Gerade bei schwer zu rekrutierenden Berufen sind Unternehmen oft auf Alternativen zur klassischen Bewerbung angewiesen – weil sich Kandidaten schlicht nicht bewerben. Talent- oder Candidate-Management-Lösungen sind erfolgsentscheidend, um die Suche und Ansprache richtig aufzugleisen und interessante Talente nachhaltig zu binden. Aber wie findet man die passende Software?

Talentmanagement-Software – Die „Goldfische“ richtig managen
Talentmanagement-Software – Die „Goldfische“ richtig managen

Bewerbermanagement ohne Bewerbungen

In der letzten Ausgabe des blog.TALENTpro Magazins gab Michael Witt einen umfassenden Überblick über die Funktionen von Bewerbermanagement-Systemen und nannte Kriterien zur Auswahl. In Zeiten immer schwieriger werdender Arbeitsmärkte und passiver Kandidaten erfolgen jedoch nicht mehr alle Kontakte über Bewerbungen. Unternehmen müssen aktiv suchen und gezielt Kontakte aufbauen. Dieser Prozess zieht sich in der Regel über viele Kontaktpunkte. Der Erstkontakt führt nicht sofort zur Einstellung, sondern zieht viele weitere Kontakte nach sich, bevor ein interessanter Kandidat wirklich zum Bewerber wird.

Klassische Bewerbermanagement Systeme sind jedoch häufig auf einen klaren Prozess vom Anlegen der Vakanz über die Bewerbung bis zum Tracking des Auswahlprozesses ausgelegt und dementsprechend überfordert, wenn vor der eigentlichen Bewerbung Kontakte gemanagt werden sollen. Analog zum Marketing hat sich daher in den vergangenen Jahren ein Markt für Systeme entwickelt, die eher auf das Management von Beziehungen und Kontakte ausgelegt sind: die sogenannten Talent- oder Candidate-Relationship-Management-Systeme – kurz TRM- oder CRM-Systeme.

CRM ist nicht gleich CRM

Anders als der klassische Recruitingprozess, der fortlaufend aufgebaut ist und im Grunde meistens auf den gleichen grundsätzlichen Prozessschritten beruht, ist CRM kein klarer Prozess. Viel stärker als beim klassischen Recruitingprozess erfordert es ein Konzept, wie und für welche Zielgruppen recruitiert werden soll. Folgende drei Use Cases veranschaulichen dies:

Massenprozess: One to many

Handelsunternehmen oder Paketdienstleister benötigen häufig zu bestimmten Zeiten Tausende von Aushilfen (Weihnachten, Ferien, etc.). Um den Bedarf zu bewältigen, müssen große Mengen an möglichen Kandidaten in Datenbanken gepflegt werden (zum Beispiel ehemalige Aushilfen oder von Personaldienstleistern übermittelte Kontakte). Die Personaler müssen zum richtigen Zeitpunkt massenhaft Kandidaten ansprechen, damit diese mitteilen können, ob sie wieder als Aushilfe arbeiten möchten. Dabei speichern sie häufig nur Kontaktdaten, Verfügbarkeiten und ähnliches, der Kontakt erfolgt in der Regel per Mailing.

Community Management: One to few

Viele Unternehmen generieren Kontakte zu Studierenden, etwa in Fächern, in denen die Einstellung von Absolventen schwierig ist wie bei den MINT-Berufen, Digital-Spezialisten oder Prädikatsjuristen. Über ehemalige Praktikanten und Werkstudenten, Messekontakte, Teilnehmer von Veranstaltungen etc. kommen viele Kontakte zusammen, die sehr wertvoll sein können, wenn es gelingt, diese nach ihren Abschlüssen direkt als Absolventen einzustellen.

Die Unternehmen speichern dabei häufig komplette Ausbildungsdaten, erstellen aufwändigere Newsletter, laden zu Events ein. Es gibt Austausch zwischen den Kandidaten und dem Unternehmen und so ist die gezielte Contentverteilung und Interaktion entscheidend. Auch der Kontakthistorie kommt eine größere Bedeutung zu. Zudem muss gewährleistet sein, dass die Kandidaten einfach zu Bewerbern konvertiert und bearbeitet werden können.

