Viele Darlegungen zum lebenslangen Lernen hinterlassen den Eindruck, dass man das Lernen einführen müsse, dass Lernen an die Mitarbeiter herangetragen werden muss. Genau dieser Blickwinkel ist grundsätzlich falsch, und letztlich basieren darauf Missverständnisse.

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Foto von Jess Bailey

Die Aufforderung zum lebenslangen Lernen impliziert geradezu, dass es Menschen gibt, die irgendwann nicht mehr lernen. Wie gesagt, ein Irrtum. Lernen ist Bestandteil des Lebens, Menschen lernen ein Leben lang und ein Leben ohne Lernen ist unmenschlich – und sogar undenkbar, wie einige Lernbeispiele schnell zeigen: Straßen in der Stadt werden zweispurig, Abbiegespuren eingezeichnet – Autofahrer lernen um. Fahrkartenautomaten werden installiert – der Passagier kämpft sich durch. Google verändert die Zugangsseite – der User spielt mit.

Persönliche Perspektive

Sobald ein Mensch die Notwendigkeit sieht oder einen Anreiz erkennt, sein Verhalten zu ändern, wird er dies tun. Wer also das lebenslange Lernen im betrieblichen Kontext vorantreiben will, muss sich dem Anreizmodell zum Lernen widmen. In der Fachdiskussion um das kontinuierliche, überdauernde betriebliche Lernen muss der Paradigmenwechsel von der Missionierung hin zur Lernmotivation viel deutlicher vollzogen werden.

Welche Konsequenzen ergeben sich für die Personalentwicklung nun aus diesem Paradigmenwechsel? Wissenstransfer in den Arbeitsalltag lässt sich, wie gesagt, nicht verordnen. So muss man zunächst zwischen Lern- und Nutzungsmotivation beim Mitarbeiter unterscheiden. Doch noch viel wesentlicher wird: Die Motivation des Mitarbeiters ist eng verbunden mit Lernkultur und persönlicher Perspektive.

Lernkultur ist wiederum untrennbar mit der Unternehmenskultur verknüpft. Die direkte Verbindungslinie der Lern- und Unternehmenskultur zur persönlichen Perspektive bildet das Vertrauen. Denn die persönliche Entwicklung des Mitarbeiters ist nicht allein an Aufstieg oder an Karriere gebunden, sondern daran, dass der Mitarbeiter den Nutzen einer Veränderung für sich selbst spürt und erkennt. Auch er will wissen, was er persönlich davon hat, dass er sich im oder fürs Unternehmen weiterbildet.

Die Identifikation mit dem Unternehmen setzt also Vertrauen voraus. Von daher reichen Lippenbekenntnisse zur Qualifizierungsnotwendigkeit nicht. Anbindung ans Unternehmen kann nicht allein durch interne Kommunikation und unternehmerisches Leitbild erreicht werden. An dieser Stelle sind eine komplexe Unternehmenskultur und Vorbilder notwendig – und zwar Vorbilder vom Vorarbeiter bis zum Unternehmensführer.

Will man mit einer alternden Mannschaft dem Wettbewerber Paroli bieten, ist es unausweichlich, sich der kontinuierlichen betrieblichen Weiterbildung konsequent und kompromisslos zu widmen. Kompromisslos insbesondere deshalb, weil es die oft anzutreffende Lernentwöhnung zu überwinden gilt. Die Heranführung ans Lernen muss dabei individuell sein, und das heißt wiederum, dass weder Qualifizierungen von der Stange noch Bildungsaktionismus einen herannahenden Zukunftspessimismus vertreiben. Künftig muss der Mitarbeiter mit seinen Motiven mehr im Vordergrund stehen, denn nur gemeinsam sind Sie stark.

Quelle: PERSONAL – Heft 10/2009