Open Innovation. The New Imperative for Creating and Profiting from Technology.

person holding ballpoint pen writing on notebook
Foto von Thought Catalog

Von Henry W. Chesbrough. Harvard Business School Press 2003.

The Rise of Crowdsourcing.
Von Jeff Howe. http://www.wired.com/wired/archive/14.06/crowds.html

Web 2.0 im Personalmanagement: Chancen und Risiken für Unternehmen.
Von Klaus Tochtermann, Alexander Stocker und Reinhard Willfort. In: personal manager 5/2007.

Creativity@Work für Wissensarbeit. Kreative Höchstleistungen am Wissensarbeitsplatz auf Basis neuester Erkenntnisse der Gehirnforschung.
Hrsg. von Reinhard Willfort, Klaus Tochtermann und Aljoscha Neubauer. Shaker Verlag 2007.

Persönliches Wissensmanagement – Der genetische Code des Erfolgs.
Von Reinhard Willfort und Renate Willfort. In: personal manager 1/2008.

Quelle: personal manager Zeitschrift für Human Resources Ausgabe 1 Jänner / Februar 2013

Der Amerikaner Jeff Howe beschrieb in seinem 2006 erschienenen Artikel „The Rise of Crowdsourcing“ erstmals das Phänomen der Aktivierung von Menschenmassen mittels Internettechnologien. Was mit der Bündelung und Vernetzung von Wissen im offenen Web begann, kann auch in Unternehmen als Innovationsmotor wirken. Die Basis dafür bilden Organisationwebbasierte Ideenmanagementtools, die bestehende informelle Netzwerke in Organisationen sichtbar machen und fördern. 

Diese Netzwerke sind in allen Unternehmen vorhanden und funktionieren besonders gut in der Ideenentwicklung, weil sie hierarchielos, ohne Druck und lösungsgetrieben agieren. Stellen Sie sich die Pyramide Ihrer Unternehmenshierarchie vor und drehen Sie diese um 90 Grad (Abbildung 1). Sie betrachten jetzt die Hierarchie von unten und erkennen Netzwerkverbindungen, die von persönlichen Interessen, informellen Treffen an der Kaffeemaschine oder einer gemeinsamen Vergangenheit, zum Beispiel einem Studium, getragen werden. In diesen Netzwerken entstehen viele Ideen, die für Unternehmen nützlich sein können, oft ganz nebenbei, im alltäglichen Gespräch. 

Dieses Phänomen lässt sich durch Erkenntnisse aus der Gehirnforschung erklären: Es ist erwiesen, dass kreative Ideen durch die neuronale Vernetzung bestehender Wissenselemente im Gehirn entstehen. Das funktioniert dann besonders gut, wenn sich das menschliche Gehirn in einer Art „Leerlaufzustand“ befindet (bekannt als „low arousal theory“). Wer also verbissen an einer Lösung arbeitet, hat wenig Chancen auf einen Geistesblitz, weil er durch die Konzentration innerhalb einer Gehirnregion die Vernetzung blockiert. Es entsteht ein „hot spot“ im Gehirn, der die gesamte Energie bindet. Ein Umgebungswechsel (zum Beispiel Joggen) oder eine Kreativitätsmethode mit spielerischen Elementen kann einen Gehirnzustand herstellen, der für die Ideengenerierung besonders hilfreich ist. Ähnlich ergeht es einer Organisation, die ihre Innovationsinitiativen ausschließlich über geplante und verordnete Prozesse innerhalb der Hierarchie steuert. Auch hier erleben wir vergleichbare Blockaden.

Wirksamer sind informelle Personennetzwerke, die ohne Druck und freiwillig kreative Lösungen finden, indem sie die Wissenselemente unterschiedlicher Menschen vernetzen. Wer die Kraft dieser Netzwerke fördern will, muss auch die Rolle des Innova-tionsmanagers überdenken. Dieser verliert in einem innovativen Unternehmen seine zentrale Gatekeeper-Funktion, nach der er über die Sinnhaftigkeit von Ideen meist unter Einbeziehung einiger Fachexperten zentral entscheidet. Stattdessen fungiert er zunehmend als Netzwerkknoten mit Moderationsfunktion. Es geht darum, Impulse in das Netzwerk zu senden und damit die Richtung der Ideenentwicklung selektiv zu moderieren. Netzwerke entwickeln selbstgesteuerte Prozesse und fördern ungeahnte Ideenquellen zu Tage. Davon können Unternehmen in weiterer Folge auch Potenziale für die Mitarbeiterentwicklung ableiten.

Auch für das zentrale Innovationsmanagement ergibt sich eine deutliche Verbesse-rung: Die Anzahl der Ideen steigt um ein Vielfaches. Gleichzeitig sinkt der Betreuungsaufwand auf einen Bruchteil des bisherigen Zeiteinsatzes, da viele Mitdenker unmittelbar Feedback auf Ideen geben und damit eine wichtige Funktion im Ideenmanagement als Kollektiv erfüllen. Auch die Vorbewertung von Ideen durch die kollektive Intelligenz der Mitarbeiter steht auf solideren Beinen als eine alleinige Bewertung durch das Management.

