Prof. Dr. Mandl, unser Medienverhalten bestimmt zu einem gewissen Maß auch die Art, wie wir lernen. Welche Medien spielen aktuell verstärkt eine Rolle?

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Foto von Windows

Immer mehr Menschen nutzen das Internet. Im Web 2.0 können die Nutzer Neues schaffen und sich gleichzeitig mit anderen vernetzen. Als interessante Entwicklungen jenseits des Web 2.0 beobachte ich derzeit das Semantische Web und das Pervasive Computing. Semantisches Web meint, dass das World Wide Web zunehmend “verschlagwortet” werden soll, damit die Suche nach Inhalten im Netz intelligenter und treffsicherer wird. Pervasive Computing bezeichnet den Trend, dass wir nicht mehr nur am Schreibtisch das Internet nutzen. Denn durch Geräte wie Handheld-Computer, PDAs oder Mini-Laptops können wir inzwischen praktisch überall und ständig online sein. Internetnutzer vernetzen sich außerdem in Online-Spielen beziehungsweise in virtuellen Welten wie Second Life. Spielen bekommt dabei einen aktiven, kommunikativen und kooperativen Aspekt.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Spielen und Lernen?

Spielen ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wir spielen gerne, weil es Vergnügen, Freude, Entspannung, Zerstreuung und Gemeinschaftserlebnisse ermöglicht. Demgegenüber wird Lernen oft als anstrengend, langweilig, dröge und fremdbestimmt empfunden. Aber auch beim Spielen lernen wir, wenn auch nicht explizit, sondern beiläufig. Stimulierende Spielelemente für Lernprozesse lassen sich am besten anhand verschiedener Spielformen aufzeigen: Beim Erkundungsspiel geht es um Neugier wecken, explorieren, entdecken, beim Rollenspiel werden reale Sachverhalte imitiert, Rollen ausprobiert und Perspektiven erkundet. Regelspiele hingegen stellen den Wettbewerb in den Vordergrund. Der Reiz dieser Spielform ist der Leistungsvergleich von Partnern mit ähnlichem Fähigkeitsniveau. In Konstruktionsspielen kommt den schöpferischen Tätigkeiten eine besondere Rolle zu. Die Spieler erleben bei all diesen Spielen lustvolle Gefühlszustände bis hin zu Flow, wenn sie in der Tätigkeit aufgehen und alles um sich herum vergessen.

Wie können herkömmliche Lernumgebungen spielerische Elemente einbeziehen?

Die Digitale Serious Games greifen die Idee auf, Spielen und Lernen zu verbinden. Sie versuchen in spielerischer Form relevante Themen und Inhalte zu vermitteln. Orientiert an klassischen Adventure-Spielen bieten sie reichhaltige Spielszenarien, die Spieler herausfordern, Neugierde stimulieren, sportlichen Wettbewerb anregen, rasche Rückmeldung geben und damit lustvolle Gefühlszustände erzeugen. Serious Games benötigen allerdings eine Einbettung in Lernszenarien, die eine Reflexion der Spielhandlung erlauben, um die Inhalte über das eigentliche Spiel hinaus tiefer zu verarbeiten.

Können Sie konkrete Beispiele für Serious Games nennen?

Beispiele gibt es etwa in Telekommunikationsunternehmen, die solche Spiele nutzen, um die Kundenorientierung ihres technischen Personals zu schulen. Ein anderes Beispiel sind Computerspiele, die die Verkaufskompetenz etwa von Mitarbeitern von Elektronikmärkten oder anderen Händlern steigern sollen. Auch die Metall- und Elektroindustrie hat dieses Medium entdeckt: Sie hat etwa ein kostenloses Spiel entwickelt, das Jugendliche dazu motivieren soll, sich für eine Ausbildung in dieser Branche zu bewerben.

Wie läuft ein solches Verkaufstraining als Serious Game ab?

Bei diesen Trainings bekommen die Teilnehmer zu Beginn verschiedene Spielszenarien an die Hand, die sie stimulieren und motivieren, sich mit Verkaufssituationen auseinanderzusetzen. Beim Verkaufstraining der Dr. Bosch AG spielen die Teilnehmer die Verkaufssituation online mit Animationen und weiteren spielerischen Elementen. Anschließend folgt eine Präsenzphase, in der ihr Verhalten zur Sprache kommt. In den neuen Spielszenarien können sie das Gelernte einbringen und ihre Verkaufsstrategie erneut verbessern. In der Metallindustrie gibt es das so genannte “Techforceprogramm”, in dem sich auch Spielhandlungen und Lernaspekte abwechseln. Ziel der Spieler ist es dabei, den futuristischen Glider X2100 zum Start zu bringen, indem sie vorher einige technische Aufgaben erledigen. Andere Spiele enthalten auch motorische Aufgaben, um bestimmte Handlungsabläufe zu üben. Während beim Fußballspiel die Tore zählen, motiviert hier die erreichte Punktzahl, die die Teilnehmer am Ende jeder Spielrunde bekommen.

