Neuropsychotherapie.
Von Klaus Grawe.
Hogrefe 2004.
 
Wie gehirngerechte Führung funktioniert – Neurobiologie für Manager.
Von Gerald Hüther.
In: managerSeminare, Nr. 130, 2009, S. 30–34.
 
Neuroleadership – Grundlagen, Konzepte, Beispiele.
Von Theo Peters und Argang Ghadiri.
Gabler 2011.
 
SCARF: a brain-based model for collaborating with and influencing other.
Von David Rock.
In: NeuroLeadership Journal, Nr. 1, 2008, S. 44–52.
 
 
Quelle: personalmanager 05/12

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Foto von cetteup

Abraham Harold Maslow prägte das Menschenbild des Selfactualising Man mit seinem hierarchisch gegliederten Motivationsmodell. Nach Maslow manifestiert sich die Motivation eines Menschen in seinen Defizit- und Wachstumsbedürfnissen. Defizitbedürfnisse bezeichnen Bedürfnisse, die zwingend erfüllt sein müssen, damit der Mensch keinen Mangel verspürt. Dazu gehören physiologische Bedürfnisse (zum Beispiel Hunger), Sicherheitsbedürfnisse (zum Beispiel die Sicherheit des Arbeitsplatzes), soziale Bedürfnisse (Zuwendung) und das Bedürfnis nach Achtung und Anerkennung (zum Beispiel Respekt).
 
Sind die Defizitbedürfnisse ausreichend erfüllt, melden sich die Wachstumsbedürfnisse als oberste Stufe der Bedürfnis-Pyramide nach Maslow. Sie können nicht vollständig erfüllt werden, weshalb der Mensch immer weiter nach deren Steigerung strebt. Die Wachstumsbedürfnisse beinhalten unter anderem den Wunsch des Menschen, sich entsprechend seiner individuellen Fähigkeiten und Anlagen bestmöglich zu verwirklichen. Motivierend ist stets die noch nicht erreichte Bedürfnisstufe.
 
Der von Maslow proklamierte „Selfactualising Man“ strebt nach Selbstverwirklichung und will seine individuellen Fähigkeiten ausschöpfen, um sich selbst zu entfalten.
 
Führungskräfte, die dem Maslowschen Menschenbild folgen, geben ihren Mitarbeitern gezielt Tätigkeiten, die Entfaltungsmöglichkeiten bieten und ihren Potenzialen am besten entsprechen.

Das Menschenbild des „Complex Man“ geht auf die hohe Komplexität der menschlichen Motivstruktur ein. Insbesondere Edgar Schein hat nachdrücklich auf diese hingewiesen und das Konzept des Complex Man entscheidend geprägt. Laut Schein gilt es zu berücksichtigen, dass der Complex Man vielfältige, situationsabhängige und miteinander interagierende Motive besitzt, die je nach Lebenssituation und -erfahrung stark individuell sind. Der Mensch sei auch in der Lage, neue Motive zu entwickeln und situationsgerecht anzupassen. Das Management muss somit akzeptieren, dass es nicht eine einzige Vorgehensweise gibt, die alle Mitarbeiter gleichermaßen motiviert.
 
Stattdessen gelte es, die Arbeitstätigkeiten so zu gestalten, dass die Mitarbeiter nicht nur ihre individuellen Fähigkeiten entwickeln, sondern auch neue ausbauen können.Besonders Führungskräfte stehen in der Verantwortung, auf ihre Mitarbeiter einzugehen, ihre verschiedenen Persönlichkeiten mit ihren Motiven und Erfahrungen zu erkennen und entsprechend im Arbeitsprozess zu integrieren. Das „In-Schubladen-Stecken“ von Mitarbeitern ist vor dem Hintergrund dieses Menschenbildes mehr denn je fehl am Platze. Stattdessen ist der Vorgesetzte in der Verantwortung, die Komplexität seiner Mitarbeiter zu erkennen und sie in einem ebenso komplexen Umfeld zu fördern und zu entwickeln.

