten. Großbetriebe bieten dagegen oft sichere Arbeitsplätze, ordentliche Gehälter und geregelte Arbeitszeiten. Auch nicht ganz unwichtig für jemanden, der auf die Work-Life-Balance achtet.

Lebensläufe sind keine Produktdatenblätter

Aber in einem entscheidenden Punkt haben junge dynamische Betriebe der Digitalwelt die Nase vorn: Sie haben weniger Probleme mit der Ansprache und ein besseres Verständnis der Zielgruppe. Das zeigt sich bei den Anforderungen an einen Bewerber: Junge Unternehmen sind häufig offener für Quereinsteiger und “kreative” Lebensläufe. Das ist ein wichtiger Punkt. Denn daran scheitern viele Personalverantwortliche, wie Henrik Zaborowski weiß. Diese lesen Lebensläufe wie Produkt-Datenblätter, anstatt den Menschen und seine Geschichte zu sehen. Die Entscheidung „Daumen hoch“ oder „Daumen runter“ erfolgt dann nach irrelevanten Gesichtspunkten.

Das Problem: In einem Markt, in dem Sourcer und Recruiter aktiv auf die Suche nach geeigneten Kandidaten gehen müssen, stellen interne Stellenbeschreibungen und externe Ausschreibungen ein Idealbild dar. Genau passende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es nicht. Aber – Fachbereiche wollen das so, Recruiter und Personalmarketing-Verantwortliche beraten nicht und Sourcer werden dann ins Feuer geschickt oder arbeiten vergeblich. Henrik Zaborowski hat dafür ein schönes Beispiel. Wieder die besagten IT-Spezialisten, die an einen schwierigen Standort gelockt werden sollen. Und tatsächlich: Es finden sich Kandidaten – die allerdings ausnahmslos einen großen Teil der Woche im Homeoffice arbeiten wollen, um nicht komplett in die Pampa umziehen zu müssen. Das wiederum kann sich der Fachbereich nicht vorstellen – also sucht man lieber weiter. Aussicht auf Erfolg: Ungewiss.

Mehr Candidate Centricity wäre gut

Wie kommt die Branche aus dem Dilemma heraus? Ein wichtiger Punkt betrifft eben das Mindset. Erstens: Unternehmen können nicht aus einer Vielzahl von Bewerbern auswählen, sondern sind darauf angewiesen, dass passende, gute Kandidaten sie auswählen. Das heißt: Sie müssen sich verkaufen. Zweitens: Candidate Centricity gefordert: Wer die Prozesse nicht an den Bedürfnissen der Kandidaten ausrichtet, hat im Wettbewerb mit anderen Arbeitgebern das Nachsehen. Und: Fachliche Expertise ist das eine. Aber oft sind zum Beispiel die Softskills wichtiger. Menschliche Eigenschaften, die weniger veränderbar sind als Fachwissen, das gelernt werden kann.

Ein neues Mindset bedeutet: Den Menschen wieder eine Chance zu geben, wie Henrik Zaborowski nicht müde wird, zu betonen. Und sich nicht in starren Prozessen oder Anforderungen zu verkrallen. Flexibilität ist das Gebot der Stunde.

Zum Thema Active Sourcing lesen Sie in dieser Ausgabe ab Seite 20 auch über die hauseigene personalisierte Strategie bei Otto im Interview mit Malte Balmer, Talent Sourcing Manager.

Autor: Raoul Fischer

Bild: © Rock and Wasp, Adobe Stock, © bluebay2014, Adobe Stock