1. Lohnt sich die Mühe?

person using laptop computer beside aloe vera
Foto von Corinne Kutz

Geld ist ein universelles Äquivalent für Wert. Es lässt sich gegen beinahe alles eintauschen. Geld transportiert jedoch nicht nur den Gegenwert („Entgelt“) für geleistete Arbeit. Wir verbinden damit auch eine Wertaussage. Menschen reagieren auf Gehaltssteigerungen oder -kürzungen oft in einer Weise, die sich mit der ökonomischen Bedeutung ihrer Vergütung allein nicht erklären lässt.

Der Grund: Das Tauschmedium Geld hat eine identitätsstiftende „Metabedeutung“. Es verweist auf den Rang in einer Gruppe. Daher interessiert Mitarbeiter meist nicht so sehr, wie sich ihr Lohn zusammensetzt, sondern vor allem, ob das, was sie erhalten, verglichen mit den Gehältern der für sie relevanten Bezugspersonen stimmt. Sie fragen sich, ob sie sich mit ihrem Gehalt bei Familie, Freunden und Kollegen „sehen lassen“ können. Darüber hinaus prüfen sie, ob das Gehalt ihren Leistungen entspricht. Das Ergebnis dieser „inneren Bilanz“ ist subjektiv, denn sie beruht auf einer persönlichen Einschätzung. Aus Sicht der Mitarbeiter ist sie deshalb nicht weniger zutreffend.

Wenn Unternehmen ein neues Entgeltsystem entwickeln, führt dies unweigerlich dazu, dass Mitarbeiter diese inneren Bilanzen öffnen. Sich als Unternehmen auf diesen Prozess einzulassen, lohnt sich nur, wenn in der Organisation eine massive Unzufriedenheit mit dem bestehenden System oder seiner Anwendung existiert. Ist das nicht der Fall, bekommt ein Entgeltprojekt nicht genug Rückenwind und es ist davon abzuraten, es anzugehen. Entscheidet sich ein Unternehmen jedoch dafür, ein neues Vergütungsmodell zu entwickeln, stellt sich die Frage nach dem „Wie“.

2. Wie soll das neue Vergütungsmodell aufgebaut sein?

Vieles spricht dafür, ein Modell zu entwickeln, das sich an den Leistungen der Beschäftigten orientiert. Denn Mitarbeiter sind zufriedener mit ihrem Gehalt, wenn es – gefühlt – ihren Leistungen entspricht. Und auch das Unternehmen profi tiert, wenn es diese fördert. Doch was ist Leistung und wie lässt sie sich messen? Jenseits von Naturwissenschaft und Technik ist der Begriff nicht eindeutig defi niert. Wenn wir von „Leistung“ sprechen, meinen wir mal unseren Einsatz und mal das Ergebnis unserer Bemühungen.

Wie kann nun ein leistungsorientiertes Vergütungsmodell aussehen, das für Vorgesetzte und Beschäftigte gleichermaßen akzeptabel und verständlich ist? Die Lösung liegt in der richtigen Defi nition: Wir benötigen einen operativen Leistungsbegriff, der auf subjektive Leistungsbewertungen durch den Vorgesetzten verzichtet, wie sie heute die meisten Unternehmen praktizieren. Diese Bewertungen führen regelmäßig zu schwer aufl ösbaren Interpretationswidersprüchen, weil sich das Leistungsverständnis des Vorgesetzten unter Umständen deutlich von dem des Mitarbeiters unterscheidet. In der Praxis „unterwirft“ sich der Beschäftigte meist unter das Urteil seiner Führungskraft oder beide Seiten fi nden einen – nicht selten unbefriedigenden – Kompromiss. Ein weiterer Nachteil: Die Mitarbeiter erhalten nach der Bewertung des Vorgesetzten fast immer gleich viel oder mehr Gehalt, obwohl die Modelle darauf ausgelegt sind, dem Beschäftigten auch einmal weniger auszuzahlen, wenn seine Leistungen nachgelassen haben.

Wenn wir aber davon ausgehen, dass sich die Leistung eines Mitarbeiters daran messen lässt, welche Aufgaben er ausführt, haben wir die Grundlage für ein Modell geschaffen, das diese unangenehmen Nebenwirkungen ausschließt. Der Rest ist Technik – und um diese soll es im Folgenden gehen.

Funktionsgruppen bilden

Im ersten Schritt gilt es, sinnvolle Entwicklungslinien zu zeichnen. Beispiele für solche stufenweise aufgebauten Entwicklungslinien – in der Fachsprache als „vertikale Funktionsgruppen“ bezeichnet – zeigen die Abbildungen 1 und 2. Es handelt sich um Funktionsgruppen, die der Löschfahrzeughersteller Rosenbauer im Jahr 2007 entwickelte.

Nach diesem Modell erhalten Mitarbeiter ein höheres Entgelt, wenn der Vorgesetzte ihnen Aufgaben der nächsten Stufe in ihrer Funktionsgruppe überträgt. Dabei orientiert sich die Führungskraft an folgenden Kriterien:

  1. Es ist für das Unternehmen sinnvoll, dass der Mitarbeiter diese Aufgabe ausführt, weil ein Bedarf besteht.
  2. Der Vorgesetzte geht davon aus, dass der Mitarbeiter die Anforderungen an die Aufgabe erfüllt.
  3. Der Mitarbeiter ist interessiert, die Aufgabe zu übernehmen.