Inwiefern ist das interaktiv?

In diesen Spielszenarien sind oft mehrere Akteure beteiligt. Die Teilnehmer können bei manchen Verkaufstrainings gegenseitig ihre Einschätzung der Situation äußern und solche Spiele im Wettbewerb bearbeiten. Bei manchen Serious Games spielen die Mitarbeiter zwar allein, Spieler interagieren aber mit Avataren, also virtuellen Personen.

Unternehmen richten sich zunehmend international aus. Welchen Einfluss hat das auf diese Lernumgebungen?

Internationalität bedeutet gewöhnlich erst einmal, dass die Konzernsprache Englisch wird. Das gilt auch für die Weiterbildung der Mitarbeiter. Sowohl Trainings als auch Online-Lernumgebungen werden also zunehmend auf Englisch angeboten. Der allgemeine Kostendruck führt dazu, dass trotz einiger schwieriger Erfahrungen E-Learning nach wie vor eine wichtige Rolle spielt. Denken Sie alleine an die Reisekosten, die durch die internationale Ausrichtung ständig wachsen. Da jedoch reine E-Learning-Angebote oft auf Akzeptanzprobleme stoßen, setzt sich auf internationaler Ebene eher Blended Learning durch, bei dem vor allem die Vor- und Nachbereitung und bei längeren Trainings auch die Lernzeit zwischen den einzelnen Trainingseinheiten virtuell abläuft.

Sie haben einen Train-the-Trainer-Workshop für Verkaufstrainings in China wissenschaftlich begleitet. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

In dem Projekt sollten chinesische Verkäufer mit den oben dargestellten Verkaufstrainings trainiert werden. Chinesische Salesmanager hatten sich sehr für das Projekt interessiert. Aber wir konnten es nur teilweise durchführen, da der Bedarf an gut ausgebildetem Verkaufspersonal in China nicht vorhanden ist. Die Waren in den Kaufhäusern können die Firmen dort unabhängig von der Qualität der Verkäufer an den Mann und die Frau bringen. Die Kunden legen keinen Wert auf die Qualitäten des Verkaufs. Waren finden auch so ihren Absatz. Trotzdem glauben wir, dass in einigen Jahren auch in China Verkaufstrainings an Bedeutung gewinnen.

Inwiefern sind theoretische Kenntnisse Ihrer Forschung schon in der Praxis angekommen?

Uns fällt oft auf, dass Weiterbildungsanbieter ihre Produkte ohne ein vernünftiges Konzept erstellen, das die Erkenntnisse der aktuellen Lehr-Lern-Forschung berücksichtigt. Besonders bei Angeboten, die neue Medien und Technologien nutzen, steht vielfach die Technologie im Vordergrund der Entwicklung und wird damit zum Selbstzweck. Oft stellt sich in diesem Fall nach kurzer Zeit Enttäuschung ein, da die Unternehmen merken, dass die Technik alleine keine Probleme löst. Wichtig ist also immer ein gutes pädagogisches Konzept. Die Befunde und Kriterien, die die Forschung etwa für die Bewertung von solchen Spielen entwickelt, müssten schon in die Entwicklung einbezogen werden. Außerdem sollte dem Produkt eine lernförderliche Didaktik zugrunde liegen. Viele Unternehmen denken im Vorfeld nicht über die Implementierung nach. Deshalb scheitern an sich gute Innovationen oft daran, dass es nicht gelingt, sie systematisch in einer Organisation in die Breite zu tragen.

Das Buch “Die Weiterbildungslüge” hat kürzlich eine Debatte darüber entfacht, ob Weiterbildungen überhaupt etwas bringen. Wie sollten Unternehmen vorgehen, damit die Mitarbeiter das Gelernte auch anwenden können?

Das Buch stellt sicher eine sehr berechtigte Frage nach dem Erfolg von Weiterbildungsmaßnahmen. Natürlich bewirken ein- oder zweitägige, traditionell gestaltete Seminare nur wenige Veränderungen in punkto Einstellung und Verhalten der Teilnehmer. Ein Seminar ist kein Allheilmittel. Aber es lassen sich durchaus kognitive Inhalte oder neue Sichtweisen über einen Gegenstandsbereich vermitteln. Entscheidend ist aber, ob Mitarbeiter anschließend ihr Wissen am Arbeitsplatz anwenden können. Lernumgebungen müssen so gestaltet sein, dass Mitarbeiter Wissen, Strategien und Techniken zur Optimierung ihres Arbeitskontextes erwerben, das heißt die Inhalte sollten sich stärker auf ihre Arbeitsumgebung beziehen. Serious Games, wie sie in dem Verkaufstraining eingebaut sind, benötigen außerdem eine Nachbereitung bezogen auf das Tätigkeitsumfeld.

Interview: Stefanie Hornung

Vortrag: Lernen und Spielen – ein Gegensatz?
Am Donnerstag, 26. März, 14.45 – 15.15 Uhr,
Forum 5 der Fachmesse PERSONAL2009, M,O,C, München