L&D ist nicht Feuerwehr, sondern Fitnesstrainer

Die Welt der Arbeit dreht schneller: Neue KI-Tools schießen im Wochentakt aus dem Boden, Kund*innen erwarten Updates „overnight“ und hybride Teams sitzen verteilt über Zeitzonen. Wer hier noch auf periodische Change-Projekte setzt, hinkt zwangsläufig hinterher. Genau an diesem Punkt hebt Imke Schulz-Hanssen, Gründerin der Schulz-Hanssen-Akademie für Führen in der digitalen Transformation, im HRM-Hacks-Podcast den Finger: „Team­arbeit braucht heute die Resilienz eines Hochleistungs­sportlers – tägliches Training statt gelegentlicher Reha.“

Sie plädiert für eine kontinuierliche Lernkultur, in der L&D nicht Feuerwehr, sondern Fitnesstrainer ist; in der Teams nicht auf die finale Ansage der Führung warten, sondern selbst zum lernenden Organismus werden. Wie das geht? Mit Mini-Interventionen, klarer Rollen­logik und einer neuen Ehrlichkeit im Miteinander.

Vom Problemfeuer zur Lernflamme

Wer schon länger im HR-Umfeld arbeitet, kennt das Muster: Ein Projektsteam verfehlt Deadlines, die Stimmung kippt, der Flurfunk brodelt – und plötzlich steht ein Wochenendworkshop im Kalender. Danach sind alle motiviert, der Teamvertrag hängt einen Monat lang aus … und das Tagesgeschäft holt die Gruppe schneller wieder ein, als der Flipchart-Stift trocknen kann. Schulz-Hanssen nennt diese Formate „Problem-Kuren“: punktuelle Behandlungen, die Symptome lindern, aber keine Fitness aufbauen.

Die Alternative heißt Skill-Fitness. Mit ihrer Coaching-as-a-Service-Lösung „Teamcamp“ liefert Schulz-Hanssen wöchentliche Übungen: Reflexionsfragen, Mikro-Challenges, kurze Videos – jeweils in der Länge eines Espresso-Breaks. Damit bleibt Team­entwicklung auf niedrigem Energielevel, aber in hoher Frequenz präsent. Das Vorgehen folgt dem Prinzip „Atomic Habits“: Winzige Gewohnheiten, die sich fast unbemerkt zum Kulturtreiber addieren.

Essenz: Coaching wird nicht mehr als Ausnahme betrachtet, sondern als Teil des Organisations­stoffwechsels.

Wer sind die positiven Team-Hacker?

In jeder Crew gibt es jene stillen Stars, die Prozesse flicken, Kundenprobleme lösen und Konflikte deeskalieren, ohne das große Rad zu drehen. Schulz-Hanssen tauft sie „Team-Hacker“ – nicht, weil sie Sicherheits­lücken ausnutzen, sondern weil sie informelle Workarounds bauen, wenn der offizielle Prozess versagt.

Diese Menschen agieren oft unter dem Radar. Im Worst Case werden sie getadelt, weil ihr Pragmatismus vom Standard­prozess abweicht. Dabei ist genau diese Fähigkeit das Gold des 21. Jahrhunderts: konstruktive Improvisation – adaptieren, ohne sich im eigenen Ego zu verheddern.

Learning-&-Development sollte deshalb drei Hebel bedienen:

  1. Sichtbarkeit – Storys der Team-Hacker in Brownbag-Sessions oder im Intranet teilen.
  2. Befähigung – ihnen Moderations- und Coaching-Skills anbieten, damit sie Methoden­wissen auf ihr Talent satteln.
  3. Schutzräume – klare Botschaft der Führung: Resultate zählen, nicht Pedanterie. Wer Kunden­nutzen stiftet, hat Rückendeckung.

So entsteht eine Spirale: Gute Praxis wird Standard, neue Team-Hacker trauen sich aus der Deckung und das System optimiert sich selbst.

Wenn Worte unterschwellig drohen – Sach- und Beziehungsebene

Ein Klassiker aus Schulz-Hanssens Workshop-Praxis: Die Führungskraft lobt formal, aber der Tonfall signalisiert Frust. Das Gegenüber spürt den Stich, auch wenn die Worte freundlich klingen. Die Folge: passiver Widerstand, stilles Brodeln, Leistungs­bremse.

Der schnelle Hack besteht darin, Botschaften zu entflechten. Drei Fragen helfen:

  • Was ärgert mich (Gefühl)?
  • Woran liegt es genau (Fakt)?
  • Was brauche ich stattdessen (Wunsch)?

Erst wenn diese Ebenen klar sind, lohnt sich das Gespräch – dann jedoch explizit und ohne Ironie. Teams, die das üben, bauen psychologische Sicherheit auf: Fehltritte werden benannt, Missverständnisse geklärt und Kreativität läuft, weil niemand subtile Angriffe befürchtet.

Permanenter Wandel statt Projekt-Change

Der Begriff „Change-Management“ stammt aus einer Ära planbarer Fünfjahres­strategien. Heute ändert sich Software wöchentlich, Märkte monatlich. Schulz-Hanssen fordert, Wandel als Dauerzustand zu akzeptieren. Das verändert auch die Rolle von HR / L&D:

  • Vom Projektleiter (Roadmap, Kick-off, Abschluss)
  • zum Prozessbegleiter (Spiegeln, Reflektieren, Skill-Boost, Messen)

Teams werden zu dezentralen Lerneinheiten. Statt 100-seitiger Change-Decks braucht es kurze Loops: Was lief diese Woche? Was lernen wir? Wie passen wir an? Technologie hilft: Pulse-Surveys messen Stimmung, Chatbots schlagen Mini-Interventionen vor, ein Kanban-Board visualisiert Blocker. Der wirtschaftliche Nutzen: weniger Change-Fatigue, mehr Agilität, schnellere Reaktionen auf Markt­impulse.

