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Foto von Andrew Neel

LÖSUNG: Es wäre eigentlich ganz einfach.

Damit der Wandel gelingen kann, müssen drei Fragen gelöst werden:


1.         Wer soll von der Umstellung profitieren?

Es muss gelingen, die Produktivitätsvorteile, die durch Digitalisierung entstehen, nicht den IT-Giganten der GAFAnomie (Google, Apple, Facebook, Amazon) zu überlassen, sondern in der Region zu behalten und zu vergesellschaften.


2.         Wie können wir den gesellschaftlichen Wandel meistern?

Die Reflexantwort „Bildung“ greift zu kurz, da wir es mit einem viel tiefgreifenderen, sozialen Veränderungsprozess zu tun haben, an dessen Ende völlig neue Strukturen entstehen werden. Gefragt ist visionäre Politik, die eine Vorstellung von Gesellschaft und Wirtschaft im digitalen Zeitalter entwickelt und vorantreibt.


3.         Wie entkoppeln wir Arbeit von Einkommen, Steuerleistung und Sozialabgaben?

Es scheint sonnenklar zu sein: Wenn Roboter unsere Arbeit übernehmen, sollen sie auch unsere Steuern zahlen und uns ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglichen. Auch wenn diese Denkrichtung schon stimmt, greift sie langfristig zu kurz. Denn konsequent weitergedacht spielt Geld in der Ökonomie der Zukunft überhaupt keine Rolle mehr. „Wir arbeiten, um uns selbst und die Gesellschaft zu verbessern”, heißt es in Star Trek – diese Utopie des 24. Jahrhunderts könnte schon viel rascher Realität werden.

ZUKUNFTSOPTIMISMUS: Wir werden staunend zurückblicken.

Wir haben noch nicht einmal den Ansatz der Bedeutung erfasst, die die Digitalisierung mit sich bringt. Das Morgen wird sich in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik so sehr vom Heute unterscheiden, wie die monarchischen Agrargesellschaften vor der ersten industriellen Revolution von der proletarischen Industriegesellschaft danach.

Schon heute erleben wir auch die Schattenseiten des aktuellen Wandels: Neuartige gesundheitliche Belastungen der Wissensarbeiter, das wachsende digitale “Lumpenproletariat” der Modernisierungsverlierer und den Shitstorm als demokratiepolitisches Instrument. Damit die Veränderung gelingen kann, reicht symptombekämpfende Trostpflaster-Politik nicht aus, sondern es braucht völlig frisches Denken.

Wir werden uns noch während unserer Lebenszeit verwundert die Augen reiben, mit welchen Fragen wir heute das Thema Arbeit behandelt haben – und wir werden zu völlig anderen Antworten gekommen sein. So werden wir künftig nicht mehr Arbeitslosigkeit bekämpfen, sondern im Gegenteil: Wir werden jene Menschen, die noch arbeiten „müssen“, davon befreien. Erst dann wird der Erste Mai ein richtiger Feiertag sein.

3. Die Digitalisierung treibt uns näher zum Mensch-Sein.

Digitale Systeme und künstliche Intelligenz sind uns in vielen Tätigkeiten überlegen: Sie ermüden nicht, werden durch Routine nicht gelangweilt – und sie denken schneller und besser als wir. Indem sie uns kognitiv überlegen sind, nehmen sie uns daher nicht nur niedrigqualifizierte Tätigkeiten ab, sondern zunehmend auch intelligente. Sie treiben uns damit nicht nur aus der Erwerbsarbeit hinaus, sondern vor allem in der Evolution nach oben. Dieser Aspekt ist für viele ein Schreckensszenario. Aber anstatt in Angststarre zu verfallen, sollten wir den Blick öffnen und erkennen, dass uns Maschinen aus dem drögen, monotonen Arbeitsalltag lösen. Eine aktuellen Studie (marketagent, Office Report 2017) unterstreicht es: Montag ist der unbeliebteste Tag, Freitag der Tag, an dem Erwerbstätige am fröhlichsten und glücklichsten sind.

Der Mensch ist ein soziales und kreatives Wesen, und genau jene Tätigkeiten werden überleben und damit auch unsere Freude an der Arbeit massiv ansteigen. Das wird auch zu einer gesellschaftlichen Neubewertung von Arbeit führen. Uns geht nämlich nicht die Arbeit aus, sondern maximal die bezahlte Erwerbsarbeit, wie wir sie heute kennen.

