Konzentration auf Schlüsselkräfte
Als Schlüsselkräfte gelten Mitarbeiter und Führungskräfte, die für den zukünftigen Unternehmenserfolg von besonderer Bedeutung sind, weil sie sehr gute Leistungen erzielen, über wichtige Kompetenzen verfügen oder eine vorbildliche Persönlichkeit besitzen. Innerhalb der Belegschaft verfügen sie meist über die besten Jobperspektiven und es fiele ihnen vergleichsweise leicht, eine alternative Stellung zu finden. Diese Key-Talents gilt es, an die Organisation zu binden. Retention-Management ist dann besonders wirksam, wenn es sich auf die Gruppe der Schlüsselkräfte konzentriert. Zudem ist es im Hinblick auf die eingesetzten finanziellen Mittel empfehlenswert, Bindungsprogramme zu fokussieren – ein wichtiges Argument, wenn Unternehmen diese Investitionen auch in schwierigen Zeiten konsequent durchhalten möchten.
Erfolgsfaktoren
Mit der Nachhaltigkeit der Programme ist bereits ein wichtiger Erfolgsfaktor für das Retention-Management genannt. Wenn Bindungsbemühungen sowohl kurzfristig wirksam als auch langfristig erfolgreich sein sollen, müssen Arbeitgeber zusätzlich folgende Faktoren berücksichtigen:
- Prozessorientierte Gestaltung: Arbeitgeber sollten Retention-Programme in aufeinander abgestimmten Schritten aufbauen.
- Langfristige Orientierung: Sie sollten die notwendigen Veränderungen rechtzeitig einleiten, auch vorbeugend in Zeiten geringer Fluktuation. Denn die Bindungswirkung der meisten Programme entfaltet sich erst nach ein bis zwei Jahren.
- Systematische Steuerung: Sowohl der Bindungserfolg als auch die Wirtschaftlichkeit der Programme sind regelmäßig zu erfassen.
Frühwarnsystem
Von besonderer Bedeutung für die systematische Steuerung ist ein Frühwarnsystem für abnehmende Bindung. Aktuell macht gerade das Unternehmen Google Schlagzeilen mit dem Versuch, über mathematische Algorithmen auf Basis von Mitarbeiterdaten zu errechnen, wann ein Mitarbeiter abwanderungsgefährdet ist. Laut Google schlägt das System sogar schon dann Alarm, wenn der Mitarbeiter selbst noch gar nicht an Kündigung denkt. Unternehmen ohne einen solchen Algorithmus sind weiterhin auf klassische Messgrößen angewiesen. Der beliebte Indikator „Fluktuationsquote“ greift leider erst dann, wenn nichts mehr zu retten ist. Wichtiger sind Messgrößen, die bereits „Gefahr im Verzug“ melden, ohne dass es bereits zu Eigenkündigungen gekommen ist.
Indikatoren für nachlassende Bindung
Organisationen können die durchschnittliche Bindung ihrer Belegschaften zum Beispiel an der Entwicklung des Krankenstandes abschätzen. Weitere Indikatoren sind das Image am Markt sowie Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen oder Führungskräfte-Feedbacks. Die Fluktuationsgefährdung einzelner Mitarbeiter zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Beschäftigten verstärkt über Sorgen oder Belastungen klagen, weniger Ideen und Verbesserungsvorschläge einbringen oder sich am Arbeitsplatz zunehmend in Konflikte verstricken.
Bindung managen
Den Abwanderungstendenzen ihrer Schlüsselkräfte entgegenwirken können Unternehmen, indem sie ein Bindungsprogramm auf den Weg bringen. Der Retention-Management- Prozess beinhaltet drei Schritte (Abbildung 1):
- Schlüsselkräfte identifizieren und analysieren: Zuerst definiert das Unternehmen auf Basis von intern abgestimmten Kriterien, wer zum Kreis der Schlüsselkräfte zählt. Anschließend ist zu klären, was die Schlüsselkräfte bewegt, was sie anstreben und wie stark ihre aktuelle Bindung an den Arbeitgeber ist.
- Handlungsbedarf erkennen und messen: Sind die Schlüsselkräfte und ihre Kompetenzen, Einstellungen und Bedürfnisse bekannt, sollten sich die Verantwortlichen darauf konzentrieren, frühzeitig Fluktuationssignale zu erkennen, um dann zu bemessen, wie dringend der Handlungsbedarf ist.