Gesunder Menschen­verstand 2.0 – einfache Regeln, große Wirkung

Unternehmen ersticken oft an der Komplexität selbst­geschaffener Regeln. Schulz-Hanssen plädiert dafür, in den Default-Modus gesunden Menschen­verstands zurückzukehren:

  • Frage eins: Erzeugt diese Aktivität Kundenwert?
  • Frage zwei: Vereinfacht oder verkompliziert sie den Workflow?
  • Frage drei: Können wir den gleichen Nutzen mit weniger Aufwand erzielen?

Teams, die lernen, diese Fragen jede Woche zu stellen, reduzieren Overhead: weniger Meetings ohne Agenda, weniger KPI-Excel, weniger E-Mail-CC. Das spart Nerven und setzt Kreativ­energie frei. L&D kann helfen, indem es Entscheidungs­leitplanken formuliert, etwa eine „Simplicity-Checklist“, die vor jedem neuen Prozessschritt abgeklopft wird.

Fünf Handlungsfelder für L&D

1. Micro-Formate systematisieren
Statt „Lunch & Learn, wenn Zeit ist“ klare Cadences festlegen: Montags fünf Minuten „Pulse Check“, mittwochs zehn Minuten „Learning Nugget“, freitags drei Minuten „Retro-Flash“. Tools wie Miro, Mentimeter oder eine interne Coach-App pushen die Fragen direkt aufs Smartphone.

2. Team-Selbstcoaching im Skill-Katalog verankern
Moderations­techniken, Konflikt­karten, Feedback-Leitfäden – als Download, gedruckt oder integriert in MS Teams. Wer Lust hat, übernimmt die Rolle des „Sprint-Facilitators“ im Rotationsprinzip.

3. Erfolg sichtbar machen
Kennzahlen dürfen klein sein: Ein Service-Team reduziert E-Mail-Ping-Pong um 18 % – das ist eine Story für den internen Newsletter. Sichtbarkeit festigt Neues.

4. Führung als „Safety-Engine“ befähigen
Leader*innen lernen, Anerkennung so zu formulieren, dass sie nicht wie Deckel-Doppelbotschaften klingen („Danke, aber…“). Außerdem entwickeln sie Sensorik für Team-Hacker – wer still Probleme löst, bekommt Bühne und Budget.

5. Technologie als Sparringspartner
KI-gestützte Reflexions-Bots fragen: „Welche Zusammenarbeit hat dich heute blockiert?“ Sprache-zu-Text-Analyse identifiziert Themen. Lern-Nudges erinnern an Rücksprachen oder Dankes­gesten. Wichtig: Tech ergänzt, ersetzt aber nicht das menschliche Gespräch.

Der ROI einer lernenden Teamkultur

Wirtschaftlich lohnt sich das Ganze in drei Dimensionen:

  1. Speed: Probleme tauchen früher auf, Deadlines werden seltener gerissen.
  2. Engagement: Teams grinsen häufiger – „Making Teams smile“ reduziert Fluktuation.
  3. Change-Power: Anpassungen sind Alltag, nicht Kraftakt. Das spart Beratungs­etats und Projektstau.

Ein Vergleich: Eine dreitägige Off-Site-Maßnahme verschlingt schnell 2 000 € pro Kopf. Eine Coaching-Subscription mit wöchentlichen Mini-Interventionen kostet oft weniger als 200 € pro Person und Jahr – und liefert 52 Lernimpulse statt dreiübungs­intensiver Tage.

Roadmap zum Loslegen

  1. Quick Win-Challenge: In der nächsten Teamrunde fünf Minuten reservieren: „Was hat uns diese Woche am meisten Energie geraubt? – Was probieren wir nächste Woche anders?“ Ergebnisse in Slack-Channel pinnen.
  2. Team-Hacker identifizieren: Wer hat zuletzt einen Kunden gerettet/Projekt­verzug ausgeglichen? öffentlich danken.
  3. Microskills ausrollen: L&D verschickt ein Einseiter-Toolkit mit drei Reflexions­fragen und zwei Feedback-Techniken.
  4. Pulse-Survey einführen: Ein Frage pro Woche, nicht zehn. Fokus: psychologische Sicherheit, Hindernisse, Ideen.
  5. Erfolge feiern: Monatsreview, in dem jede/r ein Learning und einen Quick-Win teilt – optional mit GIF-Applaus.

Nach drei Monaten sind erste Gewohnheiten entstanden, nach sechs Monaten zeigt sich messbar weniger Projektverzug, nach neun Monaten sinkt die Fluktuations­rate.

Fazit: Teamwork braucht Dauerpflege – nicht nur Not-OPs

In der Ära von Hybrid Work und KI wird Teamleistung zur Kernwährung. Sie gedeiht, wenn Unternehmen ihre Menschen nicht nur „on the job“ nutzen, sondern im Job ständig weiterentwickeln. Mini-Coaching, positive Team-Hacker, klare Sprache und smarte Tech-Tools verwandeln das Buzzword „lernende Organisation“ in Alltag. Dann wird aus „Wir müssten mal was fürs Miteinander tun“ ein messbares Ritual – und das Grinsen im Gesicht der Teams der sichtbarste KPI.

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