Gezieltes Active Sourcing und CRM

In sehr knappen Zielgruppen erfolgen häufig gar keine Bewerbungen. Recruiter suchen geeignete Kandidaten zum Beispiel in sozialen Netzwerken und versuchen, Netzwerke und Pipelines aufzubauen, um unabhängig(er) von Headhuntern zu werden. Häufig besteht zwar grundsätzlich gegenseitiges Interesse, der Zeitpunkt oder die aktuell offenen Vakanzen passen jedoch nicht oder der Erstkontakt bleibt unverbindlich. Oder es handelt sich um Kandidaten aus vorherigen Bewerbungsprozessen, die zwar grundsätzlich interessant waren, aber nicht zur damaligen Stelle passten (second best). Die Recruiter sollten die Kontakte und die Kommunikation (auch Gesprächsinhalte, Telefonate) tracken können, persönlich betreuen und entsprechend Wiedervorlagen und individuelle Einladungen verwalten.

Grundfunktionen von CRM

Die Beispiele zeigen, dass CRM-Systeme eine große Anzahl an Funktionen haben können:

Poolaufbau, -verwaltung und -suche
Zentrale Funktion des CRMs ist der Dreiklang aus Poolaufbau, -verwaltung und -suche. Beim Aufbau des Pools ist es wichtig zu definieren, aus welchen Quellen die Kandidaten ins System kommen, wer für die Datenerfassung zuständig ist und welche Datenschutzthemen zu beachten sind.

Daneben müssen die Kandidaten im Pool verwaltet und gepflegt werden. Hier benötigt es ein Konzept, welche Pools für welche Zielgruppen – abgeleitet aus der eigenen Zielgruppen-„Landkarte“ – angelegt werden. Wer verwaltet Daten und hat Zugriff darauf: der Kandidat selbst und/oder das Unternehmen? Und sollen die Informationen auch für andere Systeme (Application Tracking System oder Talent Management) genutzt werden können.

Als drittes ist die Suchfunktionalität von Bedeutung, also wie findet man relevante Kandidaten möglichst schnell wieder. Das richtige Tagging beziehungsweise die Klassifizierung der Kandidaten spielt hier eine große Rolle und es bedarf eines Konzepts, damit z. B. klar ist, was global definiert ist, was je Bereich / Nutzergruppe festgelegt werden kann und was vom Recruiter individuell gehandhabt werden kann.

Kommunikation
Gerade für den Beziehungsaufbau und das Kontakthalten mit den Kandidaten ist es wichtig, ein Kommunikationskonzept für die verschiedenen Zielgruppen zu definieren, analog den beschriebenen Cases. Neben Massenmailings und Newslettern ist es hier auch sinnvoll, einen zielgruppenspezifischen Redaktionsplan zu definieren. Dabei bietet sich je nach Konzept auch eine Community-Funktion an, mit der sich Kandidaten anmelden, ihre eigenen und Präferenzen ändern und mit dem Unternehmen und anderen Community-Mitgliedern kommunizieren können. Empfehlenswert ist zudem ein auf die eigenen Kennziffern anpassbares Erfolgs-Tracking der verschiedenen Maßnahmen.

Governance und Schnittstellen
Übergreifend müssen die Unternehmen natürlich Governance-Themen klären und technisch beschreiben: Wie sieht das Berechtigungs- und Rollenkonzept aus, welche rechtlichen Rahmenbedingungen und Datenschutz-Vorgaben gibt es?

Zudem muss klar sein, welches Applicant Tracking System – kurz ATS – genutzt wird, wie die Schnittstellen aussehen müssen und ob integrierte Lösungen notwendig sind. Dies gilt zum Beispiel auch, wenn das CRM (internen) Talent-Management-Datenbanken integrieren soll wie zum Beispiel Nachfolgepools oder als „Goldfischteiche“ bezeichnete Potenzialpools.

Aktuelle Anbieter-Landkarte

Die Anbieter-Landkarte ist ähnlich vielfältig wie bei den Bewerbermanagement Systemen, durch die unterschiedlichen Schwerpunkte jedoch teilweise noch schwieriger zu durchschauen. Vor wenigen Jahren kamen die CRM-Systeme noch separat auf den Markt oder entwickelten sich aus bestehenden Lösungen aus Vertrieb oder Marketing oder dem Community-Management weiter. Inzwischen verfügen zunehmend auch Bewerbermanagement-Systeme über immer funktionsreichere CRM Komponenten.