- Strategie entwickeln und umsetzen: Ausgehend von den bis dahin vorliegenden Informationen legen Unternehmen ihre Retention-Management-Strategie fest. Erst danach entscheiden sie, wie sie diese praktisch umsetzen und die Ziele des Unternehmens im Retention- Management erreichen.
Abbildung 1: In 3 Schritten zum Retention-Programm
Erfolge messen
Parallel zu diesen drei Schritten erfolgt das Controlling des gesamten Prozesses. Fragen für eine wirkungsvolle Gestaltung lauten zum Beispiel: Was unterscheidet Unternehmen mit hohen Bindungswerten und niedrigen Fluktuationsquoten hinsichtlich des Retention- Managements (RM) von den anderen Unternehmen? Welche Bestandteile der Bindungsprogramme sind besonders wirksam?
Studie I: Retention-Management
Um diese Frage zu beantworten, hat die Level M Unternehmensberatung in den vergangenen Jahren insgesamt 70 deutsche Geschäftsführer und Personalmanager befragt. Dabei verglich sie zwei Unternehmensgruppen miteinander: bindungsstarke (Top-33%) und bindungsschwache (Low-33%). Das Differenzierungskriterium war die Frage: „Fühlen sich die Schlüsselkräfte langfristig an das Unternehmen gebunden?“ Gemessen an dieser Frage betrug die Bindungsstärke in der ersten Gruppe 78 Prozent, in der zweiten Gruppe lediglich 26 Prozent. Die Fluktuationsquote von Schlüsselkräften lag bei den bindungsstarken Unternehmen bei 3,1 Prozent, bei den bindungsschwachen bei 9,6 Prozent. Wodurch zeichneten sich die bindungsstarken Unternehmen im Retention-Management aus?
- Die Intensität des Retention Managements, gemessen durch den RM-Index (0% = Min., 100% = Max.), liegt bei den bindungsstarken Unternehmen insgesamt höher. Die Unternehmen beantworteten insgesamt 50 Fragen zu unterschiedlichen Aspekten des Bindungsmanagements. Der RM-Index wurde als Mittelwert aus den Antworten auf alle 50 Fragen ermittelt. Er betrug bei bindungsstarken Unternehmen 37 Prozent, bei den bindungsschwachen 26 Prozent.
- Die RM-Intensität der bindungsstarken Unternehmen ist auch in allen Teilbereichen des Retention-Managements höher ausgeprägt.
- Besonders starke Unterschiede zeigen sich in drei Bereichen: 1. Schlüsselkräfte identifizieren (77% versus 57%); 2. Schlüsselkräfte analysieren (48% versus 30%); 3. Retention-Programm durchführen (51% versus 32%). Diese drei Aspekte bilden also den Schlüssel für ein besonders wirkungsvolles Retention-Management.
Was machen bindungsstarke Unternehmen anders? Sie verwenden nach eigenen Angaben mehr Energie darauf, die Motivation der Schlüsselkräfte nachhaltig zu steigern (62% versus 42%), bemühen sich stärker darum, sie nicht zu demotivieren (34% versus 24%) und ihre Bindung direkt zu verstärken (42% versus 26%). Außerdem kennen bindungsstarke Unternehmen ihre Schlüsselkräfte besser: Sie haben sie identifiziert und kennen ihre Wünsche, Meinungen sowie aktuellen Befindlichkeiten. Die bessere Kenntnis der Schlüsselkräfte hängt nicht von der Unternehmensgröße ab: Die bindungsstarken Unternehmen beschäftigten im Durchschnitt 1.900 Mitarbeiter, die bindungsschwachen lagen mit durchschnittlich 1.600 Mitarbeitern nicht wesentlich darunter.
Studie II: Anreize für Schlüsselkräfte
Was wollen Schlüsselkräfte? Welche Anreize wirken besonders stark? Dieser Frage ging im Jahr 2008 eine weitere Studie der Level M Managementberatung nach. Darin wählten insgesamt 210 Schlüsselkräfte auf Basis eines systematischen Paarvergleichs die für sie jeweils wichtigsten Faktoren aus.
