„Alles läuft wie geschmiert“. Mit dieser saloppen Bemerkung konnten Personalverantwortliche noch bis vor kurzem ihr gutes Verhältnis zum Betriebsrat umschreiben. Heute würde dies eher den Verdacht kollusiven Zusammenspiels auslösen. Ernst nehmen sollte man die aktuelle Diskussion allerdings und nicht die Ursachen für den Stimmungswandel unter der Rubrik „bedauerliche Einzelfälle“ verbuchen. Einzelfälle hinterlassen Spuren – vor allem, wenn sie wegen der Prominenz ihrer Urheber einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden. Zwar werden jetzt nicht plötzlich ganze Belegschaften ihre Betriebsräte unter Generalverdacht stellen, aber die Gefahr, dass „etwas“ zurückbleibt, lässt sich nicht ohne weiteres beiseite schieben. Und sei es nur die unbestimmte Mutmaßung, dass die Mitgliedschaft im Betriebsrat letztlich doch Möglichkeiten eröffnet, die dem „einfachen“ Mitarbeiter im Büro oder in der Werkshalle verschlossen bleiben.

people gathering inside the building
Foto von Evangeline Shaw

Kein Kumpanei-Gesetz

Das Gebot des § 2 Abs. 1 BetrVG zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat enthält nicht die Aufforderung zu verschworener Kumpanei. Vertrauensvolle Zusammenarbeit – so das Gesetz – geschieht zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs. Diesem Ziel ist keineswegs schon damit entsprochen, dass Arbeitgeber und Betriebsrat ihre Zusammenarbeit im Interesse beiderseitigen Wohlergehens gestalten. Im Gegenteil, § 2 Abs. 1 BetrVG setzt das Bestehen einander widerstreitender Interessen voraus, die in vertrauensvoller Zusammenarbeit zu lösen sind. Wie dies vonstatten zu gehen hat, sagt das Gesetz in § 74 Abs.1 Satz 2 BetrVG, indem es anordnet, „über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen“. Der ernste Wille zur Lösung von Interessenkonflikten schließt es aus, andere als an der Sache orientierte Gesichtspunkte in den Lösungsprozess einfließen zu lassen. Vor allem setzt er die absolute Integrität beider Parteien voraus. Vertrauensvoller Zusammenarbeit wäre daher von vornherein die Grundlage entzogen, wenn bei den Arbeitnehmern auch nur der Anschein erweckt würde, Meinungsverschiedenheiten seien auf einem anderen als auf dem Verhandlungsweg beigelegt worden, oder schlimmer noch, sie wären aufgrund „nützlicher Aufwendungen“ seitens des Arbeitgebers gar nicht erst aufgetreten.

Die Praktiker sind verunsichert

Solchem Anschein leisten Vorkommnisse der jüngst bekannt gewordenen Art kraft ihrer Ausstrahlung auch auf unbescholtene Betriebe unweigerlich Vorschub. Deshalb kann es nicht ohne Rückwirkungen gerade auf die Arbeitgeber bleiben, wenn sich Betriebsräte mit Blick auf die Negativvorbilder aus den eigenen Reihen fragen müssen, welchen Verdächtigungen sie sich bei den Arbeitnehmern aussetzen, wenn sie ihre Mitbestimmungsrechte zu deren Nachteil ausüben, um auf diese Weise den Fortbestand des Betriebs zu sichern. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie um ihrer selbst Willen gegen das Wohl des Betriebs votieren und damit „gezwungenermaßen“ gegen § 2 Abs. 1 BetrVG verstoßen. Wohlgemerkt, es kommt nicht darauf an, ob den Betriebsräten tatsächlich der (unberechtigte) Argwohn der Belegschaften entgegenschlägt. Allein das subjektiv empfundene Unbehagen, dies könne nicht ausgeschlossen werden, ist Grund genug, Verständnis für ihre etwaige Zurückhaltung in derartigen Mitbestimmungsangelegenheiten aufzubringen. Ebenso wie von jenen Managern, die sich mit unersättlicher Begehrlichkeit aus dem Portefeuille ihrer Unternehmen bedienen, darf auch von den derzeit unter Korruptionsverdacht stehenden Betriebsräten angenommen werden, dass ihnen ihr ungezügelter Egoismus den Blick für die durch sie hervorgerufenen Weiterungen verstellt hat. In beiden Fällen mangelt es an der gebotenen Bodenhaftung – ein Vorwurf, der gegenüber Betriebsräten besonders schwer wiegt. Gerade deshalb ist es nicht damit getan, ihr Fehlverhalten lediglich mit Unverständnis und Entrüstung zu quittieren.

