Unternehmen müssen sparen, selbiges gilt für Universitäten, Non-Profit-Organisationen und Vereine. Nicht einmal die know-howträchtige Forschung und Entwicklung sowie die dafür als essenziell gepriesene Personalentwicklung bleiben verschont. Wie können HR-Manager und Personalentwickler unter diesen Umständen Innovation und Entwicklung fördern sowie auf ein neues Fundament stellen? Wie können sie Dynamik und Motivation forcieren, um ihre Organisationen auf ihrem Weg aus der wirtschaftlichen Talsohle zu unterstützen?

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Foto von Adrien Olichon

Die Medizinische Universität Graz mit ihren 2.300 Mitarbeitern entdeckte im Jahr 2009 den Managementansatz Effectuation als zukunftsweisende Handlungsoption in Zeiten der Ressourcenknappheit. Das Universitätsmanagement hatte festgestellt, dass einige Bereiche der Organisation mit den geringsten Mitteln höchste Effizienz entfalteten, während andere trotz guter Ausstattung kaum zurechtkamen. Einen Erklärungsansatz dafür lieferte Effectuation, ein Managementansatz aus der Entrepreneurship-Forschung, der analysiert, was Unternehmer wirklich erfolgreich macht. Professorin Saras D. Saravathy von der University of Virginia entwickelte den Begriff der Effectuation in den 90er-Jahren. Seitdem hat sich eine wachsende Anzahl von Wissenschaftlern mit diesem Ansatz beschäftigt (Literaturtipps). Ihre Forschungen belegen, dass Effectuation gerade in schwer einschätzbaren Situationen bessere Ergebnisse hervorbringt als klassisches Management.

Klassisches Management versus Effectuation

Ein zentrales Ergebnis der Effectuation- Forschung: Die in der traditionellen Managementlehre verbreitete Fokussierung auf – unter Umständen kaum erreichbare – strategische Ziele kann erfolgshemmend und sogar demotivierend sein. Während das klassische Management nach dem Schema „Ziele setzen – planen – umsetzen“ agiert, setzt Effectuation bei den vorhanden Mitteln an, zum Beispiel bei der Unternehmenskultur, der Identität der Führungskräfte, dem Wissen und den Fertigkeiten sowie den sozialen Netzwerken von Vorgesetzten und Mitarbeitern. Mit diesen Ressourcen versuchen Organisationen nach dem Effectuation-Ansatz die Zukunft aktiv zu gestalten, ohne gleich ein fixes Ziel zu verfolgen. Die Führungskräfte agieren dabei als Unternehmer, die die Zukunft gemeinsam mit anderen kokreieren. Dabei orientieren sie sich an den vorhandenen Ressourcen und entwickeln darauf aufbauend Ideen.

Das Prinzip der Mittelorientierung

Das klassische Management hingegen definiert nach den Prinzipien der kausalen Logik vorab ein Ziel. Erst später beschafft es sich die Mittel, die es für die Umsetzung benötigt. Eine Analogie aus der Küche: Nach dem traditionellen Modell überlegen Sie sich vorher, welche Speise Sie zubereiten möchten. Später schreiben Sie alles, was Sie für das Gericht benötigen, auf einen Einkaufszettel. Nach der Effectuation-Logik werfen Sie dagegen einen Blick in den Kühlschrank und bereiten aus den vorhandenen Produkten ein Essen zu. Sie gehen von bestehenden Mitteln aus und leiten erst danach Ihre Ziele ab.