Das Menschenbild des „Economic Man“ geht hauptsächlich auf die Werke des amerikanischen Ingenieurs Frederik Winslow Taylor (1856-1915) zurück. In seinen Untersuchungen „The Principles of Scientific Management“ verfolgte er die Absicht, höhere Leistungsergebnisse durch die systematische Nutzung der Mitarbeiter unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden zu erzielen.
 
Zu der Zeit galt der Mitarbeiter lediglich als maschinenähnliches Wesen, der ökonomischen Interessen nachgeht und nur durch finanzielle Anreize zu motivieren ist. Aufgrund mangelnder Selbstdisziplin mussten die Vorgesetzten seine Arbeit stets kontrollieren. Zeit- und Bewegungsstudien an den Mitarbeitern dienten dazu, Arbeitsabläufe zu rationalisieren, woraus sich eine Arbeitsteilung mit strikten Anweisungen und Kontrollen entwickelte. Entsprechend führte dies zu großen Einbußen bezogen auf Arbeitsinhalte und -qualität sowie der Arbeitszufriedenheit.

Das Menschenbild des Braindirected Man hat Konsequenzen für die strategisch und operativ ausgerichtete Organisations- und Personalentwicklungsarbeit. Die vier neurowissenschaftlichen Grundbedürfnisse stellen die Individualität eines jeden Mitarbeiters in den Mittelpunkt. Eine Führungskraft, die diese Bedürfnisse berücksichtigt, kann ihre Mitarbeiter nicht nur besser verstehen, sondern idealerweise auch so fördern, dass sie in der Lage sind, neue Verhaltensweisen zu entwickeln.

  • Für die Personalentwicklung gilt, dass sich neue Handlungsmuster durch eine „gehirngerechte“ Arbeits- und Umweltgestaltung festigen lassen – mit dem Ziel, neuronale „Feldwege“ zu neuronalen „Autobahnen“ auszubauen. Erst neuronal gebahnte und gefestigte „Autobahnen“ werden die Garantie für die erfolgreiche Umsetzung von Organisations- und Personalentwicklungsarbeit sein. Dafür kann eine offene Unternehmenskultur dienlich sein. Werden Fehlentscheidungen von Mitarbeitern als Rückschlag angesehen, so wird die Kreativität und Innovationskraft eines Unternehmens zunehmend abnehmen. In einem Umfeld hingegen, das Fehlschläge als Ansätze zur Problemlösung nutzt, können Lösungen zu neuen Tätigkeiten und Ideen führen. Dies gilt es zu fördern, damit alte Handlungsweisen durch neue abgelöst werden können (Hüther 2009). In diesem Zusammenhang ist auch ein Coaching seitens der Führungskraft wichtig. Führungskräfte sollten sich darum bemühen, eine soziale Beziehung zu ihren Mitarbeitern zu entwickeln – und deren Fähigkeiten und Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Entwicklungsund Feedbackgespräche stellen. Es ist besonders wichtig, das Vertrauen des Mitarbeiters in die eigenen Leistungen zu stärken und gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Dadurch entsteht eine höhere Bereitschaft und bessere Ausgangslage zum Erlernen neuer Verhaltensweisen
  • Das Arbeitsumfeld sollte Voraussetzungen schaffen, die das individuelle Belohnungssystem aktivieren. Zentral ist, dass die Führungskraft die genannten neurowissenschaftlichen Grundbedürfnisse der Mitarbeiter beachtet. In der Praxis setzen Unternehmen viel zu oft (quasi)monetäre Anreize, zum Beispiel in Form von Gehaltserhöhungen und anderen geldwerten Vorteilen. Lob und Anerkennung wird dann nicht in Worten, sondern in Gehalts- und Bonuszahlungen ausgedrückt. Stattdessen sollten Führungskräfte die weitreichenden Wirkungsweisen einer transparenten Kommunikation und eines objektiven Feedbacks nicht vernachlässigen. Ein direktes Lob nach erfolgreicher Arbeit wirkt oft nachhaltiger und motivierender als eine Gehaltserhöhung (Rock 2008). Führungskräfte sollten sich ein Bild von ihrem Mitarbeiter machen und erkennen, wie sie dessen Arbeitsgestaltung verbessern können. Wenn beispielsweise ein Mitarbeiter mit seiner gewohnten Tätigkeit zufrieden, aber tendenziell nicht gefordert ist, kann die Zuweisung von mehr Verantwortung oder ganzheitlichen Aufgaben entsprechend seiner Fähigkeiten motivierend wirken (Jobenlargement, Jobenrichment). Ebenfalls ist ein Arbeitsplatzwechsel ein mögliches Instrument zur Erfüllung der Mitarbeiterbedürfnisse: Mit neuen Aufgaben und gegebenenfalls neuen Kollegen an einem anderen Arbeitsplatz gehen neue soziale Kontakte, neue Herausforderungen und Abwechslung einher. Aber auch hier gilt es für die Führungskräfte, die einzelnen Neigungen und Bedürfnisse des Mitarbeiters zu kennen.