Technischer Fortschritt führt allerdings stets auch zu fallenden Preisen und letztlich zur Entwertung ganzer Wertschöpfungsketten. Seit 1990 ist etwa in den USA die Produktivität in der fertigenden Industrie um 72 Prozent gestiegen, die entsprechende Anzahl an Arbeitsplätzen aber um 31 Prozent  zurückgegangen (US Bureau of Labor Statistics). Diese Entwicklung beginnt sich aktuell in der Wissensarbeit zu wiederholen. Ob steigende Produktivität auch ein höheres Sozialprodukt bedeutet, ist also zumindest fraglich. Den Wohlstand einer Gesellschaft direkt mit der Erwerbstätigkeit der Bevölkerung zu koppeln, ist daher gar nicht so schlüssig, wie es uns heute erscheint.

Dass gesellschaftlich entscheidende Tätigkeiten wie etwa Krankenpfleger oder Lehrer deutlich niedriger bezahlt sind als Investmentbanker oder Unternehmensberater, wird sich ändern: Was persönlich und gesellschaftlich wertvoll ist, wird auch entsprechend entlohnt werden. Die Digitalisierung bringt uns also menschlich und gesellschaftlich Segensreiches.

ANALYSE: Drei Gedanken zur Ist-Situation.


1. Uns läuft die Zeit davon.

Wir stehen nicht am Anfang der vierten industriellen Revolution, sondern sind bereits mittendrin. Wer heute von der digitalen Disruption überrascht wird, hat die letzten Jahre verschlafen. In den allermeisten Fällen handelt es sich nämlich gar nicht um plötzliche, sprunghafte Veränderungen, sondern um seit langer Zeit wahrnehmbare Veränderungen. Allerdings steigen Geschwindigkeit, Dynamik und der Grad der Komplexität an. Digitalisierung ist eine Lawine in Zeitlupe: Kein Unternehmen, keine Interessenvertretung und auch kein Staat wird sie aufhalten. Da helfen auch keine “weichgezeichneten” Studien (vgl. Institut für Höhere Studien, 2017 im Gegensatz zu McKinsey, Harvard und vielen anderen!):  Die Auswirkungen werden viel radikaler sein, als wir uns das heute vorstellen.

Dass Unternehmen damit zu kämpfen haben, zeigt die Vielzahl an Kongressen, die sich mit Digitalisierung beschäftigen und versuchen, hilfreiche Hinweise auf passende Vorgehensmodelle zu diskutieren. Noch viel mehr kämpfen wir aber auf gesellschaftlicher Ebene, denn die politischen Systeme hinken in ihrer Aktionsgeschwindigkeit dramatisch hinterher. Dieser Geschwindigkeitsunterschied kann fatal werden.


2. Wir können die Maschinen nicht überlisten.

Die vergangenen industriellen Revolutionen hatten eine Gemeinsamkeit: Bildung schützt den Einzelnen vor den Auswirkungen. Auf der Bildungsleiter nach oben zu klettern, war die sicherste Methode, um drohendem Jobverlust durch Automatisierung und Rationalisierung zu entkommen. In der aktuellen vierten industriellen Revolution verliert diese Regel an Gültigkeit. Wir können nicht mehr schneller oder besser denken, als Maschinen, und auch nicht mehr schneller oder besser lernen als Algorithmen.

Das Charakteristikum disruptiver Veränderungen ist es, dass auch die Bewältigungsmechanismen des Wandels auf den Prüfstand gestellt werden. Die Erfolgsrezepte der Vergangenheit greifen nicht mehr, und sich daran zu klammern, wäre der sichere Untergang.

Solange Bildung vor allem Aus-Bildung, also Berufsorientierung, meint, geht sie an den Anforderungen des Wandels vorbei. Und zwar mit zunehmender Dramatik. Dass die durchschnittliche Verweildauer im Unternehmen sinkt, ist nämlich nicht nur ein Phänomen neuer Wertvorstellungen der jungen Generationen, sondern auch ein Zeichen, dass sich die Halbwertszeit beruflicher Qualifikation im freien Fall befindet. Stärker als Berufsausbildung wird eine Betonung der Kompetenzen des 21. Jahrhunderts benötigt: Kritisches Denken, Kommunikation, Kreativität, Initiative und ähnliche Kompetenzen. Wenn wir nicht mehr darauf vertrauen können, dass Bildung hilft, uns im bestehenden System zu bewähren, dann brauchen wir Bildung, die uns hilft, neue Systeme zu denken und zu bauen.