Anbieter wie Avature oder Smartrecruiters kombinieren moderne Applicant Tracking Systeme mit leistungsstarken und vielfältig skalierbaren CRM-Komponenten, die auch internationalen Ansprüchen gerecht werden. Mit Lösungen wie Phenom People oder Greenhouse wachsen Personalmarketing und CRM zusammen.

Auch aus Deutschland kommen intelligente, einfache Lösungen, die auch von mittelständischen Unternehmen problemlos eingesetzt und gut mit bestehenden Bewerbermanagement Systemen kombiniert werden können, wie zum Beispiel die CRM Lösung von Talentry oder auch die entsprechende Komponente der Recruiting-Lösung BeeSite von milch & zucker.

Die Recruiting Module der großen Suiten wie SAP SuccessFactors und Workday waren bis zuletzt eher von klassischen ATS-Funktionen geprägt. Die Anbieter haben aber erkannt, dass CRM-Funktionen notwendig sind, und entwickeln ihre Lösungen weiter oder schaffen entsprechende Schnittstellen zu CRM-Komponenten.

Die Einstiegslösungen ins CRM sind jedoch direkt an einer der Hauptquellen zu finden: sowohl LinkedIn als auch Xing bieten mittlerweile recht umfangreiche Basisfunktionen in ihren Recruiterfunktionalitäten – allerdings mit dem Nachteil, dass man hinsichtlich der Kontakte an den jeweiligen Anbieter gebunden ist.

Fazit und Auswahlempfehlungen

Wie beschrieben, sollte zunächst klar sein, welche Schwerpunkte das System haben soll. Basis hierfür ist ein Verständnis, welche Zielgruppen zukünftig rekrutiert werden sollen, wie schwer diese zu rekrutieren sind und welche für den Unternehmenserfolg so wichtig sind, dass unbedingt Talentpipelines aufgebaut werden sollten. Letztlich ist der CRM-Prozess in der Regel wesentlich aufwändiger als ein „einfacher“ Recruitingprozess. Damit der Aufwand in die richtigen Zielgruppen fließt und sowohl die Recruiting-Organisation als auch die Systemunterstützung sinnvoll aufgebaut werden, ist ein Dialog mit dem Business unerlässlich, um die Zielgruppen-Landkarte ableiten zu können.

Auf Basis einer solchen Zielgruppen-Landkarte lässt sich dann gut definieren, welche Schwerpunkte das Recruiting Team abdecken muss. Bei der Auswahl von CRM Systemen hat es sich bewährt, mit den Anbietern die wichtigsten Use Cases für die unterschiedlichen Zielgruppencluster durchzuspielen und zu verstehen, wie gut Systemumfang und Philosophie dieses abbilden können.

Ein funktionierendes CRM Konzept ist in jedem Fall ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Bedenkt man, dass Headhunter pro besetzter Stelle leicht 30.000 oder 40.000 Euro aufrufen, rechnet sich die Investition ins System und Recruiter schnell.

Autoren: Luzia Fink und Michael Eger

Luzia Fink ist Diplom-Psychologin, ausgebildeter systemischer Coach und Karriereberaterin und verfügt über mehr als 10 Jahre Beratungserfahrung. Den Berufseinstieg machte sie bei einer Personalberatung und war dort sechs Jahre lang als Senior Consultant / Prokuristin für die Gewinnung von Fach- und Führungskräften sowie Management-Diagnostik zuständig. Seit 2014 ist sie bei Mercer | Promerit als Managerin im Bereich HR Transformation und Talent Acquisition und für Themen wie HR Strategie, Organisation, Employee Experience, Next Level Recruiting und Active Sourcing verantwortlich.

Michael Eger studierte Medienwirtschaft und sammelte nach seinem Wechsel aus dem Kreativ- und Digitalbereich in die Beratung über 15 Jahre Erfahrung als Management Consultant und Projektleiter in strategischen HR-Projekten. Heute ist er als Partner in der Serviceline HR Transformation verantwortlich für Personalgewinnungs- und Digitalisierungsprojekte bei Mercer | Promerit. Als Head of Marketing & Recruiting führt er dort auch die eigenen Marketing- und Talent-Acquisition-Teams.