Der „Braindirected Man“ fordert viel Aufmerksamkeit seitens der Führungskraft. Während im Zeitalter des Economic Man finanzielle Anreize als einzige Stellschraube für die Zufriedenheit eines Mitarbeiters angesehen wurden, sind Führungskräfte heute gefragt, höchst komplexe und sehr individuelle Motivstrukturen zu berücksichtigen. Wenngleich Unternehmen ihre Prozesse und Abläufe aufgrund von Kostenvorteilen standardisieren und rationalisieren, sollten sie diese Ideologie im Zeitalter des Braindirected Man nicht auf die Mitarbeiterführung übertragen.

Stattdessen sind sie gut beraten, die vier neurowissenschaftlichen Grundbedürfnisse des Menschen in den Vordergrund ihrer Führungsarbeit zu stellen: das Bindungsbedürfnis, das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle, das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz sowie das Bedürfnis nach Lustgewinn- und Unlustvermeidung. Für die Führungskraft gilt es, diese Grundbedürfnisse der Mitarbeiter zunächst zu erkennen, um sie entsprechend neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zu fördern und zu entwickeln. Kurzfristig umsetzbare Maßnahmen, wie die Einführung von Teamarbeit, das Geben von persönlichen Rückmeldungen und eine transparente Kommunikation können die Mitarbeiterzufriedenheit positiv beeinflussen und erhebliche Ressourcen bei den Mitarbeitern freisetzen.

Die Kernaussage und der Erkenntnisfortschritt, der sich aus dem Menschenbild des Complex Man ergeben, besteht in der Betonung der Komplexität des Menschen und seiner Bedürfnisse. Leider geben die Ausführungen zum Complex Man keine weiteren Aufschlüsse, wie diese Komplexität verstanden und nachvollzogen werden kann. In diesem Sinne geht der neue Ansatz des „Braindirected Man“ nach Peters/Ghadiri weiter. Denn dieser berücksichtigt die Motivstruktur und die Handlungs- und Entscheidungsprozesse des Menschen aufgrund der im Gehirn ablaufenden Prozesse (Peters/Ghadiri 2011).

Das Menschenbild des Braindirected Man basiert auf folgenden Annahmen:

  • Das Handeln des Menschen und seine Bedürfnisstruktur finden ihren Ausgangspunkt in den verschiedenen Gehirnarealen. Neurowissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass nicht nur rationale Überlegungen die Motivlage und Handlungsweise des Menschen bestimmen. Auch wenn wir uns vermeintlich frei in unserer Handlungsweise fühlen, so sind wir doch „getriggert“ durch unbewusste Handlungsmuster, die sich im Laufe unseres Lebens ausgebildet haben. Dadurch ergibt sich eine sehr komplexe Motivationsstruktur.
  • Emotionen sind aktive Handlungstreiber des Verhaltens. Emotionen und Affekte überlagern mehr oder weniger stark die kognitiv ablaufenden Prozesse. Die rationalen und kognitiven Prozesse haben eher ein Vetorecht beim täglichen Agieren des Menschen.
  • Trotz seiner oft vorprogrammierten Handlungsmuster ist der Mensch bereit, sich anzustrengen und zu verändern, sofern Bedingungen vorliegen, die sein Belohnungssystem im Gehirn aktivieren. Dies geschieht, wenn die emotionalen Zentren des Gehirns so erregt werden, dass „belohnende“ Botenstoffe wie Dopamin freigesetzt werden und Glücksgefühle entstehen. Was diesen Mechanismus aktiviert, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Wird beispielsweise ein Mitarbeiter nach einem erfolgreichen Projekt mit mehr Verantwortung betraut, so kann das bei einem Mitarbeiter das Belohnungssystem aktivieren, während ein anderer Mitarbeiter damit mehr Stress und weniger Freizeit verbindet. 

