HRM.de: Herr Rücker, es gibt zwei Kategorien der Arbeitsbewertung: die summarische und analytische Arbeitsbewertung. Was unterscheidet die beiden?

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Rücker: Ganz einfach: bei einer summarischen Arbeitsbewertung werden die Anforderungen der Arbeit, des Arbeitsplatzes oder -bereichs global erfasst und anhand von tariflich geregelten Eingruppierungsmerkmalen über einen Punktwert eingestuft. Punktebereiche werden in Arbeitswertgruppen zusammengefasst, die wiederum je einer Entgeltgruppe zugeordnet sind. Somit resultiert aus der summarischen Arbeitsbewertung die Feststellung des Grundentgelts. Bei der analytischen Bewertung werden zyklisch einzelne, tarifliche wie auch unternehmensindividuelle Leistungsmerkmale hinsichtlich ihres Erfüllungsgrades bewertet. Die sich daraus ergebenden Prozentwerte, werden über eine festgelegte Formel in einen Entgeltbetrag, das sog. Leistungsentgelt, umgerechnet. Die analytische Arbeitsbewertung stellt damit die Basis für eine variable Entlohnungskomponente.

HRM.de: Wie kombinierbar sind die Arten?

Rücker: In vielen Tarifverträgen sind diese beiden Verfahren als Alternativen vorgesehen. Im neuen ERA-TV (Tarifvertrag über das Entgelt-Rahmenabkommen für die Metall- und Elektroindustrie) zum Beispiel werden beide Methoden nacheinander angewandt: das im Tarifvertrag vorgesehene Leistungsentgelt wird als fester Bestandteil des Gesamtentgelts nach dem analytischen Verfahren ermittelt.

HRM.de: Welche verschiedenen Methoden der Leistungsermittlung gibt es denn?

Rücker: Generell unterscheidet man drei Methoden: erstens die Beurteilung, zweitens Kennzahlenvergleiche und drittens Zielvereinbarungen. Im ERA-TV sind alle drei Methoden übrigens zulässig und können darüber hinaus miteinander kombiniert werden.

HRM.de: Was kennzeichnet die Methoden?

Rücker: Beurteilungen sind immer Sache der Vorgesetzten. Das Unternehmen definiert hierzu einen Katalog von Beurteilungsmerkmalen und den vorgesehenen Leistungsstufen, nach denen die Vorgesetzten ihre- Mitarbeiter entsprechend beurteilen. Dabei wird immer das Leistungsverhalten des Mitarbeiters für einen festgelegten Zeitraum in der Vergangenheit, z.B. der letzten 12 Monate, beurteilt. Kennzahlenvergleiche erfordern eine fixe Anzahl Kennzahlen und deren systematischen Vergleich. Neben den Kennzahlen selbst und eventuell ihrer Zusammensetzung wird bereits im Vorfeld eine sogenannte Leistungsentgelt-Relation festgelegt, mit der sich für jeden Kennzahlenwert ein Entgeltbetrag ermitteln lässt. Dabei müssen die Kennzahlen so definiert sein, dass sie sich nur auf das Leistungsergebnis beziehen, aber für den Mitarbeiter oder die Mitarbeitergruppe beinflussbar, handhabbar und nachvollziehbar bleiben.Wichtig ist auch, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter ein Kennzahlensystem miteinander in einer Betriebsvereinbarung festschreiben müssen, bevor es gelten kann. Das gilt natürlich auch für folgende (ich meine im Sinne von späteren) Veränderungen. Damit gilt die ursprüngliche Festlegung in der Regel über einen langen Zeitraum. Zielvereinbarungen funktionieren ganz anders: hier vereinbaren Mitarbeiter und Vorgesetzte Ziele, die ausformuliert werden und deren Erreichung nach einer festgelegten Zeitspanne bewertet wird. Diese orientieren sich natürlich in der Regel zum einen an den Unternehmens- und/oder Abteilungszielen, und werden im Allgemeinen durch persönliche Ziele ergänzt.

HRM.de: Diese drei Varianten werden aber kombiniert in der Praxis.