Das Ergebnis (Abbildung 2) ist eindeutig: Der mit Abstand wichtigste Faktor für Bindung und Motivation ist eine interessante Arbeit. Diesen Faktor bewerten 73 Prozent der Leistungsträger als besonders wichtig. Den klaren zweiten Platz belegt der Aspekt „Gute Arbeitsatmosphäre im Team“ mit einem Präferenzwert von 64 Prozent. Auf dem dritten Platz liegen jeweils mit 57 Prozent die Entwicklungsmöglichkeiten und die Balance von Arbeits- und Privatleben. „Gute Arbeitsmittel“ sind nur 18 Prozent der Befragten wichtig.
Abbildung 2: Das Präferenzprofil deutscher Schlüsselkräfte
Trends
Betrachtet man die Entwicklungstrends dieser Faktoren in den vergangenen Jahren, steigt die Gewichtung der Arbeitsinhalte sogar an, während die Präferenzen für Team-Atmosphäre und Entwicklungsmöglichkeiten leicht zurückgehen. Die Bedeutung von Work-Life- Balance nimmt verglichen mit den übrigen Faktoren ebenfalls tendenziell zu.
Die Analyse geschlechtsspezifischer Präferenzen zeigt folgendes Bild: Weibliche Schlüsselkräfte legen besonders großen Wert auf die Arbeitsinhalte (82%) und die Qualität der Führung (61%). Die individuelle Gestaltung von Arbeitszeit und -ort ist Frauen und Männern dagegen annähernd gleich wichtig (40% beziehungsweise 37%).
Die Auswertung nach Hierarchieebene und Funktion kommt zu dem Ergebnis, dass Führungskräfte deutlich stärker als Mitarbeiter eine leistungsbezogene Vergütung bevorzugen (53% versus 47%). Mitarbeiter dagegen legen mehr Gewicht auf ein hohes Gehalt (47% versus 39%).
Die Wirksamkeit von Bindungsanreizen hängt auch von Alter und Erfahrungsgrad ab: Jüngere Schlüsselkräfte legen mehr Wert auf ein hohes Gehalt (47% versus 39%) und die Balance von Arbeits- und Privatleben (60% versus 55%). Für erfahrenere Schlüsselkräfte steht dagegen die leistungsbezogene Vergütung stärker im Fokus (55% versus 46%).
Der Preis der Arbeit
Schlüsselkräfte zahlen für ihre Arbeit einen individuellen „Preis“. Die Währung heißt Gesundheit (G), Kraft (K), Hobbys (H), Partnerschaft (P), Zeit (Z), Freundschaften (F) – oder schlicht Aufmerksamkeit (A), also das Nicht- Abschalten von der Arbeit, wenn man eigentlich zu Hause oder im Urlaub ist. Je höher der Preis im Verhältnis zum Nutzen der Arbeit aus Sicht einer Schlüsselkraft ausfällt, desto höher ist die Gefahr des Abwanderns. Deshalb ist es wichtig, die momentane Höhe des Preises zu kennen, den jemand nach eigenem Gefühl für seine Arbeitstätigkeit zahlt.
Preistest
Der Preistest gibt einen schnellen Überblick über die Höhe und die Struktur des individuell gezahlten Preises aus Sicht der Schlüsselkraft. Er berücksichtigt insgesamt sieben Preisarten. Wenn Sie den Preis für sich persönlich ermitteln wollen, kreuzen Sie in Tabelle 1 diejenige der drei Alternativen an, die Ihnen jeweils am ehesten entspricht.