Für die Mitarbeiterzufriedenheit ist die Erfüllung der neurowissenschaftlichen Grundbedürfnisse von zentraler Bedeutung. Diese lauten (Grawe 2004):

  • Bindung: Das Bedürfnis, eine Bindung zu einer Bezugsperson zu entwickeln. Es ist maßgeblich von frühkindlichen Erfahrungen abhängig und prägt das spätere Verhalten und die emotionalen Reaktionen.
  • Orientierung und Kontrolle: Jeder Mensch beabsichtigt, sein Umfeld durch Maßnahmen und Aktionen in seinem Sinne zu gestalten und zu beeinflussen. Dabei versucht er, möglichst große Handlungsspielräume zu erhalten und sich fremder Kontrolle zu entziehen.
  • Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz: Der Mensch nimmt sich bewusst als Individuum wahr und ist in der Lage, reflexiv zu denken. Daraus ergibt sich in der Kommunikation mit seinen Mitmenschen ein individuelles Selbstbild. Dies geht damit einher, das Selbstbild zu erhalten und auszubauen.
  • Lustgewinn und Unlustvermeidung: Der Mensch kategorisiert Situationen sehr häufig direkt als „gut“ oder „schlecht“. Er strebt entsprechend Situationen an, die Angenehmes für ihn bedeuten, und ist bestrebt, unangenehme Zustände zu vermeiden.

Fünf Menschenbilder prägen die Geschichte der Arbeits- und Organisationspsychologie bis in die Gegenwart: der Economic Man, der Social Man, der Selfactualising Man, der Complex Man und der Braindirected Man (Abbildung 1). Jedes stellt eine Art Kunstprodukt dar – eine schematische Vorstellung, die sich auf ein besonderes Charakteristikum des Menschen konzentriert.

Mit der sogenannten „Human-RelationsBewegung“ etablierte sich das Menschenbild des „Social Man“. Immer mehr Unternehmer nahmen den arbeitenden Menschen als soziales Wesen wahr, dem zwischenmenschliche Beziehungen wichtig sind. Die Arbeit sollte die sozialen Bedürfnisse erfüllen, um damit einhergehend eine höhere Arbeitszufriedenheit und Produktivität zu erreichen.
 
Die „Hawthorne-Studien“ trugen besonders zur Entwicklung dieses Menschenbilds bei. 1924 versuchte die Western Electric Company in ihren Fabriken in Hawthorne (Chicago) die Arbeitsbedingungen zu verbessern und dadurch eine höhere Arbeitsproduktivität zu erzielen. Das Unternehmen konzentrierte sich dabei auf beeinflussbare Größen wie Pausenlänge, Arbeitsraumgestaltung oder Beleuchtungsverhältnisse. Der Studie zufolge stieg die Produktivität jedoch nicht nur in der Experimentiergruppe, sondern auch in der Kontrollgruppe in nahezu gleicher Höhe an.

Dies erklärten die Wissenschaftler damit, dass allein die Aufmerksamkeit und das Interesse der Unternehmensleitung zum Anstieg der Produktivität geführt habe. Ausschlaggebend sei nicht, ob ein Unternehmen die „technischen Arbeitsbedingungen“ verändere, sondern ob es in der Lage sei, sein Betriebsklima zu verbessern. Ein zentrales Ergebnis der Studie: Führungskräfte, die für die sozialen Bedürfnisse der Mitarbeiter sensibilisiert sind, sorgen nicht nur für zunehmend humanere Arbeitsbedingungen, sondern tragen auch zu einer Steigerung der Produktivität bei.