Indem Unternehmen schon in einem sehr frühen Stadium des Innovationsprozesses viele Mitdenkerinnen und Mitdenker einbeziehen, steigern sie nicht nur die Qualität der eingebrachten Ideen. Mitarbeiter sind auch bereiter, neue Vorhaben zu akzeptieren und umzusetzen, wenn sie etwas zu den Ideen beitragen, sie kommentieren und bewerten können. In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass die Umsetzung der eigenen Idee die höchste Form der Anerkennung für die Ideengeber ist. Die Ideenentwickler in die Umsetzung einzubinden, ist somit deutlich wichtiger als materielle Belohnungen.

Das Wissen der Masse – die kollektive Intelligenz – liefert in dieser frühen Phase interessante Erkenntnisse über die Resonanzfähigkeit einer Idee – und zwar zu einem Zeitpunkt, zu dem noch kein Wissen materialisiert wurde und damit wenig Kosten entstanden sind.

Die erforderliche Internettechnologie für das Crowdsourcing ist bereits verfügbar, er-fährt aber durch den aktuellen Social-Media-Boom eine interessante Erweiterung in Richtung soziale Netzwerke. In den vergangenen Jahren sind sehr viele temporäre, aber auch langfristig angelegte offene Portale für Crowdsourcing mit dem Fokus auf Kreativität und Ideen entstanden. In Abbildung 1 ist der typische Workflow einer Open-Innovation-Crowdsourcing-Plattform am Beispiel von Neurovation.net zu sehen.

Der Prozess beginnt mit einer Aufgabenstellung und endet innerhalb der Innovationcommunity mit der Vorauswahl von Ideen. Anschließend ist in den Unternehmen wieder die Hierarchie gefragt, die über erforderliche Ressourcen zur Umsetzung entscheidet.

Die wissensintensive Wertschöpfung ist für viele Branchen von zentraler Bedeutung. Daher steht das Thema Wissensmanagement für zahlreiche Unternehmen auf der Management-Agenda ganz oben. Neben dem Transfer und der Sicherung von Wissen wird es für Arbeitgeber immer wichtiger, dass ihre Mitarbeiter neues Wissen entwickeln und damit zu Innovationen beitragen können.

Das Web 2.0 bietet Instrumente für die Weitergabe von Wissen. Durch Xing, Facebook, Wikipedia und andere Anwendungen hat sich eine neue, netzwerkartige Kommunikationskultur entwickelt, die vor allem über die junge Generation allmählich in den Unternehmen ankommt. Für das Ideenmanagement stellt sich die damit einhergehende Kommunikationskultur des „Sharen“ (Inhalte teilen) und „Liken“ (Inhalte empfehlen) als Chance zur kollektiven Unternehmensentwicklung dar. So können Unternehmen die Energie des Crowdsourcings gezielt für das interne Ideenmanagement nutzen.

Wie Arbeitgeber Ideenmanagement mit Hilfe von Crowdsourcing betreiben können, zeigt ein Projekt des Unternehmens AVL, das Antriebssysteme für die Automobilindustrie entwickelt und prüft. Die Automobilbranche befindet sich in einem dramatischen Umbruch: Hybridfahrzeuge, elektrische Fahrzeuge, Treibhausgasreduktion, selbstfahrende Fahrzeuge und Globalisierung sind nur einige der Schlagworte, die diese Branche treiben. Der Mess- und Prüftechnikbereich von AVL ist auch mit Themen wie Simplicity oder der Reduktion der immer größer werdenden Komplexität der Systeme im Fahrzeugentwicklungsbereich konfrontiert.

Angesichts dieser vielen verschiedenen Herausforderungen sind gute Ideen gefragt. Vor diesem Hintergrund knüpfte das Technologieunternehmen ein Netzwerk mit Partnern in Universitäten und Forschungsinstituten. AVL ist weltweit tätig und hat mehr als 50 Tochterfirmen – überall dort, wo Fahrzeugentwicklungsfirmen tätig sind. Unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern befinden sich viele hochkarätige Spezialisten. Diese sollten aktiv am Ideenmanagement mitwirken, um das vielfältige Wissen im Innovationsprozess zur Entwicklung neuer und am Markt erfolgreicher Produkte verwenden zu können.

Mit dem Projekt „AVL GREAT IDEAS“ startete das Unternehmen im Frühjahr 2012 erstmals einen internen Crowdsourcing-Wettbewerb, um möglichst viele Mitdenker des weltweiten Konzerns zu aktivieren. AVL integrierte die Crowdsourcing-Software der Firma Neurovation in das firmeneigene Intranet und passte sie an das „Corporate Look and Feel“ an, um die Barrieren für eine Mitarbeit so klein wie möglich zu halten. Wichtig dabei war, kein eigenes Passwort einzuführen, sondern die Crowdsourcing-Software barrierefrei in das Firmennetz zu integrieren.