Ein ähnliches Beispiel aus der betrieblichen Praxis: Die Medizinische Universität Graz, die sich als Gesundheitsuniversität versteht, wollte im Frühjahr 2009 betriebliche Gesundheitsförderung einführen. Eine Befragung zeigte, dass sich die Universitätsangehörigen ein umfangreiches Bewegungs-, Wellnessund Fitnesscenter für Mitarbeiter und Studierende wünschten. Ein Konzept wurde erstellt, mit Kosten hinterlegt und dem Management präsentiert. Neben der Schwierigkeit, angesichts der aktuellen Raumnot einen geeigneten Platz zu finden, erwiesen sich auch die umfassenden Fix- und Nebenkosten als unüberwindliche Hürde. Ein geeigneter Sponsor war nicht in Sicht, zudem war ungewiss, ob Mitarbeiter und Studierende die Angebote umfassend nutzen würden. Die Erfahrungen anderer Organisationen hatten gezeigt, dass Wunsch und Realität oft meilenweit auseinanderklaffen. Was also tun? Warten, bis sich eine Geldquelle eröffnet und hernach darauf hoffen, dass sich teure Investitionen lohnen würden? Wir entschieden uns für die Effectuation- Logik: Welche Mittel stehen uns zurzeit zur Verfügung und welche Ziele lassen sich daraus ableiten?

Die Fragen, die wir uns stellten, waren:

  • Wer bin ich? Wer sind wir? (Identität, Werte, Charakter, Vorlieben und Kultur)
  • Was weiß ich? Was wissen wir? (Wissen, Fertigkeiten und Erfahrungen)
  • Wen kenne ich? Wen kennen wir? (Kontakte und Netzwerke)

Wie sich zeigte, verfügten wir als Gesundheitsuniversität nicht nur über enorme Expertise (medizinisches Fachpersonal), sondern auch über eine Reihe von bestehenden beziehungsweise zu aktivierenden internen und externen Kontakten, zum Beispiel zur Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft, zur Sportunion Steiermark, zur Ärztekammer Steiermark oder zum Netzwerk gesundheitsfördernder Universitäten.

Diese Kontakte halfen uns bei unserem Projekt „Med Uni in Bewegung“, das im Juli 2009 startete. Seitdem haben wir mehr als 80 gesundheitsfördernde Teilprojekte auf den Weg gebracht. Wir werteten die Ergebnisse der vergangenen Mitarbeiterbefragungen aus und leiteten davon Vorhaben ab. Wenn sich die Ideen mit bestehenden Mitteln realisieren ließen, setzten wir sie sofort um. Wir begannen, indem wir die bestehenden Angebote klarer als vorher kommunizierten, so zum Beispiel die vorhandenen Beratungen bei Mobbing und Burnout oder Vorträge und Gesundheitstage, die hausinterne Experten organisierten. Es folgten Vorhaben, die wir mithilfe von Kooperationspartnern verwirklichen konnten, beispielsweise Sportangebote durch die Sportunion Steiermark, Gesundheitstage mit dem Klinikum KAGes, Vorträge in Abstimmung mit der Ärztekammer Steiermark oder Vorsorgeuntersuchungen und Raucherentwöhnungen bei der steirischen Gebietskrankenkasse.

Vorhandende Ressourcen in der PE

Der Effectuation-Ansatz lässt sich auf alle Bereiche der Personalentwicklung übertragen. So können wir – wie viele andere Organisationen auch – auf einen Pool von hauseigenen Trainern, Beratern und Experten zurückgreifen, den wir in der internen Weiterbildung einsetzen können. Aktive Wissensweitergabe ist Inhalt jeder Stellenbeschreibung im Haus. Weiters haben wir die Erfahrung gemacht, dass es für einige Themen, zum Beispiel Gleichbehandlung oder wissenschaftliche Integrität, Institutionen gibt, die uns im Sinne ihres öffentlichen Auftrags unterstützen können.

Abbildung 1: Das Prinzip der Mittelorientierung

Quelle: M. Faschingbauer 2010

Darüber hinaus bemühen wir uns, unsere Mittel und Instrumentarien im Sinne der Effectuation gezielt zu verwenden. So nutzt die Medizinische Universität Graz Instrumente der Personalentwicklung für die betriebliche Gesundheitsförderung. Die strukturierten, periodischen Mitarbeitergespräche beinhalten beispielsweise Fragen zur Gesundheitsförderung und zur Work-Life-Balance („Was benötigen Sie, um gesund zu bleiben?“, „Was gefällt Ihnen an Arbeit und Organisation?“ oder „Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?“). Gesundheitsförderung ist bei uns eine Führungsaufgabe. Uns war es wichtig, keine künstlich aufgesetzten Parallelstrukturen zu schaffen, zum Beispiel über zusätzliche Beauftragte. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die meisten Mitarbeiter in der Lage sind, Wissen auf andere Situationen zu übertragen, und dazu nicht immer eine Schulung benötigen. Da es heute für beinahe jeden „Handgriff“ eine Ausbildung gibt, mangelt es manchmal am Selbstvertrauen, etwas auszuprobieren und Kenntnisse fl exibel einzusetzen. Für viele Bereiche liegt jedoch das Risiko im Rahmen eines „leistbaren Verlusts“ und der Nutzen durch die zusätzliche Kompetenzerweiterung ist erheblich.

