BAG, Urteil vom 5. Oktober 2010 – 1 ABR 20/09

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Foto von Luke Chesser

Sachverhalt

Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber gewährte eine nur an die Betriebszugehörigkeit anknüpfende Sonderzahlung durch Betriebsvereinbarung. Diese Betriebsvereinbarung kündigte der Arbeitgeber zum 31. Dezember 2006. Der Arbeitgeber wollte stattdessen ein moderneres und flexibleres Vergütungssystem einführen mit transparenten Beurteilungskriterien und einer leistungsorientierten Vergütung. Der Betriebsrat wollte mit dem gerichtlichen Verfahren die Nachwirkung der gekündigten Betriebsvereinbarung durchsetzen.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass die vom Arbeitgeber gekündigte Betriebsvereinbarung nicht über den 31. Dezember 2006 hinaus nachwirkt.

Teilmitbestimmte Betriebsvereinbarungen

Betriebsvereinbarungen über finanzielle Leistungen des Arbeitgebers, die dieser ohne eine vertragliche oder sonstige rechtliche Verpflichtung erbringt, sind regelmäßig teilmitbestimmt. Während der Arbeitgeber den Dotierungsrahmen mitbestimmungsfrei vorgeben kann, bedarf er für die Ausgestaltung der Zustimmung der Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Dies gilt insbesondere für Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung. Dort bestimmt der Arbeitgeber die Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel. Der Betriebsrat muss jedoch dem Verteilungs- und Leistungsplan zustimmen.

Das BAG führt aus, dass die Nachwirkung derart teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen davon abhänge, ob die finanziellen Leistungen ersatzlos beseitigt oder lediglich reduziert werden. Werde durch die Kündigung die Leistung aus der Betriebsvereinbarung vollständig und ersatzlos eingestellt, trete keine Nachwirkung ein. Ein Arbeitgeber, der freiwillig über die Einführung einer Leistung entscheiden könne, solle diese auch wieder beseitigen können. Werde dagegen mit der Kündigung nur das Verteilungsvolumen verringert und der Verteilungsplan geändert, verbleibe ein Finanzvolumen, über das der Betriebrat mitzubestimmen habe, so dass die gekündigte Betriebsvereinbarung bis zu einer Neuregelung nachwirke.

Eine Änderung der Vergütungsstruktur, bei der der Betriebsrat mitzubestimmen habe, liege regelmäßig vor, wenn nur einer von mehreren Vergütungsbestandteilen, aus denen sich die Gesamtvergütung zusammensetzt, gestrichen, erhöht oder vermindert werde. Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber könne aber eine in einer Betriebsvereinbarung geregelte freiwillige Leistung durch die Kündigung dieser Betriebsvereinbarung ohne Nachwirkung beseitigen, wenn er in Zukunft für den von ihm festgelegten Leistungszweck keine Mittel mehr bereitstellen wolle. Es fehle dann an einer ausgestaltungsfähigen Verteilungsmasse. Die im Streitfall erfolgte Umstellung von einer an die Betriebszugehörigkeit anknüpfenden Sonderzahlung auf eine von unternehmensbezogenen und individuellen Zielen abhängige Zuwendung sei nicht lediglich eine Änderung des Leistungsplans. Vielmehr seien die bisherigen Sonderzahlungen eingestellt worden.

Gesonderte Betriebsvereinbarung

Der gekündigte Vergütungsbestandteil müsse allerdings alleiniger Gegenstand der gekündigten Betriebsvereinbarung sein. Werden in einer Betriebsvereinbarung auch andere Vergütungsbestandteile geregelt, für die eine vertragliche oder gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers bestehe, seien sämtliche Vergütungskomponenten Teil der Gesamtvergütung, bei deren Ausgestaltung der Betriebsrat mitzubestimmen habe. Das BAG geht davon aus, dass in solchen Entgeltsystemen eine höhere freiwillige Leistung des Arbeitgebers in anderen Vergütungsbestandteilen zu niedrigeren Leistungen geführt haben könne, was letztlich jedenfalls nicht rechtssicher zu beurteilen sei. Eine solche Betriebsvereinbarung müsse daher weiter gelten, da andernfalls das Verhandlungsergebnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat durch die Kündigung nur der freiwilligen Leistung zu Lasten der Arbeitnehmer verschoben würde. Der Arbeitnehmer müsse vor einer einseitigen an den Interessen des Arbeitgebers orientierten Lohngestaltung geschützt werden.

Eindeutige Erklärung

Der Arbeitgeber müsse jedenfalls eindeutig erklären, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe er nach dem Ablauf der Kündigungsfrist für den bisherigen Leistungszweck Mittel zur Verfügung stellen werde. Da die Leistung allein vom Willen des Arbeitgebers abhänge, sei aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit eine solche Erklärung gegenüber Betriebsrat oder den begünstigten Arbeitnehmern erforderlich. Des Weiteren sei der Arbeitgeber gehalten, sich über seine Vorstellung über das weitere Schicksal der bisher in der Betriebsvereinbarung ausgestalteten Leistung zu erklären, wenn er den Eintritt der Nachwirkung vermeiden wolle.

Fazit

Das BAG stellt mit seiner Entscheidung zwei Voraussetzungen auf, die bei der Kündigung von teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen zu beachten sind, um eine Nachwirkung auszuschließen. Es fordert eine eindeutige Erklärung (i) über den zukünftigen Dotierungsrahmen und (ii) über das Schicksal der Leistung nach der Kündigung. Es ist daher ratsam, in der Kündigung der Betriebsvereinbarung zu formulieren, dass in Zukunft keine Mittel mehr für die Leistung aufgewendet werden und der Arbeitgeber den Arbeitnehmern keine Leistungen mehr erbringen wird.

Insbesondere für die betriebliche Altersversorgung sollte im Zusammenhang mit einer Kündigung nicht eine andere Versorgung in Aussicht gestellt werden. Dies könnte als Fortführung der betrieblichen Altersversorgung unter bloßer Reduktion oder Umverteilung der zur Verfügung gestellten Mittel gewertet werden. In diesem Fall bliebe eine ausgestaltungsfähige Verteilungsmasse erhalten, über die der Betriebsrat mitzubestimmen hätte. Bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung wirkt dann die alte Betriebsvereinbarung nach. Eine Kündigung ohne Nachwirkung muss zur Folge haben, dass keine Mittel mehr für die betriebliche Altersversorgung zur Verfügung gestellt werden.

Doch schon bei der Begründung der Verpflichtung zur Zahlung einer Leistung müssen die Weichen für eine spätere Beendigung gestellt werden. Eine Nachwirkung ist nach dem BAG nur ausgeschlossen, wenn die Leistung in einer gesonderten Betriebsvereinbarung geregelt ist. Leistungen der betrieblichen Altersversorgung sollten daher nicht mit anderen Sozialleistungen gemeinsam in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden. Zwar sollte ein attraktiver Arbeitgeber seinen Mitarbeitern ein umfassendes Gesamtvergütungssystem anbieten, zugleich aber die einzelnen Vergütungsbestandteile unabhängig regeln, so dass ihr rechtliches Schicksal nicht voneinander abhängig ist.