Bei der Definition der Funktionsgruppen sollten Unternehmen umsichtig und pragmatisch vorgehen, damit die Komplexität beherrschbar bleibt. Die Firma Rosenbauer entwickelte für rund 700 Mitarbeiter aus der Produktion sowie etwa 300 technische und kaufmännische Angestellte je 13 vertikale Funktionsgruppen mit verschiedenen Abstufungen. Wenn die Führungskräfte des Unternehmens ihre Mitarbeiter bestimmten Stufen innerhalb der Funktionsgruppen zuordnen, defi nieren sie damit das „Leistungsorientierte Grundentgelt“ der Beschäftigten. Dieses ist eines von drei Elementen jener Entgeltbänder, die der Betrieb für Arbeiter und Angestellte entwickelt hat (Abbildung 3).

Neben dem Funktions-Grundentgelt kann der Mitarbeiter einen „Persönlichen Anteil“ (PA) für seine „individuelle fi nanzielle Entwicklung“ lukrieren. Dieser deckt zwei Elemente ab: Zum einen beinhaltet er die Lohnentwicklung des Kollektivvertrags. Zum anderen deckt er die Dauer der Funktionsgruppenzugehörigkeit sowie Zusatzqualifi kationen ab, die der Beschäftigte erworben hat. Der Anteil, den das Unternehmen für das Entgeltelement PA bereitstellt, wird jährlich für die gesamte Organisation budgetiert.

Hinzu kommt als drittes Element eine Jahresprämie als Beteiligung am Erfolg des Unternehmens. Sie spiegelt die Leistung der gesamten Organisation in einem Geschäftsjahr wider. Die Jahresprämie ergibt sich aus einem in der Betriebsvereinbarung festgehaltenen Algorithmus. Jeder Beschäftigte erhält einen identen Prozentsatz seines Jahresbezuges als Prämie. Der in Abbildung 3 vorgeschlagene Prozentsatz von 0 bis 9 Prozent (je nach Unternehmenserfolg) bezieht sich auf den Bereich „Investitionsgüter produzierender Maschinenbau“.

3. Wie lässt sich ein solches Entgeltsystem entwickeln?

Das Modell der vertikalen Funktionsgruppen lässt sich nicht in jeder Organisation einsetzen. Es eignet sich besonders gut für Unternehmen und Arbeitsbereiche, in denen sich Karrieren sinnvoll nach inhaltlichen Aufgaben standardisieren lassen. Dazu gehören zum Beispiel Bereiche der produzierenden Industrie, aber auch Versicherungen, Banken oder unternehmensinterne IT-Abteilungen. Jedes Unternehmen muss selbst ein System finden, das seinen Bedürfnissen entspricht. Die Verantwortlichen können einiges dafür tun, dass ihr Entgeltprojekt in der Planungsphase methodische Kreativität und ökonomische Pragmatik entfaltet:

Kommunizieren Sie Anlass und Ziele, bevor Sie beginnen.

Warum benötigt das Unternehmen ein neues Vergütungsmodell? Was sind die Beweggründe für das Projekt und welche Ziele verfolgt es damit? Diese Fragen lassen sich in einem „Vorprojekt“ klären. Die Verantwortung dafür liegt beim Personalchef, der im Auftrag der Geschäftsführung agiert. Er sollte alle wichtigen Interessensgruppen mit einbeziehen, insbesondere Mitarbeiter, Führungskräfte, Management, Betriebsräte und Gewerkschaften. Über die Ergebnisse informiert die Geschäftsführung die Belegschaft.

Wählen Sie die Teammitglieder in einem transparenten Verfahren aus.

Anschließend gilt es, ein Projektteam zusammenzustellen, in dem erneut alle wichtigen Interessengruppen vertreten sind. Die Abteilungsleiter entsenden Mitarbeiter in das Team. Wichtig ist, dass diese Auswahl nach vorab definierten Kriterien erfolgt, die im Unternehmen bekannt sind. Die Unternehmensleitung sollte alle Mitarbeiter darüber informieren, wie die Verantwortlichen für das Projekt ausgewählt werden und wie sich das Team am Ende zusammensetzt. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass dieses Projekt einseitige Interessen bedient und seine Ergebnisse bereits im Vorfeld feststehen.

Unterstützen Sie das Team fachlich, kommunikativ und professionell.