Prinzip des leistbaren Verlusts

Üblicherweise fragen Manager danach, welchen Ertrag ein Unterfangen bringt. Erst wenn der Nutzen als groß genug prognostiziert wird, zahlt es sich für sie aus, zu handeln – und erst dann nimmt die Führungsetage Mittel in die Hand. Das Effectuation-Prinzip des leistbaren Verlusts macht den Einsatz nicht vom erwarteten Ertrag, sondern vom subjektiv vertretbaren Verlust abhängig. Schließlich lässt sich der Nutzen einer Aktivität oft nicht prognostizieren, sondern erst im erkundenden Handeln erschließen.

Abbildung 2: Das Prinzip des leistbaren Verlusts

Quelle: M. Faschingbauer 2010

Was bin ich also bereit zu riskieren und gegebenenfalls zu verlieren? Die Medizinische Universität Graz setzt, der Effectuation-Logik folgend, in der Personalentwicklung auf Pilot- und Testprojekte, um potenzielle Verluste möglichst gering zu halten. Ein Beispiel war die Einführung strategischer Führungsgespräche mit dem Middle Management Anfang 2010. Da es sich um rund 70 Führungskräfte handelte, bildeten wir sieben Gruppen und legten Termine fest. Vor dem Rollout entwickelte das Rektorat auf Anraten der Personalentwicklung mit sehr engagierten und für die weiteren Gruppen repräsentativen Führungskräften das Format der Veranstaltung im Rollenspiel. Hätte der eingeschlagene Weg nicht funktioniert, so wäre der Verlust – im Sinne der Kosten – leistbar gewesen und es hätte im Haus nicht unnötig Aufsehen gegeben. Im ersten Workshop mit den Führungskräften im Juni 2010 konnten wir das Angebot dann an die Bedürfnisse anpassen und weiterentwickeln.

Prinzip der Umstände und Zufälle

Ein weiteres Prinzip von Effectuation betrifft Zufälle. Sie haben im unternehmerischen Kontext meist kein gutes Image und gelten als „Störung“. Effectuatoren jedoch suchen das Nutzungspotenzial von Überraschungen. Ein Beispiel dazu aus unserer Organisation: Aus Versehen hatten zwei Mitarbeiter der Universität dieselbe Themenstellung erhalten. Beide erstellten ein Konzept und betrachteten sich als Leiter des Projekts. Wer würde sich durchsetzen und wer enttäuscht das Feld räumen? In der Praxis haben wir die beiden Konzepte ergänzend zu einem neuen verbunden und beide Mitarbeiter als duale Führung eingesetzt. Der daraus entstandene Mehrwert war enorm, und die Arbeit ließ sich sinnvoll und ressourcenschonend aufteilen.

Prinzip der Vereinbarungen und Partnerschaften

Auch nach der klassischen Managementlehre sollen Führungskräfte Vereinbarungen treffen und Partnerschaften eingehen. Sie beschränken sich jedoch meist auf die vermeintlich richtigen Lieferanten oder Multiplikatoren. Effectuation geht offener an das Thema Partnerschaften heran: Vereinbarungen treffen Führungskräfte nicht nur mit jenen, die ins Profi l passen, sondern zuallererst mit jenen, die bereit sind, mitzumachen und ihre Mittel einzubringen. Daraus ergeben sich oft völlig neue Impulse und Kooperationen. An der Medizinischen Universität Graz sind zum Beispiel die Meetings des Gesundheitsförderungsteams offen für alle Mitarbeiter, sodass immer neue Menschen hinzustoßen und viele Ideen entstehen. Um solche „Marktplätze“ für Zusammenkünfte zu forcieren, bietet die Personalentwicklung in regelmäßigen Abständen einen Erfahrungsaustausch zu wechselnden Themen an, beispielsweise aus den Bereichen Wissenschaft oder Führung. Hier ergeben sich häufi g Anknüpfungspunkte für neue Projekte und Kooperationen.