Rücker: Natürlich, was die Bewertungsverfahren oft komplex macht. Dazu ein Beispiel: man könnte für die Messung harter Kennzahlen ein Kennzahlensystem einführen und Zielvereinbarungen oder Beurteilungen dort einsetzen, wo es um weiche Faktoren wie social skills oder den individuellen Beitrag zum Erreichen einer Gruppenleistung geht. Dann würde sich das Leistungsentgelt der Mitarbeiter zum Beispiel zu 70% aus dem Kennzahlensystem und zu 30% mit den Zielvereinbarungen gemessen werden. Das wäre zum Beispiel dann sinnvoll, wenn Umsätze alleine nicht genügen, sondern auch Kommunikation und Kooperationsverhalten im Team einen Unternehmenserfolg maßgeblich bestimmen.

HRM.de: Das würde aber auch bedeuten, dass einzelne Branchen bestimmte Bewertungsmodelle für sich bevorzugen.

Rücker: Ja, Beurteilungen und Zielvereinbarungen eignen sich sehr gut zum Beispiel für die administrativen Bereiche eines Unternehmens, Redaktionen oder in der Beratung. Weil wir es hier nämlich mit vielen weichen Faktoren zu tun haben. Denn, wie wollen Sie beispielweise harte Kennzahlen bei einem Redakteur messen? Und was versteht man überhaupt unter “harter Kennzahl“? Das ist sie doch nur dann, wenn ich ein Leistungsmerkmal über einen längeren Zeitraum hinweg konstant messen kann und es mit dem anderer Personen exakt vergleichbar ist. Kennzahlensysteme werden besonders häufig in der Produktion eingesetzt, wo es in der Vergangenheit teilweise bereits Entlohnungsmodelle wie Akkord und Prämien gab und die notwendigen technologischen Erfassungssysteme bereits vorhanden sind.

HRM.de: Welche harten Kennzahlen fallen Ihnen noch ein?

Rücker: Oh, eine ganze Menge: Reklamationsquoten zum Beispiel, Anzahl der Ausschussteile in einer Produktion, Fehlbuchungen in der Verwaltung, Beschwerdequote in einem Call Center oder Liegezeiten in einem Lager. Bestände, Störzeiten. Umsätze natürlich auch oder die Anzahl an Kundenbesuchen. Wichtig ist bei allen: der Mitarbeiter oder die Gruppe muss sie selbst beeinflussen können.

HRM.de: In welchen Punkten berührt die Leistungsermittlung eigentlich das Allgemeine Gleichstellungsgesetz?

Rücker: Pauschale Antwort: überall, denn es geht ja immer um faire Leistungsermittlung. Aber wie wollen Sie „fair“ definieren? Denn Diskussionen werden nie ausbleiben. Zwei Punkte möchte ich aber gesondert hervorheben: zum einen die Alterssicherung und der Umgang mit Gewichtung von Tätigkeiten im Gesamtunternehmenskontext. Also: Sie dürfen das Entgelt eines älteren Mitarbeiters nicht aufgrund seines Alters kürzen. Das aber darf nicht zu dem Umkehrschluss führen, dass Sie seine Leistung nicht mehr ermitteln, weil seine Bezüge ohnehin nicht gekürzt werden dürfen. Zum Punkt zwei lässt sich sagen: gleichwertige Tätigkeiten dürfen nicht unterschiedlich bewertet werden, bzw. es dürfen unterschiedliche Unternehmensbereiche nicht gegeneinander ausgespielt werden. Beispiel: die Möglichkeit, die jemand in der Gießerei eines Produktionsbetriebes hat, einen bestimmten Prozentsatz des Leistungsentgeltes zu erreichen darf nicht anders sein, als von jemandem im Einkauf.

HRM.de: Empfiehlt es sich, schon bei einer Neueinstellung die Relation zwischen Jobanforderung und aktueller Eignung aufzuzeichnen, um daran eine fortlaufende Leistungsermittlung anzuschließen?