A1 | Ich bin auch nach Feierabend per Handy erreichbar | nie | bis zu 1x wöchentlich | bis zu 2x wöchentlich |
A2 | Ich rufe im Urlaub berufliche E-Mails oder
Telefonnachrichten ab |
nie | manchmal | häufig |
A3 | Ich beschäftige mich abends/am Wochenende mit meinem Beruf | selten | manchmal | häufig |
F1 | Anzahl privater Treffen mit Freunden
beziehungsweise Bekannten pro Monat |
mehr als 6 | 3 bis 6 | bis zu 2 |
F2 | Anzahl der Freunde, die ich mindestens
einmal pro Monat persönlich treffe |
mehr als 3 | 2 bis 3 | bis zu 1 |
F3 | Zufriedenheit mit Anzahl und Intensität
der eigenen Freundschaften |
eher hoch | teils, teils | eher niedrig |
G1 | Anzahl der Krankheitstage pro Jahr
(Durchschnitt der letzten drei Jahre) |
bis zu 3 | 4 bis 10 | mehr als 10 |
G2 | Häufigkeit körperlicher Stresssymptome
pro Monat |
bis zu 2 | 3 bis 6 | mehr als 6 |
G3 | Anzahl der Tage pro Jahr, an denen ich
trotz leichter Erkrankung arbeitete |
bis zu 3 | 4 bis 8 | mehr als 8 |
H1 | Anzahl der Tage pro Monat, an denen ich
intensiv Hobbys betreibe |
mehr als 4 | 2 bis 4 | bis zu 1 |
H2 | Anzahl der Stunden, die ich
pro Monat für Hobbys aufwende? |
mehr als 8 | 3 bis 8 | bis zu 2 |
H3 | Zufriedenheit mit Anzahl, Art und Umfang
der eigenen Hobbys |
eher hoch | teils, teils | eher niedrig |
K1 | Anzahl der Tage pro Monat, an denen ich abends sehr abgespannt beziehungsweise sehr müde bin | bis zu 3 | 4 bis 8 | mehr als 8 |
K2 | Anfälligkeit für Erkältungen
(Vergleich: heute versus vor fünf Jahren) |
gleich hoch | etwas höher | deutlich höher |
K3 | Kraftreserven für anstrengende private Tätigkeiten
(Einschätzung) |
hoch | mittel | niedrig |
P1 | Bisherige Dauer der Beziehung zum aktuellen
Lebenspartner |
mehr als 3 Jahre | bis zu 3 Jahren | Ich bin Single |
P2 | Meine Familie kritisiert meine Tätigkeit
beziehungsweise meinen Arbeitseinsatz |
nie | manchmal | häufig / Ich bin Single |
P3 | Häufigkeit von Auseinandersetzungen
mit dem Lebenspartner |
eher selten | manchmal | häufig / Ich bin Single |
Z1 | Anzahl durchschnittlich geleisteter Arbeitsstunden
pro Woche |
bis zu 40 | 41 bis 55 | mehr als 55 |
Z2 | Tatsächlich wahrgenommener Urlaub
(Tage pro Jahr) |
mehr als 25 | 15 bis 25 | weniger als 15 |
Z3 | Anzahl der Wochenenden pro Quartal mit jeweils
mindestens 4 Stunden beruflicher Arbeit |
bis zu 1 | 2 bis 4 | mehr als 4 |
Tabelle 1: Preistest
A | F | G | H | K | P | Z | Σ | |
Summe: |
Tabelle 2: Preisprofil
Auswertung
Sie erhalten für jedes Kreuz in der rechten Spalte sechs Punkte sowie drei Punkte für jedes Kreuz in der mittleren Spalte. Für die Kreuze in der linken Spalte werden keine Punkte vergeben. Das Ergebnis, den Summenwert pro Preisart, können Sie in Tabelle 2 eintragen.
Der Vergleich der Summen für die einzelnen Preisarten ergibt das persönliche „Preisprofil“ – wo zahle ich viel, wo achte ich darauf, dass der Preis nicht zu hoch wird? Die Summe über alle Preisarten ist der Gesamtpreis, den die betreffende Schlüsselkraft für ihre berufliche Tätigkeit zahlt. Hierbei lauten die vier Preisstufen:
- 0 – 30 Punkte: niedriger Preis
- 31 – 65 Punkte: mittlerer Preis
- 66 – 100 Punkte: eher hoher Preis
- 101 – 126 Punkte: sehr hoher Preis
Konsequenzen
Unternehmen können die Ergebnisse des Tests als Ausgangsbasis für preissteuernde Retention- Maßnahmen nutzen, wie zum Beispiel Gesundheitsfürsorge, Familienservice, Sportangebote, Hobbygruppen, soziale Netzwerke im Unternehmen oder auch Teilzeitangebote. Mit diesen Angeboten verstärken sie nicht nur die Bindung, sondern auch die Produktivität spürbar – und entwickeln das Unternehmen zu einem Arbeitgeber, den die eigenen Mitarbeiter aktiv weiterempfehlen.
Literaturtipps
Erfolgsfaktor Familienfreundlichkeit – Nutzen, Strategie, Umsetzung.
Hrsg. von der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände. FAZ Verlag 2007.
Retention Management – Schlüsselkräfte entwickeln und binden.
Von Uwe D. Wucknitz und Volker Heyse. Waxmann Verlag 2008.
Quelle: personal manager 4/2009