Die Arbeit erfolgt in eintägigen, workshopartigen Arbeitsklausuren. Diese finden entweder „inhouse“ statt, sofern die entsprechende Infrastruktur existiert, oder extern, zum Beispiel in einem Seminarhotel. Wichtig ist, dass die Gruppe ihre Arbeit nur aufnimmt, wenn alle anwesend sind. Stellvertreter sollten nicht akzeptiert sein. Denn ansonsten entsteht nicht die inhaltliche und emotionale Dynamik, die ein solches Vorhaben benötigt, um zügig voranzukommen. Das Team sollte über alle Konzeptvorschläge einstimmig entscheiden. Üblicherweise benötigen Unternehmen rund 20 bis 25 Klausurtage, um ein Gehaltsmodell zu entwickeln. Es kann hilfreich sein, die Hilfe externer Berater in Anspruch zu nehmen, die den Arbeitsprozess im Projekt moderieren sowie fachlich und methodisch unterstützen. Deren Vorschläge sollten sich jedoch ausschließlich auf Methoden, Instrumente und gegebenenfalls Benchmarks beziehen. Systemrelevante Entscheidungen fällt das Team selbst.

Treffen Sie die Entscheidung über das Modell auf Top-Managementebene mit dem Betriebsrat.

Die Ergebnisse der Arbeitsklausuren präsentiert die Projektgruppe dem Top-Management, also Geschäftsführung oder Vorstand, und dem zuständigen Betriebsratsvorsitzenden. Anschließend fällt die Unternehmensleitung mit den Betriebsratsvorsitzenden eine Entscheidung, üblicherweise in einer nicht öffentlichen Sitzung. Wenn der Betriebsrat in die Entscheidungsfindung eingebunden ist, stellt meist auch die später zu erstellende Betriebsvereinbarung kein Problem mehr dar.

4. Was wird das neue System kosten und wird es sich rechnen?

Ein zentraler Anspruch des Managements an das neue Vergütungsmodell wird sein, dass die Gehaltskosten nicht steigen. Beinahe alle Systeme kosten allerdings zu Beginn etwas mehr als ihre Vorgänger. Sie sollten die Organisation mittelfristig aber nicht mehr – und im besten Fall weniger – belasten. Wie bei jeder Investition müssen die Projektverantwortlichen daher den „break even point“ berechnen, ab dem die erzielten Einsparungen die Kosten für das Gehaltsmodell übersteigen. Dabei sind folgende Regeln wichtig:

Reden Sie während der Systementwicklung nicht über Geld.

Schon in der Planungsphase müssen die Beteiligten die Kosten im Blick haben, sollten aber nicht über konkrete Summen sprechen, sondern nur über Relationen und Wertigkeiten. Da auch die Mitglieder der Projektgruppe von dem neuen Gehaltsmodell materiell betroffen sind, gerät die Arbeit meist aus dem Ruder, sobald Summen im Raum stehen.

Erstellen Sie eine Schattenrechnung.

Wenn das neue Gehaltsmodell in Grundzügen steht, lässt es sich mithilfe einer Schattenrechnung erproben. Dafür müssen die Führungskräfte ihre Mitarbeiter zunächst jenen Funktionsgruppen zuordnen, die das Projektteam in der Vorbereitungsphase entwickelt hat. Dabei kann sie ein Mitarbeiter aus dem Projektteam und gegebenenfalls der Personalleiter unterstützen.

Liegen diese Zuordnungen vor, lädt das Projektteam die systemrelevanten Daten der Mitarbeiter in das IT-System. Jetzt tauchen erstmals personenbezogene Geldbeträge auf – und zwar im „Ist-System“ sowie im „Soll- System“. Das Team kann nun verschiedene Varianten mit ihren Konsequenzen für einzelne Mitarbeitergruppen und das Unternehmen prüfen. So lässt sich beispielsweise die Entwicklung der Gehaltskosten pro Abteilung und mit Blick auf die gesamte Organisation berechnen und verändern. Die Feinabstimmung dauert so lange, bis das Verhältnis zwischen Mitarbeitern, die weniger Lohn bekommen, Beschäftigten, die einen höheren Lohn erzielen, und der betrieblichen Gehaltskostensumme aus Sicht der Entscheider stimmig erscheint. Wenn Team und Geschäftsführung dem Ergebnis zustimmen, ist das System konzipiert.

Im folgenden Schritt muss der Personalchef mit den betroffenen Mitarbeitern individuelle Übergangsregelungen entwickeln und aushandeln. Grundlage für diese Verhandlungen ist eine im Projekt entwickelte und von den Entscheidungsträgern verabschiedete Liste möglicher Optionen. Oberstes Ziel der Verhandlungen ist es, die mit der Geschäftsführung vereinbarten Planwerte für die betriebliche Entgeltsumme im Auge zu behalten.

Abschließend müssen Geschäftsführung und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung treffen, um die Implementierung des neuen leistungsorientierten Entgeltsystems zu starten. Jetzt ist auch der Zeitpunkt gekommen, an dem die Mitglieder des Projektteams mit dem externen Begleiter die Ergebnisse ihrer Arbeit feiern können.

Literaturtipps

Monetäre Anreize schaffen. Die Firma Rosenbauer entlohnt Mitarbeiter nach Leistung und Funktion. Von Alfred Janes und Markus Öttl. In: personal manager 3/2007, S. 48–49.

Pay for Performance für CEOs: Leistungsanreiz oder Bremse? Von Margit Osterloh und Katja Rost. In: personal manager 6/2008, S. 42–44.

Quelle: personal manager 6/2010