Zyklischer Effectuation-Prozess

In unserer Organisation lernen Führungskräfte in der obligatorischen internen Grundausbildung den zyklischen Effectuation-Prozess kennen und praktisch anwenden (Abbildung 3). Sie beginnen bei sich und ihren persönlich verfügbaren Mitteln, eruieren ihr eigenes Handlungspotenzial und ihre Handlungsalternativen. Sie überlegen, mit wem sie in Interaktion treten und Vereinbarungen treffen können. Während der Weiterbildung werden Synergien sichtbar, die Teilnehmer werfen neue Themenfelder auf und entwickeln Kooperationspotenziale, die sonst unbeachtet und unbearbeitet bleiben würden.

Abbildung 3: Der Effectuation-Prozess

Quelle: M. Faschingbauer 2010

Effekte

Welche Wirkung der Effectuation-Ansatz seit Beginn seiner Anwendung vor rund einem Jahr an unserer Universität entfaltet hat, haben wir noch nicht erhoben. Dennoch verzeichnet die Personalentwicklung Erfolge, die sich möglicherweise auf Effectuation zurückführen lassen. Als erste österreichische Forschungseinrichtung und als vierte in Europa erhielt die Organisation im April das Gütesiegel „Human Resources Excellence in Research“ durch die Europäische Union verliehen. Das von der Personalentwicklung begleitete Projekt der Betrieblichen Gesundheitsförderung „Med Uni in Bewegung“ wurde mit dem Steirischen Gesundheitspreis in Gold gewürdigt.

Effectuation PRO und CONTRA

Einige Erkenntnisse im Bereich Effectuation sind grundsätzlich nicht neu. Dennoch stellt sich Erleichterung ein, denn endlich gibt es für jenen Teil des Managements, den wir Personalisten oft schon intuitiv gelebt haben, aber niemals benennen konnten, eine Fachbezeichnung und eine Legitimierung. Trotzdem: Ein Effectuator oder eine Effectuatorin zu sein, scheint eine Kunst für sich, denn sonst hätte sich das Prinzip mitsamt der zugrunde liegenden Philosophie längst überall mit Leichtigkeit durchgesetzt. Effectuation bietet tatsächlich ein offenes, konstruktives Denkmodell an, das Wert auf gestalterisches, innovatives Handeln legt.

Aus der Praxis an der Medizinischen Universität Graz lässt sich sagen, dass Effectuation bei kurz- und mittelfristigen Zielen mehr Flexibilität, Dynamik und mehr Motivation bringt, da auf Basis der vorhandenen Ressourcen Erfolge rasch sichtbar werden. Effectuation ermöglicht es auch, in Situationen zu handeln und Wert zu schaffen, in denen Analysen und kausale Pläne nicht weiterhelfen. Um jedoch nicht in blinden Aktionismus zu verfallen, bleibt der Blick auf das Ganze und die strategischen Ziele und Vereinbarungen zur Orientierung unerlässlich. Diese Orientierungspunkte werden jedoch in der Wechselwirkung ebenfalls durchlässiger und modellierbarer – zum Nutzen der Organisation, die sich in Zeiten wie diesen als fl exibel, innovativ und dynamisch erweisen muss.

Literaturtipps

Effectuation: Wie erfolgreiche Unternehmer denken, entscheiden und handeln.

Von Michael Faschingbauer. Schäffer-Poeschel 2010.

Elements of entrepreneurial expertise.

Von Saras D. Saravathy. Edward Elgar Pub 2008.

Webtipps

www.effectuation.at

www.effectuation.de

www.effectuation.org

Quelle: personal manager 4/2010