Zwei Monate hatten die Mitarbeiter Zeit, neue und innovative Ideen einzugeben. Um das Auswerten der Ideen zu erleichtern und die weltweite Diskussion besser zu fokussieren, stellten wir ausgewählte, für die AVL strategisch wichtige Themenfelder zur Diskussion. Mit dem Slogan „AVL Great Ideas – Get infected – Be creative!“ informierte der Konzern an seinem Hauptfirmensitz in Graz bei Mitarbeiterabenden über das Ziel des Projekts und lud zur Teilnahme ein. An die Kollegen der anderen Standorte versendete AVL E-Mails und versorgte die verantwortlichen Entwicklungsleiter in WEBEX-Meetings mit Informationen. Um die Crowdsourcing-Aktion während der aktiven Phase im Fokus der Ingenieure zu behalten, komplettierten Plakatständer in den Kantinen, Flugblätter und regelmäßige Newsletter die firmenweite Kommunikation.

Einige Standorte organisierten darüber hinausgehende Informationsveranstaltungen. Es hat sich gezeigt, dass überall dort, wo Kolleginnen und Kollegen persönlich angesprochen wurden, die Teilnahme zunahm.

Als außerordentlich wichtig hat sich herausgestellt, in der Phase des Netzwerkaufbaus rasch Feedback auf jede neue Idee zu geben. Der anfangs damit verbundene Moderationsaufwand ist nicht zu unterschätzen. Doch er lohnt sich:

Das Projekt animierte in knapp drei Monaten mehr als 850 Mitarbeiter dazu, über 120 Ideen einzubringen. Die Kommentare auf die eingebrachten Ideen waren teilweise wesentlich umfangreicher als die Ursprungsideen selbst. Es bildeten sich Diskussionsgruppen quer über Kontinente. Diese offenbarten ganz nebenbei, an welchen Standorten Experten zu neuen Themenstellungen sitzen. Bis jetzt waren viele Mitarbeiter in dieser Hinsicht auf mehr oder weniger zufällige Bekanntschaften in der Firma angewiesen.

Für die Auswertung der Ideen luden wir zunächst alle Teilnehmer ein, aus zwei zufällig ausgewählten Ideen die bessere zu wählen. Auf diese Weise verteilten wir zum einen den Screening-Aufwand auf viele Köpfe und konnten die Auswertung sehr zügig abschließen. Zum anderen kommuniziert diese Methode neue Ideen innerhalb der Firma und vereinfacht dadurch eine spätere Implementierung der Vorschläge. Verblüffend war das Ergebnis des Screenings: Die von der Community ausgewählten Ideen stellten die für AVL besten eingebrachten Innovationsvorschläge aus der Sicht des Unternehmens dar. Aus den mehr als 120 eingebrachten Vorschlägen wählte das Unternehmen schließlich mit Hilfe der Mitarbeiter je fünf Ideen aus den vier strategischen Gebieten aus, zu denen es Innovationsideen suchte.

Im zweiten Schritt luden wir je einen Vertreter der AVL Business Units im Mess- und Prüftechnikbereich zu einem „AVL – Great Ideas“-Brunch ein, bei dem die Teilnehmer aus den 20 Vorschlägen der vorherigen Selektionsphase drei Gewinnerideen auswählten. Da nur mehr 20 Ideen zu diskutieren waren, ließ sich diese Phase rasch in einem Samstagvormittag abschließen.

Die vorletzte Phase war die unmittelbare Kommunikation des Ergebnisses an die Teilnehmer des Projekts – zuerst aufgrund der Sommerurlaubszeit via E-Mail und danach im Anschluss eines hochkarätigen Vortrags bei der Preisverleihung. Die Autoren der drei besten Ideen erhielten den Arbeitsauftrag zur Implementierung ihrer Innovationsideen und einen iPad als Prämie. Dass je ein Gewinner aus Großbritannien, den USA und Österreich kam, zeigt die große Akzeptanz des Projekts in den verschiedenen Standorten.

Während die Projektsieger begannen, ihre Ideen umzusetzen, forderten wir alle Teil-nehmer auf, Feedback zum Projekt zu geben. Die Befragung ergab, dass die Ingenieure weltweit das eingesetzte Innovationsmanagement-Tool sehr gut bewerteten. Eine große Mehrheit schlug vor, das Projekt im kommenden Jahr fortzusetzen. AVL will Crowdsourcing auch in Zukunft nutzen, um das Expertenwissen an allen Standorten zu strategisch wichtigen Themen zu sammeln und neue Experten in der Firma zu identifizieren.