Das klingt nach viel Aufwand für einen Personalisten, 
der neben Active Sourcing und Recruiting noch mit anderen Aufgaben betraut ist.

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Foto von Nastuh Abootalebi

Den Unternehmen muss klar werden, dass Active Sourcing mit einem neuen Berufsbild in der Rekrutierung verbunden ist. Active Sourcer werden nicht als Recruiter oder HR-Business-Partner eingestellt, Unternehmen müssen sie als dedizierte und geschulte Sourcer einstellen. Die ersten Unternehmen haben das realisiert, der ganze KMU-Markt hat das hingegen noch nicht verstanden. 

Letztlich wäre das dann wieder eine Frage der Ressourcen. 
Die Unternehmen müssten für den Active Sourcer eine eigene Stelle schaffen, oder?

Absolut. Das ist auch teuer, ohne Frage, denn die Unternehmen müssen dem Sourcer zudem noch Tools an die Hand geben, damit er überhaupt professionelles Sourcing betreiben kann. Das heisst, dass der Sourcer Zugänge zu den Karrierenetzwerken, zu den Lebenslaufdatenbanken und zu den Spezialisten-Netzwerken wie GitHub und Stack Overflow benötigt. Wenn der Zugang zu einem Tool im Schnitt 4.500 Euro kostet und das Unternehmen alle Kanäle professionell nutzen möchte, dann investiert es alleine für die Tools über 45.000 Euro. Dazu kommen dann die Kosten für den Headcount. Am Ende fallen so schnell einmal rund 180.000 Euro für das erste Betriebsjahr an. 

Was sind Ihre Erfahrungen, warum tun sich viele 
Personalisten mit Active Sourcing so schwer?

Ganz frech und ehrlich geantwortet: Der Trend in der Schweiz ist der, dass viele Recruiter ihre Karriere bei Personaldienstleistern wie Hays, Adecco oder Michael Page beginnen. Irgendwann haben die Recruiter genug davon und möchten am liebsten intern rekrutieren. Dann beginnen sie bei einem großen Unternehmen wie der UBS und suchen im Auftrag aktiv auf den Businessnetzwerken nach Kandidaten. Dabei leisten die Recruiter gute Arbeit. Sie realisieren allerdings schnell, dass viele ihrer alteingesessenen Kollegen kein Active Sourcing betreiben und häufig auf Personalvermittler zurückgreifen. Nach einem Jahr passen sich die neuen Recruiter den anderen im Unternehmen an – die Bequemlichkeit steigt und die Initiative Kandidaten in Eigenregie anzusprechen reduziert sich innerhalb von zwölf Monaten. 

Letztlich plädiere ich dafür, dass Recruiter rekrutieren und Active Sourcer sourcen sollten, da es zwei verschiedene Berufe sind. Wer sich auf eine Active Sourcing Position bewirbt, muss wissen, was der Job beinhaltet und mit sich bringt. Es braucht gute Kommunikationsfähigkeiten und viel Energie.  Sourcer suchen zum einen den ganzen Tag nach Lebensläufen und durchkämmen die sozialen Netzwerke. Zum anderen kontaktieren sie den ganzen Tag lang mit möglichst attraktiven Anschreiben die gefundenen Kandidaten. 

In zehn Prozent der Fälle führt die Kontaktaufnahme zu einem Gespräch. Und dann kommt die große Schwierigkeit, weil der Sourcer vor allem begeisterungsfähig sein und Verkaufsgeschick haben muss. Individuell ansprechen können auch kommunikativ starke Personen. Der Sourcer muss dem Kandidaten die Position aber so schmackhaft machen, dass dieser Lust auf den Job bekommt und seinen Lebenslauf schickt. Dafür hat der Sourcer nur eine Chance und die muss er nutzen.

Wenn ein Sourcer kein guter Kommunikator ist, kann er das Gespräch natürlich an den Recruiter übergeben. Dann wiederum braucht das Unternehmen eine Schnittstelle zwischen Sourcer und Recruiter.

Haben Sie in Ihrer Funktion bei Monster Schweiz in den 
letzten Jahren per Active Sourcing eingestellt?

Ja klar. Einen nicht unerheblichen Teil der Mitarbeiter, die wir in den letzten drei Jahren eingestellt haben, haben wir per Active Sourcing gefunden. Dazu kommen Leute, die sich direkt bewerben und die Kombination von beiden, sprich Kandidaten, die aktiv angesprochen und auf die ausgeschriebene Stelle aufmerksam gemacht wurden.