Rücker: Dazu gibt es etwas Grundsätzliches zu sagen: Eignung ist nicht gleich Leistung, bzw. lässt nicht auf Leistung schließen. Ich denke da an ein Hotel in Hamburg, das von gehandicapten Mitarbeitern geführt wird. Will sagen: im Rahmen von Personalentwicklung können Sie natürlich Eignungen und Potentiale erfassen, aber diese sollten Sie nicht mit der Leistungsermittlung koppeln. Natürlich wird man sich als Führungskraft fragen müssen, woran es liegt, wenn jemand eine geforderte Leistung nicht erreicht. Liegt es zum Beispiel daran, dass geforderte Fähigkeiten noch nicht entwickelt sind? Und wenn ja, was ist zu tun? Oder kann der Mitarbeiter auf einer anderen Position nicht besser eingesetzt werden? Damit wären dann beide Seiten deutlich zufriedener.

HRM.de: Werfen wir einen Blick auf Mitarbeiter über 45 Jahre: Wie kann ich ihre Leistungen so bewerten, dass das Ergebnis zum Beispiel im Hinblick auf jüngere Kollegen fair ausfällt?

Rücker: Ganz falsche Richtung. Niemals darf ein Bezug zum Alter hergestellt werden. Es kann immer nur um die Anforderungen gehen, die ein Arbeitsplatz an den Menschen stellt. Natürlich möchten manche Mitarbeiter mit Betriebserfahrung punkten. Aber bewertet werden muss die Leistung doch immer nach demselben Kriterienkatalog. Daher muss ich einen beispielsweise einen 55Jährigen mit einem 19Jährigen gleichstellen. Ansonsten könnte sich ja der 19jährige beschweren, dass er es viel schwerer hat, dasselbe Leistungsentgelt zu erlangen als der ältere Kollege. Die Kunst besteht also auch darin, die Arbeitsplätze so zu besetzen und den Kriterienkatalog so zu gestalten, dass alle Mitarbeiter dieselben Möglichkeiten haben.

HRM.de: Das ist die fachliche Sicht. Was aber sagen Mitarbeiter dazu in der Praxis? Viele Ältere möchten sich nicht mit Jüngeren gleichgesetzt sehen, wie Sie selbst schon sagten.

Rücker: Sicher, aber nochmal: im Falle eines negativen Ergebnisses ist Kreativtät in der Personalplanung gefordert. Ich möchte außerdem daran erinnern, dass es zum Beispiel die Arbeitsstättenverordnung gibt. Diese sieht vor, dass der Arbeitgeber die Mitarbeiter so unterstützt, dass ihre Leistungsfähigkeit optimal erhalten bleibt. Da sollte eigentlich keiner mehr kommen und sagen können: Ich packe das nicht.

HRM.de: Leistungsdaten zu ermitteln ist das Eine, sie mit dem Betroffenen zu besprechen, das Andere. Was beobachten Sie: wie gut gelingen die Besprechungen in der Praxis und inwiefern sollten Firmen hierfür nicht doch Gesprächsleitfäden entwickeln?

Rücker: Ganz ehrlich? Ich erlebe teilweise das pure Desaster. Der Hauptgrund: vielen Führungskräften steht der Schweiß auf der Stirn, wenn sie an das Mitarbeitergespräch denken. Es fällt ihnen schwer – oftmals auch aufgrund persönlicher Bindungen zu den Mitarbeitern, Klartext zu reden – Erwartungen an das Leistungsverhalten verbindlich zu formulieren und zu vermitteln. Zielvereinbarungen sind sehr oft Zieldekrete. Nach dem Motto: „Das ist die Zielvorgabe. Schau zu, wie Du das hinbekommst.“ Dann kommt dazu, dass den Führungskräften aufgrund von vielfältigen Belastungen im operativen Geschäft oftmals die Zeit fehlt, das Leistungsverhalten ihrer Mitarbeiter kontinuierlich zu beobachten und festzustellen. Daher der dringende Tipp: Führungskräfte sollten speziell und kontinuierlich in Gesprächsführung geschult werden.

HRM.de: Ich hörte mal in einem Gespräch mit einem Personaler, dass ältere Mitarbeiter solchen Gesprächen und Leistungsbewertungen allgemein weniger vorbehaltlos begegnen als jüngere Kollegen.

Rücker: Da ist etwas dran. Ältere steigen tiefer in die Thematik ein, sie wollen intensiv diskutieren. Allerdings treten sie oft diplomatischer auf als junge Mitarbeiter, die Evaluierungen zwar eher akzeptieren, aber bei Meinungsverschiedenheiten auch mal ins Flapsige abrutschen.