Rechtzeitig und richtig gegensteuern

Wo immer durch beharrlichen Verstoß Einzelner gegen den allgemeinen Wertekonsens die Glaubwürdigkeit einer ganzen Gruppe der Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen zu werden droht, muss gegengesteuert werden. Dazu bedarf es nicht unbedingt gesetzgeberischer Initiativen, die etwa nach dem Vorbild der Offenlegungspflicht für Managergehälter die Unternehmen verpflichtete, die Einkommen ihrer Betriebsräte einschließlich etwaiger sonstiger Zuwendungen zu publizieren. Nach dem Vorbild des Corporate-Governance- Kodex könnte allerdings daran gedacht werden, „im Kleinen“ Verhaltensgrundsätze aufzustellen, die das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit des § 2 Abs. 1 BetrVG konkretisieren und von Arbeitgeber und Betriebsrat gleichermaßen als verbindlich akzeptiert werden. Ein solcher Verhaltenskodex ließe sich auf betrieblicher Ebene in der Rechtsform einer Betriebsvereinbarung verwirklichen. Obwohl die jüngst bekannt gewordenen Vorfälle manchem Praktiker vielleicht rasches Handeln nahe legen mögen, besteht kein Anlass zu überstürztem Aktionismus. Regelungen bedürfen der intensiven Vorbereitung und des richtig bemessenen Zeitpunkts. Deshalb empfiehlt es sich für Unternehmen, erst die kommenden Betriebsratswahlen abzuwarten und unmittelbar danach mit dem Betriebsrat die Grundlagen der zukünftigen Zusammenarbeit festzulegen.

Tipp: „Ein betriebliches Grundgesetz“

Um die Bedeutung für die Mitarbeiter hervorzuheben, sollte der Begriff „Betriebliches Grundgesetz“ gewählt und dieses „Grundgesetz“ an exponierter Stelle im Betrieb veröffentlicht werden. In dieser Betriebsvereinbarung wäre unter der Überschrift „Grundsätze der Zusammenarbeit“ zu regeln, dass Arbeitgeber und Betriebsrat sich verpflichten, œ die Interessen der jeweils anderen Seite mit Respekt, Fairness und gegenseitiger Rücksichtnahme zu behandeln, œ kontroverse Fragen zielführend auf dem Verhandlungswege zu lösen, œ Rechte nicht um ihrer selbst Willen, sondern ausschließlich im Interesse der Sache in Anspruch zu nehmen, œ im Umgang miteinander ein Klima der Offenheit und Ehrlichkeit zu schaffen, œ alles zu unterlassen, was bei den Mitarbeitern den Eindruck erwecken könnte, getroffene Entscheidungen seien unter Androhung von Nachteilen oder durch Versprechung oder Gewährung von Vorteilen zustande gekommen. Außerdem könnte in diesem Grundgesetz Folgendes geregelt sein: œ Regelung der Kommunikationswege und des Informationsaustauschs, œ Übertragung eigener Budgetverantwortung auf den Betriebsrat, œ gemeinsame Planung notwendiger Bildungsmaßnahmen für den Betriebsrat einschließlich Dauer und Ort der Veranstaltung, œ Gewährung eventueller zusätzlicher (Teil-)Freistellungen, œ Verfahrensweise bei der Zustimmung zu Überstunden, œ Bereitschaft des Betriebsrats zur Übertragung betriebsverfassungsrechtlicher Fragen auf Arbeitsgruppen nach § 28a BetrVG, œ Vorgehensweise im Zusammenhang mit Konzeption, Verhandlung und Abschluss von Betriebsvereinbarungen.