Wie nehmen Sie die Entwicklung von Social Media 
im Personalwesen grundsätzlich wahr?

Als XING, damals noch OpenBC, startete, war ich selbst noch als Recruiter tätig. Ich hatte von Beginn an ein Profil und habe mich mehr umgeschaut, wer noch alles auf der Plattform vertreten ist. OpenBC habe ich weniger als Sourcing-Kanal verstanden. Als sich das Netzwerk dann in XING umbenannt hat, wurde es zum ersten Konkurrenten der klassischen Lebenslaufdatenbanken. Facebook spielte zu diesem Zeitpunkt ohnehin keine Rolle. Ab dem Jahr 2010 entwickelte sich LinkedIn global und seitdem kommen im Halbjahrestakt neue Tools hinzu. 

Bei der Entwicklung den Überblick zu behalten ist nicht leicht, oder? 

Den Überblick verliert man total! 

Herr Diserens, es gibt viele Definitionen für Active Sourcing. 
Wie definieren Sie den Begriff für sich?

Active Sourcing ist das aktive Zugehen auf passiv suchende potentielle Kandidaten. Durch die Zunahme an Publikationen und Diskussionen zum Thema meinen viele, Active Sourcing sei ein neues Phänomen. Das ist aber ganz und gar nicht der Fall, Active Sourcing gibt es in anderen Formen seit über 100 Jahren. Durch neue Online-Tools und Möglichkeiten wurde es zuletzt lediglich unter diesem Begriff immer bekannter. Ein Beispiel für Active Sourcing, welches schon lange praktiziert wird, ist die Empfehlung von Mitarbeitern in einem dedizierten Programm. Diese Art zu rekrutieren ist nach wie vor relevant.

Und wie definieren Sie für sich den Begriff Social Recruiting?

Im Vergleich zum Active Sourcing handelt es sich um einen neueren Begriff, der durch das Internet entstanden ist und immer mehr an Popularität gewinnt. Ich definiere ihn als den gezielten Einsatz sozialer Netzwerke zur Rekrutierung neuer Mitarbeiter.

Im Recruiting-Guide 2015 der Schweizer Fachzeitschrift „HR today“ haben Sie in Ihrem Beitrag „Active Sourcing – gut geplant ist halb gefunden“ geschrieben: „Nur über das Ausprobieren finden Unternehmen den zu ihnen und ihren Vakanzen passenden Kanal.“ Das klingt nach dem Prinzip „trial and error“. Für viele konservative Personalisten, die auf die althergebrachte Prozessoptimierung und Standardisierung setzen, dürfte dieses Prinzip eine Horrorvorstellung sein.

Das ist bedingt richtig, die grundsätzlich für ein Unternehmen in Frage kommenden Kanäle sind vielfach vorgegeben. Da es aber kein Patentrezept und keine Erfolgsgarantie für die Kombination von Unternehmen und Kanal gibt, müssen wohlüberlegte Feldversuche gestartet werden. Active Sourcing ist ein Begriff, der viel diskutiert wird. Wir sind trotzdem noch lange nicht da, wo wir sein könnten, denn viele auf dem Schweizer Arbeitsmarkt kennen Active Sourcing zwar als Begriff, dennoch traut sich keiner so richtig an das Thema heran. Viele denken, sie betreiben Active Sourcing, wenn Sie auf Businessnetzwerken zwei oder drei Nachrichten versenden. Das ist jedoch noch kein professionelles Active Sourcing. So lange keine routinierte Ansprache und Aktivierung von passiven Kandidaten stattfindet ist das der Fall. 

Was ist für Sie professionelles Active Sourcing?

Das fängt beim Briefing an, wenn das Unternehmen sich überlegt, wen es sucht. Bevor Unternehmen Kandidaten ansprechen, müssen viele Fragen geklärt sein. Dabei geht es zum Beispiel um die Unternehmenskultur, welchen Lohn das Unternehmen zahlen kann, wie die Stimmung im Team ist, wo das Büro liegt und wie sich der Arbeitsweg dahin gestaltet. Unternehmen müssen dem Kandidaten schon zu Beginn der Suche viele Informationen geben können, da der Kandidat nicht aktiv sucht und sich nur für attraktive Positionen interessiert. Zur Vorbereitung gehören außerdem die Definition und die Schärfung der Zielgruppe.

