BAG, 28. April 2011, Az. 1 BvR 1409/10

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Foto von Andrew Neel

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin hatte von ihrem Arbeitgeber eine Zusage über Versorgungsleistungen aus der Zusatzversorgung bei der VBL erhalten. Die VBL ist eine Pensionskasse, die für Beschäftigte im öffentlichen Dienst Versorgungsleistungen nach Maßgabe ihrer Satzungsregelungen erbringt. Zugunsten der Versorgungsberechtigten zahlt der Arbeitgeber monatlich Umlagezahlungen zur Finanzierung der Versorgungsleistungen an die VBL. Die Höhe der Umlagezahlungen für den einzelnen Arbeitnehmer richtet sich nach dem zusatzversorgungspflichtigen Entgelt des versorgungsberechtigten Arbeitnehmers, was in erster Linie dem steuerpflichtigen Arbeitslohn entspricht.

Die VBL erbringt Leistungen frühestens nach Ablauf einer Wartezeit von 60 Monaten, in denen eine Umlagezahlung erfolgte (sog. Umlagemonate). Die Höhe der Leistungen errechnet sich anhand des gesamtversorgungsfähigen Entgelts sowie der bis zum Beginn der Leistung zurückgelegten Umlagemonate.

Die Beschwerdeführerin war im Jahr 1988 in Mutterschutz. In dieser Zeit hat sie kein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt bezogen. Der Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschutz ist steuerfrei. Dieser Zuschuss ist damit kein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt, so dass hierfür auch keine Umlage an die VBL zu zahlen war. Damit konnten die Monate des Mutterschutzes auch nicht für die Wartezeit angerechnet werden. Da die Beschwerdeführerin kurze Zeit später aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, hatte sie die Wartezeit von 60 Monaten nicht erfüllt. Der Beschwerdeführerin wurden daher keine Versorgungsleistungen gewährt.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erging zur alten Fassung der VBL-Satzung, die bis zur Reform der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst im Jahr 2001 Anwendung fand, was jedoch für die Gültigkeit der dargelegten Grundsätze unerheblich ist.

Die Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht hat sich gegen diese Anwendung der VBL-Regelungen gewendet. Auch Zeiten des Mutterschutzes müssten von der VBL berücksichtigt und anerkannt werden. Eine Differenzierung aufgrund des Geschlechts sei nach Art. 3 GG nur zulässig, soweit sie zur Lösung von Problemen zwingend erforderlich sei oder durch eine Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimiert sei.

Das Gericht sah nicht nur eine Ungleichbehandlung gegenüber Männern, deren Erwerbsbiographien nicht durch Mutterschutzzeiten unterbrochen werden können. Vielmehr erkannte es auch eine Ungleichbehandlung gegenüber Kranken, deren Krankheitszeiten aufgrund einer Ausnahmeregelung in der Satzung der VBL anzurechnen waren. Für diese Ungleichbehandlungen fehlten zwingende Gründe oder eine verfassungsrechtliche Legitimation.

Die Verfassungsrichter räumten zwar ein, dass der Gesetzgeber eine negative Steuerungswirkung zu vermeiden suche, indem er die finanzielle Belastung im Rahmen eines Umlageverfahrens auf alle Arbeitgeber gleichmäßig verteile. Dadurch würden Arbeitgeber abgehalten, Frauen wegen möglicherweise höherer Kosten infolge einer Schwangerschaft nicht einzustellen. Diese Systementscheidung dürfe aber nicht zu Lasten der Mütter ausgeweitet werden, wie dies die VBL mit ihren Satzungsregelungen getan habe.

Daher müssten nach den Ausführungen der Karlsruher Richter auch Zeiten des Mutterschutzes im Rahmen der anzurechnenden Umlagemonate berücksichtigt werden.

Fazit

Wenngleich das Bundesverfassungsgericht letztlich nur über die Anrechnung von Mutterschutzzeiten auf die Wartezeit zu entscheiden hatte, so hat es doch zumindest angedeutet, dass die Umlagemonate und damit die Beschäftigungszeiten auch für die Höhe der Versorgungsleistung eine Rolle spielen. Es steht zu vermuten, dass auch in dieser Hinsicht die Argumentation keine andere sein kann: Auch für die Leistungshöhe sind Zeiten des Mutterschutzes zu berücksichtigen, um eine Ungleichbehandlung zu vermeiden.

Nicht nur für den öffentlichen Dienst, sondern auch für die Privatwirtschaft wird damit deutlich, dass eine Benachteiligung von Müttern auszuschließen ist. Die Grundsätze der Entscheidung greifen nicht nur im Rahmen der Bindung öffentlich-rechtlicher Hoheitsträger an den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz. Vielmehr müssten sie auch im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gelten, das ebenso wie das Grundgesetz eine Diskriminierung wegen des Geschlechts verbietet. Auch hier wird es eine Rechtfertigung für eine Schlechterstellung von Müttern kaum geben.

Versorgungszusagen sollten daher daraufhin überprüft werden, wie Zeiten des Mutterschutzes behandelt werden. Dies betrifft in Anlehnung an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zunächst die Frage der Anrechnung auf eine Wartezeit. Doch wie in der VBL die Anzahl der Umlagemonate spielen Dienstzeiten auch in Pensionszusagen oft eine maßgebliche Rolle für die Höhe der Versorgungsleistung. Auch hier ist zu prüfen, ob die Zeiten des Mutterschutzes in die Berechnung der Versorgungsleistung einbezogen werden. Trotz entgegenstehender Regelungen muss damit gerechnet werden, dass Mütter beanspruchen werden, ihre Mutterschutzzeiten leistungserhöhend zu berücksichtigen.