Anschließend folgt die zielgerichtete Ansprache über den passenden Kanal. Klar, die Businessnetzwerke sind geeignete Tools für die Ansprache. Für eine schwierig zu besetzende Stelle reichen diese Kanäle aber oft nicht aus, denn für jede schwer zu besetzende Stelle müssen Unternehmen im Schnitt 100 Personen qualitativ gut ansprechen. Wenn von den 100 angesprochenen Personen zehn antworten und ihren Lebenslauf schicken, haben die Unternehmen ein erstes Ziel erreicht. 

Veranstaltungstipp: 


Podiumsdiskussion auf der
Personal Swiss, Messe Zürich

Personalisten in der Bedrängnis? 
Social Media Recruiting, Active Sourcing 
und Co. fordern HR heraus

13. April | 11:30 Uhr | Forum 7 | Halle 4 

Diskutanten:

Jörg Buckmann – Geschäftsführer, BUCKMANN GEWINNT GmbH
Judith Oldekop – Head of HR, ‎Siroop AG)
Leandra Amsler – HR-Verantwortliche, Netstream AG
Olivier Diserens – Country Manager Switzerland, Monster Worldwide AG
Benjamin Geierhaas – Projektleiter digitalrecruiter.pro | HRM Research Institute GmbH


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Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, wie hat 
Social Media die Personalarbeit verändert? 

Ich glaube vor allem, dass sich der Job des Personalisten verändert hat. Früher hat der Personalist auf herkömmliche Art und Weise rekrutiert. Heute soll er dieses und jenes ausprobieren und dazu noch Kosten sparen. Der Druck auf den Personalisten ist enorm groß geworden. In der Rekrutierung eines großen Unternehmens zu arbeiten, ist hart geworden. Selbst dort geht es nur noch nach Kennzahlen.

Darüber hinaus sind viele Personalpositionen noch mit der Generation der Babyboomer besetzt. Diese Generation ist nicht mit der Onlinewelt groß geworden und musste in den letzten fünf Jahren extrem viel neues Knowhow erwerben. Teilweise ist die Bereitschaft Neues auszuprobieren und neue Wege zu gehen in der Personalfindung nicht gegeben, weshalb alte Methoden verteidigt werden.

Sind Social Recruiting und Active Sourcing überhaupt erlernbar?

Ja, definitiv. Viele haben aber Angst davor und tun sich schwer, die Grundstruktur davon zu verstehen. Dabei muss ein Personalisten gar nicht alles können. Es reicht, sich am Paretoprinzip zu orientieren und 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes zu erreichen. Auch ich weiss nicht hundertprozentig über alles Bescheid, was sich im Active Sourcing tut. Bei der Entwicklung ist es unmöglich, hundert Prozent zu kennen. Das geht schlichtweg nicht.

Welche Voraussetzungen brauchen Personalisten, 
um Active Sourcing und Social Recruiting zu lernen? 

Man muss offen für das Thema sein, von oben beginnen und konzeptionell und detailliert weiterdenken.

Was würden Sie Personalisten empfehlen, die sich mit dem 
Thema bislang noch nicht beschäftigt haben. Wie finden Sie Zugang dazu?

Die Unternehmen sollten sich überlegen, ob sie die Aufgabe selbst übernehmen oder sie diese jemandem in die Hände legen, der sich damit auskennt. Make it or buy it, das ist die entscheidende Frage. Make bedeutet im ersten Jahr einen hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand und bringt sicherlich keine Kostenvorteile. Bis ein Unternehmen alles aufgebaut hat, investiert es eine Menge Geld. Dabei geht es um den Headcount, die Pipeline, die Tools und so weiter. Wenn Active Sourcing einmal installiert ist, sparen sich die Unternehmen auf Dauer Geld. Vor allem sparen sich die Unternehmen die Personalberater und besetzen ihre offenen Positionen schneller. Wenn es richtig betrieben wird, kann Active Sourcing sogar den Cultural Fit im Unternehmen erhöhen und die neu geworbenen Mitarbeiter passen noch besser zum Unternehmen. Wie bei vielen anderen Themen braucht es aber Energie, eine zielgerichtete Vorgehensweise und Lust auf Neues.